»Dum, dum, dum it's the sound of my gun«
Das Hotel hatte ihnen bereits einen Mietwagen bereitgestellt, weshalb Sebastian und Moriarty einfach in die hauseigene Tiefgarage herunter mussten. Sebastian vermutete, dass er fahren müsste, weil Moriarty sich vorher ebenfalls von Medea hatte kutschieren lassen, aber als sie an dem Auto ankamen - ein elegantes, schwarzes und ziemlich teures Auto (Willard hatte immer versucht, ihn für Autos zu begeistern, aber es war nie viel hängengeblieben) - zog Moriarty einen Schlüssel aus der Anzugstasche und schwang sich kurz darauf hinter das Lenkrad. Medea musste ihm den Autoschlüssel zusammen mit dem Zimmerschlüssel und den Dokumenten überreicht haben, denn Sebastian hatte nicht mitbekommen, dass Medea oder Moriarty bis eben die Suite verlassen hatten.
Er änderte seinen Weg zur Fahrerseite und umrundete stattdessen den Wagen. Moriarty wartete schon beinahe geduldig, während Sebastian sich anschnallte, richtete den Spiegel und fuhr dann erstaunlich sanft an.
Sebastian stützte seinen Ellenbogen auf dem Fenster ab und sah durch die Scheibe. Moriarty manövrierte sie aus der Parklücke, durch die Tiefgarage und hinaus in den Tag.
Sie waren bei erstaunlich gutem Wetter in Irland gelandet und die Sonne strahlte noch immer, als wäre es bereits Sommer. Während seiner Zeit im Irak, in Somalia, Syrien und Afghanistan hatte Sebastian sein altes Zuhause oder seine Freunde nie vermisst; was er vermisst hatte, war das mäßige Klima in Irland gewesen. Die warmen Sommer, die niemals zu heiß waren, die kühlen Winter, die selten zu kalt waren. Er hatte auch die Landschaft vermisst: nicht die Städte, sondern die weiten Wiesen und Täler und Hügel, die sich dahinter erstreckten. Den Wasserfall, den er mit seinem besten Freund aus der Kindheit, Cat, immer aufgesucht hatte. Die kühlen Quellen, die endlosen Flüsse und Seen, die steinernen Klippen am Meer. Er hatte das Leben abseits der großen Städte vermisst, auch, wenn es ein Leben mit seinem Vater gewesen war.
Er hatte sich immer vorgenommen, nicht zurückzukehren, aus Angst, nicht mehr gehen zu wollen.
Als sie die Stadt endlich hinter sich gelassen hatten und die ersten weiten Felder an ihnen vorbeizogen, linste er zu Moriarty herüber. Dessen Blick ruhte ruhig auf der Straße vor ihm, seine Züge weicher und weniger angespannt als noch zuvor. Sebastian stellte sich vor, dass Moriarty es auch genoss, wenigstens ein wenig, zu seinen Wurzeln zurückzukehren, aber vielleicht lag er da auch völlig daneben.
„Kann ich fragen, wohin wir fahren?", fragte Sebastian nach fünf weiteren Minuten der Stille.
Moriarty ließ den Blick weiterhin auf der Strecke ruhen. „Kannst du, aber es würde dir nichts sagen."
„Und sagst du mir dann wenigstens, was du vorhast?" Sebastian ließ sich in seinen Sitz zurücksinken und sah zur Windschutzscheibe hinaus. Es juckte ihm in den Fingern, das Fenster herunterfahren zu lassen, um zu prüfen, ob die Luft tatsächlich so rein und frisch war wie in seinen Erinnerungen, aber er wollte Moriarty damit nicht verärgern. Nicht, wo dieser gerade so völlig nicht-verärgert wirkte.
„Wir treffen jemanden."
„Ah." Sebastian nickte. Er trommelte mit seinen Fingern gegen die Autoinnenverkleidung. Moriarty warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und Sebastian ließ es wieder bleiben. „Und wen?"
