T W E N T Y - T W O
Nur wer war wer in der Geschichte?
Am meisten Sinn würde es machen, wenn Ramirez der Geldgierige war, was sehr wahrscheinlich auch stimmte.
"Alexis?" Ich hob meinen brummenden Kopf und sah zu, wie Damian sich langsam vor mich hinkniete. "Alles okay? Was ist los?"
Ich kam einfach nicht darauf klar. Nicht nur die Gutenachtgeschichte ergab jetzt Sinn.
Nein, auch Dads konstante Angst konnte ich mir nun erklären. Jeden Abend schloss er das Haus dreimal ab, um sicherzustellen, dass ja niemand einbrechen konnte.
Die Geschichte erklärte aber nicht, warum das hier alles geschah und warum es zwischen Ramirez und Diamini immer noch einen Konflikt gab. Wahrscheinlich glaubte Ramirez, dass Matteo das Geld hatte.
"Payne..." Ich flüsterte meinen Nachnamen leise vor mich hin. Damian setzte sich nun neben mich. "Was?"
"Damian... Mein Name ist Alexis Payne." Der Blauäugige neben mir blieb ruhig. Als würde er zuerst selbst alles einordnen müssen. "Natürlich", er stand wieder auf und fuhr sich durchs Haar. "Warum würde Ramirez sonst solch Interesse an dir haben."
Ich musste die ganze Story wissen. Ich wollte wissen, wer wen fallen gelassen hat und vor allem auch warum.
Matteo meinte, dass das Geld weder ihm, noch Ramirez gehört, also ist es unser. Aber warum wollte Ramirez das Geld so dringend? Was konnte man mit einer Menge an Geld schlimmes vorhaben? Wollte er in weitere Geschäfte eintauchen?
Wusste Matteo, dass ich eine Payne war oder war das hier alles reiner Zufall?
Irgendwie ergab alles Sinn, aber doch gar nicht. "Okay..."
Damian kniete sich wieder vor mich hin und hielt sich an meinem Knie fest, um das Gleichgewicht zu halten. "Hör mir zu!" Ich sah ihn an. "Dir wird nichts passieren, okay?"
Stellte er fest, als würde er mich um mein Einverständnis bitten. "Ja, du bist eine Payne, aber das heißt nicht, dass du mit all dem etwas zu tun hast. Das hier ist wegen der Vergangenheit. Du, du bist hier in der Gegenwart und du kannst nichts für die Vergangenheit. Genauso wie dein Vater, mein Vater und wir alle. Das alles basiert auf einem Streit, eine Generation vor uns."
Er musterte mich, als ich mich aber immer noch nicht rührte, packte er meine Hände und verschloss seine Finger mit meinen. "Alles wird gut." Er musste bei seinen eigenen Worten schlucken.
Ich fixierte unsere Hände und gab ihnen ebenfalls einen kleinen Druck, als ich spürte, wie Damian dasselbe tat. "Vertraust du mir?", nickend zog ich ihn ein wenig näher an mich heran. "Ich vertraue dir, aber es macht mich einfach wahnsinnig nichts zu verstehen. Ich habe gerade so viel Neues herausgefunden, so viele Fragen beantworten können, aber jetzt habe ich umso mehr. Umso schwerere."
"Damian!", wir beide drehten unsere Köpfe zu Milo, der völlig aufgelöst auf uns zu kam. "Es ist Mom!"
Was war mit Aurora? Damian faxte nicht lange und ließ meine Hände los. Die Brüder liefen zusammen wieder zurück und ich sprang auf. Mit Mühe konnte ich sie einholen, kämpfte aber trotzdem mit ihnen mithalten zu können. Ein Schritt der Jungs war für mich 2 oder 3 Schritte. Ich kam also wirklich ins Schwitzen.
Wieder beim Treffpunkt angekommen, waren bereits alle Gangmitglieder weg. Nur Matteo war zu sehen und er hielt seine Frau in seinen Armen. Erst als ich näher ran ging, konnte ich erkennen, dass Aurora nicht mehr bei Bewusstsein war und schlaff in seinen Armen hing.
Unter Schock beobachtete ich, wie Damian mit Leichtigkeit seine Mutter aus den Armen seines Vaters zog und Matteo auf mich zu kam. "Ruf einen Krankenwagen!", er drückte mir sein Handy in die Hand und ohne wirklich zu überlegen, wählte ich 911.
~
Matteo und Milo warteten vorne beim Parkplatz auf den Krankenwagen, während ich hier neben Damian kniete. Aurora war wieder bei Bewusstsein und krallte sich an die Arme ihres Jüngsten.
Kein einziges Wort wurde bis jetzt gesprochen, bis Aurora dann doch die Stille brach.
"Du weißt, dass ich euch liebe, oder?" Ihr Sohn atmete ruckartig ein und nickte. "Du weißt auch, dass ich stolz auf euch bin?" Wieder nickte Damian und zog sie näher an sich heran. Ahnungslos und wirklich unter Schock starrte ich auf die beiden. Ein Schmerz bildete sich im Gesicht des Blauäugigen ab und Auroras sonst so südländisch braune Haut, war blass und leuchtete schon fast in der Dunkelheit dieser Nacht.
"Alexis, komm her..." Auroras Stimme war so leise und kaum hörbar. Ich bewegte mich näher an die zwei heran und sah auf die liegende Mutter herab. Sie sagte kein Wort, nahm aber meine Hand und sah mich zufrieden an. "Alexis Payne... Ich hätte nie gedacht eine der Paynes wieder zusehen. Als dein Vater vor vielen Jahren ausstieg, meinte er nur, dass er etwas viel Wertvolleres als Erfolg gefunden hatte."
Sie nahm meine zweite Hand in ihre und legte sie sich auf ihre Brust. Ich hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging. Ich wusste nicht, was sie hatte oder warum sie mir das erzählte. "Er bekam dich und ich kann ihm heute ganz klar zustimmen. Du bist ein tolles Mädchen."
Meine Augen wurden wässerig und ich wollte etwas erwidern, als ich aber weggezogen wurde und ich nur noch weiß-rot gekleidete Leute erkennen konnte, verstand ich, dass der Krankenwagen angekommen sein musste.
Warum wusste Aurora, wer ich war?
Matteo stellte sich neben uns. Mit uns meinte ich die Brüder und mich. Wir alle vier beobachteten das Spektakel, was sich vor uns abspielte. "Ich werde mit ins Krankenhaus fahren. Ihr bleibt hier."
"Das kannst du vergessen, Dad!" Damian sträubte sich gegen die Anweisungen seines Vaters und Milo nebenan sah immer noch schweigen zu, wie seine Mutter zum Krankenwagen gebracht wurde. "Hör bitte auf mich und mach es nicht noch schlimmer!"
"Ich kann nicht hier bleiben. Was, wenn ich sie nie mehr sehe? Was, wenn es doch näher als gedacht ist?" Die Stimme des Blauäugigen bebte in der Atmosphäre und ließ mich ein wenig erschaudern.
"Fate come dico io!" Damian verstummte, als sein Vater ebenfalls lauter wurde.
Ohne weiteres zu sagen, drehte er sich um und lief wie ein trotziger kleiner Junge, in Richtung des Hauses. Ich sah ihm hinterher, drehte mich aber wieder zu Milo, der ungeduldig hin und her trat. Milo war sichtlich überfordert und wusste nicht, was er von sich geben sollte.
"Es ist besser, wenn er nicht mitkommt. Sei mir nicht böse."
Ich brauchte eine Weile um zu realisieren, dass Matteo mit mir sprach. "Ich komme aber mit, Dad!" Milo meldete sich zu Wort, da er sich anscheinend fassen konnte und sah seinen Vater auffordernd an.
Diamini wollte sich gerade dagegen wehren, als sein Sohn ihm aber zuvor kam. "Ich bin erwachsen. Ich entscheide, ob ich mitkomme oder nicht."
Matteo nickte kaum erkennbar, regte sich darüber auf, dass Milo recht hatte und lief zum Krankenwagen. "Sorge dafür, dass er keinen Müll baut." Milo drehte sich noch mal zu mir, bevor er ebenfalls zum Krankenwagen lief.
"Wer?", er hörte meine Frage aber nicht mehr und nun stand ich alleine da. Schnell machte es Klick und mir wurde klar, wen er meinte. Ich konnte mir aber nicht wirklich vorstellen, warum ich auf Damian aufpassen sollte.
Was verheimlichten sie mir? Was verheimlichte Damian mir? Verheimlichten sie mir überhaupt etwas? War ich einfach nur paranoid?
Mit großen Schritten lief ich zurück zum Haus. Beim Zurückgehen überhäufte ich mich mit Fragen und geriet sogar ein wenig ins Schwanken, da die Luft in meinem Kopf knapp wurde. Ich stand immer noch leicht unter Schock. Ich dachte, ich würde wenigstens ein wenig Ruhe bekommen, aber diese Pause musste wohl warten.
Mit umso mehr Fragen, betrat ich das riesige Haus, welches mich, wegen den großen Fenstern an eine Art Museum erinnerte.
Wo war er?
Ohne groß nachzudenken, steuerte ich auf die Treppen zu, welche mich in die erste Etage bringen werden. Ich nahm immer zwei Stufen auf einmal und stand im null-Komma-nichts vor Damians Tür.
Vorsichtig klopfte ich zweimal, als aber keine Antwort kam, drückte ich die Tür einfach auf.
Eigentlich erwartete ich einen total genervten Damian zu sehen, aber niemand war im Zimmer.
"Du brauchst das nächste Mal nicht zu klopfen." Hinter mir kam er nun auch ins Zimmer hinein. In der Hand hielt er eine Zigarette und zog einmal lange daran. Ich mochte es nicht, wenn er rauchte.
Als würde er meinen Blick verstehen, drückte er sie auf einem Papierblock aus und warf sie in den Mülleimer. "Das mit meiner Mo-", seine Stimme brach und verzweifelt fuhr er sich durchs Haar und startete einen erneuten Versuch. "Meine Mom ist krank..."
Er musste nicht weiter reden. Er musste sich das nicht antun. "Hör auf.", verwirrt schaute er mich an, als ich ihm diese zwei Worte entgegenwarf. "Ich sehe, wie schwer es dir fällt. Tu nicht etwas, was du nicht tun möchtest."
"Nein, ich denke, du solltest es wissen." Entschlossen kam er zu mir hin und setzte sich auf sein Bett. Ich wusste nicht, ob ich mich ebenfalls hinsetzen sollte oder ob ich einfach stehen bleiben sollte. Sichtlich überfordert verknotete ich meine Finger miteinander. "Sie hat eine Krankheit, die nur schwer heilbar ist. Entdeckt man sie vor dem dritten Stadium besteht eine 65%-ige Chance aufs Überleben."
Damian hob seinen Blick an und sah mich an. Es war wieder derselbe Blick wie Vorgestern.
Hilflosigkeit und Trauer spiegelten sich in seinen blauen Augen.
Ich konnte mir das nicht weiter ansehen und griff nach seiner linken Hand, die er zwischen dem Bettlaken eingeklemmt hatte.
"Bemerkt man es aber später, sinkt die Überlebenschance auf ganze 5%..."
Ich schwieg.
Mir fehlten die Worte. Man wusste einfach nicht, was man darauf antworten sollte.
"Meine Mom hat Leukämie im dritten und letzten Stadium."
Trotz meines Schweigens zeigte ich anhand meiner Tränen, die meine Wangen herunterflossen, dass seine Worte mich erschütterten. Ohne viel nachzudenken, umarmte ich den bebenden und zitterenden Jungen vor mir und drückte ihn fest an mich.
Meine Luftröhre zog sich zusammen und mein Herz zerriss sich in zwei Hälften.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro