»I don't care if it hurts, I want to have control«
Die Fahrt war beunruhigend - andauernd wurde Jim auf seinem Sitz hin und her geschleudert und da er nicht sah, wohin sie fuhren, kam in ihm der Gedanke an eine Entführung auf, obwohl er nie sonderlich paranoid gewesen war.
Als der Van schließlich hielt, war Jim mehr als nur erleichtert. Er war der erste der Drei, der zur Tür stolperte und sie mit einem Ruck zur Seite schob.
Jim fluchte und saugte die frische Luft in seine Lungen. Hinter ihm lachte Sebastian. „Wer liebt hier das Drama?", fragte er amüsiert, drängte sich an Jim vorbei und sprang nach draußen.
„Halt die Klappe, Sebastian. Das war der absolute Horror!", knurrte Jim und folgte ihm unsicheren Schrittes nach draußen. Hinter ihm stieg Severin aus, der ebenfalls blass um der Nase war.
Jim blickte sich ein wenig genauer um - sie waren in die Stadt vorgefahren, die Jim wohl eher ein Dörfchen nennen würde. Cat hatte auf einem Parkplatz vor einem kleinen Supermarkt gehalten. Die Straße, von der sie offenbar gekommen waren, führte weiter geradeaus bis sich die vereinzelten Häuser am Straßenrand zu Häuserreihen verdichteten. Von der Hauptstraße zweigten kleinere Gassen ab, in denen sich Pub an Pub zwängte, deren Reklameschilder später am Abend vermutlich in den grellsten Neonfarben erstrahlen würden.
„Ziel erreicht, Jungs!", rief Cat und stapfte auf sie zu, nachdem er die Fahrertür zugeknallt hatte. „Jetzt ist's Zeit fürs Shoppen."
Grinsend lief er zum Eingang und Sebastian beeilte sich, ihn einzuholen, während Jim und Severin ihnen langsamer folgten. Als Jim Sebastian und Cat so vor sich sah, wie sie sofort anfingen, sich angeregt zu unterhalten und die anderen Beiden vollkommen zu vergessen schienen, hatte er plötzlich doch keine Lust mehr, hier zu sein.
„Und, ähm... Wie ist es bisher so, sich ein Zimmer mit Sebastian zu teilen?", fragte Severin ihn unsicher und Jim musste an sich halten, nicht die Augen zu verdrehen.
„Habt ihr bei euch zu Hause ein gemeinsames Zimmer?", stellte Jim die Gegenfrage ohne Severin anzusehen.
„Nein. Aber als wir klein waren, haben wir uns eines geteilt..."
„Dann weißt du ja, wie es ist, sich ein Zimmer mit ihm zu teilen", erwiderte Jim knapp. Irgendwie ging ihm Severin auf die Nerven - er war so verschüchtert und schielte andauernd zu Sebastian, als erwarte er Anweisungen von seinem Bruder.
Severin erwiderte nichts, sondern begann einen Kiesel vor sich her zu kicken.
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„Was soll das bitte sein?", fragte Jim und schob die Tüte, die Sebastian ihm unter die Nase hielt, beiseite.
Sebastian grinste. „Ich weiß nicht, aber es klingt lustig." Er legte die Tüte in den Korb, der bereits bis zum Rand mit Naschereien und Getränkedosen gefüllt war. „Einkaufen macht mehr Spaß als ich dachte."
„Ja, bis man dann sieht, was das alles kostet!", lachte Cat einige Reihen weiter, griff wahllos in eines der Regale und betrachtete nachdenklich die Dose Erdnüsse, die er hervorgezogen hatte. „Fang!" Er holte aus und schleuderte die Dose in Richtung Jim, der überrascht die Hände hob. Bevor die Dose ihn jedoch erreicht hatte, fischte Sebastian sie einige Zentimeter vor Jims Gesicht scheinbar mühelos aus der Luft und legte sie in den Korb.
„Hör auf, Cat. Du machst noch irgendwas kaputt", ermahnte Sebastian seinen Freund kopfschüttelnd.
„Zum Beispiel meine Nase!", fauchte Jim, dem aufging, dass Cat ihn schon zum zweiten Mal so herein gelegt hatte. Und dass er es vermutlich darauf angelegt hatte, dass Jim die Dose nicht mehr fangen könnte. Plötzlich war ihm Cat noch unsympathischer als schon zuvor.
„Reg dich ab. Ich mach nur Witze!" Cat grinste ihnen zu und lief dann weiter die Regale entlang.
„Tut mir leid", murmelte Sebastian Jim zu, der nur missmutig die Nase rümpfte. „Cat ist nicht so der gesellige Typ und er testet gern die Grenzen der Leute aus."
„Ach wirklich?" Uninteressiert besah Jim sich einer Tüte Trockenfrüchte und tat es dann den anderen gleich - er warf sie einfach mit in den Korb.
In diesem Moment kam Severin um die Ecke und warf eine Tüte Chips dazu. Kritisch musterte er den restlichen Inhalt des Einkaufwagens. „Seit wann isst du Pilze, Seb?", fragte er seinen Zwilling und deutete auf die Packung Pfifferlinge, die Sebastian kurz zuvor zu den Einkäufen gelegt hatte.
Dieser zuckte zur Antwort mit den Schultern. „Weiß nicht. Vielleicht isst die ja jemand anders. Jim?"
Jim schüttelte nur angeekelt den Kopf - wenn er an Pilze dachte, dann erinnerte er sich immer an die stundenlangen, totlangweiligen Wanderschaften durch den Wald, die seine Familie unternommen hatte, um Pilze zu sammeln. Nur um dann mit verstimmten Magen im Bett zu liegen, weil keiner so richtig wusste, welche Pilze genießbar waren.
Sebastian zuckte mit den Schultern. „Tja. Dann isst also keiner von uns Pilze. Ist doch egal; solange Paps bezahlt."
Severin warf ihm einen kurzen Blick zu und schüttelte dann den Kopf. „Sei nicht immer so - er ist in Ordnung. Du solltest ihn nicht abblocken."
Sebastians Kopf fuhr zu seinem Bruder herum und er funkelte seinen Bruder böse an. „Achja?! Vielleicht willst du das hier dann bezahlen, wenn du so scharf darauf bist, deinen tollen Daddy zu verteidigen!"
„Er ist auch dein Vater", murmelte Severin und mied es, Sebastian direkt ins Gesicht zu sehen. „Ist ja auch egal. Mach doch was du willst." Damit hatte Severin erneut seinem Bruder nachgegeben.
Jim dachte nach. Offensichtlich hatte Sebastian erhebliche Probleme mit seinem Vater, während Severin ihm nicht ganz abgeneigt war. Vielleicht war das auch der Grund, wieso die Stimmung zwischen den Brüder permanent angespannt war. Jim glaubte, so langsam seinem Ziel näher zu kommen - oder zumindest einem Zwischenstop auf dem Weg ins Ziel.
Als sie an der Kasse standen und Cat und Sebastian die Kassiererin, die stirnrunzelnd ihren Großeinkauf einscannte, unschuldig angrinsten, stellte Jim sich unauffällig ein wenig näher neben Severin. „Was ist das mit eurem Vater? Wer ist er?"
Severin warf ihm einen raschen Seitenblick zu und starrte dann stur weiter geradeaus. „Seb redet nicht gern über ihn..."
„Aber du bist nicht dein Bruder, nicht wahr?" Jim lächelte leicht und legte den Kopf schief. Nun wandte Severin sich ihm doch zu und seufzte.
„Nein, bin ich nicht. Aber er... Ich weiß nicht, Sebastian wäre ziemlich sauer, wenn ich dir was über ihn erzähle. Aus irgendeinem Grund macht er ein ziemliches Geheimnis daraus. Tut mir leid."
„Schon gut", sagte Jim, bemüht sein Lächeln aufrecht zu halten, obwohl seine Mundwinkel verkrampften. „Ich verstehe das - du willst eben keinen Ärger mit deinem großen Bruder. Ich habe auch einen großen Bruder - ich kenne mich damit aus." Als hätte Richard irgendetwas gegenüber ihm zu sagen.
„Er ist nur zwei Minuten älter", murmelte Severin und wandte den Blick ab. „Und ich mache nicht immer, was er will - nur damit du das weißt."
„Klar", lächelte Jim. „Aber es ist manchmal sicher leichter, Sebastian einfach alles nachzumachen, ohne selbst überlegen zu müssen, nicht wahr?" Severin hob den Blick und starrte ihn an, aber für Jim war das Gespräch beendet und er lief weiter vor und sah zu, wie Sebastian die Einkäufe in einen großen Beutel und seinen schwarzen Rucksack warf.
„Wenn du willst, kannst du mir helfen", erklärte Sebastian amüsiert, während Cat unter dem wachsamen Blick der Kassiererin Sebastians Kreditkarte in das Lesegerät steckte und den Pin eingab, als hätte er dies bereits tausende Male zuvor getan.
„Nein, danke", antwortete Jim und verschränkte die Arme.
Sebastian schnaubte und stellte ihm dann den vollbepackten Beutel vor die Füße: „Dann hilf wenigstens tragen. Immerhin sind wir einkaufen gegangen, damit du nicht verhungerst."
Jim stöhnte, griff allerdings nach den Henkeln des Beutels. „Ihr habt doch selbst gesagt, dass ihr Spaß hattet. Abgesehen davon, dass ihr mehr für euch selbst eingekauft habt. Und ich kann nichts dafür, dass du dich darum sorgst, ich könnte verhungern."
Sebastian lachte. „Ich will nur nicht, dass mir die Polizei zu viele Fragen stellt. Oder noch schlimmer: deine Familie."
Jim zog die Augenbrauen hoch. „Die haben mich hier mit Richard allein gelassen. Denkst du wirklich, die würden sich darum kümmern?" Er war sich dabei wirklich nicht sicher - vermutlich wären seine Eltern erleichtert, wenn sie eine Sorge weniger hätten. Und ihr jüngerer Sohn war vermutlich ihre größte Sorge. Jim wusste, dass sie es nie einfach mit ihm gehabt hatten - nicht, dass Jim das kümmerte oder dass er daran etwas ändern wollte.
Sebastian schien nicht so recht zu wissen, wie er auf Jims Aussage reagieren sollte und hob nur die Schultern. „So schlimm?"
Jim grinste. „Meistens habe ich sie ganz gut unter Kontrolle."
„Das glaube ich sofort."
Plötzlich ertönten die bekannten Töne von »Stayin' Alive«. Verwirrt blickte Jim sich um bis ihm aufging, dass das Lied aus Sebastians Hosentasche erklang. Im selben Moment ging das auch dem Blonden auf und er zog sein Handy aus der Jeans, legte den Finger kurz auf die Lippen und nahm dann den eingehenden Anruf an: „Hallo?" Er lief mit dem Telefon in der Hand nach draußen.
Cat war fertig mit Bezahlen, stopfte die letzten Tüten Chips in seinen Rucksack und dann folgten Severin, Jim und Cat Sebastians Beispiel und verließen den Supermarkt.
Einige Meter von der Tür entfernt stand Sebastian. „Nein, klar. Wir sind gerade fertig mit Einkaufen... Bei der Bowlingbahn? Okay, bis gleich." Jim nervte es ziemlich, dass er nur eine Seite der Konversation mitbekam, aber er konnte sich schon denken, worum es ging. Wenn er sich richtig erinnerte, sollte ein gewisser Toby heute Abend noch mit von der Partei sein. Also nahm Jim ganz stark an, dass Sebastian gerade mit ihm telefonierte.
Sebastian legte auf und kehrte zu den anderen Dreien zurück. „Das war Toby", bestätigte er Jims Vermutung. „Wir treffen uns in zehn Minuten bei der Bowlingbahn."
„Wir gehen bowlen?", fragte Jim skeptisch.
„Du musst ja nicht mit", entgegnete Cat sofort und verschränkte die Arme. Jim blickte ihn genervt an.
„Wer sagt denn, dass ich deshalb nicht mitkomme?"
„Schon gut, Jungs", versuchte Sebastian die Situation zu entschärfen und sowohl Jim als auch Cat funkelten ihn böse an. „Wie wär's, wenn wir erst einmal den Einkauf ins Auto bringen und uns dann zu Fuß auf dem Weg zur Bowlinghalle machen?"
„Gut. Ich steige sowieso nur noch in diese Schrottkiste, wenn es wirklich sein muss."
„Wie wäre es, wenn du zurück zu deiner Scheiß-Schule läufst?", knurrte Cat. Jim ignorierte ihn.
Sebastian und Severin wechselten einen kurzen Blick - das erste brüderliche Verhalten, das sie heute an den Tag gelegt hatten. „Ähm, okay. Also... Jim, du und ich wir bringen kurz die Einkäufe weg und Cat, du kannst ja schon einmal mit Severin vorgehen."
„Okay", sagte Severin.
„Wir warten", erwiderte Cat im selben Moment und sah Jim noch einmal wütend an, der unbeeindruckt zurück starrte, bevor er Sebastian den Einkauf aus seinem Rucksack und den Autoschlüssel in die Hände drückte.
