Kapitel 3: Ungewöhnlicher Besuch
Kirishimas PoV
Ich hatte die Schritte im Flur gehört, die zögernd vor meiner Tür zum Stehen kamen. So wie ich es immer tat, legte ich mich auf die Seite, stützte mich mit einem Arm hoch und achtete darauf, dass meine Beine in Szene gesetzt wurden.
Als die Klinke zaghaft heruntergedrückt und die Tür aufgestoßen wurde, stand ein aschblonder junger Mann in der Tür. Ich kannte ihn nicht. Ich hatte meine Stammkunden, doch ihn hatte ich noch nie gesehen. Seine wachsahmen stechendroten Augen glitten über meinen Körper. Er war heiß, das musste ich zugeben. Vielleicht – wenn er genauso gut war wie er aussah – könnte es eines dieser wenigen Male sein, bei denen ich den Sex tatsächlich genießen konnte. Er war gut gebaut und seine scheinbar maßgeschneiderte Kleidung betonte dies zusätzlich.
Doch er machte keine Anstalten hereinzukommen. Noch immer stand er in der Tür und starrte mich an. Einladend rückte ich ein wenig zur Seite und klopfte mit der flachen Hand auf das Bett neben mir. Die Gesten waren Routine und ich hatte sie perfektioniert.
Der Blondschopf schien aus seiner Starre zu erwachen. Jedenfalls hatte sich jetzt eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen gebildet, als er den Kopf stirnrunzelnd schüttelte. Sofort krampfte sich mein Magen ein wenig zusammen. Hatte ich etwas falsch gemacht? Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. Dann ging er auf das Bett zu, legte sich neben mich, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte zur Decke.
Etwas verwirrt betrachtete ich ihn. Wollte er, dass ich die Initiative ergriff? Gehörte er zu der Sorte, die keinen Finger rührten und die ganze Arbeit dem anderen überließen? Nicht, dass mir das etwas ausmachte. Auf diese Weise war es mir sogar lieber, da ich nicht fürchten musste, dass der Kunde zu zudringlich wurde. Aber die meisten meiner Kunden wussten genau was sie wollten. Sie hatten dieses Etablissement besucht, weil sie ihre Bedürfnisse nirgendwo anders befriedigen konnten. Den Aschblonden jedoch konnte ich nicht recht einschätzen.
Vorsichtig strich ich mit den Fingern über seinen Bauch und schob dabei sein orangefarbenes Oberteil nach oben. Der Stoff war weich, weicher als alles was ich jemals getragen hatte, doch die blasse makellose Haut darunter war so schön, dass mir dieses Stück Stoff egal war. Federleicht fuhr ich die Linien seiner Bauchmuskeln nach und verlor mich ein wenig in dem Anblick. Es kam selten vor, dass ein Kunde zuließ, dass ich seinen Körper erkundete. Die meisten hatten es nötig und waren mehr damit beschäftigt mich zu nehmen.
Ich sah, dass er erschauderte und eine leichte Gänsehaut bekam und lächelte zufrieden. Ich blickte hoch, um in seinem Gesicht seine Reaktion zu sehen. Doch ich blickte direkt in seine stechenden Augen, die stirnrunzelnd jede meiner Bewegungen beobachteten. Ich ließ meine Hand ein wenig höher fahren und schob dabei den Stoff seines Oberteils mit nach oben. Er biss sich auf die Unterlippe und erschauderte ein zweites Mal. Doch dann zog der Aschblonde einen seiner Arme unter dem Kopf hervor und griff nach meinem Handgelenk.
Ich zuckte zusammen. Seitdem mich der Mann damals auf dem Marktplatz am Handgelenk gegriffen und somit mein Schicksal besiegelt hatte, war ich in diesem Punkt ein wenig empfindlich. Ich brach nicht mehr in Panik aus so wie früher, aber trotzdem begann mein bionisches Auge die Erinnerungen abzuspielen. Fetzen der Vergangenheit legten sich über mein Sichtfeld.
„Lass das.", sagte der Aschblonde in einem ruhigen, aber bestimmenden Tonfall. Dann ließ er mein Handgelenk wieder los.
Sofort atmete ich erleichtert ein und widerstand dem Drang mein Handgelenk zu dehnen. „Was möchtest du denn sonst?", fragte ich und biss mir verführerisch auf die Unterlippe.
Er fuhr sich genervt durch die Haare. „Ich werde hier einfach wieder in einer Stunde herausgehen. Sieh es als deine Freizeit an.", brummte er und schloss die Augen.
