I was stumbling, looking in the dark
Die nächste Nacht war die Hölle. Wieder und wieder tötete Harold Dolly in seinen seinen Träumen, bis Harry völlig erschöpft gegen halb drei aufstand und in den Ostflügel ging, um dort zu arbeiten. Hier hatte er sich ein großes Tonstudio einbauen lassen, doch waren noch nicht alle Geräte angeschlossen. Eigentlich wollte er damit auf einen Techniker warten, doch jetzt machte er sich selbst ans Werk. Er war so konzentriert, dass er nicht merkte, dass die Temperatur im Raum abfiel. Er vergaß, einen Schalter umzustellen, plötzlich gab es einen Kurzschluss und das Licht ging aus. Harry erschrak und richtete sich auf. Er bemerkte feine, weisse Atemtropfen vor seinem Gesicht und spürte Kälte über seine Haut kriechen. Gänsehaut zog sich über seine nackten Arme und Beine, und er zwang sich, ruhiger zu atmen. Nur ein Kurzschluss, Harry. Calm down.
„McVee..." hörte er eine sanfte Stimme in das Mikro im Aufnahmeraum sprechen.
Harry rannte gegen die gepolsterte Tür. Er bekam sie nicht auf und rüttelte hektisch an der Klinke. Er spürte einen Luftzug und drehte sich um. Die Scheibe des Tonstudios beschlug plötzlich, als wenn jemand von innen dagegen hauchen würde. Harry schrie und endlich ging die Tür auf. Er stürmte panisch durch den dunklen Ostflügel. Stieß beim Laufen gegen etwas, was umfiel und zerschellte, doch er rannte einfach weiter. Endlich erreichte er die Zwischentür zum Foyer, öffnete sie und sofort ging der Bewegungsmelder an. Das Licht blendete ihn, er hielt sich die Hand vor Augen. Suchte den Sicherungskasten und legte den Schalter wieder um. Dann ging er in das Wohnzimmer und feuerte den Ofen an. Hüllte sich in eine Decke, zum Glück kamen Madge und der zerzauste Streunerkater vorbei, die sich schnurrend auf seine Beine legten. Harry zitterte immer noch, trotz der wohligen Wärme des flackernden Ofens. Er schloss die Augen, kraulte Madge, die leise schnurrte. Langsam beruhigte sich sein Herz und er verspürte Müdigkeit. Kurz nickte er weg, doch er wurde Minuten später von lauter Musik geweckt. Er schoss zeitgleich mit den Katzen hoch. Schnappte sich einen Queue, obwohl er wußte, dass man damit gegen Geister nichts ausrichten konnte und folgte dem Lärm. Im Foyer erkannte er den Song.
„The Walk" von THE CURE.
Visiting time is over
And so we walk away
And both play dead then cry out loud
Why we always cry this way?
I kissed you in the water
And made your dry lips sing
I saw you look like a Japanese baby
In an instant I remembered everything
Der Sound dröhnte durch den ganzen Ostflügel. Immer wieder sah Harry den Unterwasserkuss in seinem Kopf, die starren Augen der Puppenfrau.
I called you after midnight
Then ran until my heart burst
I passed the howling woman
And stood outside your door
Take me for the walk*
Das Lied wurde in seinem Studio abgespielt, soviel wurde ihm klar. Er hielt den Queue fest umklammert und öffnete die Tür. Der Schall des Beats dröhnte ihm laut entgegen. Im Vorraum des Studios stand die Anlage und das Radio war an. Eine freundliche Stimme begrüßte alle Nachtschwärmer. Harry schaltete das Radio aus und fuhr die Anlage runter. Wahrscheinlich war alles angegangen, als er den Strom wieder eingeschaltet hatte. Logisch! Und er hatte eben überreagiert, weil er einfach völlig übermüdet war! Er öffnete die Tür zum Aufnahmeraum, um dort das Licht zu löschen. Auf dem Boden glitzerte etwas im Licht der Deckenlampe und er ging näher ran. Es war ein Stück Draht.
***
Niall war ganz Harry's Meinung, obwohl er auch Schiss vor dem Traum gehabt hatte. Aber diese ganzen Dinge waren wahrscheinlich aus Übermüdung entstanden. Harry sollte einfach mal richtig durchschlafen, riet Niall, und dann würde es schon werden! Doch sehr überzeugend klang er nicht. Harry, der noch im Bett lag, obwohl es schon Mittag war, verabschiedete sich, legte auf, drehte sich um und schlief weiter. Seine Mum, die am nächsten Tag kam, erschrak sich fürchterlich über ihn, doch er ignorierte ihre Sorgen. Er duschte nicht und schlief nur noch. Tage flossen an ihm vorbei. Und er hatte herausgefunden, dass die Schlafpillen, die er mal bekommen hatte, seine Albträume reduzierten.
Irgendwann wurde er von einem Klingeln an der Haustür geweckt. Harry zog sich die Decke über den Kopf, doch es hörte nicht auf. Er schaute auf die Uhr- zehn Uhr morgens. Er stand mühselig auf, zog sich Jogginghose und Shirt über und versuchte, seine zerwühlten Haare zu ordnen. Er miefte wirklich fürchterlich! Doch er hatte das Gefühl, dass es wichtig war, zur Tür zu gehen. Seine Katzen standen im Flur und schauten ihn vorwurfsvoll an, als wenn sie sagen würden: „Warum machst du nicht endlich mal auf?" Harry lief die Treppe runter, ins Foyer und riss die Tür auf. Sein Herz machte einen Satz und er zog scharf die Luft ein. Große, braune Augen guckten ihn erschrocken an. Die Augen einer Toten!
„Hallo. Entschuldigen sie die Störung. Das ist doch hier das ehemalige Hillside Asylum, oder?" fragte die Frau, die eine sanfte Stimme und einen komischen Akzent hatte.
Sie trug einen dicken Parka, eine graue Mütze und schlang fröstelnd die Arme um den Körper. Erst jetzt merkte Harry, dass es draußen regnete und stürmte.
„Äh, ja. Kommen sie doch rein." antwortete er und machte ihr Platz.
„Danke. Mein Name ist Birgit Kähler. Sind sie der neue Besitzer des Hauses?"
„Ja. Ich bin Harry Styles."
Birgit nickte.
„Ich weiß. Sie sehen ein wenig...blass aus."
Sie schaute ihn besorgt an. Natürlich wußte sie, wen sie vor sich hatte- kein Wunder!
„Ich schlafe nicht so gut." murmelte Harry.
Warum erzählte er ihr das? Sie nickte wieder.
„Das würde ich auch nicht, wenn ich die Heizungsrechnung dieser Hütte bezahlen müsste. Uh, es ist kalt hier...sie wollen wohl sparen?"
Harry lachte.
„Nein, das kann ich mir gerade noch leisten. Das Ding spinnt irgendwie. Kommen sie mit ins Wohnzimmer, ich mache uns den Ofen an. Äh, wenn sie mögen, ich meine, sie brauchen keine Angst haben, mich kennt sowieso jeder und wenn ich über sie herfallen würde, wäre ich sofort dran!"
Jetzt lachte Birgit auch. Sie nahm die Mütze ab und folgte Harry ins Wohnzimmer. Neugierig schnupperten die Katzen an ihr und befanden sie für okay. Leo und Boris verkrümelten sich zum Mäusefangen. Während Harry Holz stapelte, schaute Birgit sich um. Als er wieder reinkam, begann sie sofort zu reden:
„Ich hab ihnen gar nicht gesagt, warum ich sie so überfalle. Wissen sie, meine Tante Bridget war hier untergebracht und ist 1986 hier gestorben. Ich hatte mir schon lange vorgenommen, diesen Ort zu besuchen. Mr. Deacon konnte ich leider nie erreichen. Dann hörte ich, dass ein neuer Besitzer eingezogen sei und ich dachte, ich versuch's einfach mal."
Harry schaute sie an. Das Feuer flackerte hoch und die Wärme breitete sich aus. Sie hätte ihm nicht sagen müssen, dass sie mit Bridget verwandt war, denn er sah es in ihrem Gesicht.
„Aber ihr Akzent..." murmelte Harry und setzte sich in seinen Lieblingssessel.
Madge sprang auf seinen Schoss.
„Ist deutsch. Meine Mutter Anne, Bridget's Schwester, hat einen Deutschen geheiratet und war mit ihm nach Lüneburg gezogen. Das ist eine kleine Stadt in Norddeutschland."
Harry nickte.
„Wollte ihre Mutter nicht mitkommen? Wäre doch sicher auch interessant für sie."
Birgit's Augen verdunkelten sich.
„Sie lebt nicht mehr. Sie war schwer krank und ist, kurz nachdem wir von Tante Bridget's Selbstmord hörten, gestorben."
Selbstmord? Dolly wurde erwürgt!
„Das tut mir leid." murmelte Harry.
„Oh, das muss es nicht. Ich bin fast drüber weg."
Sie schmunzelte und Harry fragte:
„Wie alt waren sie, als das alles passiert ist?"
„Fünfzehn, meine Schwestern Sandra und Martina waren zehn und neun Jahre alt. Ich war irgendwie schon immer Mutterersatz gewesen, weil Mum ständig im Krankenhaus gewesen war, so hatte sich für die beiden nicht viel geändert. Aber für mich schon..."
Harry nickte. Die hübsche Frau schaute traurig ins Feuer. Ja, sie war wohl zu alt für ihn, obwohl sie nicht danach aussah. Sie war etwas schlanker als Bridget, dadurch nicht ganz so puppenhaft. Doch die dunklen Haare umrahmten ihr Gesicht und gaben ihr eine mädchenhafte Ausstrahlung. Sie drehte ihren Kopf zu ihm und lächelte. Harry sprang auf, sodass Madge erschrocken fauchte.
„Mann, ich bin so ein Trottel. Möchten sie etwas trinken, Ms...?"
„Nennen sie mich Birgit. Und ja, gerne, ein Kaffee wäre gut."
Ihr Magen knurrte laut und Harry grinste.
„Hört sich so an, als würde ein Kaffee allein nicht reichen, hm? Komm mit, ich zeige dir mal die Küche. Ehrlich gesagt, weiss ich nicht viel über die Anstalt, nur, dass sie 1986 fast abgebrannt wäre. Dort, im Westflügel, waren Männer untergebracht und gegenüber die Frauen. Ich hatte mir vorgenommen, nächste Woche mal nach alten Aufzeichnungen zu suchen."
Harry stellte die Kaffeemaschine an. Birgit legte den Kopf schief und fragte:
„Warum interessiert sie das? Sie sind jung und erfolgreich und haben bestimmt Wichtigeres zu tun."
Wenn ich ihr das erzähle, hält sie mich bestimmt für verrückt, dachte Harry. Also sagte er:
„Es interessiert mich einfach. Milch und Zucker?"
„Nur Milch. Mr. Styles, darf ich..."
„Nenn mich Harry." unterbrach er sie.
„Gut, Harry, darf ich mich dir anschliessen? Ich meine, bei der Suche nach den Aufzeichnungen. Ich würde alleine wahrscheinlich keinen Zugriff bekommen."
„Gerne. Was möchtest du essen?"
„Danke! Und ich bin ganz pflegeleicht, ich esse eigentlich alles."
„Eigentlich?"
„Naja, ich stehe nicht so auf Innereien."
„Ach, wie schade, ich hätte noch ne kalte Leber von gestern Abend..."
„Hm, okay, wenn du einen Chianti zum runterspülen hast, dann werde ich das schon überleben." lachte Birgit und Harry grinste.
„Mal im ernst..." Harry öffnete den Kühlschrank. „Käse, Butter, Eier... Mist."
„Mist hört sich doch gut an."
Schon wieder lachten beide. Dann murmelte Harry:
„Nein, es ist fast alles abgelaufen oder schimmelig."
„Das gilt auch für dein Geschirr, das läuft bald weg." grinste Birgit und deutete auf den Berg neben der Spüle. „Okay, wir machen es so: ich räume hier auf, und du guckst, dass du was zu essen organisierst."
„Geht klar. Kann ich vorher noch duschen oder verhungerst du schon?"
„Mach ruhig. Ich kann ja die Reste von den Tellern kratzen, wenn es brenzlig wird."
Harry machte ein angewidertes Geräusch und flitzte die Treppe hoch. Er spürte plötzlich wieder Auftrieb. Wieso? Als er zurück in die Küche kam, war diese blitzsauber und Birgit steckte mit dem Kopf im Kühlschrank. Madge hatte sich über eine Wurstpackung hergemacht, die neben den Mülleimer gefallen war. Harry scheuchte sie weg und warf die Packung in den Eimer. Plötzlich kam eine Packung Butter angesegelt und er konnte ihr gerade noch ausweichen. Wieder warf Birgit daneben.
„Oh, da bist du ja wieder." murmelte sie, als er den Eimer neben sie stellte.
„So ist's besser, oder? Danke für's Aufräumen. Komme mir echt schäbig vor. Normalerweise bin ich nicht so..." raunte er.
„Ach, das macht bestimmt das Haus." sagte sie und beförderte verschimmelten Käse zu Tage.
Sie rümpfte die Nase und es sah total niedlich aus, fand Harry.
„Glaubst du an Übersinnliches?" fragte er leise.
„Ich glaube, dass einige Menschen sehr feine Antennen haben und Dinge spüren können, die in festen Objekten hinterlassen wurden. Hier drinnen ist ganz viel Traurigkeit, die erdrückt einen fast."
Harry verzog das Gesicht.
„Und ich bin auch so ein Typ mit feinen Antennen?"
„Ja, möglicherweise. So, ich wische den Kühlschrank noch aus. Und du holst vielleicht langsam etwas zu essen, sonst verhungere ich wirklich gleich." lächelte Birgit.
„YES, Ma'm." entgegnete Harry amüsiert.
„Mann, das klingt, als wäre ich ne alte Domina. Und das bin ich nicht. Naja, vielleicht alt, aber keine Domina."
„Schade." grinste Harry.
Birgit drehte sich zu ihm um.
„Ich kann enorm schnell lernen. Sei also vorsichtig, was du du dir wünscht!" grinste sie frech.
„Stehst du auf so etwas?" fragte er neugierig.
„Harry! Wir kennen uns...Moment... seit genau 37 Minuten! Das ist noch nicht lang genug, um vor dir mein Sexleben breit zu treten."
„Komm, du hast Einblick in meine intimsten Zonen, meinen Kühlschrank. Also stell dich nicht so an!"
„Ich sag's dir nach dem Frühstück. Deal?"
„Deal. Bis später. Ach, hast du Wünsche?"
„Ja, hohe Lackstiefel und ne neunschwänzige Peitsche. Und richtige Handschellen, keine Plüschdinger."
Harry lachte.
„Genau das, worauf ich stehe. Willst du mich heiraten?"
„Können wir damit auch bis nach dem Frühstück warten? Und eines noch: Käse und Nutella sind Grundnahrungsmittel."
„Silber oder Gold?"
Sie guckte ihn fragend an.
„Ich verstehe nicht..."
„Die Verlobungsringe."
„Ach so. Klar. Silber, bitte, passend zu den Handschellen."
„Dann bis gleich. Und mach das ordentlich..."
„Ich bin Buchhalterin!" brüllte sie ihm hinterher.
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