In Adelers Fittichen
Martha fror. Inzwischen war es dunkel geworden und es würde alles andere als Sinn machen, jetzt noch nach dem Weg zu suchen. Also blieb sie, wo sie war. Und es war wirklich, wirklich kalt. Fröstelnd zog Martha den Kopf zwischen die Schultern und umschling ihre Knie mit ihren Armen. "Dummes Kind, wieso musstest du so weit weglaufen?", schalt sie sich leise. In ihrer Hilflosigkeit griff sie in ihre Rocktasche, um den kleinen Teddy ihrer Schwester herauszuholen. Doch er war nicht da. Hektisch begann sie, den Platz um sich herum abzusuchen, doch der Teddy blieb unauffindbar. Ein Schluchzer direkt aus ihrem Herzen bahnte sich seinen Weg. Und dann liefen die ersten Tränen über Marthas Wange und tropften auf den Boden. Mit und mit realisierte Martha, dass sie nun auch den letzten Teil ihrer Familie verloren hatte. Dieses Wissen zerriss ihr das Herz. Laut begann sie zu weinen. Der Schmerz, der sich in ihr ausbreitete wie ein Lauffeuer im Wald, war unerträglich. Wie konnte sie nur?! Wie konnte sie nur so unachtsam gewesen sein und dieses wertvolle Tier verlieren?! Martha ließ sich auf den Boden fallen und vergrub schluchzend ihr Gesicht in ihrem Rock. So verharrte sie. Am liebsten wäre sie gestorben. Dann wäre sie jetzt wenigstens bei ihrer Familie.
In der Ferne vernahm sie das Geräusch von Flügelschlägen und sah auf. Ein großer Vogel zog einige Meter von ihr entfernt seine Kreise. Durch die Dunkelheit ließ sich nicht erkennen, um welchen Vogel es sich handelte und so beobachtete Martha die dunklen Umrisse seiner eleganten Flügelschläge. Es sah nicht aus, als würde das Tier seine Beute aufspüren, sondern eher, als würde es etwas suchen.
Der Wind trieb die Wolken weiter und der große Vollmond kam zum Vorschein. Sein Licht fiel direkt auf den Vogel und jetzt erkannte Martha einen Adler. Das Bild, dass sich ihr nun bot, war absurd. Es wirkte nicht mehr natürlich. Sie rieb sie über die Augen, doch es hatte sich nichts verändert. Der Adler, der eben noch suchend über die Steppe geflogen war, zog nun geradewegs in die Höhe und blieb direkt vor dem Vollmond in der Luft. Für Martha sah es nun so aus, als würde der Adler direkt von dem Mond beschienen werden. Dann plötzlich setzte er zu einem Sturzflug an und kam wenige Meter neben Martha auf dem Boden zum Stehen. Er schlug noch einmal kräftig mit den Flügeln und verharrte dann, dem Blick auf das zusammengekauerte Mädchen gerichtet. Langsam hob er seine Füße und kam Schritt für Schritt auf Martha zugelaufen. Ungläubig setzte sich Martha wieder auf und sah gebannt auf das große Tier, das sich ihr näherte. Etwa einen halben Meter vor ihr blieb der Adler stehen. Kam es ihr nur so vor oder hatte sein Auge gerade gefunkelt?
Der Adler bewegte sich ein wenig und legte sich schließlich hin, als wolle er schlafen. Dann breitete er seine Flügel so aus, dass sie aussahen wie ein kleines Nest. Martha war es nun egal, wie verrückt das ganze doch eigentlich war, sie spürte, was der Adler ihr sagen wollte und krabbelte auf allen Vieren auf ihn zu. Langsam, fast in Zeitlupe legte sie sich zwischen die Flügel direkt an den warmen Adler gedrückt. Und dieser umschloss die Flügel so, als würde er Martha halten. Dann legte er seinen Kopf auf ihren Körper und schloss die Augen.
Irgendwann fielen auch Martha vor Müdigkeit die Augen zu.
Der alte Mann hob einen kleinen Teddy auf und sah Luam fragend an. Es war bereits Morgen und so hell wie die Sonne auf die beiden herabschien, so hell erstrahlten plötzlich Luams Augen. "Das ist Marthas! Er gehört ihr! Lass uns weitersuchen!"
Ihre Suche endete, als sie beide Martha, in die Flügel eines großen Adlers gebettet, schlafend auffanden.
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