Ich richtete mich auf und starrte ich ihn an. „Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte ich vorsichtig. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ein wenig zitterte. Vielleicht sollte ich das nicht fragen? Nervte ich ihn? Oh Gott, was passierte, wenn er mich Tsumo meldete? Ich begann zu zittern, zog die Beine an und versuchte keinen Laut von mir zu geben, da er schließlich offensichtlich seine Ruhe haben wollte. Ich kniff die Augen zusammen.
„Hey.", hörte seine Stimme auf einmal dicht vor mir. Ich zuckte zurück und öffnete die Lider, wodurch ich direkt in seine stechendroten Augen blickte. In diesem Moment sah ich den Anflug von Sorge und Unsicherheit in ihnen. Doch gleichzeitig hatte er noch immer die Stirn gerunzelt, als wollte er mich analysieren. „Du hast nichts falsch gemacht. Ich hatte nur nie vor ..." Er errötete ein wenig und biss sich auf die Unterlippe. „Sagen wir einfach, ich möchte nur, dass die Leute denken, dass ich in diesem Bordell ein- und ausgehe. Verdammt, das hat nichts mit dir zu tun."
Nun war es an mir die Stirn zu runzeln. Meine Schultern senkten sich, als ich mich wieder entspannte. Zaghaft lächelte ich ihn an, auch wenn ich seine Beweggründe nicht verstand, konnte ich gut damit leben eine Stunde frei zu haben. Doch der Kunde rücke nach seiner Erklärung nicht ab, sondern starrte mir weiter tief in die Augen. Nicht dass es mich störte. Ich konnte nicht anders, als meinen Gegenüber zumindest ein kleines bisschen zu mögen, auch wenn ich ihn nicht kannte.
„Hast du ein künstliches Auge?", fragte er geradeheraus.
Ich erstarrte wieder. Noch nie hatte es jemand bemerkt. Klar, da war diese feine Narbe an meinem Augenlid, das durch den Metallsplitter verletzt wurde. Doch die Augenfarbe passte perfekt zu meinem echten und auch sonst war es kaum von ihm zu unterscheiden. Nur wenn man aus dem richtigen Winkel in die Pupille blickte ...
„Als du den Kopf ein wenig gedreht hast, hatte ich das Gefühl das Leuchten einer künstlichen Netzhaut zu sehen.", erklärte er und starrte mich intensiv an.
„J-ja.", sagte ich zögernd. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte, dass er sich so dafür interessierte. Ich hatte es meinen Cyborg-Teilen zu verdanken, dass gesellschaftlich auf der untersten Stufe stand. Ich räusperte mich und er rückte ein wenig von mir ab, da er merkte, dass mir sein Starren ein wenig unangenehm war. „Warum interessiert dich das?", fragte ich verwirrt und fuhr mir durch meine langen roten Haare, sodass mir eine der Strähnen über das besagte Auge fiel.
Er zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Es ist gut gemacht.", erklärte er. „Ausgezeichnete Farbgebung."
Ich lachte bitter. „Das Ding macht mir nur Schwierigkeiten." Der Satz war als ein Statement gedacht und sollte keine tiefere Bedeutung ihm gegenüber haben. Aber er sprang sofort auf die Thematik an.
„Was für Schwierigkeiten denn? Ich kenne mich ein wenig mit Biomechanik aus. Vielleicht kann ich dir ja helfen.", sagte er nachdenklich.
Ich versteifte mich, unsicher, ob ich solche Dinge wirklich mit einem Kunden besprechen sollte. Doch er hatte es angeboten, oder? „Manchmal", fing ich zögernd an, „spielt es in gewissen Situationen Ereignisse der Vergangenheit ab, die ich lieber vergessen würde. Ich weiß nicht genau was es auslöst, aber in diesen Moment habe ich keine Chance es zu kontrollieren und im Gegensatz zu dem realen Bild hilft es nicht, wenn ich die Augen schließe."
Der Aschblonde nickte bedächtig. „Das scheint mir logisch, schließlich werden diese Bilder nicht von außen erzeugt. Da du keine Probleme mit dem Sehen hast, wird die Verbindung zum Sehnerv größtenteils einwandfrei zu sein. Es gibt verschiedene Modelle, aber viele davon haben einer speichernden Funktion von Bildern, was eine aktive Verarbeitung von Bildern ermöglichen soll. Kannst du die Funktion im Menü ausschalten?"
Ich starrte ihn verwirrt an. „Menü?", fragte ich perplex.
Mein Gegenüber runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Ist eigentlich Grundausstattung, damit man die unterschiedlichen Module aktiv bedienen kann. Ich weiß jedoch nicht wie viel bei dir vorhanden ist. Mir scheint es fast so, als hätten sie sich bei dir nicht die Mühe gemacht alles anzuschließen. Das könnte auch der Grund für die Fehlfunktion deiner Bildverarbeitung sein. Das Auge ist an dein Nervensystem angeschlossen. Wenn dies wirklich nur in Momenten passiert, an denen du in Panik verfällst, könnte der steigende Adrenalinspiegel bei einer unsteten oder nicht korrekt verkabelten Verbindung zu einer Art Kurzschluss führen. Es ist nur eine Theorie, aber wenn es so ist, ist es einfach zu beheben."
„Nichts davon klang irgendwie einfach.", sagte ich verlegen. Ich hatte nicht wirklich verstanden was er erklärte, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er wusste wovon er redete.
Er seufzte. „Wie ich es hasse, wenn Potentiale nicht ausgeschöpft werden. Ein bionisches Auge? Mit ein wenig Bastelei könntest du ein, für niemand sichtbares Smart-Eye haben. Und deine Unterarme? Hast du damit eigentlich Probleme?"
Ich schüttelte den Kopf. Über diesen Kerl konnte ich mich nur wundern. Die meisten meiner Kunden ignorierten die Tatsache, dass ich ein Cyborg war. Sie sahen darüber hinweg, da sie schließlich nur für den Sex bezahlten und mich sowieso kaum als Individuum wahrnahmen. Aber der Blondschopf vor mir schien sich nicht nur dafür zu interessieren, sondern wusste überaus gut Bescheid. Und – das war das ungewöhnlichste an der ganzen Geschichte – er schien von Cyborg-Technologie geradezu begeistert zu sein.
Er nahm meinen linken Unterarm in die Hand und fuhr mit dem Finger über die Kante, an der die Haut unter meinem Ellenbogen auf das Metall traf. „Hast du Probleme in der Kälte? Oder im Sommer, wenn es besonders warm ist? Diese einfachen Metallteile kühlen bei Frost meist zu stark ab oder heizen sich in der Hitze zu sehr auf. Dann kommt es oft zu Hautirritationen an der Stelle, wo Fleisch und Metall aufeinandertreffen.", fragte er murmelnd.
Ich dachte an die letzten zwei Jahre zurück und schüttelte den Kopf. Er blickte auf und wieder bildete sich diese kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen, als er nachdachte. „Ich schätze du warst nicht viel draußen, oder?", fragte er.
Diese direkte Frage ließ mich ein wenig erröten. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Klar, solange ich auf der Straße gelebt hatte war ich Sommer wie Winter den Temperaturen ausgesetzt. Aber seitdem ich versklavt war, kam ich nicht viel raus. Natürlich hatte ich so keine Probleme mit der Nahtstelle an meinen Unterarmen gehabt.
Mein Gegenüber fuhr ein letztes Mal nachdenklich über meinen Unterarm. Dann schaute er auf die Uhr. „Ich schätze meine Zeit ist um. Ich werde wiederkommen, Eijirou."
Ohne dass es mir bewusst war, legte sich ein Lächeln auf meine Lippen, als ich meinen Namen aus seinem Mund hörte. Und als wäre diese Unterhaltung die Normalste der Welt gewesen, stand er auf und ging zur Tür. Er streckte gerade die Hand nach der Klinke aus, als ich ihn zurückhielt.
„Warte! Wie heißt du?", fragte ich.
Einen kurzen Moment Stille herrschte und wieder einmal fragte ich mich, ob meine Frage vielleicht unangemessen war. Vielleicht wollte er mir ja seinen Namen nicht nennen.
Er drehte sich nicht zu mir um, doch er antwortete mir. Als er sprach war seine Stimme leise und es schien, als würde er seine Worte mit Bedacht wählen. „Katsuki. Du kannst mich Katsuki nennen." Dann verschwand er durch die Tür und schloss sie leise hinter sich.
Ich blieb zurück und starrte auf die Tür, hinter der der sonderbare Mann verschwunden war. Eines stand fest: Ich freute mich jetzt schon auf seinen nächsten Besuch.
„Katsuki.", flüsterte ich. „Wer bist du?"
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