[05] Bauern
In einer funktionierenden Gemeinschaft achtet jeder auf jeden. In einer funktionierenden Regentschaft achtet die Königin auf das Volk.
Ob das auf Königin Jiso zutrifft, ist viel diskutiert. Aber Fakt ist, dass eine Mutter auf ihren Sohn achtet, und das erfüllt Königin Jiso. Sie kann das vereitelte Attentat auf König Jinheung nicht außer Acht lassen, aber der Mann ist tot. Doch laut Kommandant Achu gab es in dieser Nacht einen weiteren Mann, der das Gesicht des Königs gesehen hat und dieser lebt noch.
Dass genau dieser Mann auf den Namen Makmoon hört und in der Hauptstadt seine Familie sucht, oder dass er am Vortag von Kangsung niedergeschlagen und von seinem Freund gerettet wurde, ist ihnen nicht bekannt. Eigentlich wissen sie gar nichts über ihn - außer, dass er das Gesicht des Königs gesehen hat - und unglücklicherweise hat Kommandant Achu sein Gesicht gesehen. Das alleine reicht.
In der Nacht versammelt Kommandant Achu die Treusten seiner Männer am Hof der Königin. Stumm reicht er Pergamente herum, bis jeder von ihnen ein Exemplar in der Hand hält. Das Pergament enthält keine Botschaft, keinen Befehl. Bloß das Abbild eines jungen Mannes mit strubbeligem Haar ist zu sehen. Seine Männer verstehen, was es bedeutet.
"Seid diskret. Verstanden?"
Während diese Soldaten in jedem Winkel der Stadt Männer mit ähnlichem Profil heraussuchen und kontrollieren, sucht auch ein Anderer nach dem gleichen Mann und seinem Begleiter.
Meister Ahnji, der Arzt der Stadt, sucht nach zwei Bauern, die sich seit kurzem in der Stadt niedergelassen haben.
Beide Parteien sind erfolglos. Während sie durch die Straßen irren, sitzen Makmoon und Gaesae gemeinsam im angrenzenden Waldgebiet und sprechen über das Geschehene. Doch an dem verhängnisvollen Tag sind sie nicht die Einzigen im Wald. Weiter entfernt, nahe der Grenze zu den Stadtgebäuden reiten entspannt König Jinheung und sein Wächter Paoh nebeneinander. Ihr Waldfrieden wird jedoch zerstört, als mit schnellem Ritt der Kommandant an ihnen vorbeizieht und im Grün verschwindet. Skeptisch, was Achu so in Aufruhr gebracht hat, treibt König Jinheung sein Pferd an und folgt der Spur des Kommandanten.
Dieser ist ihm mit seiner Geschwindigkeit jedoch um Längen voraus und schreckt mit den donnernden Hufschlägen die kampierenden Bauern auf. Wie verängstigte Rehe springen die beiden auf dem Waldweg entlang, aber der Jäger ist schneller. Ohne zu zögern schneidet Kommandant Achu erst in den Rücken von Makmoon und dann in den Bauch von Gaesae.
Vom Leben gefällt fallen die beiden Bauern auf den Boden. Ihr Blut vermischt sich und verbreitet sich stetig auf dem Waldboden. Makmoon hustet schmerzerfüllt und ringt nach Luft, aber je stärker er es versucht, desto mehr Blut sammelt sich in seinen Lungen. Achu betrachtet die sterbenden Bauern, das Schwert zwischen ihnen, aber er erkennt, dass keiner von ihnen es überleben wird. Zu viel Blut tritt aus ihren Körpern, als dass es sie noch am Leben erhalten kann. Nicht mehr lange, dann wird es kein Blut mehr geben, das das Herz durch ihren Kreislauf schicken kann.
Den Auftrag der Königin erledigt wendet er sich ab und reitet zurück zu seinem eigentlichen Platz in der Nähe der Königin, um für ihre Sicherheit zu sorgen.