Moriarty antwortete nicht. Er setzte den Blinker, obwohl weit und breit keine anderen Autos zu sehen waren, und bog von der Hauptstraße auf eine löchrige Nebenstraße, die sie zwischen blassgrünen Wiesen und goldenen Feldern hindurchführte. Sebastian fragte sich, ob Moriarty, seit er nach London gezogen war, noch einmal in Irland gewesen war, oder ob er dieses Land ebenso wie Sebastian hatte hinter sich lassen wollen. Ehe er es sich noch einmal überlegen konnte, fragte er schon: „Seit wann lebst du in London?"
Erneut sah Moriarty ihn kurz von der Seite an, aber Sebastian bemühte sich, seinen Blick nicht zu erwidern. „Ich habe mit achtzehn ein Stipendium an Oxford bekommen. Nach meinem Studium bin ich dort geblieben."
„Oh. Wow. Oxford." Sebastian wollte die Augen verdrehen, als er sich selbst reden hörte. Er führte so angestrengt Smalltalk - mit Moriarty! - obwohl er Smalltalk selbst nicht ausstehen konnte, aber er wollte diese Stille irgendwie durchbrechen und er war sich nicht sicher, ob er um etwas Musik bitten sollte. „Und ... Was hast du studiert?"
Mittlerweile sah Moriarty nicht mehr ganz so entspannt aus. Umso überraschter war er, als Moriarty ihm trotzdem antwortete: „Mathematik."
Sebastian machte ein verächtliches Geräusch irgendwo in seiner Kehle. „War ja klar, dass du dich für das Schlimmste aller Fächer entscheidest."
„War ja klar, dass jemand, der nichts von Mathematik versteht, so etwas sagt", entgegnete Moriarty ungerührt. Sebastian setzte an, zu protestieren, aber leider hatte er recht. Mathematik war noch nie seine Stärke gewesen: Die einfachsten Rechenarten, Flächenberechnung, aber auch die Dinge, die ihm zum Schießen nützten - das schaffte er noch. Aber bei allem, das darüber hinauslief, stieg er aus. Er hatte noch nie den Sinn dahinter gesehen.
„Was fängt man überhaupt mit einem Mathematik-Studium an?", dachte Sebastian laut. „Wolltest du Buchhalter werden?"
Moriarty schnaubte. Sie erreichten eine Strecke, wo die Straße mehr Schlagloch als Straße war und egal, wie teuer das Auto sein mochte, gegen alte, irische Straßen kam es auch nicht an. Sie wurden kräftig durchgeschüttelt und Sebastian vermerkte sich, dass er diese Straßen ganz sicher nicht vermisst hatte.
„Tatsächlich bin ich Mathematikprofessor", erklärte Moriarty, als man wieder gefahrenlos den Mund aufmachen konnte, ohne sich die Zunge abzubeißen.
Sebastian konnte sich ein Auflachen nicht verkneifen. „Professor? Zur Hölle, ich sitze mit meinem Erzfeind in einem Wagen! Welcher gesunde Mensch studiert Mathematik und wird dann auch noch Professor?! Muss man da nicht eine Doktorarbeit oder so schreiben? Wie sieht eine Doktorarbeit über Mathematik überhaupt aus? Wie soll man die lesen?"
Moriarty verdrehte so heftig die Augen, dass Sebastian etwas einfiel, dass seine Mutter zu ihm gesagt hatte, als er gerade in die Pubertät gekommen war: »Wenn du deine Augen weiter so verdrehst, bleiben sie irgendwann stehen.« So etwas hatte man Moriarty vermutlich nie gesagt und der hätte es sicher auch nicht recherchieren müssen, um zu erfahren, ob es wahr war. (Sebastian war früher ziemlich naiv gewesen.) (War er zum Teil noch immer.)
„Wenigstens habe ich einen Beruf, der von Intelligenz zeugt", befand Moriarty. „Du wurdest einfach Soldat: Peng, peng! Nicht viel darüber nachzudenken. Der Traum kleiner Jungen."
Sebastian hörte an seinem herausfordernden Tonfall, dass Moriarty ihn lediglich provozieren wollte; leider war er zu lang bei der Army gewesen, um seine Worte einfach auf sich sitzen zu lassen: „Eigentlich gehört da mehr dazu, Professor. Strategisches Denken, Menschenkenntnis, politische Zustände erkennen und wissen, wie man sich verhalten muss, um sie zu erhalten oder gegen sie vorzugehen, Geografie, Sprachen, Wirtschaft. Beim SAS musste ich einmal ein Verhandlungsgespräch führen und keiner der Anwesenden hat auch nur ein Wort Englisch verstanden, und ich musste auf verdeckten Missionen mitreden können, wenn es um Wirtschaft und Technik und politische Gegner ging, um nicht aufzufallen und ... Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dir das gar nicht erzählen dürfte."
„Was denn, bist du etwa immer noch bereit, ihre Geheimnisse zu verschweigen? Du bist kein Soldat mehr, Sebastian, du wurdest entlassen." Es stimmte, aber Sebastian fühlte sich dennoch durch Moriartys Worte angegriffen. Er verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, sich aufrecht zu halten, als sie den nächsten löchrigen Straßenabschnitt erreichten.
„Tatsächlich bin ich immer noch zur Verschwiegenheit verpflichtet", stimmte er zu und merkte selbst, dass er eingeschnappt klang. Eigentlich könnten ihm die Verschwiegenheitserklärungen völlig egal sein - waren sie auch - aber vor allem störte ihn, dass Moriarty seinen Rauswurf angesprochen hatte. Schon wenn er an diesen Tag zurückdachte, ballte er die Hände automatisch zu Fäusten.
„Ich weiß sowieso schon alles", merkte Moriarty an.
„Du kennst die Berichte", vermutete Sebastian. „Aber es steht nicht alles in den Berichten."
„Wahrscheinlich nicht." Moriarty summte die Melodie irgendeines alten Liedes, das Sebastian bekannt vorkam, aber das er so schnell nicht zuordnen konnte. „Aber Berichte sind nicht das einzige, das etwas über das Geschehen erzählen kann. Ich vertraue dem geschriebenen Wort nicht. Es lässt sich editieren und verbessern, dramatisieren oder kleinreden. Aber manche Dinge können nicht lügen." Er bog auf eine noch kleinere, noch unebenere Straße ab und Sebastian fragte sich, ob er wirklich wusste, wohin sie fuhren, oder ob er Sebastian nur an irgendeinen abgelegenen Ort bringen und entsorgen wollte (er war noch immer etwas paranoid) - das würde zumindest erklären, wieso er Sebastians Fragen so offen beantwortete, wo er vor einigen Stunden noch schlechtester Laune gewesen war.
Sebastian sah erneut zu Moriarty und dieses Mal trafen sich ihre Blicke, ehe Moriarty sich wieder auf die Straße - wenn man die denn noch so nennen konnte - konzentrierte. „Ach, also hast du meine ehemaligen Kameraden befragt?"
„Das musste ich nicht." Moriarty trommelte den Rhythmus des Liedes, das er eben gesummt hatte, und dieses Mal erkannte Sebastian es als »Bohemian Rhapsody«. Sofort hatte auch er einen Ohrwurm. „Oftmals reicht es, die Berichte zu lesen und den, der sie geschrieben hat, anzusehen. Ein Mann kann mehr verraten, als ihm bewusst ist. Narben verraten mehr, als es scheint." Er sah erneut zu Sebastian und dessen Hand wanderte unbewusst zu der weißen Narbe an seiner Kehle. Moriarty gab ein winziges Nicken zur Bestätigung.
„Du weißt also alles über jeden." Sebastian sah aus dem Fenster. „Und niemand etwas über dich."
„Du weißt, dass ich Mathematikprofessor bin", sagte Moriarty mit einem schiefen Lächeln. „Und dass ich an Oxford studiert habe."
„Und dass dein Bruder Richard heißt und dein Vater war ... Ich glaube, er war Priester."
Das war zu viel. Sebastian konnte geradezu sehen, wie Moriarty sich wieder verschloss: Das leicht spöttische Lächeln fiel ihm von den Lippen, die Augenbrauen zog er zusammen und den Blick richtete er starr wieder auf die Straße. „Stimmt."
Sebastian verfluchte sich innerlich. Seufzend schaute er aus dem Fenster und beobachtete, wie die Wiesen an ihnen vorbeizogen.
Den Rest der Fahrt schwiegen sie.
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Eine Stunde später lenkte Moriarty den Wagen in die Einfahrt einer kleinen Farm.
Das Wetter war mittlerweile völlig umgeschlagen, der Sonnenschein war von finsteren Wolken abgelöst worden und die Temperatur um mindestens fünf Grad gefallen.
Sebastian stieg aus dem Auto aus, schlug die Tür hinter sich zu und sah sich um. Die Farm bestand aus einem kleinen Haus und zwei größeren, die wohl Ställe waren. Etwa zweihundert Meter von den Gebäuden entfernt graste eine kleine Herde Kühe und daneben, von einem halb-zerstörten Zaun abgegrenzt, vier Pferde.
Er drehte sich um, als auch Moriarty die Tür hinter sich geschlossen hatte. Moriarty lief ohne weiteres zu dem kleinen Haus, das hellblau und weiß gestrichen war und aussah, als müsste es eher am Meer stehen. Sebastian suchte nach Anzeichen danach, was sie hier taten, aber sollten sie nicht gerade für Reiterferien hierhergekommen sein, konnte er nichts finden.
Also folgte er Moriarty einfach zu der dunkelgrauen Haustür und sah zu, wie der eine rostige Klingel betätigte, die nicht mit einem Namensschild versehen war. Sebastian positionierte sich neben Moriarty und legte seine Hand vorsichtshalber an die Waffe unter seiner Jacke, aber Moriarty schüttelte den Kopf und Sebastian ließ seine Hand wieder sinken.
Kurz darauf wurde die Tür geradezu aufgerissen und Sebastian blickte in den Lauf eines Gewehrs. Seine eigene Waffe hatte er innerhalb kürzester Zeit ebenfalls gezückt und Moriarty aus einem Instinkt heraus hinter sich geschoben. Einen Moment lang kreuzte sich Sebastians Blick mit dem seltsam intensiven des älteren Mannes, der das Gewehr auf ihn richtete, dann stieß ihn Moriarty unsanft zur Seite. Sebastian stolperte und ließ die Pistole wieder sinken.
„Mr. Liebmann", sagte Moriarty tadelnd und schnalzte mit der Zunge. „Begrüßen Sie so Ihre Gäste?"
Der Mann schien Moriarty jetzt auch zu erkennen und ließ seine Waffe ebenfalls hastig sinken. Er entschuldigte sich stotternd in einer anderen Sprache, die Sebastian als Deutsch erkannte. Moriarty antwortete ruhig, ebenfalls auf Deutsch. Sebastian hatte in der Schule einige Jahre lang Deutsch gelernt, aber das war lange her und sowieso war er nie sonderlich gut darin gewesen, und Moriarty und Mr. Liebmann redeten so schnell, dass Sebastian in dem folgenden Gespräch gerade so seinen Namen vernahm. Er konnte also nur hilflos daneben stehen und versuchen, nicht zu verwirrt dreinzusehen, während er seine Waffe wieder wegsteckte.
Seine Gedanken schweiften ein wenig ab, was er erst bemerkte als Moriarty und Mr. Liebmann ihn erwartungsvoll ansahen, er aber nicht wusste, was sie von ihm verlangten, weil er gerade die Kühe gezählt hatte (14 Kühe - drei braune, der Rest gefleckt). Als die beiden bemerkten, dass Sebastian nicht zugehört hatte, verdrehte Moriarty die Augen, während Mr Liebmann ein verständnisvolles Lächeln aufsetzte, das sein faltiges, braungebranntes Gesicht um Jahre verjüngte. „Wäre Englisch besser?"
Sebastian nickte nur.
„Moran scheint Deutsch nicht zu beherrschen. Es wäre tatsächlich besser, würden wir diese Unterhaltung auf Englisch führen, wo sie doch Moran am meisten angeht", erklärte Moriarty für ihn.
„In Ordnung, also Englisch. Dann folgen Sie mir bitte: Ich zeige Ihnen, was ich vorbereitet habe. Sie müssen es nur ausprobieren und mir sagen, ob ich noch Anpassungen machen muss." Er winkte sie in Richtung des größten Stalls und stapfte voraus über die staubige Erde, wobei er sich auf einen eleganten Gehstock stützte, den er scheinbar gegen das Gewehr getauscht hatte.
