»A brotherhood of man«
„Sieh mal einer an, wer wieder zum Unterricht erscheint!", dröhnte eine tiefe, männliche Stimme hinter Jim, als er sich einige Tage später in seiner Sportkleidung in der Halle neben den anderen Jungen einfand. Jim machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, sondern wartete einfach darauf, dass Mr Feargus ihn erreichte. „Hast du erkannt, dass es dir nichts nützt, immer nur zu schwänzen?"
Ich habe erkannt, dass Lehrer untereinander kommunizieren und ich keine Lust habe, Teller abzuwaschen, dachte Jim, schwieg allerdings, obwohl die Jungen um ihn herum ihn gespannt anstarrten, als würden sie auf den nächsten Schlagabtausch zwischen Schüler und Lehrer hoffen.
„Ich rede mit dir, James", sprach Mr Feargus, der inzwischen so dicht hinter Jim stand, dass der seinen feuchten Atem im Nacken spüren konnte, ihn erneut an. Jim knirschte mit den Zähnen.
Als sein Sportlehrer bemerkte, dass Jim offenbar nicht vorhatte, zu antworten, lief er weiter. Darüber war Jim ziemlich erleichtert, weil er dem Kerl, wenn er ihn noch einmal angeatmet hätte, in die Weichteile getreten hätte.
„So, Jungs!", rief Mr Feargus, klatschte in die Hände, sodass einige Jungen zusammen zuckten und stellte sich vor die Reihe aus Schülern. „Ihr hattet mittlerweile ja genügend Zeit zu üben, deshalb werden wir heute die Kontrollen am Seil durchführen." Das Grinsen in seinem roten Gesicht war so hässlich, dass Jim es ihm nur zu gern aus dem Gesicht gewischt hätte. Vorallem, da es ziemlich offensichtlich ihm, der in seiner Freizeit sicher nicht das Seilklettern geübt hatte, gewidmet war. „Fünf Runden einlaufen und dann an die Seile, Jungs!"
Die Jungen murrten unwillig. Mr Feargus warf ihnen einen strengen Blick zu und blies dann laut in seine silberne Pfeife, dass der schrille Ton in der Halle widerhallte. Mehrere der Schüler warfen ihrem Lehrer mordlüsterne Blicke zu, ehe sie dann doch losliefen. Vermutlich hatten sie ebenso wenig Lust wie Jim in den letzten beiden Stunden Sport zu machen.
Nur Sebastian und - zu Jims Missfallen - Isaac liefen anstandslos los und hatten vermutlich schon eine halbe Runde hinter sich gebracht bevor Jim auch nur daran dachte, sich in Bewegung zu setzen.
„Was ist, bist du eingeschlafen?", fuhr Mr Feargus ihn von der Seite an. Natürlich hatte er nur darauf gewartet, dass Jim etwas tat, wofür er ihn Maßregeln konnte. Jim verdrehte die Augen, biss kurz die Zähne zusammen und drehte sich dann zur Seite, um seinen Lehrer anzublicken.
„Eigentlich wollte ich nur sagen, wie sehr ich den Vorfall vor zwei Wochen bedaure. Ich war noch etwas neben der Spur, weil das alles neu für mich war und ich hoffe, das nehmen sie mir nicht übel." Irgendwie schaffte Jim es, aufrichtig zu klingen, obwohl die Worte wie Säure auf seiner Zunge brannten (zufälligerweise wusste er von manchen Säuren genau, wie sie schmeckten) und nichts ihm ferner lag, als diesem Mann um Vergebung zu bitten. Aber er musste auf gut Freund tun, sonst würde sein Plan, Mr Feargus loszuwerden, nie klappen. Oder besser gesagt, nicht, wie er es wollte.
Mr Feargus blinzelte dümmlich auf ihn hinunter und schien nicht so recht zu wissen, was er darauf erwidern sollte. Er wirkte beinahe enttäuscht, dass Jim ihm keinen weiteren Grund gab, ihn zu hassen.
„Schleim' dich bloß nicht bei mir ein, Junge", knurrte er schließlich und Jim dachte schon, er hätte diese Blamage umsonst durchgestanden, da wurde der Blick des rothaarigen Lehrers ein wenig besänftigter. Wenn er das richtig einschätzte. „Aber du kannst natürlich nicht ohne 'ne Mahnung davon kommen und ich denke, es ist auch klar, dass dich eine Strafe für dein Verhalten erwartet. Normalerweise hätte ich dich von der Schule verweisen können."