Gaesaes Atem wird schwerer. Der Druck in seiner Lunge ist kaum aushaltbar, aber erst der Anblick seines sterbenden Freundes treibt ihm die Tränen in die Augen. Unfähig sich zu bewegen, blickt er in das Gesicht Makmoons. Wenigstens kann ich dich noch einmal sehen, bevor ich sterbe, mein Freund, denkt er, doch der Tod greift auch nach diesem. Vor Gaesaes Augen werden die Bewegungen langsamer. Seine Sicht verschwimmt, aber er spürt, dass Makmoon etwas sagen will. Bleib bei mir!
Erneut zwingt sich Gaesae, die schweren Augenlider zu öffnen und sich auf die verschwommene Kontur seines Freundes zu konzentrieren. Er ist doch der einzige Mensch in seinem Leben. Er ist der Grund, warum sie in die Hauptstadt gekommen sind. Er ist der Grund, warum Gaesaes Leben jeden Tag ein wenig erträglicher war.
Sein schwerer Kopf schlägt auf den Boden auf und bringt die Welt um ihn herum zum Beben. Makmoon. Aber er sieht nur einen rötlichen Fleck, wo er das Gesicht seines Freundes vermutet. Wie aus weiter Entfernung hört er Schritte. Ist das der Tod?
Eine Gestalt verdunkelt die verschwommene Sicht. Es werden Worte gemurmelt, die nur als tosendes Rauschen in dem Chaos der zusammenbrechenden Sinne wahrgenommen werden. Dann folgt eine kleine Bewegung. Etwas blendet in der Farbwelt. Ein Armband? Die Bewegung dreht sich weiter und es wird ruhig.
Gaesae schließt seine Augen und fällt ins Schwarz.
***
Ahro reißt erschrocken die Augen auf. Wo war sie?
Das leere Zimmer sieht nach der Architektur Oktas aus, aber sie hat am vergangenen Tag doch nur die Geschichte erzählt. Nach und nach strömen ihre Erinnerungen zurück und lassen sie erbleichen. Dieser fremde Schönling, der aus dem Nebenzimmer gelauscht hat, hat sie aufgehalten. Sie wurde gezwungen, mehr Geschichten zu erzählen, bis er eingeschlafen ist. Als wären ihre Geschichten so ermüdend! Noch immer ekelt es sie, alleine mit dem Mann in einem Raum gewesen zu sein. Wenigstens ist er jetzt nicht mehr hier. Aber, denkt sie erschrocken, er muss noch da gewesen sein, als ich eingeschlafen bin. Dieser Perverser! Hat er...
Geschockt verschränkt sie ihre Arme vor ihrem Oberkörper und kneift sich in die Oberarme. ...mich berührt?
Schreiend verlässt sie den leeren Laden. Erst zu den Nachmittagsstunden wird es wieder Besucher nach Okta ziehen. Sie braucht eine Ablenkung. Eine Rettung. Wo ist Sooyeon?
Ahro läuft eilig über den Marktplatz auf dem Weg zum Haus des Ministers Kim Seub. Sie muss mit ihrer Freundin sprechen. In den letzten paar Tagen traf sie auf zwei Männer, die bei Ahro auf unterschiedlichste Weise im Gedächtnis blieben. Beide haben sich mit enormer Intensität auf ihre Hirnrinde gebrannt, doch Ahro versteht den Sinn nicht. Sie muss mit ihrer Freundin sprechen!
In ihrer Aufregung verpasst sie das Geschehen auf dem Marktplatz, aber jemand anderes wacht über die Situation.
Miyus Aufmerksamkeit wird von einem älteren Mann angezogen, dessen Ausruf sogar für einen kurzen Moment die Warenanpreisungen verstummen lässt.
"Mein Sohn!", ruft er und drückt einen Jüngling an sich, "Mein Sohn ist zurückgekehrt!"
Als wäre es ein geheimes Zeichen, kehrt wieder Leben in die erstarrte Stadt ein. Die Händler preisen ihre Ware an und ein paar Käufer feilschen um den Preis. Der Mann weint dennoch glücklich und lautstark um seinen wiedergekehrten Sohn. Merkwürdiges Volk.
Miyu wendet sich gerade wieder von dem Vater ab, als dieser nun wütend seine Worte kreischt.
"Mein Sohn, nein!"
Zwei Männer in Uniform ziehen den Jüngling energisch aus dem Griff des alten Mannes. Einer von ihnen hält ihn sicher, während der andere ein Stück Pergament neben dem Kopf des Jungens hochhält und nach einer Musterung den Kopf schüttelt. Sein Kollege nimmt es als Zeichen, den Jungen von sich auf den Boden zu werfen.
Der Vater greift weinend nach seinem Sohn, doch einer der Männer meint: "Das ist nicht Euer Sohn, Meister Chiwon. Das ist Kim Sukbin. Seine Familie arbeitet seit Generationen für Meister Shin."
Damit weint der Vater stärker und löst seinen Klammergriff um Sukbin. Dieser fällt nun zum zweiten Mal zu Boden.
Die beiden Uniformierten verlassen den Marktplatz, nachdem sie gründlich durch die Menge gesehen haben. Dabei entdeckt Miyu den Grund ihrer Anwesenheit. Auf dem Stück Pergament sieht sie den Jungen aus Okta, der niedergeschlagen wurde. Der Bauer, nicht dieser Kangsung.
Die Königin scheint nach ihm zu suchen. Wie wichtig ist ihr dieses Bauernleben, wenn sie schon nach ihm suchen lässt? Oder ist hinter seiner Fassade mehr als ein Bauer? Der König, schießt es Miyu durch den Kopf. Wieso lässt sie der Gedanke nicht in Ruhe, dass der König in diese Sache verwickelt ist?
***
Der König ist auch das Gesprächsmaterial auf der anderen Seite der Palastmauern. Park Youngshil trifft die Königin aus diesem Grund. Er ist sich sicher, dass der König bei Nacht die Tore Seorabols durchschritten hat. Nun soll er sich vor den Ministern zeigen! Lange wird es nicht mehr dauern, dann ist der Namenstag des Königs gekommen, bei dem er die Mündigkeit erreicht. Wie viel länger will die Königin das Unausweichliche noch hinauszögern? Oder fürchtet Ihr Euch?, denkt Meister Youngshil.
Ich werde meinen Sohn nicht den Hyänen zum Fraß vorwerfen! Ihr seid eine der Hyänen, Park Youngshil, zischt die Königin in Gedanken. Laut erklärt sie jedoch nur das Attentat und dass junge Männer tot gefunden wurden. Niemals würde sie ihren Sohn einer solchen Gefahr aussetzen.
***
Tot beschreibt den Zustand von Gaesae weniger. Sterbend ist besser.
Meister Ahnji hat sein Ziel, die beiden Bauern zu finden, erreicht. Doch er kam zu spät.
Ahnjis Sohn, Kim Sunwoo, musste für das Schicksal seiner Familie die Hauptstadt verlassen und lebte als Namenloser, als Makmoon. Nun ist er in die Hauptstadt zurückgekehrt und trifft seine Familie wieder, aber ihm bleibt bloß ein kurzer Moment der Wiedervereinigung mit seinem Vater.
Zu tief hat das Schwert des Kommandanten in seinen Rücken geschnitten.
Die Hände des Arztes zittern, als er die Wunde seines Sohnes besieht. Noch atmet Makmoon, aber seine Seele ist schon im Delirium. Das Herz des Meisters zerbricht in diesem Moment, als auch der Atem seines Sohnes verstummt.
Oft ist ein Arzt vor einen moralischen Konflikt gestellt, wenn es um Menschenleben geht, aber zu dieser Zeit verflucht Ahnji sich, dass er an die menschlichen Kräfte gebunden ist und seinen Sohn nicht retten konnte.
An der Stelle seines Todes ist der Leichnam Kim Sunwoos aufgebahrt und unter einem Steinhaufen begraben worden. Mit zusammengekniffenen Augen wischt Meister Ahnji das Bild des Grabes von seinem inneren Auge. Er muss sich jetzt konzentrieren.
Vor ihm liegt der noch lebende Freund seines Sohnes und wenn er sich nicht beherrschen kann, stirbt auch er. Mit einem tiefen Atemzug bringt er seine Hand zur Beruhigung und setzt die Nadel an den Wundrand.
***
Wie so oft findet sich Miyu in der schmalen Ecke in Meister Park Youngshils Haus wieder, in der sie ungesehen die Besprechungen belauschen kann.
Das letzte Gespräch war langweilig. Niemals hat sie gedacht, dass ein alter Mann, der der gerissenste Minister Sillas sein soll, so lange über die Zubereitung eines Abendessens reden konnte.
Doch das jetzige Gespräch weckt Hoffnung.
"Der Kommandant suchte einen Bauern, der sich in die Hauptstadt schlich?", fragt der Meister noch einmal nach.
"Ja, mein Herr", hört Miyu eine bisher unbekannte Stimme, "Er bewegte sich leise. Er trug seine Robe nicht." Dann ergänzt eine zweite unbekannte Stimme.
"Der Kommandant suchte den Bauern, statt die Königin zu beschützen. Er muss etwas gesehen haben." Offensichtlich, denkt Miyu, sag mir was Nützliches.
Die zweite Stimme schaltet sich wieder ein: "Ich kenne sie bereits. Gebt mir einfach den Befehl." Kurz ist es still.
"Sie müssen etwas wichtiges gesehen haben", überlegt Youngshil, "Deshalb mischte sich die Königin ein. Das ist interessant. Bringt mir die Bauern."
Gerade als Miyu ihr Versteck verlassen will, öffnen die beiden unbekannten Stimmen die Tür und sie erhascht einen kurzen Blick auf ihre Gesichter, bevor sie zurück in den Schatten kriecht.
Der erste erregt nicht ihre Aufmerksamkeit, aber als der zweite durch die Tür tritt, erkennt sie die Narbe in seinem Gesicht. Sie zieht sich von seinem rechten Mundwinkel bis knapp unter das rechte Ohrläppchen und hinterlässt einen riesigen Gesichtskrater.
Du, erkennt sie den Verfolger der Bauern, als sie um einen Kohlkopf reicher wurde. Wenn er Minister Youngshil erst jetzt die Information gab, dass er die Bauern kennt, heißt das, dass dieser Mann nicht alleine im Auftrag des Ministers handelt. Als Schoßhund des Ministers wäre der Mann mit der Narbe nützlich gewesen, aber als Mann, der auch nach eigenem Gewissen handelt, wird er für Miyu ein Stück weit unberechenbar.
Wenn du dich in meine Pläne mischst, ergänze ich die Hässlichkeit auf deiner linken Gesichtshälfte. Dann ist dein vernarbtes Grinsen vollständig.
Sie verlässt das Haus des Ministers und läuft gedankenverloren durch die Straßen. Zwei Bauern dringen in die Stadt ein, wenn der König aus seinem Exil wiederkehrt. Kurze Zeit später wird einer der Bauern vom Kommandanten persönlich gejagt. Hat er den König gesehen? Oder war es keine Jagd des Kommandanten und er ist der König, der von dem Kommandanten beschützt wird?
Grübelnd stößt sie gegen einen anderen, der wie sie tief in Gedanken nicht auf den Weg achtete. Miyu tritt schnell einen Schritt zurück und nickt dem Fremden eine Entschuldigung zu. Erst dann mustert sie ihn und muss grinsen. Ihr Gegenüber trägt ein blau-weißes Gewand und an seinem linken Arm ziert ihn ein goldenes Armband. Es ist der gleiche Mann, dem sie schon zweimal Geld gestohlen hat. Zu Schade, dass ich nicht auf den Weg geachtet habe, sonst wäre ich beim Zusammenstoß wieder um ein paar Münzen reicher.
Aber auch der Mann mustert sie, kann sich über die Begegnung allerdings weniger freuen. Auf dem ersten Blick sieht sie wie eine gewöhnliche Adlige aus, aber guckt man genauer, erkennt man, dass sie nicht aus der Hauptstadt stammt. Ihre tiefschwarzen Augen fesseln ihn jedoch. Sie strahlen eine überlegende Kälte aus, aber ihm scheint es, als brenne hinter dieser Kälte ein ungebändigtes Feuer. Der Mix aus Kälte und Feuer lässt ihn an etwas Anderes erinnern, etwas Bekanntes, doch scheint es für ihn so nah und doch nicht greifbar zu sein.
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