»So I ran to the Devil - he was waitin'«
Die Adresse, die Moriarty ihm gesendet hatte, führte ihn in eine kleine Bibliothek im Keller einer Bar.
Einen Moment war Sebastian verwundert ob der Öffentlichkeit dieses Ortes, dann sah er jedoch, dass an der hölzernen Tür ein kleiner Zettel hing, der Vorbeischauende darüber informierte, dass die Bibliothek an dem heutigen Tag wegen Krankheit geschlossen war. Unschlüssig blieb Sebastian davor stehen, drehte das Telefon in seinen Händen und versuchte, das unangenehme Kribbeln in seiner Magengegend zu ignorieren.
Es war noch früh am Morgen und in dieser Seitenstraße, in der vor allem Pubs und Restaurants standen, war es ruhig, aber Sebastian sah sich dennoch genauestens um, ehe er nachdrücklich an die Tür klopfte. Im nächsten Moment hätte er sich gern dafür geschlagen: Hatte das jetzt zu fordernd geklungen? War es zu auffällig? War er hier überhaupt wirklich richtig, oder hätte er vor der Tür warten sollen?
Doch die Tür schwang auf und eine Frau mit Nasenring und blonden Dreadlocks musterte ihn von oben bis unten. Sebastian öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber da winkte die Frau ihn mit einem kurzen Blick nach draußen bereits hinein.
In der Bibliothek war es stickig und warm, ganz anders als draußen, wo die Luft noch immer vor Kälte klirrte und der Winter weiterhin nicht ganz von London ablassen wollte. Als die Frau die Tür hinter ihm schloss, wurde es sogleich sehr viel dunkler und Sebastian griff unbewusst nach seiner Waffe, die er mittlerweile sogar im Schlaf bei sich trug.
Falls die Frau es bemerkte, ließ sie sich nichts anmerken. Sie musterte ihn nur noch einmal und ihr Blick hatte etwas Kritisches, etwas Kalkulierendes, als würde sie abschätzen, wie er sich in einer Prügelei so machen würde.
Sie sah so aus, als könnte sie es trotz Sebastians militärischer Ausbildung locker mit ihm aufnehmen. Sie trug ein schwarzes Top, wodurch Sebastian ihre muskulösen Arme sehen konnte, die sie vor der Brust verschränkte. Sie trug mindestens zwei Pistolen bei sich und auf ihrer dunklen Haut hatte sie allerlei Tattoos, die zwei, die Sebastian am meisten ins Auge stachen, ein Messer auf ihrem Unterarm und ein Nirvanasmiley an ihrem Handgelenk. Auf ihrem Gesicht fand sich keinerlei Spur einer Regung.
Sebastian wusste nicht so recht, was er von ihr halten sollte, und ob er vielleicht hier war, um sie zu treffen. Vielleicht konnte die Frau Gedanken lesen, denn sie sprach zu ihm, bevor Sebastian ein Wort herausbrachte:
„Der Boss ist gerade noch beschäftigt, aber er kommt auf dich zurück, sobald er sein Telefonat beendet hat." Sie rümpfte die Nase, als würde ihr der nächste Satz aus ihrem Mund ganz und gar nicht behagen: „Kann ich dir so lange ... einen Tee anbieten?"
Sebastian versuchte, einen Blick hinter sie zu erhaschen, aber dort lag der Raum beinahe vollständig im Dunkeln und er konnte nur einige vollgestellte Bücherregale erahnen. Wenn er ein wenig die Ohren spitzte, bildete er sich jedoch ein, tatsächlich eine gedämpfte Stimme in einem scheinbar einseitigen Gespräch zu hören. „Ich-" Sebastian räusperte sich und sah sich erneut vorsichtig um. „Ja, gerne. Danke."
Eigentlich war ihm so gar nicht danach, in dieser staubigen Bibliothek einen Tee, oder irgendein anderes heißes Getränk, zu trinken, aber er wollte auch nicht schweigend mit der Frau vor der Tür warten.
Stattdessen folgte er ihr still in eine kleine Küche, in der gerade eine Mikrowelle, ein Tisch mit einem einzigen Stuhl, ein Kühlschrank und der Wasserkocher auf dem Tisch Platz fanden. Um der Frau genügend Freiraum zu lassen, lehnte Sebastian sich an den Türrahmen und beobachtete, wie sie Wasser aufsetzte und vom Kühlschrank herunter zwei Tassen, eine Teekanne, eine Packung Schwarztee und ein Teesieb nahm. Er war nicht gewillt, sie aus den Augen zu lassen, aber glücklicherweise schien die Frau sich nichts aus seinen Blicken zu machen. Unbeeindruckt nickte sie zu dem Schwarztee: „Milch?"
Sebastian nickte und sie riss den Kühlschrank mit mehr Gewalt, als möglicherweise nötig gewesen wäre, auf. Während sie etwas Milch in die zwei Tassen verteilte, räusperte Sebastian sich erneut: „Ich denke nicht, dass wir uns bereits vorgestellt wurden. Ich bin Sebastian."
Die Frau hielt kurz im Teemachen inne und schüttelte dann den Kopf. „Freut mich, Sebastian", sagte sie, aber sie klang nicht, als würde sie sich wirklich freuen. Sebastian wartete darauf, dass sie sich ebenfalls vorstellte, aber stattdessen begann sie, den Tee aufzugießen.
Irgendwann hielt Sebastian es nicht mehr aus. „Und du bist?"
Erneut hielt die Frau inne und starrte auf den Tee, als würde der ihr Antworten auf Sebastian unbekannte Fragen liefern. „Weißt du", sagte sie schließlich, ohne sich umzudrehen, „in diesem Geschäft vermeiden wir es normalerweise, Namen zu nennen. Aber wenn du einen brauchst, nenn mich Medea."
Sie drehte sich zu ihm um und noch immer konnte Sebastian nichts aus ihrer Mimik lesen.
„Wie diese griechische Hexe, die ihre eigenen Kinder getötet hat?", fragte Sebastian und da schien tatsächlich so etwas wie ein Lächeln an ihren Lippen zu zupfen.
„Ganz genau."
„Das ist aber nicht dein richtiger Name, oder?"
„Natürlich nicht." Medea drehte sich um und griff nach den Tassen, woraufhin sie eine an Sebastian weiterreichte, der sich mit einem Nicken bedankte.
„Tja, Sebastian ist mein richtiger Name. Nächstes Mal sollte ich mir vielleicht auch einen coolen Decknamen überlegen."
„Solltest du", stimmte Medea zu und nahm einen Schluck von ihrem Tee. Sebastian tat es ihr gleich und verbrannte sich prompt die Zunge. Er ließ sich nichts anmerken, aber er könnte schwören, dass Medea es trotzdem wusste - da war wieder dieses winzige Lächeln, das nur als solches wahrzunehmen war, weil sie die ganze Zeit einen völlig neutralen Gesichtsausdruck trug.
„Vielleicht Apollo." Sebastian schwenkte seinen Tee und sah zu, wie dieser und die Milch sich weiter vermischten. „Der war doch auch ein ziemlich guter Schütze, nicht wahr? Als Gott der Bogenschützen und so."
„Seit wann kennst du dich denn mit der griechischen Mythologie aus?", fragte da eine Stimme hinter ihm und Sebastian zuckte so heftig zusammen, dass der Tee überschwappte und mit einem Klatschen auf dem Boden landete.
Sebastian fuhr herum. Im Hintergrund hörte er Medea leise seufzen und sah sie aus dem Augenwinkel nach einem Handtuch, das am Kühlschrank hing, greifen.
Er hatte jedoch nur Augen für den Mann vor sich.
Moriartys Blick war so dunkel und unergründlich wie eh und je und obwohl ein amüsiertes Lächeln seine Lippen umspielte, war er noch besser darin, sein Gemüt zu verstecken als Medea; vielleicht weil diese auf Neutralität setzte, während Moriarty eine Maske trug. Neben seiner Maske trug Moriarty eine dunkle Anzugshose und ein langärmliges, weißes Hemd, aber das Jackett dazu hatte er offenbar abgelegt. Seine Haare waren ordentlich zurückgegelt und sein Stand war locker und offen, die Hände in den Taschen.
Sebastian wusste nicht, was er tun sollte und bevor er Moriarty gestand, dass sein mythologisches Wissen von einer Affäre während seiner Zeit bei der Armee stammte, biss er sich lieber auf die Zunge.
Dass er ihm so die Sprache verschlagen hatte, schien Moriarty nur noch mehr zu amüsieren. Er ließ seinen Blick über Sebastian gleiten - unrasiert, in zerschlissener Lederjacke und in ausgeblichenen Jeans - und schnalzte dann mit der Zunge. „Auch dir ein fröhliches Hallo, Sebastian."
Sebastian schaffte es nicht einmal, sich zu räuspern. „Hallo", würgte er hervor und wie auf ein Stichwort schoss Moriartys Blick von ihm zu Medea, die Sebastians Tee mittlerweile aufgewischt hatte.
„Würdest du uns einen Moment allein lassen, meine Liebe?"