Sebastian schien beinahe erleichtert als Jim ihm schließlich mit seinem Beutel zu dem hellblauen Van folgte. Der Dunkelhaarige spürte deutlich Cats wachsamen Blick in seinem Rücken und konnte darüber nur die Augen verdrehen - der Ältere machte nicht unbedingt ein Geheimnis daraus, dass er Jim nicht mochte und der wusste genau woran das lag. Cat war eindeutig eifersüchtig auf ihn. Irgendwie fand er das amüsierend.
„Wieso grinst du so?", fragte Sebastian und blickte ihn von der Seite an.
„Hat Cat Angst, ich könnte dich in meinen Rucksack packen und dann wegrennen oder wieso ist er so ein Arsch?"
„Du bist auch kein Engel", stellte Sebastian fest und Jim hob gleichgültig die Schultern.
„Habe ich nie gesagt. Aber das beantwortet meine Frage, wieso Cat sich so an dich klammert, nicht."
„Tut er überhaupt nicht. Aber er war schon immer sehr... besitzergreifend. Du darfst dich davon nicht einschüchtern lassen" - Jim schnaubte verächtlich - „Er möchte glaube ich, einfach nicht, dass du ihn ersetzt."
„Könnte ich ihn denn ersetzen?" Sie hatten den Van erreicht und Jim stellte den Beutel vor der Schiebetür ab. Sebastian blickte ihn überrascht an. Vielleicht stellte man solche Fragen eigentlich nicht - woher sollte Jim das wissen?
„Ich kenne ihn schon ziemlich lang-"
„Und mich nur ein paar Wochen", fügte Jim hinzu.
„Ja, genau", sagte Sebastian, dann schien ihm etwas aufzugehen und er riss die Augen auf: „Nein! Ich meine, klar, ich kenne ihn schon länger als dich. Aber, ähm, wir können dennoch Freunde sein, oder?"
Jim zuckte beinahe zusammen. Vor Überraschung. Weil er sich erschrocken hatte. Er wusste es nicht. Freundschaft. Das war etwas, woran er nie einen längeren Gedanken verschwendete. Er brauchte so etwas nicht. Er kam schon immer ziemlich gut allein klar und wenn er doch einmal jemandes Hilfe brauchte, dann musste er sich nicht mit diesem anfreunden, um zu bekommen, was er wollte. Nicht, dass er nicht schon einmal einen Freund gehabt hatte - als er klein gewesen war, waren er und ein Junge namens Chester beinahe unzertrennlich gewesen, aber dann war er, Chester, weggezogen und Jim hatte nie wieder etwas von ihm gehört. Doch Jim hatte ihn nie vermisst - und er hatte sich gefragt, wozu ein Freund denn überhaupt brauchbar war, wenn man sich am Ende umsonst Mühe gemacht hatte.
Aber bei Sebastian war das irgendwie komplizierter. Jim wusste, dass er Sebastian brauchte. Weil Sebastian das Beste war, was er finden würde - jedenfalls war Jim sich da mehr als sicher. Und weil Sebastian sich Jim quasi von Anfang an an den Hals geworfen hatte - was ziemlich seltsam war, weil die Menschen dazu neigten, ihm aus dem Weg zu gehen (vielleicht hatte Sebastian einen schlechten Instinkt).
Erst nachdem er eine Weile vor sich hin gegrübelt hatte, bemerkte er, dass er noch antworten musste. Sebastian hatte mittlerweile das Auto aufgeschlossen und die Tür beiseite geschoben. Jim stellte den Beutel in den Van.
Dann stellte er sich aufrecht hin und blickte Sebastian ins Gesicht. „Klar", sagte er mit einem leichten Lächeln, das ihm einigermaßen leicht fiel. „Ich wäre gern dein Freund."
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Hach, ja :)
Wie geht es euch so? Jetzt, wo Wochenende ist, kann ich endlich entspannen - ich werde die Vorträge, etc., die ich noch machen muss einfach ignorieren und einfach meine Zeit verschwenden 😇
Was macht ihr so am Wochende?
Ach, und natürlich noch: Was haltet ihr vom neuen Kapitel? Cat scheint ja nicht unbedingt umgänglich zu sein xD
Jedenfalls wünsche ich euch ein schönes Wochende. Wir lesen uns!
LG
TatzeTintenklecks
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