-~6~- Barfüßig vor der teuren Kaffeemaschine
,,Erste Voraussetzung für die Unsterblichkeit ist der Tod."
~Stanislaw Jerzy Lec
――――――⫷Moria⫸――――――
Sarah wachte mitten in der Nacht auf. Die Bindung zwischen Mutter und Kind war schon immer etwas Besonderes gewesen. Sie war etwas Urzeitliches. Etwas, dass wahrscheinlich niemals verloren gehen würde.
Sarah wusste, dass etwas nicht stimmte. Sie drehte den Kopf ein Stück, um ihren Mann sehen zu können, der friedlich neben ihr schlief. Geradeso konnte sie die markante Silhouette in der Dunkelheit erkennen, seine Locken nur erahnen.
,,Wie geht es Moria, Thekla?", fragte sie leise und die KI antwortete in ebenso flüsternder Lautstärke: ,,Ich wollte Sie gerade kontaktieren, Mistress. Morias Körpertemperatur hat sich wieder besorgniserregend erhöht. Zusätzlich gibt es eine neue Lichtquelle in ihrem Zimmer."
Sarahs Herz setzte einige Schläge aus. Im Bruchteil einer Sekunde war sie vom Bett aufgesprungen und hatte sich über ihren Ehemann gebeugt. Sie rüttelte etwas stärker als es zunächst nötig gewesen wäre an seiner Schulter, wodurch er sofort aufschreckte und sich aufsetzte. ,,Was ist los?", fragte er. Seine Stimme war immer noch vom Schlaf beschlagen und er brauchte einige Sekunden, um sich zu orientieren. ,,Sarah, wie spät ist es?"
,,Moria muss sofort ins Krankenhaus!" Sarahs Stimme war hysterisch und sie rannte, ohne weitere Erklärungen, aus dem Schlafzimmer. Bryan stand augenblicklich vom Bett auf. ,,Thekla, rufe einen Krankenwagen", wies er hektisch an, bevor er seiner Frau zum Kinderzimmer folgte.
Als Sarah die Tür öffnete, hatte Bryan sie schon eingeholt und sie sahen gemeinsam in das Zimmer. Die Wände waren in einem Blau ausgeleuchtet, das das Blut in den Adern zufrieren ließ.
,,Oh Gott, nein!", rief Sarah und hetzte zu dem großzügigen Bett zu ihrer Tochter. ,,Nein!", wiederholte sie, als sie sich auf das Bett setzte und Morias Hand in ihre nahm. Sie war wach und sah Sarah ruhig an.
,,Ist schon gut, Mami. Mir geht es gut", sagte Moria ruhig. Ihre Stimme war schwach und leise, aber keinesfalls ängstlich. Vorsichtig hob sie ihre Arme und betrachtete die hell leuchtenden Linien, die sich darauf abzeichneten. ,,Sie sind schön", flüsterte Moria.
Sarah begann zu weinen und Bryan setzte sich zu ihnen auf das Bett. Mit aller Macht versuchte er, die Fassung zu bewahren, jedoch verrieten ihn sein angespanntes Zittern und das nervöse Schlucken erbarmungslos.
,,Ihr müsst nicht traurig sein", sagte Moria und griff mit ihrer freien Hand zu der ihres Vaters.
,,Der Krankenwagen ist unterwegs. Du wirst wieder gesund", erklärte er mehr seiner Frau und sich selbst als ihrer Tochter. Er ließ die kleine Hand los und verließ eilig den Raum, bevor er nur einen Moment später mit einem feuchten Handtuch zurückkam, das er Moria auf die Stirn legte. Danach nahm er ihre Hand wieder in seine.
Die Zeit zog sich hin, jeder dritte Blick Bryans fiel auf seine Armbanduhr. Die anderen beiden waren an seine Familie gerichtet. Erst drei Minuten waren vergangen.
,,Wo bleiben sie denn endlich?", murmelte er immer wieder panisch. Er stand von seinem Platz auf dem Bett auf, lief hin und her, rannte dann zur Eingangstür des Hauses, um die Tür zu öffnen. Vielleicht standen die Sanitäter schon vor der Tür und hatten nur die Klingel nicht gefunden.
Doch schon von weitem konnte er in dem langen Flur durch das bodentiefe Fenster neben der Tür sehen, dass keiner auf den Innenhof des Grundstücks gefahren war.
Er ging trotzdem hinaus. Es war mitten in der Nacht und bitterkalt. Bryan trug nur die Sachen, die er beim Schlafen an hatte. Ein weißes T-Shirt und eine lockere, graue Jogginghose. Dass er weder Schuhe, noch Socken trug, hatte er völlig vergessen und ihn interessierte es wenig, dass sich die spitzen, groben Kieselsteine in seine Fußsohlen bohrten. Hätte ihn ein Fremder von weitem gesehen, hätte er sicherlich gedacht, dass der großgewachsene, barfüßige Mann mit den vom Schlafen platt gedrückten, ebenholzfarbenen Locken, ein Obdachloser war, der im Schatten des riesigen Anwesens Schutz vor der nahenden Gewitterwolke suchte. Aber diesmal ging es nicht darum, vor irgendjemanden ein erhobenes Bild zu bewahren. Diesmal ging es darum, dass Bryan das Blaulicht endlich sehen konnte und der Krankenwagen daraufhin in seine Einfahrt einbog.
Endlich.
Die Zeit, die sich erst wie ein Kaugummi hingezogen hatte, entschied sich nun dazu in Lichtgeschwindigkeit fortzuschreiten. Innerhalb eines Wimpernschlages hatten die Sanitäter Moria auf eine Trage gehoben und in den Krankenwagen gebracht. Bryan saß auf einem Klappstuhl, der neben der Krankentrage im Innenraum des Rettungswagens an die Wand angeschraubt war. Er klammerte sich nahezu an der Hand seiner Tochter fest. Sarah würde später nachkommen. Sie würde einen Koffer für Moria packen.
Innerhalb eines Atemzugs waren sie in der Notaufnahme angekommen, wo Moria intravenös ein fiebersenkendes Mittel verabreicht wurde. Der Arzt hatte Bryan die genaue Bezeichnung genannt, aber er hatte sie so schnell vergessen wie auch den Arzt selbst, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt seiner Tochter, der von einer Krankenschwester feuchte Wadenwickel umgelegt wurden.
Sie würde wieder gesund werden, wenn das Fieber erst einmal weg war.
,,Es war gut, dass Sie den Krankenwagen gerufen haben. Durch die erhöhte Körpertemperatur haben die Krankheitserreger mit dem Sauerstoff in Morias Blut reagiert. Deswegen kam es zu dem plötzlichen Aufleuchten der Arterien. Durch Ihre schnelle Reaktion haben wir mehr Handlungsmöglichkeiten. Als erstes werden wir aber sehr langsam das Fieber senken." Die Stimme des Arztes erschreckte Bryan. Sie klang merkwürdig weit weg und wurde von dem rhythmischen Pulsieren in Bryans Ohren begleitet.
,,Wird sie wieder gesund?", fragte er abwesend. Er wusste es. Er wusste, was der Arzt antworten würde und doch fragte er.
Der Arzt schwieg. Plötzlich ähnelte der Zeitablauf wieder dem Bewegungsablauf eines Seesterns. Er schwieg lange.
,,Es tut mir leid, aber Sie kennen die Symptome der Krankheit. Sobald es zur ersten chemischen Reaktion im Blut des Patienten gekommen ist, können wir nicht mehr tun, als die Symptome so angenehm wie möglich zu machen."
,,Was ist mit der Therapie? Wir haben sie behandeln lassen..." Bryans Stimme war leise.
,,Leider hat sie nicht wie erwartet angeschlagen. Der Therapieverlauf ist bei jedem Patienten unterschiedlich. Es tut mir wirklich sehr leid, dem ganzen Krankenhaus, Gentilhomme."
Bryan nickte und beobachtete nun, wie Moria im Krankenbett in Richtung Flur geschoben wurde. Sie schlief. Sie war in dieser Situation viel ruhiger, als er es jemals sein könnte.
Er folgte ihr in das Zimmer, in das sie gebracht wurde und ließ sich dort auf einem der unbequemen Besucherstühlen nieder. Erst jetzt spürte er die Kälte, die langsam sein Bein hinauf kroch. Er hatte nicht einmal Schuhe angezogen und befand sich immer noch in seinen Schlafsachen. Hoffentlich würde die Presse nicht so schnell Wind von alle dem bekommen, sonst würde er Interviews in Jogginghose geben müssen.
Eine Krankenschwester kam herein. Sie war groß, kräftig gebaut und trug eine Decke. Und trotz der Uhrzeit hatte sie noch immer ein Lächeln auf den Lippen und schenkte Bryan einen bemitleidenden Blick.
,,Hallo, ich bin Schwester Maggy. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich gerne an mich."
Sie gab ihm, neben der Decke, noch eine Schlafmaske, da der Raum azurblau ausgeleuchtet war und damit das Schlafen erschweren würde.
,,Meine Frau wird auch bald hier ankommen. Können Sie bitte dafür sorgen, dass sie ohne die Presse das Krankenhaus betreten kann?", fragte Bryan und bedankte sich mit einem Nicken.
,,Natürlich, Gentilhomme." Die Krankenschwester nickte bekräftigend.
Und so schnell, wie sie gekommen war, war sie dann auch wieder verschwunden.
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Nach einer halben Stunde betrat Sarah den Raum. Bryan schreckte von seinem Platz auf, sodass sein Handy, das auf seinem Schoß gelegen hatte, auf den Boden fiel. Sarah folgte die Krankenschwester von vorhin, jedoch trug diese diesmal eine sichtlich schwere Tasche und atmete schwer.
Sarah setzte sich sofort neben Bryan auf den Stuhl und atmete erschöpft aus.
,,Die Presse belagert schon jetzt den Haupteingang", seufzte sie genervt und beobachtete die Krankenschwester dabei, wie sie die Tasche vorsichtig auf den Boden stellte.
,,Was hast du denn alles eingepackt?", fragte Bryan und deutete mit einer Handbewegung auf die überanstrengte Schwester Maggy.
,,Nur das wichtigste", erwiderte Sarah schulterzuckend.
Die Krankenpflegerin hatte ihren Atem schnell wieder unter Kontrolle gebracht und richtete sich wieder gerade auf.
,,Sie wissen ja schon, wo die Toiletten und die Cafeteria sind. Wenn Sie nur einen schnellen Kaffee haben wollen, können Sie sich einen vom Automaten hier auf der Etage holen. Daneben steht auch ein Snackautomat. Ich habe bereits mit der Krankenhausdirektion gesprochen. Sie dürfen sich jederzeit, auch außerhalb der Besucherzeiten, hier aufhalten" erklärte sie und erzwang sich, trotz ihrer Ermüdung, ein Lächeln.
,,Danke, Schwester Maggy", erwiderte Bryan lächelnd und nahm die Decke von seinen Beinen, um sie seiner Frau zu geben.
,,Dann werde ich mir gleich mal einen Kaffee holen. Willst du auch einen, Schatz?", fragte er sie, doch sie schüttelte nur den Kopf und gähnte mit vorgehaltener Hand.
,,Nein danke."
Bryan verließ, zusammen mit Schwester Maggy, das Krankenzimmer, doch schon im Flur trennten sich ihre Wege, da der Kaffeeautomat und der Ort, an dem Maggy als nächstes gebraucht wurde, nicht in der gleichen Richtung lagen.
Fast eine viertel Stunde stand Bryan barfüßig vor der teuren Kaffeemaschine. Am liebsten hätte er seine Entschlusslosigkeit auf das unnötig hochwertige Design und die vielen Auswahlmöglichkeiten der Maschine geschoben, die sicherlich Sarahs Vater finanziert hatte. Aber das hätte nicht der Wahrheit entsprochen. Bryan konnte sich zwar nicht als den größten Freund der Wahrheit bezeichnen, denn Wahrheit birgte manchmal auch viel Schmerz, aber mit sich selbst war er ehrlich: Der Gedanke, seine Tochter zu verlieren, war kein einfacher.
Wahllos drückte er auf einen der Knöpfe an der Kaffeemaschine und hoffte, dass das teure Design wenigstens bedeutete, dass der Kaffee mindestens halb so gut war.
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Hey, lieber Reader!
Lang ist's her seit dem letzten Kapitel, aber ich habe jetzt jede Menge vorgeschrieben und viel Motivation und Zeit um weiterzumachen :)
Erst einmal vielen Dank an ChaosMary für die kleine Recherchehilfe! Wer sich für das tägliche Leben einer Krankenschwester oder spannende Romane interessiert, sollte unbedingt bei ihr vorbeischauen!
Was glaubt ihr, wer Bryan und Sarah sind, und warum die Presse Interesse an ihnen haben könnte?
Kleine interaktive Frage: Wie sollen die Anreden der Personen sein? Herr/Frau, Mr./Mrs., Monsieur/Madame,...? Was gefällt euch am besten? :) (Frage bereits beantwortet ✅)
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