5. Unlust vermeiden
[Dieser 5. Teil der "HOW TO" Serie ist nun auch auf meinem Autorenkanal zum Anhören zu finden.]
Auch zum zweiten Punkt gibt es etwas zu sagen. Die These war hier: "Das Planen und Festlegen von Charakteren und Handlung verbasselt uns im aktiven Schreiben später die Kreativität und letztlich die Freude am Schreiben - was zur Stagnation und schließlich zum Aufgeben der Story führen kann. Mit anderen Worten: Wir erwarten, dass wir uns schon bald mit den bereits erfundenen und festgelegten Aspekten langweilen werden. Wir kollidieren mit ihnen, weil wir sie womöglich bald schon nicht mehr so genial finden werden wie zu Beginn. Dann könnten geplante Inhalte und Abläufe uns im Weg sein.
Fakt ist, dass immens mehr ungeplante und spontan gestartete Geschichten zu Schubladenleichen werden, als Stories, die mit einer sinnhaften Planung und Struktur am Start standen, womöglich nach längerer Reifezeit sämtlicher Ideen. Das hat einen Grund, wenn man sich einmal ansieht, wie die verschiedenen Unsicherheiten aussehen, mit denen sich Autoren manchmal herumschlagen. Diese Handicaps treffen nämlich viel häufiger und härter, wenn man kein Handlungsgerüst, keinen tieferen Sinn der Story, keine konkreten und stimmigen Charaktere und Beziehungen und keine Spannungsbögen, keine Dramaturgie ausgearbeitet hat.
Wer sich beim Schreiben offen halten will, woher der Chrarakter kommt, wohin er geht und warum, was seine Handicaps, Beweggründe und Ziele sind, beginnt im Grunde, die Mauern seines Hauses hochzuziehen, bevor er überhaupt dem Architekten seine Idee vermittelt hat. Beim Schreiben sind wir Architekten der eigenen Sache; Wenn die Statik nicht gecheckt, die Räume und Winkel nicht vermessen, die Fenster noch nicht im Plan verzeichnet und die Grundfläche nicht angelegt ist, muss das Haus, das wir bauen, am Ende zusammenbrechen.
Es funktioniert auf vielen Ebenen und an vielen Ecken nicht - oder nur durch Zufall und mit verschiedenen Hürden, ärgerlichen Schwierigkeiten, Hemmnissen und sogar teilweisen Abrissen, um einen Teil noch einmal und diesmal besser und sinnhafter zu gestalten. Alle, die nicht sorgfältig planen, werden schon einmal vor der Entscheidung gestanden haben, einige oder viele Kapitel, bestimmte Charaktere oder Einfälle, die den Sinn der Story betreffen, vielleicht auch den Anfang, den Einstieg in die Geschichte wieder zu löschen, es wegzunehmen und an der Stelle wieder ganz von vorne anzufangen.
Das kann auch mehrmals so gehen, nicht nur, weil man eventuell manches nicht so schön getroffen hat, wie es eigentlich gedacht gewesen war, sondern allein bereits deshalb: Weil wir uns beim ungeplanten Schreiben vorbehalten, die Dinge auch spontan anders umsetzen zu wollen, als wir es gerade getan haben. Da gibt es späte Einfälle, die uns besser und schöner, wirkungsvoller oder spannender erscheinen, aber um diese mit einbringen zu können, müssen wir immer wieder manches, was bereits umgesetzt war, wieder löschen oder aufwändig umarbeiten.
Oder wir wissen plötzlich nicht mehr, wohin mit diesem oder jenem Nebencharakter, wir haben die Lust verloren, seine Story und seinen Einfluss auf den Hauptcharakter noch viel weiter zu spinnen und überlegen deshalb, wie wir ihn entsorgen können. Ein Grund, warum bei nicht wenigen Spontanschreibern im ersten Drittel der Geschichte immer wieder Charaktere sterben. Oder der Hauptcharakter zieht plötzlich in eine andere Stadt, trennt sich von Freunden oder dem Liebespartner, der Hund stirbt, und was sehr gerne genommen wird, wenn man zu spät merkt, dass die Eltern und Geschwister des Hauptcharakters den neuesten Handlungsideen im Weg sind:
Es gibt dann diesen furchtbaren Hausbrand, in dem alle gemeinsam sterben, die Mafia mäht die Familie im Italienurlaub nieder oder sie sterben beim Autounfall. Dasselbe mit Nebencharakteren, die für Inspiration A noch gebraucht wurden - bis unser Einfall B den Charakter plötzlich überflüssig macht; dann muss er weg und wir lassen ihn irgendwie ... verschwinden. Er wird von Aliens entführt, kommt von einer Wanderung durch Kanadas Wälder nicht mehr zurück, oder ... wir fabrizieren diesen klassischen Break: Er streitet mit dem Hauptcharakter, sie trennen sich voneinander und er zieht in eine ferne Stadt und wird nicht mehr gesehen.
Aber wenn wir das tun: Warum war er dann in der Geschichte, welchen Sinn hatte es, ihn da überhaupt mit hinein zu nehmen? Das sind die gefährlichen Momente, in denen wir spürbar die Lust an der eigenen Geschichte verlieren können. Löschen müssen ist frustirerend, neu schreiben müssen ist ein Aufwand, der uns die Freude am Schreiben und die Lust auf ein schnelles Vorwärtskommen ausbremst.
So entstehen die Leichen in unseren Schubladen; wir arbeiten wie ein konfuser und eigensinniger Regisseur, der sich eine planvolle und detaillierte Ausarbeitung des Scripts sparen und gleich auf seine Lieblingsszenen losstürmen wollte - und nun bleibt er immer wieder stecken, ist unzufrieden mit allem, was er ausarbeitet und verliert sogar die Lust am Verfilmen dieser speziellen Geschichte und möchte lieber etwas ganz neues und anderes machen, als sich weiter auf der selbst fabrizierten Dauerbaustelle im Kreis zu drehen und dabei Geld, Zeit und Nerven zu verschwenden.
Darum planen Regisseure - damit so etwas niemals passiert - und legen sich in den grundlegenden Dingen fest, kalkulieren vorher, ob es hier oder da Schwierigkeiten in der Umsetzung geben könnte und bauen vor, indem sie für einen machbaren Entwurf sorgen. Sie haben Erfahrung mit den Vorteilen, die eine gute Organisation mit sich bringt, mit der Verfolgung gut durchdachter Pläne und mit der konsequenten Haltung, die für ein kontinuierliches und diszipliniertes Arbeiten erforderlich ist.
Als Autoren sind wir tatsächlich nicht nur kreative Produzenten spontaner Einfälle und Bilder, sondern wir sind bei allem, was wir an unserer Geschichte tun, vor allem Regisseure. Regie führen bedeutet, dass wir genau wissen, was zu tun ist. Wir haben sehr konkrete Vorstellungen von den Chrarakteren und deren Handlungen. Die einzelnen Szenen haben wir klar vor Augen, und sie sind bereits in ein konkreteres Konzept eingebettet, wenn wir mit dem Filmen beginnen. Ein Regisseur muss sehr konkret planen. Er arbeitet mit Drehbuch und Storyboard, mit Assistenten, die beides vor der Nase haben und genau wissen, wann, wie und mit welchen Darstellern woran gearbeitet wird.
Natürlich "müssen" wir so nicht vorgehen. Aber wenn wir uns vorstellen, dass wir Regisseure unserer Geschichten sind, dass wir Chef und Profi sein müssen in den wesentlichen Belangen, die unsere Geschichte betreffen und dass jedes Gelingen von unserem Überblick und unseren überlegten Entscheidungen abhängt ... dann haben wir zu Beginn zwar erst einmal mehr Arbeit - vor allem auch der Art, die wir vielleicht nicht so gerne machen. Aber am Ende lässt sich eine gelungene Regie absolut spüren, sie strahlt aus allen gut durchdachten und wunderbar funktionierenden Details.
Hier einmal ein paar Beispiele, um zu verdeutlichen, wie Planung oder Nichtplanung sich oft auswirken:
1. Problem: "Ich habe eine Schreibblockade und finde schon länger nicht mehr in meine Geschichte hinein."
Wenn wir einen Plan gemacht haben, der uns zeigt, was da nun - zumindest grob genommen - als nächstes kommen müsste, haben wir es leichter, die Schreibblockade zu überwinden. Wir sehen uns an, wo wir in der Geschichte aktuell stehen geblieben sind und erkennen dann schnell, wie es weitergehen muss. Manche Schreibhemmung steht als Fettnapf eher für spontan Schreibende bereit, denn diese haben dann nichts, woran sie sich orientieren können und was ihnen die nächsten Schritte vorgibt. Sie sind nämlich in dem Moment noch nicht erfunden. Um schreiben zu können, müsste man als Nicht-Planer also immer erst einmal diese - nicht selten unbeliebte - Aufgabe der Planung und theoretischen Ausgestaltung der Szene absolvieren, zumindest so weit, dass man überhaupt etwas hat, was man schreiben könnte. Wenn wir vorgeplant haben, müssen wir also nur einen Blick in unsere Unterlagen werfen, und schon können wir uns in die kreative und spaßige Seite der Sache werfen und die Szene ausschreiben. Wenn mich dagegen erst einmal ein aufwändiges Stück Planung und ein Haufen theoretischer Überlegungen erwartet - und das jedes Mal, wenn ich weiterschreiben will - wie sollte ich da keine Schreibblockade haben?
2. Problem: "Ich habe keine Lust auf die nächsten Szenen, weil mir vorhin etwas besseres eingefallen ist als das, worauf ich bis heute hingeschrieben hatte. Jetzt bin ich unschlüssig, ob es nach der ersten Version oder der neuen Idee weitergehen soll. Die neue finde ich irgendwie besser, aber viele Details in den vergangenen Szenen bauen nun leider auf der alten Version auf, und wenn ich mich ab hier für die neue Idee entscheide, stimmt da in den vergangenen Kapiteln vieles nicht mehr bzw. ist überflüssig geworden."
Was passiert? Ich kann nicht weiterschreiben, denn ich will mich mit der alten Version nicht weiter langweilen und aber auch für die neue Idee nun nicht alles bereits Geschriebene umarbeiten müssen. Allein die schwierige Entscheidung und auch der Gedanke, dass mich da jetzt eventuell ein Haufen Änderungsarbeit erwarten könnte, lässt meine Lust auf das Weiterschreiben der Geschichte in den Keller sinken.
Das ist das Ding mit der Begeisterung und Liebe für den eigenen Plan, das Entzücken über die eigene Sammlung von Ideen und deren Ausarbeitung. Wenn ich mir viele Gedanken zu Story und Charakteren mache - so intensiv und lange, bis ich tatsächlich das Grundgerüst einer wunderbaren Geschichte und liebenswerter Charaktere vor mir auf dem Tisch habe - dann wird mir später wesentlich seltener die Lust auf dieses Konzept ausgehen. Ich arbeite so lange an der Planung und tausche dabei die Einfälle und Ideen so lange aus, bis ich sicher bin, meine Story, meine Charaktere gefunden zu haben. Wenn wir planen, dann müssen wir am Ende sicher sein: Das ist jetzt so gut, so abenteuerlich, so schön oder spannend - oder alles zusammen - dass die Begeisterung darüber mich easy bis ans Ende meiner Schreibarbeit bringen wird.
Das Feuer, nach dem ich suche, wenn ich über eine neue Geschichte nachdenke, muss so energiereich und hell sein, dass es ausreicht, auch Unsicherheiten und Zweifel, spontane andere Einfälle und auch zeitweise Schreibunlust zu überstehen.
Einmal festgelegt auf eine richtig gute Geschichte und entsprechende Charaktere, sollten wir in der Spur bleiben und das Ganze durchziehen bis zum Schluss. Es wird auch hier genug Momente geben, in denen wir sehr frei und spontan gewisse Dinge ausgestalten, sogar einen weiteren Charakter dazu nehmen und in spontanen Ideen für unsere Details schwelgen können. Wir werden spielen dürfen, aber das Grundgerüst der Geschichte, in der auch der Sinn zu finden ist, sowie auch die Basis der wichtigen Charaktere, sollten stabil bleiben und konsequent umgesetzt werden.
Wenn dies unsere Regel ist: "Wir verfolgen den Plan und schreiben die Geschichte fertig" - dann wird nichts uns so schnell ablenken oder an der Qualität unserer Geschichte zweifeln lassen. Spontane Ideen, die sich im Rahmen dieses Planes, von dem wir überzeugt sind, aber nicht umsetzen lassen, behalten wir für viel später, vielleicht für eine weitere Geschichte oder eine Fortsetzung dieser, an der wir gerade arbeiten. Wenn wir in unseren Gedanken Schätze finden, müssen wir sie nicht wegwerfen oder sie alternativ in die laufende Story integrieren; wir können ein Notizbuch anlegen für Gedankenschnipsel und Einfälle, für Abzweigungen und alternative Ideen.
So geht uns nichts verloren und wir lassen gleichzeitig unseren geheimen Fundus wachsen: Wie ein Theaterkeller enthält er all die alternativen und gerade nicht verwendeten Requisiten und Kleidungsstücke, die überflüssigen Brautkleider und nicht gebrauchten Bettellumpen, die Siebenmeilenstiefel und Zauberstäbe, die Drachensteine und Tarnumhänge, die der Hauptcharakter für die aktuelle Geschichte gerade nicht benötigt - sie kommen nicht vor und haben keinen Platz, weil das diesmal nicht im Drehbuch steht.
Disziplin ist das Zauberwort, mit dem wir ständig und immer arbeiten, dann passieren uns keine Umwege und Abrisse, keine Löschungen des Geschriebenen der letzten drei Monate und keine Unlust wegen einer brillianten, aber doch hier gerade nicht passenden Idee, es sei denn, wir würden ... nein, Finger weg! Schreib die Story, wie sie mit guter Überlegung festgesetzt war - immerhin war das einmal gut genug, um dich in Flammen zu setzen. Du warst glücklich mit der Idee, du fandst sie gut, also - schreib das zuende!
Wenn wir aber tatsächlich einen so großen Schritt machen, wenn wir tief eingreifen in die Planung unserer Geschichte, um ab einem früheren Zeitpunkt allem eine ganz andere Wendung zu geben, dann sollten wir das nur tun, wenn wir bei der Planung wirklich Murks gemacht haben. Wenn wir wesentliche Aspekte, irgendetwas Wichtiges übersehen haben und die Geschichte dehalb ab einem gewissen Punkt nicht mehr funktionieren wird. Und auch alternative Einfälle für manche Details oder Wendungen, die erst noch geschrieben werden müssen, sind erlaubt. Weil sie an den Dingen, die bereits ausgearbeitet und umgesetzt sind, nicht kratzen und dort keine irrsinnigen Änderungen erfordern.
Und ja, das alles ist und bleibt nur ein Vorschlag, EiNE Art und Weise, wie wir planen und mit Planung umgehen können. Aber wenn wir das nicht machen und uns stattdessen dafür entscheiden, spontan und frei drauflos zu schreiben, dann sollten wir Meister im Aushalten und Auflösen von Schreibblockaden sein. Und jederzeit damit rechnen, dass wir uns verrennen - und dies so gründlich, dass wir die Lust am Weiterschreiben unserer Geschichte unwiederbringlich verlieren.
Im nächsten Teil geht es um sich selbst entwickelnde Charaktere. Geht das - dass der Charakter von uns unreif und improvisiert ins Feld geschickt wird und wir dann abwarten, wie er sich verhält und welche Eigenheiten und Wesenszüge er von sich zeigen will?
Wenn Euch die "HOW TO" Reihe oder auch einer meiner Romane zum Selbstlesen oder in der Hörbuchform (die Adresse meines YT Kanals findet Ihr unter meiner Profilbeschreibung) gefallen, dann gebt doch bitte einen Stern, ein Like für diese Teile! Ich freue mich über jede kleine Unterstützung und jedes geäußerte Interesse, z.B. in Form eines Kommentars und Feedbacks zum Inhalt. Wenn Ihr eigene Gedanken oder auch Fragen habt, ich antworte unter Garantie.
Abonniert den Hörbuchkanal auf YT oder folgt meinem Autorenprofil auf Wattpad, wenn Ihr über die neuesten Updates meiner Romane und der Serie "HOW TO ... schreiben und so" informiert sein wollt. Vielen Dank fürs Lesen!
Ende Teil 5
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro