Grün | Blau | Gelb | Rot
Hohe Wände, die in einer gewölbten Decke endeten. Graue Wolken, die sich darunter sammelten und durch ihr schnelles Vorbeiziehen den Himmel außerhalb des Schlosses spiegelten. Schwebende Kerzen, die den großen Saal neben den vielen Fackeln nicht heller, aber dafür umso behaglicher und magischer wirken ließen. Hölzerne Tische, so lang wie ein Drittel eines Quidditch Feldes und hunderte von Gesichtern, die allesamt neugierig zum Eingangstor blickten.
Keine der Erzählungen und Ausführungen seiner Großeltern hätten Anthony auf den Anblick der Großen Halle in Hogwarts vorbereiten können. Und keine ihrer zahlreichen fahlen Liebesbekundungen, hatten ihm jemals jene Wärme vermittelt, die sich in diesem Moment in ihm breit machte.
Er war zu Hause.
Den eigenen überwältigten Eindruck sah er auf den Gesichtern seiner Mitschüler gespiegelt, die allesamt wispernd und auf verschiedene Kuriositäten deutend hinter Professor Longbottom hertrotteten.
Keinen der Schüler an den Tischen interessierten die lodernden und heimeligen Feuer in den zwei Kaminen an den Außenwänden. Auch die Kerzen und Wolken, die sich unter der Decke sammelten und der Regen, der sich einige Zentimeter über den Köpfen aller Anwesenden in Luft aufzulösen schien, ließ sie offensichtlich gänzlich unberührt.
Ihre Aufmerksamkeit lag ausschließlich auf den Neuankömmlingen, die aus dem Staunen nicht mehr herauskamen.
Auch Aviana neben ihm schien alles aufzusaugen und ließ sich von Anouk die Magie hinter diesem Ort erklären, während Anthony nur mit halbem Ohr zuhörte und stattdessen die Tische – und vor allem deren Besetzer – musterte.
Jeder Tisch musste zu einem Hogwarts Haus gehörten, Anthony konnte jedoch beim besten Willen nicht herausfinden, welches der Häuser wo platziert war.
Seine Augen wanderten die Halle hoch und blieben an einem Tisch mit einem Duzend Erwachsenen hängen. Das musste die Lehrerschaft sein, die freundlich lächelnd zu der hereintrudelnden Masse blickte, denn Anthony erkannte den großen Mann, der sie über den See geführt hatte am linken Ende des Tisches. Er musste wohl zu dem Zeitpunkt in der Großen Halle Platz genommen haben, als ihnen von Professor Longbottom in einem Nebenraum erklärt wurde, wie die Häuser-Zuteilung ablaufen würde.
„Sie werden alle einzeln aufgerufen und setzen sich darauf bitte auf den Stuhl, der für Sie bereitsteht. Danach werde ich einen Hut auf Ihren Kopf platzieren und Sie werden erfahren, welches Haus ab heute Ihr Zuhause sein wird."
Just darauf war er mit der Aufforderung, dass sie alle hier auf ihn warten sollten, aus dem Raum verschwunden.
Einige der Schüler schienen nach der Offenbarung zur Zuteilung erleichtert zu sein, andere ängstlich. So oder so erfüllte unmittelbar nach dem Abgang des Lehrers aufgeregtes und nervöses Wispern den kleinen Raum.
„Kein Duell also."
„Und auch kein Test."
„Vielleicht gibt es ja dennoch Fragen und je nachdem wie man antwortet, leuchtet der Hut in einer der Hausfarben."
Beinahe so viele wilden Fantasien wie Professor Longbottom's Erklärung als Mythen und Schauergeschichten benannte, machten nun die Runde und auch Aviana und Anouk waren in einen angeregten Austausch verfallen.
Kurz bevor der Professor wieder zurück war, hatte Aviana Anthony mit ihrem Ellbogen angestupst. „Was denkst du? Werden wir dem Hut Fragen über uns oder über Magie beantworten müssen?"
Anthony hatte lediglich mit den Schultern gezuckt. Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass er hoffte, der Hut würde ihm nichts mit der Farbe Grün zeigen. Seine eigenen Gedanken lagen zwischen zuversichtlich und angespannt.
Wenn ihnen ein Hut auf ihrem Kopf sagen würde, in welches Haus sie gehörten, dann konnte er bestimmt einfach an die Farben Rot und Gold denken – und vielleicht etwas an das mutige Mädchen neben sich – und der Hut wüsste, dass er nach Gryffindor wollte. Aber was, wenn seine Gedanken nicht stark genug waren? Was wenn der Hut schließlich doch seine Familie, seinen Vater sah?
Anouk's Stimme drang durch sein Gedankenchaos: „Natürlich kann man über die Häuser hinweg miteinander befreundet sein."
Aviana's Augen waren darauf hin zu Anthony gehuscht und es hatte so ausgesehen, als wollte sie ihn mit ihrem warmen Dunkelbraun auf seinem Eisblau beruhigen – Wir bleiben Freunde. So oder so.
„Wenn wir nicht in den gleichen Häusern sind, treffen wir uns dann morgen vor dem Morgenessen wieder hier?", hatte Anouk fragend vorgeschlagen.
Anthony und Aviana nickten beide und ein Teil der Beklemmung, die langsam über ihn gekrochen war, löste sich wieder. Sie würden weiterhin Freunde bleiben, das war die Hoffnung, die blieb.
Die nagende Stimme in seinem Kopf versuchte er so gut es ging zu ignorieren – Solange du nicht zu Slytherin geschickt wirst.
Wenig später standen sie nun alle in einem Haufen vor einem unscheinbaren Stuhl und einem Hut, der bereits bessere Zeiten gesehen haben musste.
Zahlreiche Nähte zeigten sich aufgeplatzt über den ganzen Hut verteilt und einige Stellen schienen mit Stofffetzen mehr schlecht als recht geflickt worden zu sein.
Dass dies wohl mitunter auch so gewollt war, erfuhren sie sogleich, als sich der eine Riss oberhalb der Krempe weiter öffnete und eine kratzige und rauchige Stimme im Singsang einen Reim vortrug.
Ein verbeulter Hut, was ist denn das?
Eine Zauberwelt und dann sowas
Was kann er uns sagen, das fragt ihr wohl
Lasst es mich euch singen, im Reim, jawohl
Lange ist es her, seit man mich genäht
In der Hoffnung, dass man nicht verschmäht
Einem einzigen Schüler das Recht auf Lehr
Drum fürchtet euch nicht, kommt her, kommt her
Vier Häuser sollen uns hier im Stein
Zu sich nehmen, fortan Familie sein
Nur woran erkennen wir wohin
Das Kind zu weisen von Anbeginn
Vier große Zauberer nun voller Eifer
ließen schaffen einen kleinen Helfer
Klein und unscheinbar mag ich denn sein
Sehe dennoch in dein Herz hinein
Ob nun kühn, tapfer oder auch mutig
für Feigheit nur ganz wenig übrig
Dann gehörst du vielleicht nach Gryffindor
und gehst in Abenteuern vor
Oder sind es die geduldigen Hufflepuff
die fleißig sind und auch taff
Deren Fairness dich auch fasziniert
Und dich zu einem Kameraden kührt
Vielleicht ist es aber auch das Wissen
das erstrebsam ist und nicht zu missen
Bist du weise und auch kreativ
wirkt Ravenclaw ganz attraktiv
Natürlich wollen wir nicht vergessen
wie ehrgeizig, treu und entschlossen
Slytherin ist und somit passt
wenn du ähnliche Werte hast
So lass mich sehen dein Geist und Herz
Hab Mut, denn ich mach keinen Scherz
Lass dir vom Sprechenden Hut berichten
zu welchem Haus du passt am besten
Sobald das letzte Wort gesungen war, brach Applaus los und einige der älteren Schüler pfiffen anerkennend.
Der Riss verzog sich und Anthony hätte darauf gewettet, dass der Hut in diesem Moment gerade lächelte.
Nachdem auch die letzten zwei Jungen am äußeren rechten Tisch das Klatschen ausklingen ließen, hieß Professor Longbottom sie alle noch ein zweites Mal willkommen und startete sogleich damit, sie einzeln aufzurufen.
Die Halle verfiel augenblicklich in eine beachtliche Stille. Nicht komplett, aber bei knapp über 250 anwesenden Personen war es der Unterschied zu vor wenigen Minuten doch markant. Anthony war sicher, dass dieses Ritual nicht nur für die Erstklässler ein besonderes Event war.
„Bott, Denise!"
Ein Mädchen mit blonden Zöpfen stolperte vorwärts und setzte sich auf den Stuhl. Sie war ein halber Kopf kleiner als Anthony, wodurch ihr der vom Lehrer aufgesetzte Hut direkt über die Stirn ihres schmalen Kopfes rutschte, sodass sie nur noch bis zur Nase sichtbar war.
Gespannt und scheinbar auf alles gefasst zuckte Anthony sowie das Mädchen und alle anderen Neuzugänge nicht einmal zehn Sekunden später zusammen, als der Hut plötzlich laut „Ravenclaw!" verkündete, woraufhin tosender Applaus vom Tisch zu Anthony's Linken losbrach.
Denise Bott wurde mit freundlich lächelnden Gesichtern und einigen winkenden Armen begrüßt und die stolpernden Schritte und roten Wangen waren schnell vergessen.
Nach Denise wurde Bridge, Saymon – Hufflepuff am Tisch neben dem Ravenclaw willkommen geheißen.
Randish Daahel war ein weiterer Hufflepuff und auch Merle Eldridge-Weasley gesellte sich zu den fröhlichen Gesichtern rechts von Anthony. Die flüsternden Kommentare und subtilen Gesten in ihre Richtung kriegte sie dabei nicht mit.
Anthony war froh, denn es waren allesamt gemeine Bemerkungen, die sich entweder um ihr wildes hell-rotes Haar oder dann um den ausgefüllteren Hosenbund drehten, der durch den leicht verrutschten Pullover sichtbar war.
Einer dieser Jungs, dem es scheinbar an Respekt fehlte, war Martin Fuller. Er wurde Gryffindor zugeteilt.
Sein Kumpane, Gregory Hill gesellte sich zu Denise Bott und so arbeiteten sie die Liste weiter ab. Anouk's, Aviana's und Anthony's Nachnamen starteten alle mit Buchstaben des Alphabeten-Endes.
So wurden also noch zwei weitere Jungs und ein Mädchen nach Ravenclaw eingeteilt und drei Mädchen und ein Junge nach Slytherin, wobei es bei einem der Mädchen so lange gedauert hatte, dass Anthony sich fragte, ob es auch schon jemals jemanden gab, der nicht eingeteilt und wieder nach Hause geschickt wurde.
Gryffindor bekam vier Mädchen und der Hufflepuff-Tisch freute sich mit einem Jungen mit blauem Haar zum fünften Mal über einen Neuzugang.
„Pelver, Aviana!", rief Professor Longbottom dann das Nervenbündel neben Anthony auf.
Mit einem kurzen Grinsen in seine Richtung setzte sie sich schließlich auf den Stuhl, den neugierigen Blick auf den Hut gerichtet.
„Hufflepuff!", kam die Antwort des Hutes einige Sekunden später und Anthony merkte erst dann, als er die Luft entmutigt ausstieß, dass er seine Fäuste geballt und die Luft angehalten hatte.
Nicht einmal, wenn der Hut seinen Wunsch berücksichtigte, wären sie im gleichen Haus.
Aviana hingegen schien seine etwas verrutschte Miene nicht aufgefallen zu sein, denn sie winkte ihm bloß auf dem Weg zu ihren neuen Freunden zu – Alles ganz easy.
Vor Anthony wurde Thomas Prusset nach Gryffindor eingeteilt. Gleich danach hörte er seinen Namen. Und darauf hin wie befürchtet auch einige gewisperte Worte, deren Bedeutung er sich trotz mangelnder Akustik denken konnte.
„Rowle, Anthony!"
Denk an die Farben – rot, gold, rot, gold, rot, gold.
Der Hut rutschte auch ihm – wie allen anderen zuvor – über die Stirn und doch hörte Anthony sogleich die kratzige, rauchige Stimme in seinem Kopf.
„Wohin mit dir?"
Rot, gold, rot, gold.
„Mmh... Mut sehe ich, auch Rechtschaffenheit."
Rot, gold, rot ...
„Da ist aber auch viel Ehrgeiz und Entschlossenheit. Treue und Reife."
Rot, gold, rot, gold.
„Du möchtest deine größten Stärken verleugnen?"
Anthony wünschte, der Sprechende Hut würde aufhören zu reden.
Rot, gold ...
„Das Grün ist nicht das Böse und die Schlange ist nicht dein Feind."
Rot, gold, bitte, rot gold!
„Mein Junge, du bist kein Löwe. Du bist ein ..."
„... SLYTHERIN!", verkündete der Hut laut und seine Stimme hallte auch eine Stunde später noch nach, als sie von ihren Vertrauensschülern durch das große Tor in Richtung Kerker geführt wurden.
Das Festessen hatte himmlisch gerochen, mehr als einen Schöpflöffel Kartoffeln und ein kleines Stück geschmorten Schweins brachte Anthony jedoch nicht hinunter.
Sein Sitznachbar, Lucas Pucey, hatte ihn durch sein warmes Willkommen und einige witzige Anekdoten zwischenzeitlich auf andere Gedanken gebracht, aber nur so lange, bis ein Mädchen, das mindestens vier Jahre älter schien, ihn wieder daran erinnerte, weshalb er nicht in dieses Haus gehörte.
„Hast du die Alte McGonagall gehört?", meinte sie höhnisch an den blonden Jungen neben ihr. „Einheit ist die beste Chance auf langwährenden Frieden. Ugh! Als wüsste sie nicht, dass wir den Unfrieden nur wegen zu großer Einheit haben. Hätten einige Zauberer nicht das Gefühl gehabt, mit Muggeln anbandeln zu müssen, hätten wir wahrscheinlich noch nicht mal ein Prozent unserer vergangenen und anhaltenden Probleme."
Ihre Worte und der abschätzige Tonfall dazu begleiteten ihn nun auf dem ganzen Weg zu ihrem Gemeinschaftssaal. Hinzu kamen die Schuldgefühle, die ihn plagten, seit sie ihn auffordernd angesehen hatte. Das ist die Quelle des Problems, richtig?
Ihr prüfender Blickhatte ihn zu sehr an seinen Vater und seine Großeltern erinnert und er hatte –wie es die Gewohnheit verlangte, und zu seiner absoluten Schande – lediglich genickt.
Jetzt, als einer der ersten im bequemen Himmelbett des Jungenschlafsaals, rasten alle möglichen Gedanken durch seinen Kopf. Der prägnanteste war jener, was dieses Mädchen ihn alles nennen würde, wenn sie herausfand, dass das einzige, was er mit seinem Vater und folglich seinen Wertvorstellungen teilte, der Nachname war.
Dass er die Antwort dazu in den nächsten Wochen früh genug erfahren würde, wusste er nicht und so holte ihn der altbekannte unruhige Schlaf schon bald ein.
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Und so starten wir das Abenteuer in Hogwarts.
Der Hut hat entschieden. Die drei A's sind also nicht im gleichen Haus untergekommen.
Was sagt ihr zu den jeweiligen Schulfamilien der dreien? Passt es? Gibt's durch diese Einteilung vielleicht auch die eine oder andere Herausforderung?
Da es wohl an keiner Stelle mehr so sehr passt wie hier: Welches Haus nennt ihr eure Familie?
Und an dieser Stelle möchte ich gerne sagen, dass ich dieses Kapitel der lieben Jo (@numinouss- ) widme - inklusive einer Extra-Portion Pudding (kannst ja die von Anthony haben ;P)! Dank ihrer unglaublich lieben und witzigen Kommentare bin ich so unglaublich motiviert hier dran zu bleiben und ihr zu zeigen, dass ich Slytherins wirklich, wirklich gerne mag - auch wenn das in diesem Kapitel nur ganz sanft durchscheint ;-)
Im nächsten Kapitel treffen wir uns wieder mit Aviana und erkunden das Schloss etwas, oder was meint ihr?
Wir sehen uns am Sonntag - und lasst die quitschenden Schuhe im Schlafsaal.
Lots of love, xx
Stephie
Ps: Ich habe eine Huffle-In Playlist auf Spotify erstellt. Den Link dafür findet ihr auf meinem Profil bei den Unterhaltungen, oder bei diesem Kapitel als Kommentar.
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