03 Luft
Einen guten Spätabend wünsche ich.
Heute gibt es leider ein sehr kurzes Kapitel, aber ich bin so mit dem Inhalt zufrieden, dass ich das jetzt nicht noch strecken wollte. Das nächste wird wieder länger.
Viel Spaß!
Kapitelname: Luft
Wörterzahl: 1226
Vorkommende Personen: Richard (Sven) Kruspe, Heiko Paul Hiersche, Erika Hiersche, Flake Lorenz
Sicht: Richard
POV Richard
Der erste Schultag steht bevor und ich wäre direkt am liebsten einfach im Bett geblieben. Ich hasse Schule! Langweiliger Unterricht, anstrengender Stoff, strenge Lehrer. Meine Laune ist auf meinem persönlichen Tiefpunkt. Wenn ich schon daran denke, dass ich wieder in so einem stickigen Raum mit 20 anderen sitzen soll, da fallen mir ja jetzt schon die Augen zu. Ja, mir ist es schon passiert, dass ich in der Schule eingeschlafen bin. Das habe ich allerdings dann auch bereut, die Strafe war nicht angenehm, vor allem die zu Hause.
Ich bin ganze zweieinhalb Jahre jünger als Paul und soll trotzdem mit in seine Klasse gehen? Damit ich nicht so allein sei, sagte Erika zu mir am Frühstückstisch. Nun habe ich keine andere Wahl, wobei sie ja auch recht hat. Ohne Paul kenne ich keine Menschenseele hier in Berlin und früher oder später würde ich dann auch in eine für mich richtige Klasse kommen. Wenn es denn überhaupt so weit kommt. Ich stehe dem Ganzen ja sowieso skeptisch gegenüber. Es ist ein Wunder, dass ich einfach so auf eine neue Schule gehen kann, aber Erika hat mich als Pflegesohn dort angemeldet, dabei ist das bei den Behörden noch gar nicht durch. Erika kümmerte sich bereits am Montag um die Behörden, nun haben wir Donnerstag. Einstieg in die Schule am Ende der Woche. Sehr sinnvoll. Aber es wird jetzt nicht mehr so langweilig, denn solange Paul in der Schule war, hatte ich nichts zu tun. Zwar konnte ich ausschlafen, aber den ganzen Tag nur im Bett rumzuliegen ist auch nicht wirklich das Spannendste. Also habe ich angefangen, heimlich auf Pauls Gitarre zu spielen (oder eher versuchen, zu spielen), was er bisher auch noch nicht mitbekommen hat – zum Glück.
Graue Wolken hängen über dem alten Backsteingebäude. Paul führt mich durch die kalten Gänge der Schule, stoppt vor einer grauen Tür mit der Nummer 11 darauf. Dieses Gebäude spiegelt jetzt schon meine Emotionen wider, die derzeit in mir hochkommen.
„Du hast Glück, neben mir ist noch ein Platz frei. Aber es könnte doch sein, dass du direkt in die achte Klasse kommst. Ich kann also nicht versprechen, dass du hierbleiben kannst. Die Lehrer und vor allem der Direktor sind sehr streng."
„Toll... Aber da kenne ich doch gar keinen. Ihr habt mir doch gesagt, dass ich bei dir bleiben kann, zumindest vorerst."
„Als Mutter dich hier angemeldet hat, war das auch noch so. Aber mir wurde gestern gesagt, dass sich das vielleicht ändern könnte."
Ein älterer Herr mit Bart und Brille in einem Anzug kommt den Gang entlang, direkt auf uns zu.
„Guten Morgen Herr Brecht", sagt Paul direkt.
„Guten Morgen Heiko", antwortet der Lehrer streng, „Und du bist sicher der Junge, der nun ein Schüler dieses Institutes ist. Dein Name und dein Alter!"
„Richard, 14 Jahre alt."
„14? Dann bist du aber falsch in dieser Klasse. Du gehörst in die Achte. Heiko, sei so freundlich und bring den Jungen zu Herrn Schutt. Aber komm so schnell wie möglich zurück. Der Rest der Schüler kommt in die Klasse!"
„Tut mir leid", wiederholt er sich erneut, als wir an der Tür stehen.
„Paul, hör auf dich andauernd zu entschuldigen, du kannst da doch gar nichts für."
Er übernimmt das Klopfen für mich, öffnet die Klassentür.
„Warum die Störung?", fragt der Lehrer scharf.
„Verzeihen Sie die Störung, aber ich sollten den neuen Schüler von Herrn Brecht hierherbringen."
„Doch, ich erinnere mich, dass Herr Brecht etwas davon erzählte. Gut, danke. Du kannst gehen."
Ich bin allein. Paul hat mich verlassen und ich stehe allein vor den anderen Schülern. Am liebsten würde ich einfach wegrennen. Aber ich bin nicht fähig, mich zu bewegen. Kurz und unauffällig schüttle ich den Kopf. Reiß dich zusammen, Kruspe! Du bist doch sonst nicht so! Sonst bist du doch auch der offene Typ, niemals schüchtern! Du schaffst das! Sei du selbst! Mehr oder weniger...
„Stell dich der Klasse vor und setz dich dann neben Christian."
„Mein Name ist Richard und ich bin 14 Jahre alt", kurz und schmerzlos.
Ich setze schon zum Gehen an, doch der Lehrer redet einfach weiter.
„Uns würde natürlich brennend interessieren, warum du mitten im Schuljahr herkommst", fordert mich der Lehrer weiter nach Antworten auf.
Los Sven, überleg dir schnell eine Geschichte!
„Ich bin der Bruder von einem Jungen aus der 10. Klasse. Meine alte Schule musste schließen."
Ich habe heute Morgen in einer lokalen Zeitung von einer Schule gelesen, die schließen musste, weil immer mehr Lehrer krank wurden.
„Du warst also auf der Stadtrandschule, soso. Nun gut, du kannst platznehmen", der Lehrer deutet auf einen freien Platz neben einem brünetten Jungen mit runder Brille, der ziemlich merkwürdig aussieht.
Ich lasse mich auf dem Stuhl neben ihm fallen und betrachte ihn kurz von der Seite. Er riecht nach alter Kleidung, ich rümpfe die Nase. Auch den Blick wende ich ab, sehe lieber nach vorne. Auch wenn mich Schule nicht wirklich interessiert, bei diesen Lehrern sollte ich doch interessiert wirken.
Auf mir kleben die kurzen interessierten Blicke der Schüler. Auch mein Banknachbar wirft mir einen prüfenden Blick zu, ich sehe im Augenwinkel, wie er die Augenbraue hebt. Ich nehme davon nicht weiter Notiz, wollte ich mich doch konzentrieren. Dann auch noch mein absolutes Hassfach, Mathe. Damit kann ich absolut nichts anfangen. Wo ist der Notausgang?
„Aber du hast es doch überlebt", versucht Paul mich in der Pause beim Rauchen aufzumuntern.
Wir haben uns in einer geheimen Ecke versteckt, in die immer die Raucher gehen, doch im Moment sind wir alleine, haben auch nicht so viel Zeit.
„Ja, neben einem stinkenden Stock mit Brille und Mädchen, die mich ununterbrochen anstarren. Erinnere mich bitte daran, dass ich morgen eine Wäscheklammer von Erika mitnehme, sonst überlebe ich das wirklich nicht."
„Sei nicht so negativ. Neben wem sitzt du überhaupt?"
„So ein Christian."
„Du meinst Flake? Er ist mein bester Freund!"
„Oh...tut mir leid. Das wusste ich nicht", peinlich!
„Ich weiß, Flake ist etwas merkwürdig, aber er ist ganz nett. Er ist ein Jahr älter als du. Naja, nicht ganz."
„Und warum ist er dann noch in der achten Klasse?"
„Weil er eben noch 14 ist und noch nicht 15. Er hat zu spät Geburtstag. Und Schneider, ich meine Christoph, der ist eigentlich schon 15, aber er muss das achte Jahr wiederholen."
„Auch ein Freund von dir?"
„So ist es. Nun mach nicht so ein Gesicht, meine Freunde werden dir gefallen, wenn du sie erst mal näher kennen lernst. Es war doch grade mal dein erster Tag."
„Leider nicht mein letzter", ich seufze und nehme den letzten Zug.
Ich bin es ja gewohnt, dass mein bester Freund nicht in meiner Klasse ist, weil dieser ganze vier Jahre älter ist als ich. Aber ich habe trotzdem viele Freunde in meiner Klasse, von daher habe ich immer jemanden, mit dem ich mich verstehe und jetzt ist einfach alles anders. Vielleicht war es ja doch falsch, einfach wegzulaufen. Oder vielleicht war es falsch, hierzubleiben? Hätte ich es wagen sollen, einfach wieder zu gehen und meinen Plan durchzuziehen. Aber jetzt könnte ich das nicht mehr machen. Wegen Paul.
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