[16] Prügelei
Für die erste Lehrstunde sammeln sich die Hwarang in dem dafür vorgesehenen Raum.
Banryu setzt sich neben Sunwoo. Miyu ist nur zwei Reihen hinter den beiden und hört ihr Gespräch mit. Ihre Augen liegen allerdings auf Jinheung, der etwas abseits von ihnen sitzt.
"Wenn du weißt, wer ich bin, wirst du erkennen, dass ich die Wahrheit sage", meint gerade Banryu.
Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Du musst anfangen, damit ich reagieren kann. Bist du dumm?" Ihr seid beide dumm, denkt sich Miyu dabei. Man muss sich nicht an Regeln halten, solange es niemand mitbekommt. Es kann jeden Augenblick Meister Wihwa eintreten.
"Nein", antwortet Sunwoo, "Ich ignoriere dich, damit du nicht anfängst."
"Wen beobachtest du?", fragt Hansung und setzt sich auf den freien Platz neben Miyu. Neugierig drückt er seinen Kopf gegen ihren und guckt in die Menge. "Jidwi?"
"Vergiss es", sagt Miyu kalt und schiebt seinen Kopf wieder auf Abstand.
"Aha", nickt Hansung verstehend und grinst Minho breit an.
Aber bevor er noch mehr ergänzen kann, fällt ein Körper auf ihn.
Sunwoo hat Banryu ins Gesicht geschlagen und es entsteht eine wilde Prügelei.
Hansung kippt nach hinten und will nach Miyus Hand greifen, aber sie drückt sich durch die Menge nach außen. Sie hat keinen Nerv dafür, sich mit Möchtegern-Kriegern zu streiten. Viel zu gefährlich ist es, dass jemand sie an Stellen berührt, die lieber unangetastet bleiben sollen.
Kurz bevor sie die ersehnte Freiheit am Rand erlangt, stößt sich ein Ellbogen in ihren Rücken und Miyu stolpert unelegant in jemand anderes.
Jinheung wird in dem Chaos geschubst und fällt. Intuitiv dreht er sich und seinen Angreifer im Fall um. Hart landet Minho auf dem Boden und Jinheung auf ihm.
Er stützt sich mit seinen Armen vom Boden ab und blickt in die weit aufgerissenen Augen Minhos. Seine tiefschwarzen Augen fesseln den König. Sie sind nur wenige Zentimeter von ihm entfernt, aber als Jinheung in diese Augen sieht, erblickt er die Unendlichkeit.
Minhos Iris ist nicht einfach schwarz, das erkennt Jinheung nun aus der Nähe. Kleine dunkelblaue Adern ziehen sich ihren Weg über das Nachtschwarz und bilden ein Netz der ewigen Nacht. Vereinzelt findet er kleine graue Punkte wie leuchtende Sterne.
So sehr Minhos übliche Mine kalt und starr ist, tobt in seinen Augen ein unersättlicher Sturm der Nacht. Dieses Zusammenspiel der ungezügelten Emotion versteckt hinter einer Maske der Gleichgültigkeit fasziniert Jinheung. Noch nie sah er so ein Gesicht, kalt wie aus Stein gehauen, aber mit so lebendigen Augen verziert!
"Noch ein bisschen länger und du stirbst, weil du nicht atmest", meint genannter Minho trocken und schubst Jinheung von sich herunter. Kurz streicht er über seine Kleidung und verschwindet dann an den Rand des Raumes. Jinheung erwacht erst ein wenig später aus seiner Starre. Diese dunklen Augen bleiben ihm im Gedächtnis.
Miyu trifft am Rand auf einen anderen Mitbewohner. Yeowool fächert sich ein wenig Luft zu, während er belustigt durch das Chaos guckt.
"Kim Shin hat Kim Kibo geschlagen", sagt er aus dem Nichts und wendet sich zu Miyu. "Ich dachte, sie sind Freunde."
Miyu blickt durch die Menge, aber kann nichts mit den beiden Namen anfangen.
"Auch Freunde haben schlechte Tage."
"Ich habe gehört", versucht Miyu ein Gespräch aufzubauen, "dass du deinen Vater nicht kennst."
Traurig nickt Yeowool und blickt Miyu intensiv an: "Ich bin ohne Vater aufgewachsen und du musstest lange ohne ihn leben." Ich hatte auch nie einen Vater, denkt sich Miyu, aber sie möchte nicht an ihre Familie in Japan denken. Sie ist eine Samurai. Für sie gibt es nichts als die Namen, die sie umbringen soll, und die, die nicht auf ihrer Liste stehen.
"Vielleicht bist du mein Bruder", überlegt sie, "Du hast Kim Chiwon doch nie gefragt, oder?"
Ein Lachen ertönt neben ihrer Seite.
"Chiwon?" Erschrocken bemerkt Miyu ihren Fehler. Hätte sie nicht besser meinen Vater sagen sollen? Aber Yeowool beachtet das nicht.
"Dein Vater hat sich einen Sohn gewünscht. Er würde jeden akzeptieren, auch mich. Aber ich lebe lieber ohne Gewissheit, als im Haus eines blinden Mannes." Ja, das kann ich so bestätigen.
Geschockt schlägt Yeowool sich seinen Fächer auf den Mund und guckt Miyu mit großen Augen an. "Bist du überhaupt Minho?"
Die aufkommende Panik unterdrückend grinst Miyu verzweifelt: "Wie du schon sagtest, es gibt bessere Väter als einen blinden Mann. Warum sollte ich mich für jemanden ausgeben, der ich nicht bin?"
Sie lachen kurz miteinander, bis Lehrmeister Wihwa den Raum betritt.
"Aufhören!", brüllt er. Automatisch kehrt Ruhe ein. Keiner wagt es, etwas zu sagen oder sich nur zu bewegen. Bloß vereinzelt sinken die Fäuste.
"Was fällt euch ein?" Entsetzt blickt er durch die Reihen junger Männer, die in Zukunft die Verantwortung über Silla übernehmen sollen.
Hinter ihm kracht der Deckenbehang zu Boden und lässt Wihwa enttäuscht und wütend die Augen schließen. Tief holt er Luft, um sich zu beruhigen.
***
Nachdem Meister Wihwa wieder seine Fassung zurückerlangt hat, versammeln sich alle Hwarang draußen auf dem Hof.
"Ihr habt gegen die Hausregeln verstoßen", stellt er wütend fest, "Ihr habt Unruhe gestiftet und das Vertrauen gebrochen. Ihr habt unseren heiligen Ort des Lernens verschandelt. Ich werde die Schuldigen zur Verantwortung ziehen und schwer bestrafen."
Zwei Regelbrüche, denkt sich Miyu. Viel Spaß, Sunwoo und Banryu. Ich habe doch gesagt, dass man sich nicht erwischen lassen sollte.
"Wer hat diese Unruhen angezettelt? Wer war es?"
Einen Augenblick ist es still und Miyu glaubt, dass keiner der beiden den Mut aufbringen würde, aber Sunwoo überrascht sie.
"Ich war es", meint er mit fester Stimme, "Ich habe angefangen."
***
Pi Jooki eilt mit Ahro im Schlepptau zum Hwarang-Haus. Auf dem Weg erklärt er, dass ein Arzt benötigt wird und sie aushelfen muss.
Als Ahro ihren ersten Schock über die Masse an Verletzten überwunden hat, verarztet sie nach und nach alle.
Mit etwas Abstand stehen Yeowool, Hansung und Miyu unter einem Dach und beobachten andere Hwarang, die über Banryus und Sunwoos Streit diskutieren.
"Sieht nach mehr Ärger aus", meint Yeowool. Aber es ist nicht unzufrieden darüber.
"Wie seht ihr es?", wendet er sich an Hansung und Miyu, "Seid ihr für das Halbblut oder für Banryu?"
Hansung, der neben Miyu sitzt und bis dahin ihr ins Gesicht gegrinst hat, wendet sich ab und sagt: "Ich bin nicht für Banryu." Yeowool kichert und wendet seinen Blick auf Miyu.
"Ist mir egal", sagt sie kurz angebunden. Für sie sind die beiden bloß kleine Spielfiguren im großen Kampf um Sillas Macht.
"Du musst öfter lächeln", meint Hansung plötzlich und drückt Miyus Mundwinkel nach oben. Sofort schlägt sie seine Hände weg.
"Muss ich nicht. Ich habe keinen Grund dafür und es bringt mich auch nicht weiter."
Traurig guckt Hansung zu Boden und überlegt.
"Was macht dich dann glücklich?", fragt er hoffnungsvoll. Wenn die Königsfamilie stirbt, ein Marionettenkönig an ihre Stelle tritt und ich nach Japan zurück kann. Das macht mich glücklich. Aber nichts davon kann sie laut aussprechen.
"Wenn du schweigen würdest", sagt sie stattdessen. Sofort brechen Hansungs Gesichtszüge ein wenig ein, aber er sieht die Antwort positiv.
"Und dann lächelst du? Gut, ich bin schon still." Grinst er sie an und deutet mit seinen Händen an, dass er auch auf ihr Grinsen wartet.
"Du blutest am Arm", sagt Yeowool plötzlich, der nur stumm der Konversation gefolgt ist.
Nun bemerkt auch Hansung den roten Fleck, der sich von seinem Ellbogen bis zum Handgelenk erstreckt. Ein Teil des Blutes ist schon geronnen.
"Ich blute", spricht er geschockt aus und verschwindet zu Ahro.
"Warum kannst du nicht freundlich sein? Hansung hat das nicht verdient", sagt Yeowool grimmig, sobald der Verletzte außer Hörweite ist. Ihm gefällt es nicht, wie kalt Minho die anderen behandelt.
Hansungs Freundlichkeit ist so ein starkes Gegenteil zu Minhos Emotionslosigkeit, dass es ihn schmerzt, Hansung so behandelt zu sehen.
Anstatt sich zu verteidigen, runzelt Miyu nur die Stirn. Ihr Leben lang wurde sie auf Kriege trainiert. Sie hatte nie Freunde und sie begab sich immer nur unter Menschen, wenn es der Auftrag von ihr verlangte. Sie kennt sich nicht damit aus, jemanden freundschaftlich zu behandeln. Ist ihre Unerfahrenheit wirklich so auffällig?
"Wie macht er das dann?", fragt Miyu leise, aber Yeowool hat es dennoch gehört.
"Was?", sagt er lachend, "Du weißt nicht, wie man freundlich und aufgeschlossen ist?"
***
Als Jinheung die junge Ärztin im Haus der Hwarang erblickt, schlägt sein Herz direkt schneller.
Den erstbesten Moment, Ahro von den anderen Hwarang wegzuführen, nutzt er und zieht sie zu einer überdachten Bank.
Er setzt die überforderte Ahro darauf und lehnt sich dann genussvoll an sie. So kann er schon besser schlafen. Ahro protestiert ein wenig, aber macht keine Anstalten, weg zu gehen.
Erst als die Königin von ihrem Gespräch mit Sunwoo aus einem der Häuser tritt und ihren Sohn erblickt, schickt er schnell Ahro weg. Ihre Blicke treffen aufeinander. Jinheung ist bereit, sich gegen sie aufzulehnen, aber die Königin weiß um ihren Platz zu kämpfen.
Als die Königin sich abwendet, verlässt auch Jinheung in Gedanken den Platz.
Gedankenverloren tritt er einen Stein den Weg vor sich entlang, bis dieser von einem Fuß aufgehalten wird.
Jinheung blickt auf und entdeckt die Unendlichkeit der Nacht. Seine Mundwinkel zucken fasziniert nach oben.
"Atmen nicht vergessen", meint Minho spöttisch und läuft an ihm vorbei. Doch als er auf seiner Höhe ist, stoppt Minho und guckt überlegend zu Boden.
"Ich", beginnt er und blickt Jinheung an. In den lebendigen Augen steht Unsicherheit.
"Ich hoffe, du bist nicht verletzt", meint er dann schließlich, scheint aber selbst über seine Worte verwirrt zu sein.
"Bin ich nicht", bestätigt Jinheung und wundert sich über Minhos merkwürdiges Auftreten.
"Gut", meint Minho erleichtert, lächelt peinlich berührt und schreitet mit schnellen Schritten davon.
Jinheung schaut ihm hinterher. Was war das?
***
Zum Abend erfahren auch die Minister von der Prügelei im Hwarang-Haus.
Park Youngshil macht sich mit einigen anderen Ministern auf dem Weg dorthin. Hineingelassen werden sie nicht, aber Youngshil lässt ein Angebot an Meister Wihwa ausrichten, sich auf einen Wein zu treffen. Hwarang wird die Zukunft Sillas sein und die Königin hat schon ihr eigenes Netz der Macht in Hwarang geknüpft, deswegen sollte Youngshil das Gleiche machen.
Nach unhöflich langer Zeit erscheint der Bote mit einem neuen Schriftstück wieder. Minister Youngshil öffnet das kleine Pergament.
"Guter Wein muss reifen. Lass uns in dreißig Jahren treffen!"
Im Hwarang-Haus kehrt mit Sonnenuntergang Ruhe ein. In dem Zimmer der grauen Holztafeln legen sich die Mitbewohner schlafen. Schnell - aber für Miyu noch immer zu langsam - dehnen sich ihre Atemzüge zu einem wohligen Schnarchen und Schlummern. Während die jungen Männer in die Welt der Träume gleiten, lässt sich Miyu still an der Leiter hinab und zieht in die Welt außerhalb der Hwarangmauern.
Wie so oft in der Hauptstadt Sillas verbringt sie ihre Zeit heimlich im Haus des Ministers Youngshil. Dort erfährt sie von seinem missglückten Besuch in Hwarang und von den Intrigen der Königin. Natürlich will sie Macht über Hwarang, kommentiert sie stumm das Erwähnte. Die Königin wäre dumm, wenn sie es nicht versucht. Ich bin schließlich auch nur der Macht wegen in Hwarang. Es ist aber nicht nur die Macht, die Hwarang über Silla bekommt, die Miyu reizt, sondern die Macht, ohne Aufsehen zu erregen, in der Nähe des Königs zu sein und die Macht, mit ihrer Nähe zu den Söhnen Druck auf die Minister aufbauen zu können.
Als sie merkt, dass es Zeit wird, wieder zurück zu ihrem Leben als Kim Minho zu kehren, schleicht sie sich unbemerkt zurück auf die Straße. Dort schlendert sie gemütlich den Weg zurück zur Mauer und genießt die Kühle und Stille der Nacht.
"Minho", ertönt es unerwartet. Vor ihr steht Ahro mit einem geflochtenen Weidenkorb in den Händen und sieht sie fassungslos an. "Ich dachte, ihr dürft das Gelände nicht verlassen."
Miyu blickt sie nur emotionslos an: "Dürfen wir auch nicht. Und wenn du nichts sagst, bleibt es auch dabei. Ich bin gerade auf dem Rückweg."
Ahro ist zerrissen. Minho hat eine der Regeln gebrochen und sie fühlt sich verantwortlich, es zu melden, aber gleichzeitig eröffnet sich hier eine andere Möglichkeit.
"Ich sage nichts!", ruft sie sogleich. "Wenn...", doch Ahro ringt mit ihrem Gewissen.
Minho tritt einen Schritt näher und sieht sie forsch an.
"Passt du bitte gut auf meinen Bruder auf? Ich sorge mich um ihn."
Miyu muss ihr Lachen unterdrücken. Er ist nicht dein Bruder.
"Einverstanden", nickt sie allerdings und läuft an Ahro vorbei zurück zum Hwarang-Haus.
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