[01] Miyu
Vor etwa 1.500 Jahren, im Wandel von der Konfun-Zeit zur Asuka-Zeit, war Japans Macht in zwei verfeindete Familien gespalten. Im Norden herrschte der Soga-Clan, angeführt von Soga no Iname. Im südlichen Yamato lebte die konkurrierende Familie Mononobe. Beide hatten die Macht des Herrschens, doch in dem jahrzehntelangen Machtvakuum voller Dispute war kein König hervorgegangen. So lebten beide Seiten mit ihrem königlichen Repräsentanten, einem Tennō, bis einer über den anderen siegen würde und als wahrer König Japan vereint.
***
"Bitte nicht! Ich habe Geld, so viel Ihr wollt!", bettelt der alte Mann, bevor er mit einem glatten Schnitt durch die Kehle endgültig verstummt. Leblos fällt sein Oberkörper nach vorne auf den Holzboden und verteilt eine blutige Spur. Stumm breitet es sich aus, bis es auf schwarze Lederstiefel trifft.
Für einen Augenblick schaut die Besitzerin der Stiefel bloß den Weg des Blutes entlang, bis sie mit einem Schnauben aus der Lache tritt und auf ihrem Rückweg ihr rotes Schuhprofil auf dem Boden hinterlässt. Geschwind wischt sie mit einem Lappen ihr Katana sauber und steckt es zurück in die Schwertscheide. Den Lappen wirft sie achtlos in eine Ecke der Hütte.
"Das hätte auch eleganter sein können, Miyu-chan", lacht ihr Begleiter leise, der auf der Türschwelle auf sie gewartet hat.
"Elegant oder nicht", meint sie, "Es war effektiv und nur das zählt. Lass uns verschwinden."
Gemeinsam schleichen sie sich aus der wohl am besten bewachten Waldhütte in der japanischen Region Shikoku. Von den Blicken der draußen postierten Wachen unerkannt verschmelzen ihre Gestalten mit dem Schatten der Bäume. Erst mit dem Sonnenaufgang erkennt die mächtigste Familie Shikokus ihren Fehler: Sie hat sich gegen Tennō Soga no Iname gestellt, als sie ihre Tochter mit der Familie des Tennō Mononobe no Moriya vereinte. Als Strafe wurde ihnen das Leben ihres Familienoberhauptes genommen.
Lange braucht es nicht, um dieser Familie so ihre Macht zu rauben und damit einen von Mononobes Unterstützern zu beseitigen. Iname ist zufrieden. Der Tod des alten Mannes soll in den reichen Familien im Süden Angst und Zweifel säen. Kein einziger von ihnen soll glauben, dass Tennō Moriya dazu fähig ist, seine Untertanen zu beschützen. Niemand kann sich gegen seine Samurai behaupten.
Entspannt legt er das Pergament mit den neuen Informationen beiseite und nippt an seinem Tee. Mit einem Wink seiner Hand lässt er nach den beiden Samurai schicken.
Hayato und Miyu laufen verschwitzt durch die Gänge des Palastes, als sie ihr Training unterbrochen haben und nun zu einer Audienz bei Iname gerufen wurden.
"Was glaubst du, will er jetzt?", fragt der Männliche von ihnen und wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Ich hoffe, unser neuer Auftrag wird nicht allzu lange dauern. Meine Frau bekommt bald unser zweites Kind, so wie ihre Kugel aussieht."
Amüsiert schnaubt die junge Kriegerin: "Bitte? Ihr Bauch ist erst vor zwei Vollmonden gewachsen. Deine Frau wird noch lange Satō Idiotō Junior mit sich herumtragen müssen. Du müsstest schon außer Landes geschickt werden, um die Geburt zu verpassen."
Erschrocken bleibt der werdende Vater stehen.
"Satō Idiotō Junior? Seine Mutter ist unter den besten Gelehrten in ganz Japan! Wer..."
"Vergiss nicht, dass das Kind auch deine Gene hat, Satō Hayato." Mit einem Nicken auf die verschlossene Tür vor ihnen verstummt die Diskussion und in einer tiefen Verbeugung treten sie ein.
"Die Familie Nakamura von Shikoku wurde ihres Standes enthoben", informiert Miyu in einer Verbeugung und richtet sich wieder auf. "Die Mission war erfolgreich. Warum sind wir hier?"
Tennō Iname blickt über seinen Tassenrand hinweg zu ihnen. Da stehen die beiden besten Krieger seiner Samurai-Armee. Der ältere Hayato wartet geduldig in der Verbeugung, doch die junge Anführerin Miyu hat ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt und blickt ihn ungeniert an. Schon vor Jahren hat er es aufgegeben, ihr den Ungehorsam auszutreiben. Wenigstens liefert sie zufriedenstellende Ergebnisse.
Nach einem Moment der Stille erlöst er den gebeugten Samurai: "Ihr könnt gehen, Satō Hayato. Ihr bekommt Eure Bezahlung draußen am Tor." Mit weiteren Verbeugungen verlässt der Krieger stumm den Raum, verkneift es sich aber nicht, Miyu einen vielversprechenden Blick zu schenken.
Erst als die Tore zum Thronsaal sich donnernd schließen, erhebt der Clananführer erneut die Stimme: "Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Nur für dich."
Er nimmt ruhig das Pergament in die Hand und reicht es der Kriegerin. Diese überfliegt den Inhalt und schaut dann fassungslos zu dem Königsrepräsentanten.
"Silla? Warum interessierst du dich für dieses unbedeutende Land?"
Geschafft von der Unhöflichkeit schließt Iname seufzend seine Augen und fasst sich an die Stirn.
"Ihr, Euch. Es heißt 'Warum interessiert Ihr Euch, Eure Hoheit.' Wann fängst du an, mich zu respektieren, Miyu? Ich bin dein König!"
Diese schnaubt nur: "Du bist vielleicht ein König, aber genau diese Art von Menschen steht normalerweise auf meiner Abschussliste. Eurer Abschussliste, um genau zu sein, mein Herr."
Sie lächelt unschuldig in das Gesicht des Königs.
"Meinetwegen", winkt er ab, "In Silla steht ein Machtwechsel bevor. Wir können ihn nutzen, um Verbündete gegen Mononobe zu bekommen. Wenn die Familien von einem koreanischen Verbündeten wissen, wird das meine Position stärken, und im Falle eines Krieges heißt es für den Süden einen Zweifrontenkrieg."
"Aber reicht nicht die Außenpolitik mit Baekje? Das Land ist stärker und..."
"Es reicht, Miyu!", unterbricht der König herrisch und tritt vor die junge Frau.
"Wenn ich sage, du wirst nach Silla reisen, dann wirst du nach Silla reisen. Und wenn ich sage, du tötest diesen Möchtegern-Emporkömmling, dann tust du das auch. Ich habe für dich eine Ausnahme bei meinen Samurai gemacht, aber du bleibst letztendlich nur eine kleine Ratte in meinem System und wenn du nicht mehr nützlich für mich bist, hast du keinen Grund mehr, auf dieser Welt zu verbleiben. Ich habe noch mehr Assassine als dich!"
Stumm funkeln sich die beiden Japaner an.
"Du wirst nach Silla reisen", bestimmt Tennō Iname und setzt sich wieder auf seinen Thron, "und wenn die Gerüchte über den neuen König wahr sind, wirst du ihn seine Treue an mich schwören lassen oder du erstickst alle Aufmüpfigkeiten im Keim. Es wird sich schon ein Koreaner finden lassen, der das Land nach meinem Willen regiert. Nun geh, heute Nacht sticht das Schiff in See."
***
Satō Hayato wartet lange vor den Palasttoren, doch nach einer Ewigkeit öffnen sie sich ein zweites Mal und spucken die zweite Kriegerin aus.
"Und? Was hat er gesagt? Stimmt es, dass du bald vermittelt wirst oder...", sprudelt es hervor.
"Klappe", murrt Miyu und stürmt an ihrem Kollegen vorbei. Dieser schafft es nur noch, ihrem Hinterkopf hinterher zu blicken, bevor dieser in den Straßen der Stadt verschwindet.
"Also gab es keine Aufwartung?", murmelt er, "Oder ist der Zukünftige so hässlich?"
Verwundert blickt er die Straße entlang und huscht dann zwischen den Menschen hindurch fort.
Der Samurai trifft Miyu erst in der Kaserne wieder, als diese wütend ihr klägliches Hab und Gut in eine Tasche wirft.
"Du musst gehen?", fragt er das Offensichtliche.
"Ich habe einen Einzelauftrag. Außer Landes. Vermutlich dauert es länger", fasst Miyu die Informationen knapp zusammen. Hayatos Augen werden groß. Japan mischt sich selten in das Geschehen außerhalb ein, wenn doch im Inneren noch ein Haufen ungeklärter Probleme warten.
Mit einem Blick in seine Augen verrät sie auch ihr Ziel.
"Silla! Das ist unglaublich!", ruft der Samurai erfreut und stößt der Kriegerin spielerisch in die Seite. Dann beugt er sich geheimniskrämerisch zu ihr: "Es wird gemunkelt, dass die Koreaner aus einem anderen Holz geschnitzt sind."
Unwissend zieht Miyu eine Augenbraue nach oben, doch Hayato kennt die Gefühlsresistenz seiner jungen Freundin und klärt sie auf: "Sie sollen verführerisch gutaussehend sein. Vielleicht findest du auf deiner Reise auch eine koreanische Delikatesse, die dein kaltes Herz erweichen lässt."
"Ich ziehe Kamaboko diesen koreanischen Mochis vor", meint Miyu trocken und läuft auf den nassen Hafenplanken weiter, um das Handelsschiff zu suchen, das sie zu ihrem nächsten Auftrag führen soll. Kopfschüttelnd folgt der ältere Samurai.
"Kamaboko? Wer mag schon Fischkuchen?"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro