T H I R T Y - S E V EN
Ein Kitzeln in meiner Halsbeuge ließ mich erwachen und mit immer noch geschlossenen Augen fuhr ich langsam mit meinen Händen zum Übeltäter, welcher noch schlief.
Eines meiner Beine war über seine Mitte gelegt und mit einer Hälfte meines Oberkörpers lag ich auf dem Italiener. Dieser hatte sein Gesicht in meiner Halsbeuge versteckt, was auch das Kitzeln erklärte.
Hitze bangte sich auf meinen Wangen. Es war mir peinlich, dass ich mich so an ihn geklammert hatte. Meine Müdigkeit musste mein Verlangen nach einem riesigen Teddybär wohl verstärkt haben.
Keine Sonnenstrahlen drangen durch den Vorhang, was bedeuten musste, dass es noch Nacht war. Ich wollte zuerst nachschauen, wie spät es war, jedoch verdrängte ich das Bedürfnis mich zu bewegen, alleine, weil ich Damian nicht wecken wollte. Sein rechter Arm war um mich gelegt und die linke Hand ruhte auf meiner Taille.
Es war schon komisch. Ich war das nicht gewohnt. Solche Nähe. Ich war einem anderen Menschen noch nie so nah. Klar, meinen Eltern, aber ich spreche von einer Person, welche nicht aus meiner Familie stammte.
Vor allem nicht einem Jungen. Um ehrlich zu sein, war ich ziemlich überrascht, Damian so nah an mich heranzulassen.
Oder auch nicht.
Ich bin mir sicher, dass fast jedes Mädchen so jemanden wie ihn an sich heranlassen würde.
Machte mich das nun zu einer von vielen?
So eine wollte ich definitiv nicht sein. Damian schien nicht so einer zu sein. Ich kannte seine Vergangenheit mit Mädchen nicht, jedoch war klar, dass ich nicht das erste Mädchen war, welche seinem Charme verfallen war.
Dieser Gedanke ließ mein Magen ein wenig zusammenziehen und mein Gesicht verzog sich. Ich konnte es nicht verhindern, gewisse Eifersucht zu verspüren.
Kopfschüttelnd über meine eigenen Gedanken, neigte ich meinen Kopf, so gut es ging, etwas herunter, um Damians schlafendes Gesicht zu erblicken. Jedoch klappte das nicht wirklich, da ich meinen Nacken nicht ausrenken konnte.
Also musste ich anhand meiner Haut und meiner Tastsinne versuchen zu sehen, was der Italiener in meinem Nacken trieb.
Er schlief definitiv noch, was seine regelmäßige Atmung erklärte. Meine Haut kribbelte jedes verdammte Mal, wenn sein Atem meine Halsbeuge erreichte.
Ich biss verkrampft auf meine Unterlippe, als der Schönling sich kurz bewegte und seine frommen Lippen meine durchaus strapazierte Haut berührten.
Unfassbar. Wie konnte er auch im bloßen Schlaf eine solche Auswirkung auf mich haben? Er versuchte es nicht einmal!
Mein Herz war das einzige Laute in meinem Zimmer und ich hatte Angst ihn doch noch aufzuwecken.
Seit meinem eigenen Aufwachen hatte ich mich noch keinen Millimeter bewegt und würde es bis Morgengrauen auch nicht mehr wagen.
~
"Eine heiße Schokolade für die Madame." Milo schob die Tasse über den ganzen Esstisch und lief zurück in die Küche.
Wir waren die einzigen im Haus, was auch die Ruhe erklärte, denn normalerweise würden er und sein jüngerer Bruder sich sicherlich schon auf die Nerven gehen. "Danke."
Ich nippte an der dampfenden Tasse und zog wieder den Papierstapel vor mich. Gestern Nacht hatten wir vieles herausgefunden, aber nichts, dass uns weiterhelfen könnte.
Dies bedeutete, dass ich wahrscheinlich den ganzen Tag damit verbringen würde nach Hinweisen zu schnüffeln und mich dann abends von Milo zur Arbeit fahren lassen würde.
"Soll ich dir wieder helfen oder bist du besser allein dran?"
Milo stand gegenüber von mir und ich konnte in seinem Blick erkennen, dass er hoffte, ich würde nein sagen. "Nein, geht schon."
Erleichtert atmete er auf und lächelte. Als er bemerkte, dass ich das sah, hielt er inne und kam auf mich zu. "Es tut mir leid. Ich würde dir gerne helfen, aber ich wollte dringend noch zu Mom..." Kopfschüttelnd winkte ich ab. Er musste sich nicht entschuldigen. Es war seine Mutter und sie ging vor.
"Danke! Danke!", er lehnte sich zu mir herunter und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Mit großen Schritten verließ er das Esszimmer und verdutzt stoppte ich in meiner Bewegung, die Papiere zu sortieren.
Er...
Er hatte mich gerade auf die Wange geküsst...
Als würde auch er es gerade realisieren, streckte er seinen Kopf durch den Türrahmen. "Ok... Das kam jetzt falsch rüber. Das... Ich... Ich meinte das nicht so. Das war brüderlich... eh nein. Schwesterlich?", er sah mich fragend an und zeigte sich nun komplett.
Ich erhob mich und umarmte den Braunhaarigen. "Hab's verstanden."
Er legte auch kurz seine Arme um mich, wandte sich dann aber ab, da er anscheinend so schnell wie möglich zu Aurora wollte.
Grinsend ließ ich mich wieder in den Stuhl plumpsen und ergriff die nächste Kopie. "Sag Damian einfach nichts davon!", hörte ich noch, bevor die Haustür zufiel.
Er war so ein Idiot.
Mit einem weiteren Schluck aus, der nicht mehr so heißen Tasse fokussierte ich mich auf den nächsten Eintrag meines Großvaters.
01. Januar 2000
Um Gotteswillen war ich nervös. Mein Sohn würde heute mein Geschäft übernehmen, was mich einerseits riesig erfreute, aber anderseits verging mir die Zeit viel zu schnell. Er war erwachsen. Seine Frau Stefanie war atemberaubend und eine bessere Zukunft wie diese, konnte ich mir für die beiden nicht ausmalen. Matt und Matteo scheinen sich noch nicht ganz einig zu sein, geschweige denn, wollten sie ihre Geschäfte teilen, aber es war eine Tradition, welche Carlos, Fernando und ich einführten. Sie war noch relativ frisch, aber sollten beibehalten werden. Alle drei Söhne waren endlich dazu bereit, die große Industrie zu übernehmen, nur bereiten mir Fernandos letztliche Verhandlungen wirklich Sorgen. Wir hatten ihm geschworen ihm beizustehen, aber würde er aufliegen, würde er Carlos und mich ebenfalls runterziehen. Ich hoffte einfach, dass sein Sohn Pablo sich wenigstens da herausziehen würde und sich rechtlich mit den anderen beiden, auf die legalen Geschäfte konzentrieren würde.
Ich verschluckte mich beinahe an meinem Kakao, als ich Ramirez' Vorname las. Spätestens jetzt konnte ich ihn nicht mehr ernst nehmen.
Pablo.
Pablo Ramirez.
Erst jetzt bemerkte ich, dass Matteo mehrere Einträge doppelt kopiert hatte, was bedeutete, dass ich eigentlich schon fast alles durch hatte.
Ganz ehrlich...
Dies enttäuschte mich. Ich war mir sicher, dass mein Großvater mehr als nur 5 Beiträge geschrieben hatte und um ehrlich zu sein, interessierte mich das auch ziemlich.
Er hatte recht. Es war eine gute Idee vieles aufzuschreiben, damit wir später viel mehr über unsere Familie wussten.
Ich legte alle doppelten Kopien zur Seite und zwei Beiträge blieben noch übrig.
04. April 2001
Ich weiß zwar, dass ich schon ein alter Herr bin, aber dass ich Großvater werde, bestätigte es nur noch einmal. Allein zu sehen, wie der eigene Sohn selbst Vater wurde, war einfach nur übertrumpfend. Wie gerne hätte ich diesen Moment mit Rosalie geteilt, nur leider war sie nicht mehr unter uns. Heute tat es mir noch weh und gerne hätte ich etwas dazu geschrieben, nur brachte ich es einfach nicht über mich. Ich bin mir sicher, sie würde genau dasselbe wie ich sagen, wenn sie die kleine Alexis sehen könnte. Mit dem Gesicht eines Engels und dem tatsächlichen Lichtschein, der durch das Fenster kam, lag sie in den Armen von Stefanie, als ich den Raum betrat. Matthew kniete neben dem Bett und lächelte seiner neugeborenen Tochter entgegen. Sogar Aurora, die wunderbare Frau von Matteo kam zu Besuch und wurde beinahe wieder herausgeschickt, als ihr vier Jahre alter Sohn Milo begann an den Ohren seines kleinen Bruders zu ziehen. Die zwei sind wirkliche Goldbengel und ich hoffe Alexis wird sich gut mit ihnen verstehen.
Pablo kam nicht, was mich nicht wirklich erstaunte, da es laut den Aussagen meines Sohnes, nicht gut zwischen ihnen stand. Er stellte sich, genauso wie sein Vater, quer und verursachte nur mehr Probleme. Er klaute nicht nur Geld von den anderen Geschäften, nein er tötete auch. Mehr weiß ich nicht und Matthew versicherte mir, dass er es in den Griff bekommen würde und ich vertraute ihm.
Die Tasse war leer und lächelnd flog ich noch einmal über die Zeilen, welche mich und die Brüder beinhalteten. Also kannte ich die Idioten eigentlich schon, seit ich frisch auf die Welt kam. Die Beschreibung, dass Milo Damian nervte, konnte ich mir sogar bildlich vorstellen.
Heute benahmen sie sich ja nicht wirklich anders. So spannend und hinreißend die Sätze meines Opas auch waren, musste ich mich aber auf die etwas unspannenderen Dinge konzentrieren.
Sie waren nicht weniger spannend als die anderen Zeilen, nur fand ich es schöner, die guten Dinge zu lesen und Pablo in den Hintergrund zu schieben.
Ramirez stellte sich, genauso wie sein Vater quer, was die heutige Situation erklärte. In der Geschichte, welche mein Dad mir immer erzählte, kam auch noch vor, dass sie ihn auffliegen ließen. Ich denke aber, dass das nach dem Tod meines Großvaters passierte und darum auch nichts darüber zu finden war.
Laut den Informationen von Vater, sollten irgendwo in diesen Einträgen, Hinweise und Zahlen versteckt sein, welche den Tresor öffnen sollten.
Da er von Zahlen sprach, musste ich mich definitiv auf die Daten konzentrieren. Nur wusste ich nicht, wie viele Zahlen gesucht waren und vor allem konnte ich nicht einmal wissen, welche Zahlen gefragt waren.
Mit dampfendem Kopf nahm ich den letzten Eintrag zu mir.
12. September 2002
Einen Monat ist es schon her. Er war nicht mehr unter uns... und ja. Ich war nicht derjenige, welcher dieses Tagebuch startete und man konnte sogar lesen, dass ich als Teenager nicht viel davon hielt. Hier war Matthew und ich würde nun den letzten Eintrag in dieses riesige Buch schreiben. Das wäre das Mindeste was ich tun könnte. Er ging von uns. Er war nicht krank. Nein. Er ging in Frieden. Er ging mit einem Lächeln im Gesicht und das zeigte mir, dass er gehen wollte. Er wusste, dass es Zeit wurde und war darauf vorbereitet. Als ich neben seinem Sterbebett saß, ergriff er meine Hand und grinste mir entgegen. Ich schluckte meine Tränen herunter und sah zu Stefanie, welche eine kichernde Alexis in den Armen hielt. Die Kleine verstand nicht, was vor sich ging. Aber genau ihre Fröhlichkeit behielt uns davon, in komplette Trauer zu verfallen. Immer wieder erzählte er mir, welchen Film er mit Carlo und Fernando ansah, als sie noch ganz jung waren. Es war bis heute sein Lieblingsfilm, jedoch kam ich nie dazu ihn mit ihm anzuschauen. Es war wirklich erstaunlich, wie sehr er diesem Film mochte. Wenn man sich genau die Texte ansah, konnte man sogar wenige Beiträge erkennen, bei denen er eine Art Kreuz mit verschiedenen Mustern hineingezeichnet hatte. "Du hast mich bereits zwei Mal im Leben gesehen und ein drittes Mal wirst du mich nicht mehr sehen." War die Quote, welche er immer wieder zitierte, da diese von seiner Lieblingsszene stammte. Ich versuchte ihm immer entegenzulächeln, obwohl er wirklich immer wieder dasselbe erzählte, aber er konnte nichts dafür. Er war ein Mann mit einem langen und schweren Weg hinter sich. So weh es mir auch tut das zu sagen, aber er funktionierte nicht mehr so wie früher und darum vergaß er meistens, was er in den letzten Minuten von sich gegeben hatte. Noch in derselben Nacht ging er von uns und mehrere Tage fiel es mir schwer morgens aus dem Bett zu kommen. Er fehlt mir und wird es auch immer tun. Er war der beste Vater, den man sich hätte wünschen können und ich war ihm dankbar immer für mich da gewesen zu sein.
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