Kapitel 36
"Tut mir leid, wegen vorhin...", murmelte Tae, nachdem wir beide fertig mit Essen waren und stumm dazu übergegangen waren, uns eine Weile lang einfach in die Augen zu sehen.
"Hm?", als hätte man mich gerade zurück in die Realität geholt, zuckte ich kurz zusammen.
Erschrocken stellte ich fest, dass irgendwas an der Atmosphäre, die sich während des gemeinsamen Essens um uns herum aufgebaut hatte, mich so wohl hatte fühlen lassen, dass ich anschließend komplett in Taes dunkeln Seelenspiegeln versunken war.
"Naja...ich...", ein kleiner Rotschimmer schlich sich auf die Mimik des Blauhaarigen.
"...hab echt nicht gucken wollen...vorhin...", erklärte er seine Entschuldigung etwas genauer.
Meine Augen weiteten sich, nachdem ich endlich verstanden hatte, was er meinte.
Noch bevor ich etwas sagen konnte, redete Tae einfach weiter.
"Ich hatte nur das Geräusch gehört und dann war es wie ein Reflex gewesen...", er biss sich kurz auf der Lippe, bevor er mir in die Augen sah.
Die Unsicherheit von vorhin war funkenweise in seinen Ausdruck zurückgekehrt.
"Bitte sei deshalb nicht böse...", bat er.
Seine Stimme klang so ehrlich entschuldigend, dass ich mich beherrschen musste, meine Kinnlade nicht direkt nach unten klappen zu lassen.
Es war mir unbegreiflich.
Wie konnte Tae wissen, dass sich sowas nicht gehörte und gleichzeitig keinerlei Verständnis dafür zeigen, dass man Menschen nicht einfach aufschlitzen durfte?
Das selbe hatte ich mir gedacht, als er sich bei mir für seinen Ausraster entschuldigt hatte...
Es war als würden alle defekten Stellen in seinem Gehirn mit dem Spiel zusammenhängen.
Alles andere schien fast beängstigend funktionstüchtig...
...auch wenn das biologisch keinerlei Sinn ergab.
Eine Zeit lang schaute ich mein Gegenüber an, bis ich es aufgab, den Sinn in seinem Handeln ergründen zu wollen.
Wie immer schien dies ein unmögliches Unterfangen zu sein.
"Ist okay...ich bin nicht böse.", sagte ich deshalb.
War ich auch eigentlich nicht.
Zumindest nicht deswegen.
Aber jegliche Diskussion über das 'Spiel' oder eventuellen Freiraum, den ich benötigte, hielt ich für sinnlos.
Taes Augen wurden groß.
"Wirklich nicht?", fragte er nach.
Ich gab ihm ein kleines Nicken als Antwort.
Die Augenlider meines Gegenübers klappten ein paar Mal auf und zu.
"Aber wieso..", er legte seinen Kopf schief.
"...hast du meine Einladungen bei Animal Crossing dann nicht angenommen?", wollte er wissen.
Mein Atem stockte.
Ähm...
Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass er mir diese Frage so direkt stellen würde.
Kurz überlegte ich, ob mir eine gute Ausrede einfiel, bis mir klar wurde, dass jede Ausrede in Taes Augen wahrscheinlich so plausibel oder unplausibel sein würde, wie die Wahrheit selbst.
Es machte keinen wirklichen Sinn, ihn anzulügen.
"Ich...", setzte ich langsam an.
In mir stieg schon wieder die Nervosität auf, weil ich nicht wusste, wie Tae auf das folgende reagieren würde.
"Ich hab nur ein bisschen meine Ruhe gewollt...", sagte ich schließlich.
Danach sah ich mein Gegenüber vorsichtig an.
...zum wiederholten Mal offensichtlich ohne wirklich einen Grund für meine Sorgen zu haben.
Die Explosion, die ich jede Sekunde erwartete, blieb aus.
Langsam fragte ich mich, ob ich mir all die Anzeichen von Taes Kontrollzwang nur eingebildet hatte.
Er wirkte wie die Ruhe selbst.
"Achso...", gab er Blauhaarige langsam von sich.
Für einen Moment richtete sein Blick sich auf den Boden.
Etwas bedrückt schob er seinen Mund hin und her, bevor er mich wieder anlächelte.
"Okay.", sagte er einfach.
Ich wartete, ob er noch mehr zu sagen haben würde.
Aber es sah nicht danach aus.
"Dann geh ich mal lieber...", murmelte der Blauhaarige, als es wieder eine Weile still gewesen war.
Nachdem er es mir mit der entsprechenden Handgeste suggeriert hatte, schob ich das Tablett so zu ihm, dass er es wieder an sich nehmen konnte.
Danach tat Tae genau das, was er gesagt hatte.
Er ging.
Einfach so.
Stumm starrte ich die Eisentür an, welche schon vor ein paar Sekunden ins Schloss gefallen war.
Ich verstand nicht wieso...
Immerhin hatte ich genau das den ganzen Tag über gewollt.
Ruhe.
Zeit für mich.
...trotzdem fühlte mein sich Herz an, als wäre es gerade zehn Kilo schwerer geworden.
Es drückte.
Als wäre es mir lieber gewesen, wenn Tae nicht verschwunden wäre...
Mal wieder ging ein irritiertes Blinzeln an mich selbst.
Wieso um Gottes Willen würde ich das wollen?
Seit heute früh hatte ich mich danach gesehnt, dass er ging. So wie er es jetzt auch getan hatte.
Warum also....war ich trotzdem nicht zufrieden?
Ich verschwendete noch ein paar Minuten damit, mich zu fragen, was heute mit mir los war.
Den ganzen Tag über schien ich mich nicht entscheiden zu können, ob ich Taes Anwesenheit anstrengend fand oder eigentlich wollte, dass er bei mir blieb.
Das erste Gefühl war den ganzen Tag über so präsent gewesen, dass ich mich nur darauf konzentriert hatte...
....trotzdem war das andere auch da.
Es klang nicht ab.
Nachdem ich schon langsam spürte, wie ich Kopfschmerzen vom vielen Grübeln bekam, ließ ich es schließlich einfach bleiben.
Langsam schleppte ich mich zurück ins Bett.
Eine Weile lag ich einfach rum und versuchte meinen Körper zu entspannen.
Auch wenn heute kein körperlich anstrengender Tag gewesen war, hatte ich noch einige verbrauchte Reserven von gestern aufzufüllen.
Irgendwann griff ich wieder zu meiner Switch, um Animal Crossing zu spielen.
Das Gerät zeigte mir an, dass Tae gerade Mario Kart spielte.
Nachdem mein Blick kurz zur Zimmerdecke gewandert war, ging ich in den Shop, um mir das Spiel anzusehen.
Kaum hatte ich es gefunden, weiteten meine Augen sich ein wenig.
Autorennen der etwas anderen Art...
Alles sah so bunt und lustig aus....wirklich einladend.
Kurz stieg der Wunsch in mir auf, es selbst auszuprobieren.
Allerdings blieben meine Augen dann an dem Preis hängen.
Noch so ein kleines Vermögen...
Instinktiv verließ ich den Shop wieder und klickte Animal Crossing an.
Ich fühlte mich unwohl, so viel Geld auszugeben.
Vor allem weil es nicht mein eigenes war...
Die nächsten Stunden verbrachte ich in dem Inselsimulator.
Tae fing auch irgendwann dieses Spiel an.
Allerdings schickte er keine Einladungen mehr.
An sich war mir das ziemlich recht...
Ich verspürte kein Bedürfnis, eins dieser Videospiele mit ihm zusammen zu spielen.
Weil ich wusste, dass das etwas war, was man mit Freunden tun würde. Mit Leuten die einem irgendwie nah standen und die man gern hatte.
Das traf auf Tae nicht zu.
Für heute war es wirklich genug befremdlichkeit gewesen...
Trotzdem ging mir Taes Blick von vorhin nicht mehr aus dem Kopf.
Er hatte so enttäuscht gewirkt. Als hätte ich ihn vor die Stirn geschlagen.
Ich....war nicht zufrieden mit diesem Gedanken. Nicht mal ein kleines bisschen.
Zum ersten Mal, seit ich hier angekommen war, machte ein Teil von mir sich Sorgen, Tae verletzt zu haben...
Dass der Blauhaarige offensichtlich wirklich nichts anderes probiert hatte, als irgendwie den Tag mit mir zu verbringen, half meinem Gewissen nicht unbedingt...
Heute Morgen war er so enthusiastisch deshalb gewesen...
...
Wie viele Jahre hatte ich mir gewünscht, dass jemand sich mal so viel Zeit für mich nehmen würde, wie Tae es heute getan hatte?..
Mit entfuhr ein leeres Seufzen.
Tae war krank.
Ein Psychopath.
Er tat mir weh.
Verletzte mich.
Sowohl seelisch, als auch körperlich.
Doch irgendwie....sah ich gerade nichts davon.
Die ganze Zeit über hatte ich nur seinen ernüchtert, betrübten Ausdruck vor Augen...
Der Gedanke erdrückte mich.
Als zur Abends das Piepen der Eisentür erklang, war ich so schnell aufgestanden, wie noch nie.
Langsam aber sicher tut Tae mir ein bisschen leid. xD
*Kopf über mich selbst schüttel*
Wenn ich dran denke, dass ich den gesamten Inhalt von Kapitel 32 bis zu diesem und dem nächsten in ein bis zwei Kapitel packen wollte....
....wiiiie? Was hat mein Hirn sich dabei gedacht? xD
Aber merkt ihr es? ^^ Diese leicht kribbelige Stimmung, weil die erste Phase der Geschichte sich ihrem Ende zuneigt?~
I'm so excited ^^
Wir sehen uns heute Abend/Nacht (es ist ja schon Abend) nochmal zum 'Staffelfinale' ;)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro