[29] Zeitabstand
"Wir müssen also während des Reitens einen Pfeil abschießen?", fragt Sunwoo, "Warum das denn? Warum beides gleichzeitig?" Er blickt skeptisch zu der trainierenden Miyu. Mit erschreckender Präzision und Schnelligkeit reitet sie an den Zielscheiben entlang. Ihr Schüler kommt dabei kaum hinterher.
Sein eigener Schüler, Seok Danse, zuckt nur mit den Schultern.
"So kämpft man im Krieg", erklärt er, als sei es selbstverständlich. Er will gerade selbst zu den Pferden, als Sunwoo ihn wieder aufhält.
"Warum hast du mich ausgewählt? Weil du auch ein Mischling bist?", frag er, "Du bist doch Hansungs älterer Bruder. Solltest du nicht ihn beschützen?"
Danse schweigt einen Moment.
"Es ist keine schöne Geschichte", sagt er dann. Ist sie wirklich nicht, denkt er.
"Wäre ich der Schüler eines anderen, müsste ich ihm dienen. Bei dir muss ich das nicht. Darum habe ich dich gewählt, Meister Sunwoo. Reicht das?", gibt er die Kurzfassung von sich. Die lange Geschichte ist allerdings deutlich düsterer.
Sunwoo und Danse lösen Minho und seinen Schüler, Kim Seungho, ab. Es stellt sich aber heraus, dass Sunwoo im Gegensatz zu Minho ganz und gar nicht geübt darin ist, das Reiten mit dem Bogenschießen zu balancieren. Zu Danses Bedauern wird es für ihn noch ein langer Weg des Lernens.
Miyus Schüler ist hingegen begeistert von seinem Meister.
Mit schnellen Schritten läuft sie durch den Hof, um ihren Bogen ordentlich zu verwahren und anschließend mit dem Schwert zu trainieren.
"Woher könnt ihr das so gut, Meister Minho?", fragt Seungho und läuft ihr eilig hinterher.
"Erfahrung", meint sie nur und bleibt urplötzlich stehen. Seungho läuft gegen sie.
"Was?", fragt er, aber bleibt bei ihrem Gesichtsausdruck stumm.
"Nerv nicht so, wenn du nicht mein nächstes Übungsziel werden willst. Ich brauche deine Hilfe nicht und ich habe nicht um sie gebeten."
***
"Minho", winkt Hansung euphorisch und läuft den Platz zu ihr herüber. Miyu hat mittlerweile ihren Bogen mit dem Schwert getauscht, aber noch nicht die Trainingsfläche erreicht.
"Kämpfst du wieder?", fragt er mit großen Augen auf das Schwert und wendet sich dann an ihren Schüler.
"Minho ist der beste Kämpfer der Hwarang", flüstert er mit vorgehaltener Hand, "Vorher war es Sooho, aber selbst er sieht gegen Minho wie ein Anfänger aus."
Seunghos Augen fangen an zu leuchten. Als er eine Antwort geben will, sieht er schüchtern zu Minho.
"Er hat beim Bogenschießen sogar aus jedem Winkel immer in die Mitte getroffen", sagt er schließlich doch. Minhos erster Eindruck war einschüchternd und ein wenig fürchtet er sich noch immer vor dem talentierten Hwarang, doch neben Hansungs guter Seele, fühlt er sich sicher. Eines Tages wird auch er ein Krieger wie Minho werden! Bloß so gruselig will er nicht sein.
"Woah", staunt Hansung und dreht sich zu Miyu. Er grinst sie staunend an.
Hansungs Blick lindert Miyus Gereiztheit ein wenig und für einen kleinen Augenblick lächelt sie den Hwarang an, bevor sie wieder eine kalte Maske aufsetzt.
"Er kann lächeln", meint Seungho erstaunt.
Schnell landet Miyus eindringlicher Blick auf ihm: "Nein, kann ich nicht."
Doch Hansung grinst dadurch nur weiter.
"Doch, doch. Das kann er", sagt er zu dem Schüler.
"Hansung", wendet sich Miyu nun an ihn und drängt ihren Schüler aus dem Gespräch, "Warum ist Danse eigentlich Sunwoos Schüler. Er ist doch dein Bruder, oder nicht?"
Hansungs Grinsen fällt ein. Überlegend blickt er in die Ferne.
"Danse ist nur mein Halbbruder. Seine Mutter war eine einfache Bedienstete."
Er wendet sich wieder an Miyu: "Sunwoo ist auch nur zur Hälfte vom Knochenrang. Sie sind gleich."
Dann lächelt er wieder: "Und Sunwoo ist sympathisch. Ich mag ihn."
***
Beim Essen ignoriert Miyu eisern die Blicke von Jidwi. Sie ist noch nicht bereit zu reden.
Wenigstens versuche ich, niemanden zu vergiften, hat er gesagt. Ist es wirklich so? Bringt sie das Schlechte in anderen hervor?
Miyu ist es bewusst, dass Dinge wie Freundschaft und Zuneigung für sie nicht einfach sind. Vor Hwarang hat sie nicht einmal die wahre Bedeutung dieser Begriffe verstanden und vielleicht tut sie es immer noch nicht vollständig.
Du bist von allen allein gelassen und sollst die Drecksarbeit erledigen, weil dein Leben entbehrlich ist.
Stumm isst sie weiter.
"Iss", fordert Banryu Sooho auf, als er ihm etwas von seinem Essen auf das Tablett legt, "Du musst dich nicht entschuldigen."
Sooho allerdings atmet tief ein, um sich zu beruhigen. Meint er es ernst oder zieht er mich auf?
"Sehr gut, Sooho", meint Yeowool allerdings, "Du zeigst Selbstbeherrschung."
"Es war nicht ihre Brust", erkennt Hansung überlegend und legt sich das Ende seines Löffels an den Mund, "Sondern Banryus Hintern."
Sooho zuckt bei seinen Worten zusammen. Will er mich auch aufziehen?
"Willst du Prügel?", fragt er.
Als Ahro durch die Tür platzt, verstummen die Gespräche. Die Frau starrt allerdings bloß ihren Bruder an.
"Willst du nicht mit ihr reden?", fordert Yeowool indirekt auf, aber Sunwoo isst weiter ungestört sein Essen.
"Sie ist nicht meinetwegen hier", meint er bloß.
Ahro, die seine Worte auch gehört hat, atmet einmal tief ein, aber stürmt dann wieder aus der Kantine raus.
Langsam fangen die Gespräche wieder an.
"War sie wütend?", fragt Hansung und versucht Ahros vieldeutiges Gesicht zu interpretieren.
Sunwoo seufzt und legt seinen Löffel beiseite. Dann richtet er sich an Miyu.
"Wie denken Frauen bloß?"
Miyu sieht selbst überrascht von ihrem Essen auf.
"Woher soll ich das wissen?", fragt sie schulterzuckend. In ihrem Leben hat sie nur selten andere Frauen getroffen.
"Was macht man, um eine zu beruhigen?"
Erneut zuckt Miyu mit den Schultern: "Man versucht, sie nicht umzubringen oder zu verletzen, schätze ich. Sollte zumindest nicht schaden."
Glücklicherweise schaltet sich Sooho dazu.
"Was hast du angestellt?", fragt er, "Hast du meinen Rat nicht befolgt?"
***
Am späten Nachmittag sieht Miyu Danse alleine trainieren. Der Druck, sich täglich für seine Familie beweisen zu müssen, muss stark auf ihm lasten. Eine Weile beobachtet sie die geschickten Bewegungen.
Mit ihrem eigenen Schwert bewaffnet läuft sie auf ihn zu.
"Danse", sucht sie seine Aufmerksamkeit. Der verschwitzte Schüler hält in seinen Bewegungen inne und blickt zu ihr.
"Ohne Gegner kämpft es sich nicht so gut", meint sie und schwingt ihr Schwert.
Auf eine Antwort wartend blickt sie zu dem größeren Mann. Dieser nickt bloß und stellt sich bereit für einen Kampf hin. Dann schlägt Miyu zu.
Metall knallt aufeinander, als sie beide sich von dem Block in eine andere Position drehen. Danse greift nun an, aber Miyu weicht aus.
"Warum trainierst du nicht mit Seungho, Meister Minho?", fragt er irgendwann.
Miyu durchbricht für einen Augenblick seine Abwehr, aber anstatt ihn zu verletzten, dreht sie ihr Schwert auf die ungeschliffene Seite, um ihn damit zu berühren.
Dann tritt sie von ihm weg und begibt sich erneut in Kampfposition.
"Weil ich einen Trainingspartner suche und keinen Bewunderer", begründet sie.
Erneut tauschen sie Schläge aus, als Miyu nun die Stille durchbricht.
"Warum bist du nicht Hansungs Schüler?", fragt sie, "Er hätte sich bestimmt gefreut."
Diese Frage verändert Danses Kampfstil. Er wird grober und schlägt härter zu.
"Das verstehst du nicht, Meister Minho." Er schlägt ihr so fest auf das Schwert, das Miyu mit einer Drehung Platz zwischen sich und ihren Gegner bringt, um ihr Schwert bei der Wucht nicht zu verlieren.
"Lass das 'Meister' weg", befielt sie, "Außerdem kenne ich den Familiendruck nur zu gut."
Als Miyu angreifen will, stoppt sie. Warum hast du aufgehört?
Danse sieht ihr argwöhnisch in die Augen.
"Woher willst du es wissen? Du bist ein Wahrer Knochen."
Miyu hält seinem eindringlichen Blick stand. Auch sie hat ihr Schwert sinken lassen. Ich habe nicht einmal koreanische Knochen, Dummkopf.
"Ich war lange Zeit fort", sagt sie, "Ich habe auch für mein Leben kämpfen müssen. Ich musste mich auch jeden Tag neu beweisen." Vielleicht ist ihr Kampf nicht in der Familie, aber die Samurai sind das einzige Leben, was sie hat.
Miyu und Danse kämpfen weiter. Der Übungsplatz gehört ihnen nun ganz alleine. Nur Seungho sitzt stumm auf den Stufen und sieht zu. Danse ist ein guter Kämpfer. Sein Kampfstil ist für Miyu erfrischend. Er kämpft hartnäckig, aber gleichzeitig lernt er selbst aus dem Kampf. Er nutzt also nicht nur seinen Körper, sondern auch seinen Verstand für den Kampf.
"Als ich neu in die Stadt gekommen bin, habe ich dich mit Banryu verwechselt", sagt Miyu irgendwann.
Danse runzelt die Stirn. Warum das denn, hört sie aus seiner Mimik heraus.
"Ihr beide seid ernst, aber gebraucht euren Geist gut."
Miyu schlägt ihm das Schwert aus seinem Block und tritt ihm in die Kniekehle. Danse fällt vor ihr hin.
"Aber ihr habt noch eine weitere Gemeinsamkeit", fährt Miyu fort und wartet darauf, dass Danse wieder für den Kampf bereit ist.
"Auch wenn dein Blut es verbietet, deine Fähigkeiten wären in Hwarang willkommen."
Als sie erneut das Kämpfen aufnehmen, schweifen Miyus Gedanken ab. Was er wohl gerade macht?
Innerlich schlägt Miyu sich aber. Sie sollte diese Gedanken nicht haben.
Er sieht in ihr nichts anderes als das Monster, das in ihr lebt. Du bist Gift für mich.
Unwillkürlich werden Miyus Schläge härter. Jidwis Worte haben sie verletzt, aber sie weiß, dass sie ihn genauso verletzt hat. Wie gerne würde sie ihre Worte ungesagt machen, aber dafür ist es zu spät.
Die Vorwürfe werden zwischen ihnen stehen.
Der schlechte König und das Monster.
***
Nicht weit von ihnen entfernt, reitet Sunwoo auf seinem Pferd. Immer wieder verschießt er seine Pfeile. Ahro beobachtet ihn dabei, als Sunwoo auch rücklings von seinem Pferd fällt.
Schon mit Tränen in den Augen läuft Ahro zu ihm und rüttelt ihn wach. Das Entsetzen ist ihr ins Gesicht geschrieben. Sie sorgt sich mehr um Sunwoo als es eine Schwester um ihren Bruder sollte. Das realisiert sie allerdings erst jetzt. Erst muss sein Leben in ihren Händen liegen, bis sie ihr Herz begreift.
Weinend bittet sie Sunwoo zurück. Doch als Antwort erhält sie einen Kuss von ihm.
Danach liegt Sunwoo ohnmächtig auf der Liege in Ahros Arztzimmer.
Miyu wird von Danse begleitet, als sie zu ihren anderen Zimmergenossen den Raum betritt.
Nach einem kurzen Blickaustausch mit Jidwi sieht sie schnell weg. Sie ist nicht bereit dafür. Du bist der schlechte Mensch. Du machst mich zu einem schlechten Menschen, hört sie ihn sagen.
"Er fiel vom Pferd?", fragt Sooho nach.