Sebastian drehte sich zu Medea um und sah gerade, wie sie ihm einen kurzen Blick zuwarf, ehe sie sofort wieder zu Moriarty sah und kurz nickte. Auf dem Weg nach draußen, zog sie ihm seine Pistole aus dem Hosenbund und sofort hatte Sebastian das Bedürfnis, ihr hinterher zu stürzen und sie ihr aus der Hand zu reißen. Stattdessen blieb er schutzlos zurück und starrte auf seine Schuhe, während Moriarty Medeas Rückzug beobachtete.
Als sie ihm weit genug weg schien, schloss er die Tür zur Küche, die Sebastian nicht einmal bemerkt hatte. Dann schaltete er das Licht ein und Sebastian blinzelte in die plötzliche Helligkeit der gelben Lampen.
„Wir haben uns eine Weile nicht gesehen, Soldat." Moriarty lächelte immer noch und es war kein grausames Lächeln, wie man es bei seiner Berufung meinen könnte, aber es war auch kein freundliches Lächeln, wie man es seinem Ton entnehmen könnte. „Nein, ehrlich, du musst nicht stramm stehen, Sebastian. Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun."
Es gelang Sebastian nicht wirklich, sich zu entspannen. In dem Versuch, versteifte er sich höchstens noch mehr und Moriarty sah mit einem Seufzen darüber hinweg und lehnte sich stattdessen an die Wand auf der einen Seite des Tisches, gegenüber des leeren Stuhls.
„Ich bin zwar nicht hier, um dir etwas anzutun, aber ich bin auch nicht nur aus Freundlichkeit hier", erklärte er weiter und deutete mit einer winzigen Handbewegung auf den Stuhl - ein Wink, dass dies kein Gespräch auf Augenhöhe war und Sebastian sich setzen sollte. Sebastian setzte sich. „Genauer gesagt benötige ich deine Dienste bei etwas, Sebastian." Moriarty hielt inne und Sebastian spannte sich noch ein wenig mehr an; das hier klang nicht gerade gut, wenn nicht sogar war es unheilschwanger. „Aber ich war unhöflich, ich wollte dir eigentlich bevor wir zu diesem ganzen Zeug kommen, mein Beileid aussprechen. Jetzt sind es zwanzig Jahre, richtig?"
Sebastian nickte und weil er das Gefühl hatte, dass Moriarty das nicht reichen würde, sagte er mit rauer Stimme: „Richtig. Fühlt sich nicht so lange her an."
Moriarty nickte verständnisvoll, aber Sebastian wusste, dass ihn das eigentlich nicht interessierte. Er wollte auf irgendetwas hinaus, aber Sebastian konnte noch nicht genau sagen, worauf.
„Wie sieht es mit dem Rest deiner Familie aus? Willard, dein Vater?"
Sebastians Mund wurde trocken und er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Es ging also um seine Familie; oder der klägliche Rest, der davon übrig war. Er konnte sich keinen Reim daraus machen, welches Interesse Moriarty an diesem haben konnte, immerhin lebten sowohl Willard, als auch sein Vater recht ruhige Leben in Irland, jedenfalls, soweit er das mitbekommen hatte. Er meinte, sich zu erinnern, dass sein Vater vor einigen Jahren wieder in den Senat gewählt worden ist und seitdem-
Das musste es sein. Sebastian konnte zugeben, dass er nicht viel darüber wusste, was Moriarty alles kontrollierte und arrangierte und wie weit die Fäden seines Netzes gingen, aber er wusste, dass sie mindestens ganz Europa einspannten und er wusste auch, dass Moriarty - oder besser gesagt, seine Kunden - sich immer wieder in die europäische Politik einmischten.
Willard hatte die letzten Jahre bevor er in Rente gegangen war, als Automechaniker gearbeitet und er hatte so wenig mit Verbrechen am Hut, wie es nur ging. Sebastian war nur einer von vielen Scharfschützen, die in Moriartys Dienst standen, aber er war vermutlich einer der einzigen mit einem wichtigen, irischen Politiker zum Vater.
Unbewusst ballte er seine Hand zur Faust, doch als Moriartys Blick daraufhin auf sie fiel, streckte er seine Finger wieder aus.
„Es geht um meinen Vater", bemerkte Sebastian dumpf. Moriarty legte den Kopf schief und sein Lächeln wurde zu einer geschärften Sichel.
„Gut kombiniert", sagte er und Sebastian meinte, fast etwas wie Stolz aus seiner Stimme zu hören - eine weitere Maske. Sebastian wusste nicht, was Moriarty dachte, aber er sah, dass Moriarty von ihm erwartete, dass er fortfuhr, also tat er dies:
„Er ist zum Unterhausvorsitzenden gewählt worden, war vor einigen Jahren sogar im Gespräch zum Premierminister, wenn ich mich richtig erinnere." Zum ersten Mal wagte Sebastian es, Moriarty direkt ins Gesicht zu sehen. Moriartys Augen schienen ihn sogleich zu verschlingen, schwarze Löcher, die kalt und endlos waren und vielleicht das realste am Erscheinungsbild Moriartys. „Ich schätze, er hat sich die falschen Feinde gemacht."
„Da schätzt du ganz richtig." Moriarty trug weiterhin sein Sichel-Lächeln zur Schau. Er nahm Sebastian die Tasse, die dieser noch immer kaum angetastet gehalten hatte, ohne es zu bemerken, aus der Hand und trank einen Schluck. Einen Moment trommelte er nachdenklich mit den Fingern gegen die Tasse. „Weißt du, Sebastian, ich würde dir gern vertrauen können." Ein weiterer Schluck. Sebastian starrte auf Moriartys Hemdkragen, als würde dieser dann nicht bemerken, dass Sebastian ihm nicht zu lange ins Gesicht blicken konnte (in dieses vertraute, fremde Gesicht). „Aber du musst verstehen, dass ich Beweise brauche, dass ich das auch kann. Du bist ein hervorragender Schütze, du befolgst Befehle, du lässt dich nicht unterkriegen, auch, wenn ich weiß, dass einige meiner Angestellten versuchen, es dir schwer zu machen. Das sind alles gute Eigenschaften. Du hast der British Army treu gedient, bis du es nicht mehr ausgehalten hast. Auch das spricht für dich. Du bist wahrscheinlich einer der fähigsten Männer in meinem Reich und du hast gerade erst angefangen." Wenn Moriarty »mein Reich« sagte, sollte es lächerlich klingen, aber das tat es nicht, denn es war ein Reich, dieses Netzwerk, das er sich aufgebaut hatte. Und er war auch unumstritten sein König. Sebastian war nur jemand, der zufällig günstige Kontakte hatte.
„Das alles ist schön und gut, Sebastian. Aber das Wichtigste für mich ist Loyalität. Du weißt, warum es wichtig ist, dass ich gerade auf dich vertrauen kann." Irgendwann während seiner sanften Worte hatte Moriarty das Lächeln abgelegt und sah ihn stattdessen offen an - ein Kunststück, denn in ihn hineinsehen konnte Sebastian weiterhin nicht. Ihm wurde warm in seiner dicken Lederjacke. Er wusste, dass dieses Gespräch, in dieser winzigen Küche mit dem leisen Brummen des Kühlschranks im Hintergrund, beinahe ebenso wichtig war wie das vor einem Jahr, als Moriarty ihm einen Job in seinem Netzwerk angeboten hatte und es entweder gehießen hatte, ihn anzunehmen, oder erschossen zu werden.
Moriarty trug augenscheinlich keine Waffe bei sich, aber das tat Sebastian auch nicht. Und draußen wartete vermutlich Medea nur darauf, hineinstürmen und ihn mit Kugeln durchlöchern zu müssen.
Er atmete tief durch. Moriartys Blick brannte auf seiner Haut wie Feuer. Satan würde mich nach meinem Tod empfangen, gäbe es Himmel und Hölle, dachte er erneut, aber in Wahrheit glaubte er fast, bereits einem Teufel gegenüber zu sitzen. Und der erwartete einen Deal von ihm: Sebastians Dienste gegen Sebastians Leben.
„Wie kann ich dir beweisen, dass ich dir loyal gegenüber bin?"
Das Wiederauftauchen von Moriartys Lächeln zeigte ihm, dass das die richtige Frage gewesen war. Sebastian versuchte, Entschlossenheit auf seine Mimik zu projizieren, aber sie wurde von Unsicherheit und Nervosität und der Schutzlosigkeit, die das Fehlen des Gewichts seiner Pistole hinterlassen hatte, überschattet.
Moriarty tat so, als würde er es nicht bemerken. In einem Zug trank er Sebastians Tee aus, stellte die Tasse genau zwischen sie und legte seine Hände auf die Tischplatte. „Ich möchte, dass du mich nach Irland begleitest, Sebastian."
Sebastian nickte.
„Und wenn wir dort sind, möchte ich, dass du deinen Vater tötest."
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Dieses fröhliche Kapitel ist für freyaYdarja. Ich wünsche dir noch einmal alles, alles Gute zum Geburtstag und einen wunderschönen Tag! <33
Wie ihr seht, nimmt dieser Teil etwas schneller Fahrt auf als der erste - ich hoffe, ich kann die Spannungskurve aufrechterhalten, denn es ist geplant, dass seeehr viel passiert und ich habe euch Drama versprochen und das soll auch kommen :)
Noch einen schönen Freitag euch!
LG,
Tatze.
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