Das glaube ich kaum. „Ja, das ist mir bewusst. Und ich bin auch bereit, für mein Verhalten gerade zu stehen", sagte Jim mit einem leichten Nicken. Hoffentlich bemerkte Mr Feargus nicht, wie Jims Auge anfing zu zucken. Dieser Mann ging ihm ziemlich gegen den Strich und jetzt so nett zu ihm zu sein, erwies sich als schwierig, allerdings hatte er solche Schwierigkeiten auch schon zuvor gemeistert und würde sich von seiner Impulsivität ein einziges Mal nicht leiten lassen, um ein besseres Ziel als die Genugtuung, dass ein Erwachsener ihm nichts entgegen zu setzen hatte, zu erreichen.
„Gut, das du das einsiehst, James. Ich möchte, dass du dich an diesem Wochenende in der Bibliothek einfindest und Ms Wooden bei der Einsortierung der Bücher hilfst. Desweiteren werde ich dir ein F eintragen müssen, weil du so oft gefehlt hast. Das verstehst du doch?" Mr Feargus' setzte ein falsches Lächeln auf, das Jim daran zweifeln ließ, dass sein Plan, eine Versöhnung vorzuspielen, ganz aufgegangen war.
Seine Augen verengten sich ein winziges Stück. „Aber sicher verstehe ich das", sagte er höflich. Er warf einen letzten Blick auf Mr Feargus, der ziemlich zufrieden mit sich aussah, bevor er den anderen Jungen hinterher rannte und sich schon nach einigen Metern verfluchte, wieder zum Sportunterricht gegangen zu sein.
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„Der Typ ist doch echt bescheuert!", klagte Jim, während er sich mit einem Kamm durch die dunklen Haare fuhr. „Erst verdonnert er mich dazu, mein freies Wochenende in der Bibliothek zu verbringen und dann bekomme ich auch noch zwei schlechte Noten. Mal ehrlich, wozu ist Sport überhaupt gut? Selbst Menschen, die Sport treiben, sterben irgendwann. Und ehe ich mein Leben mit Sport vergeude, kürze ich das doch lieber ab!"
„Selbstgespräche sind nicht gut für dich, Jim!", kam es aus dem Zimmer, in dem Sebastians und Jims Betten standen. Jim knallte den Kamm auf das Waschbecken und schritt in den anderen Raum, wo er seinen Zimmergenossen zornig anfunkelte.
„Ich hoffe wirklich, das war ein Scherz, weil ich nämlich seit sieben Minuten mit dir rede!"
Sebastian, der sich über ein Schulbuch gebeugt hatte, sah auf und lachte. Jim wusste nicht, ob er über ihn lachte, aber es nervte ihn, dass Sebastian einen so guten Tag gehabt zu haben schien. Der Mistkerl hatte sogar die Kontrolle im Sportunterricht mit Bravour bestanden. „Und ich versuche seit sieben Minuten, Chemie zu verstehen, aber weil du die ganze Zeit rumjammerst, verstehe ich kein Wort."
Jim ließ sich auf sein Bett fallen. „Ich jammere nicht herum, du Blödmann. Ich erörtere Tatsachen. Und im Übrigens würdest du Chemie auch dann nicht verstehen, wenn ich nicht mit dir reden würde."
„Hast du mich gerade indirekt dumm genannt?"
„Im Anbetracht der Tatsache, dass ich das schon häufiger getan habe, bist du es wahrscheinlich auch", bestätigte Jim, der noch streitlustiger als sonst auch schon war. Der andere Junge schien das ebenfalls zu bemerken.
„Vermutlich hast du sogar Recht. Ich bin zu dumm, um irgendetwas zu kapieren, was wir in diesem Schuljahr behandeln. Und jetzt kommen schon die ganzen Arbeiten auf uns zu..." Sebastian seufzte theatralisch und klappte das Buch mit einem lauten Knallen zu.
Jim verstand nicht so richtig, wieso Sebastian so tat, als würde er sich überhaupt bemühen, etwas zu lernen. Im Unterricht starrte er meist mit leerem Blick vor sich hin oder hörte heimlich Musik. Einmal hatte Jim ihn dabei beobachtet, wie er kleine Papierkügelchen geformt, sie zu einem Netz zusammen geklebt und dann in den Rucksack eines Mitschülers gelegt hatte - vermutlich in der Absicht, dass sie bald wieder auseinander fallen und sich überall auf den Sachen verteilen würden.
„Die Arbeiten machen mir keine Sorgen", sagte Jim abwesend, während er an seiner Decke zupfte und an die Decke starrte. Abrupt richtete er sich auf. „Sag mal, wenn du dich mit Severin gestritten hast... Was tust du dann, um dich wieder mit ihm zu vertragen?"
Sebastians Augenbrauen schossen in die Höhe und nun legte er das Buch endgültig beiseite - offensichtlich war es ihm doch nicht so wichtig, Chemie zu verstehen. „Naja, meistens vertragen wir uns einfach so - wir ignorieren dann einfach, dass wir uns gestritten haben. Und wenn das nicht so ist, dann kommt eigentlich Severin immer auf mich zu. Wieso fragst du? Hast du dich mit Richard gestritten?"
„Was sagt Severin dann zu dir?", fragte Jim und ignorierte Sebastians Fragen.
Dieser hob die Schultern. „Ich weiß nicht... Dass es ihm leidtut und er es nicht so gemeint hat, zum Beispiel." Dann müsste Jim allerdings lügen - was er Richard gesagt hatte, entsprach nur der Wahrheit und er sah es nicht ein, dies zu leugnen. Andererseits kam er bei manchen Menschen nur durch das Lügen weiter und vielleicht würde auch sein Bruder nun zu solch einem Menschen werden.
„Aber eigentlich geht Streit meistens von mir aus", gab Sebastian zu, um die Stille zu füllen, da Jim nichts weiter erwiderte. „Und mich beschimpfen tut er eigentlich auch fast nie. Mit ihm zu streiten, ist als würdest du dich mit einem sehr höflichen Hund streiten."
Jim wurde jetzt doch aufmerksamer. „Wieso ein Hund?" Er legte fragend den Kopf schief. Sebastian fuhr sich verlegen durch die blonden Haare.
„Ist vielleicht eine blöde Analogie. Aber, egal, was ich sage, Severin stimmt mir zu. Er macht fast alles, worum ich ihn bitte. Wie ein Hund eben. Und mir widersprechen tut er auch nur selten. Das, was du im Supermarkt mit ansehen musstest, war schon fast eine Rebellion aus Severins Sicht. Wenn ich es mir recht überlege, ist ein Grund, wieso wir so oft streiten, der, dass er keine eigene Meinung zu haben scheint. Und dass es mich nervt, dass er mir immer alles nach plappert." Scheinbar unbewusst hatte Sebastian seine Hände zu Fäuste geballt und Jim versuchte den Sinn hinter Sebastians Worten zu finden. Er verstand Sebastians Standpunkt nicht wirklich. Es war doch gut, wenn man Menschen hatte, die alles taten, worum man sie bat. Wenn sie nie widersprachen - noch besser. So ähnlich wie Sebastian seinen Zwilling beschrieb, war es auch bei Jim und Rich.
Schon seit sie jung waren, hatte immer Jim darüber bestimmt, was sie taten. Selbst als Richard vor wenigen Jahren auf eine weiterführende Schule gewechselt war und seine ersten Freundinnen mitgebracht hatte, hatte Jim ihn noch kontrollieren können. Ein beiläufiger Kommentar, dass er seine Freundin nicht ausstehen konnte und schon verkündete Rich am nächsten Tag, dass er sich von ihr getrennt hatte. Für Jim war das immer richtig gewesen - so war der natürliche Lauf in seinem Leben: er wollte etwas und Rich tat es für ihn. Jetzt fragte er sich doch, ob das wohl ein Grund war, wieso Richard, selbst, nachdem er aus Dublin zurückgekehrt war, noch immer nicht mit Jim geredet hatte.
Vielleicht fühlte er sich hintergangen. Beraubt. Aber so wie es immer gewesen war, gefiel es Jim ganz gut. Er wollte nichts an seiner Beziehung zu Rich ändern.
„Hörst du mir überhaupt zu, Jim?", riss Sebastians tiefe Stimme ihn aus seinen Gedanken und er fuhr blinzelnd zurück in die Realität.
„Nein. Ich habe nachgedacht."
Sein Zimmergenosse - eigentlich könnte er aufhören ihn so zu nennen, wo sie doch jetzt Freunde waren - seufzte tief. „Ich habe gesagt, dass, wenn du dich mit Richard gestritten hast, du dich mit ihm vertragen solltest. Brüder müssen füreinander da sein."
Jim verzog das Gesicht. „Wer sagt denn, dass ich mich mit Rich gestritten habe?"
Sebastian sah verdutzt aus. „Naja, du hast es eben nicht verneint. Da dachte ich..." Er unterbrach sich selbst. „Ihr habt euch also nicht gestritten?"
„Doch. Glaube ich. Richard scheint jedenfalls wütend auf mich zu sein."
Sebastian legte sich hin und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Dann solltest du auf jeden Fall mit ihm reden. Vielleicht geht er dir auch einfach eine Weile aus dem Weg, weil er die letzten Jahre mit dir verbringen musste und nun die Zeit genießen möchte, in der du ihn nicht nervst."
Jim verdrehte die Augen. „Wie lustig", sagte er trocken. Unentschlossen stand er auf und strich sich die Jeans glatt. „Denkst du, ich sollte jetzt gleich gehen?" Er hasste sich ein wenig selbst dafür, dass er so unsicher war und Sebastian andauernd Dinge fragte, die er auch selbst entscheiden könnte. Und er hasste Sebastian dafür, dass er auf alles eine Antwort zu haben schien (außer auf Mathe und Chemie).
Sebastian linste auf sein Handydisplay. „Es ist noch nicht zu spät und bevor Richard irgendetwas anderes vorhat, solltest du es vielleicht versuchen."
„Ja, okay." Jim durchquerte zielstrebig das Zimmer und blieb dann doch noch einmal vor der Tür stehen.
„Was ist jetzt? Sag bloß, du hast Angst, mit deinem Bruder zu reden."
Jim wirbelte halb zu Sebastian herum. „Nein!", fuhr er ihn an und verfluchte sich dann selbst für seine Reaktion, weil diese es so aussehen ließ, als hätte er sehr wohl Angst. Dabei wusste Jim einfach nicht wie er sich verhalten sollte. Er hoffte noch immer, dass Richard auftauchen und sich bei ihm für sein dämliches Verhalten entschuldigen würde. Denn er brauchte das Wissen, dass Richard auf seiner Seite war. Er war so etwas, wie sein Joker, den er schon oft hatte ausspielen müssen und auch, wenn Jim es nicht gern zugab, war Rich zurzeit nicht ersetzbar. Obwohl er daran arbeitete, dass er es doch sein würde. Jim warf Sebastian einen kurzen Blick zu.
„Ich habe so etwas vorher noch nie gemacht", gab Jim schließlich zu und spannte unruhig den Kiefer an.
Anstatt auch darüber zu lachen oder ihn ungläubig anzusehen, lächelte Sebastian ihn nur leicht an. „Das schaffst du. Einfach ein paar Worte, dass er etwas falsch verstanden hätte und es dir leidtut. Und vielleicht noch eine Umarmung."
Jim verzog das Gesicht. „Sicher nicht."
Sebastian zuckte mit den Achseln. „Dann eben nicht. Was hast du nur gegen Berührungen?"
Jim unterdrückte ein Schaudern. „Ich mag es nicht, wenn man mich berührt. Das ist... seltsam."
Der andere Junge hob nur eine Augenbraue. „Wenn du meinst. Jedenfalls wird es sicher kein Problem darstellen, sich bei ihm zu entschuldigen. Du hast dich doch auch heute bei Mr Feargus entschuldigt." Das war nun wirklich etwas ganz anderes, obwohl Jim nicht so genau erklären konnte, wieso es etwas anderes war - außer, dass er Mr Feargus deutlich mehr hasste als seinen Bruder und ihn schleunigst loswerden wollte, während er seinen Bruder dazu bringen wollte, mit den albernen Spielchen, dass er ihn ignorierte und nicht mit ihm sprach, aufzuhören. Also gab es vielleicht doch einen Unterschied.
„Gut... Danke." Jim fiel es noch immer nicht leicht, dieses Wort auszusprechen, aber er hatte das Gefühl, dass Sebastian das jetzt hören wollte.
„Kein Problem. Ach, und Jim?" Jim drehte sich noch einmal um, als er sich schon wieder der Tür zugewandt hatte, und sah den Blonden fragend an. „Wenn du wiederkommst, bin ich wahrscheinlich weg. Nicht, dass du dich wunderst." Wieso sollte ich?
„Wohin gehst du?", fragte Jim uninteressiert und öffnete die Tür.
„Lernen."
Jim schnaubte verächtlich: „Sicher." Dann zog er die Tür hinter sich zu.
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Hallo! :)
Heute habe ich eigentlich nichts zu sagen, was irgendwie seltsam ist xD
Mhm, ja... Ich fühle mich verpflichtet etwas zu schreiben, weil ich das immer tue, also... Ich bin erkältet. Und dadurch heiser. Und es klingt lustig, wenn ich lache 😇
Das hier war wohl eher ein kleineres Zwischenkapitel, aber bald schon werden sich die Ereignisse überschlagen und ich muss gestehen, dass ich mich darauf echt freue :D
Okay, ich will euch nicht mit meinem sinnlosen Geschreibe nerven, deswegen wünsche ich euch ab hier einfach noch eine schöne Woche! 😃❤
LG
TatzeTintenklecks
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