Moriarty stellte sich an seine Seite und flüsterte spöttisch: „Sprachen zu kennen ist wichtig als Soldat, ja?"
„Nicht alle Sprachen", murrte Sebastian und folgte Mr. Liebmann, obwohl er noch immer keine Ahnung hatte, worum es ging.
Die Scheune wirkte, als könnte der nächste Sturm sie mit Leichtigkeit umhauen. Es war dunkel und stank nach Mist und feuchtem Heu und Sebastian war noch nie so froh gewesen, dass er ein Mensch und keine Kuh war und deshalb nicht hier leben musste.
„Braucht ihr Licht?", fragte Mr. Liebmann.
„Wäre besser mit", antwortete Sebastian, der sich bereits in eine Mistgabel treten sah, weil die Scheune in beinahe vollkommener Dunkelheit dalag.
Mr. Liebmann betätigte irgendwo in der Finsternis vor Sebastian einen Lichtschalter und kurz darauf wurde der Stall von klinisch weißem Licht erhellt, das Sebastian in den Augen stach.
Was er erblickte war eine wilde Mischung aus Stall und Werkstatt. Die Kuhställe waren verschmutzt und fliegenübersäht und die Apparate zum Abpumpen der Milch hingen kreuz und quer und wirkten seltsam schmierig. Die Futtertroge waren halbleer. Auf der Werkbank vor den Ställen hingegen waren das Werkzeug und die Materialien ordentlich angeordnet: verschiedene Metalle in Kisten und Regalen, Schrauben in Gläsern, Schneide- und Bohrmaschinen, eine Kreissäge, ein Schweißgerät mit metallener Schutzmaske, eine Lötmaschine, lange metallene Rohre und Stangen ordentlich in einer Ecke gestapelt. Andere Maschinen und Geräte, die Sebastian nicht identifizieren konnte. Man sah sofort, dass das hier, was auch immer es war, die wahre Leidenschaft Mr. Liebmanns war und die Kühe und seine Farm nur nebensächlich waren.
Mr. Liebmann schritt um eine Ecke zu einer Art Wandnische und schlug einen Vorhang zurück. Was dort hing war das eleganteste, längste Scharfschützengewehr, das Sebastian jemals gesehen hatte. Er blinzelte und verfolgte wie Mr. Liebmann mit der rechten Hand über die hölzerne Wand zu dem Gewehr fuhr und es dann von seinem Haken nahm. „Natürlich konnte ich hier nicht so gut arbeiten wie zu Hause. Ich musste mitunter ziemlich kreativ werden und improvisieren, aber ich denke, das Schätzchen hier ist so gut wie meine bisherigen Stücke. Wahrscheinlich sogar noch besser."
Er strich beinahe liebkosend über die Waffe, während Sebastian nur starrte. Das Gewehr sah seltsam altmodisch aus mit einem hölzernen Griff und einem versilberten Abzugshahn. Dennoch war ein modernes Visir und auch ein Schalldämpfer bereits angebaut und der Lauf, der beinahe einen Meter messen musste, glänzte mattschwarz im künstlichen Licht.
„Scheiße, sieht das gut aus", flüsterte Sebastian.
Mr. Liebmann sah vage in seine Richtung und grinste so breit, dass Sebastian sah, dass mindestens zwei seiner Zähne durch vergoldete Exemplare ersetzt worden waren. „Nun, das kann ich schlecht bewerten, aber ich weiß, dass es perfekt zu Ihnen passen wird. Ihr Boss hat mir im Vorhinein einige Daten zu Ihrer Person gesendet und wenn ich richtig gearbeitet habe - und das tue ich immer - sollte es perfekt in Ihren Händen liegen."
Sebastians Blick schoss zu Moriarty, der wiederum das Gewehr mit kritischem Blick musterte. „Das ist- Ich darf-?" Er fühlte sich wie ein kleines Kind, das ein neues Spielzeug geschenkt bekommen hatte, das es sich schon immer gewünscht hatte, und nicht wusste, wie es reagieren sollte.
„Natürlich kann es sein, dass ich einige Dinge verändern muss. Die Lauflänge müsste hinhauen, aber die kann ich auch bei Bedarf kürzen. Es hängt von Ihnen ab, Mr. Moran." Mr. Liebmann überreichte Sebastian das Gewehr, das schwer und angenehm in seinen Händen lag. Sebastian starrte noch immer. (Vielleicht hatte er nie ein Faible für Autos gehabt, aber Waffen ...) (Wenn man sich so viele Jahre seines Lebens mit ihnen beschäftigte, konnte es schon sein, dass man zu einem Fanatiker wurde.)
Er fuhr vorsichtig die feine zackige Gravur auf dem Lauf mit dem Zeigefinger entlang; sie wirkte wie Dornen, die einen Namen und eine Seriennummer umschlossen:
Von Herder
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„Von Herder?", las Sebastian vor und sah fragend auf. Er könnte schwören, diesen Namen schon einmal gehört zu haben.
Mr. Liebmann kratzte sich verlegen den Kopf mit dem weißen, leicht schütteren Haar. „Ich hab's einfach nicht über mich gebracht, einen fremden Namen auf dieses Baby zu schreiben."
„Simo Häyhä soll ein Gewehr mit diesem Namen getragen haben!", fiel es Sebastian wieder ein und sofort bewunderte er dieses Gewehr noch mehr. Der beste bekannte Scharfschütze und er hatte mit einem ähnlichen Modell wie diesem geschossen.
Es war Weihnachten für Sebastian.
„Ganz richtig." Mr. Liebmann - oder Mr. Von Herder - lächelte noch immer, wobei er jedoch seltsam durch Sebastian hindurchzusehen schien. „Das stammte allerdings von meinem Vater, der mich seine Handwerkskunst lehrte. Wenn ich das sagen darf, übertreffe ich ihn sogar noch. Ein solches Talent ist aber nicht immer ein Segen." Sein Blick schweifte noch weiter in die Ferne. Sebastian konnte nicht aufhören, über den Lauf zu streichen. „Man hat mich für Dinge verantwortlich gemacht, die ich nicht getan habe, hat mich zu einem Mörder gemacht, wo ich keiner war. Ich musste fliehen und meine Werkstatt zurücklassen und mich bedeckt halten." Er sah zu Moriarty - nur sah er einen Meter an ihm vorbei. Sebastian ging endlich auf, dass Von Herder blind war. „Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie Sie mich gefunden haben."
Ein leises Lächeln umspielte Moriartys Lippen; ein seltsames Bild, dessen Sebastian einziger Zeuge war. „Ich habe meine Wege."
Von Herder lachte auf, als wäre das ein Insider zwischen ihnen. Sebastians Blick klebte schon wieder an dem Gewehr. „Da bin ich mir sicher, mein Freund, da bin ich mir sicher." Er wandte sich ruckartig wieder an Sebastian. Sebastian fragte sich, wie er erst jetzt hatte erkennen können, dass er blind war - kein Sehender hatte einen solch intensiven Blick. „Was ist nun, Mr. Moran, wollen Sie es nicht ausprobieren? Das Schätzchen kann weiter schießen, als Sie sehen können und ich würde es nur zu gern in Aktion erleben."
Sebastian würde nichts lieber tun, als ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Er sah noch einmal zu Moriarty, der ihm zunickte. Sebastian schulterte das Gewehr und probierte es draußen aus.
Schießen war noch nie so einfach gewesen.
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Guten Abend :)
Eigentlich sollte ich gerade für mein Latinum lernen. Aber so richtig motiviert bin ich irgendwie nicht, also veröffentliche ich schattdessen dieses Kapitel einmal pünktlich und schlage mich im Anschluss mit Caesar, Cicero, Seneca & co herum.
Ich hoffe, euch hat dieses Kapitel gefallen - vielleicht sieht irgendjemand einige der Details, die ich versucht habe, aus Sir Arthur Conan Doyles Romanen zu übernehmen. Ich muss sagen, solche Anekdoten umzuschreiben und sie an meine Geschichte anzupassen, macht ziemlich Spaß :)
Jedenfalls war es das dann erst einmal von mir. Ich melde mich nächste Woche aus Rom :D
Bis dahin: eine schöne restliche Woche, stay hydrated and healthy.
Love u,
Tatze.
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