Yeowool nickt: "Als sein Pferd ohne ihn zurückkam, suchte ich ihn und fand ihn so."
"Zum Glück war eine Ärztin bei ihm", kommentiert Danse. Auch wenn er Sunwoo nicht lange kennt, sorgt er sich um seinen Mentor.
Miyu sieht wie die anderen zu Ahro, die auf einem Stuhl sitzt und gedankenverloren in die Ferne blickt.
"Sie steht unter Schock, weil sie ihren Bruder stürzen sah", erklärt Sooho.
Seufzend geht Miyu zu einem Schrank in Ahros Praxis und sucht nach etwas Beruhigendem. In ihren Gesprächen hat sich Ahro oft über ihre Probleme ausgeheult, die Miyu nicht wirklich verstanden hat, aber sie hat gemerkt, dass sich Ahro oft aus diesem Schrank Gewürze für einen Tee nahm.
"Warum habt ihr mich gerufen?", fragt Banryu, der gerade durch die Tür schreitet. Sein Blick fällt kurz auf den schlafenden Sunwoo, bis er danach seine restlichen Mitbewohner besieht.
"Darum giltst du als unhöflich", meckert Sooho, "Wie kannst du das sagen, wenn unser Gefährte sterben könnte?"
Miyu sieht, wie sich Ahro bei diesen Worten anspannt. Mit einem letzten überforderten Blick auf die Tasse kalten Wassers und die Schale mit Gewürzen wirft sie zwei Löffel des Heilungsmittels in das Wasser und rührt es um. Dann eben kein Tee, aber zumindest aromatisiert.
Stumm drückt sie die Tasse in Ahros Hand, die erstaunt zu ihr aufblickt. Doch selbst Dankesworte dringen noch nicht über ihre Lippen. Dafür ist Sunwoos Zustand zu instabil.
"Deine Zukünftige tut mit leid", drückt Sooho noch leise hinterher, doch Banryu reagiert nicht.
"Wenn er noch bewusstlos ist", überlegt Yeowool, "könnte es am Kopf liegen?"
Nach und nach verlassen die Hwarang das Zimmer und geben Sunwoo die nötige Ruhe. Bloß Ahro bleibt und legt sich zögern neben ihn, um ihn zu wärmen.
***
Sunwoo schwitzt. Sein erhitzter Körper brennt unter der Schwüle seiner Umgebung. Die Hitze umarmt ihn wie eine schwere Decke. Heiß. Es ist so heiß. Unerträglich heiß!
Langsam öffnet er die Augen. Sein Blickfeld verschwimmt in der gleißenden Hitze seines Körpers. Erst langsam wird er sich seiner Umgebung bewusst.
Starr sieht er Sooho an. Engelsgleich lächelt er ihn im Schlaf an. Sunwoos Augen weiten sich. Wie ist das passiert?
Er tastet vorsichtig seinen Oberkörper ab. Gut. Er ist noch vollständig bekleidet.
Langsam dreht er sich im Versuch, sich aus Soohos Umarmung zu befreien, auf die andere Seite. Nun starrt er direkt in Yeowools schlafendes Gesicht. Auch seines ist nur noch Zentimeter von Sunwoo entfernt. Was?
Ruckartig setzt er sich auf und weckt damit die beiden Schlafenden in seinem Bett.
"Du bist wach?", fragt Jidwi belustigt. Dieser sitzt mit Banryu auf Stühlen am Rande des Bettes.
Sunwoo starrt ihn nur an. Was macht ihr alle hier?
"Ich bin dein Retter", murmelt Sooho noch mit geschlossenen Augen.
Yeowool überbrückt die entstandene Lücke zwischen ihnen und legt seinen Arm um Sooho.
"Wir beide zusammen", lächelt er, doch sein Arm wird sofort wieder zu ihm zurück geworfen.
Sunwoo sieht sich um. Abgesehen von Miyu sind alle seine Mitbewohner im Zimmer. Doch wo ist die Besitzerin der Arztpraxis? Wo ist Ahro?
"Deine Schwester ist nicht hier", beantwortet Jidwi seine stumme Frage.
"Sie ist mit", fährt er fort, aber stoppt abrupt.
"Minho sorgt dafür, dass sie ausreichen isst und dann schlafen geht. Sie hat drei Nächte lang nicht geschlafen", übernimmt Banryu für ihn.
Sunwoo ist geschockt.
"Wie lange war ich bewusstlos?"
"Dreieinhalb Tage"
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