27
//Enesco//
Mit einem leuchten in den Augen betrachtet er das Schauspiel. Enesco fühlt sich wieder jung, wie ein kleines Kind, das ein Lagerfeuer im Sommercamp anzünden darf. Die Wärme sticht in seinem Gesicht, Funken fliegen ihm entgegen, als ein Ast sich löst und mit einem Krachen zu Boden stürzt.
Er weiß, dass er zu nah dran steht. Aber es gibt Niemanden, der ihn davon abhält. Enesco ist ein freier Mann. Schweiß steht auf seiner Stirn, ein müdes Lächeln auf seinen Lippen. Mit ausgebreiteten Armen dreht er sich um und neigt den Kopf.
"Am Ende ist es immer die unmoralische Lösung, die Tatsächlich funktioniert!", ruft er und stößt ein heiseres Lachen aus, das sich schnell in ein Husten abwandelt.
Er steht definitiv zu nah am Feuer.
Langsam geht er auf Viola zu, die völlig versteinert auf die Knie gesunken ist und fassungslos die Flammen anstarrt. Marty steht mit einigem Abstand hinter ihr, vermutlich aus Angst vor Funkenflug, immerhin ist er noch voller Benzin.
"Du bist ein Monster!", sagt Marty.
"Wie bitte?", fragt Enesco und hebt eine Hand an sein Ohr. "Ich kann dich über die Schreie des Triumphes nicht so recht hören!"
"Ein Monster! Ein ekelhaftes Monster, nicht mehr!"
Enesco schnaubt. "Ach ja? Bin ich das? Ich sehe mich gerade eher als überlegen!"
Er tritt aus der Wärme des Feuers, das sich hinter ihm ausbreitet und zieht energisch seinen Mantel enger. "Ich erzähl dir mal was, Little One! Wenn dein ganzes Leben dir durchweg Hassbotschaften schreibt, dann kann ich guten Gewissens auch mal welche zurückschicken! Und mein Leben ist mir überhaupt nichts wert. Ich könnte mich auf der Stelle erschießen und es wäre mir egal..."
Martys linkes Auge zuckt. "Dann mach es, bitte mach es!"
Enesco schmunzelt. "Das, was mich davon abhält, ist meine überragende Arroganz, Zwerg. Wusstest du, dass ich einen IQ von 130 habe? Ziemlich cool, huh?"
Der Junge antwortet nicht. Enesco wirft einen kurzen Blick auf Viola, die sich noch immer nicht rührt.
"Aber weißt du was so richtig kacke ist?"
Marty schüttelt den Kopf.
"Wenn es niemanden interessiert. Wenn die Schule dich für bescheuert hält, weil die beknackten Aufgaben, die sie einem stellen der größte Scheiß sind. Und wenn man dann in ein "Förderprogramm" kommt, wo man noch eher von Idioten umzingelt ist, als ohnehin schon, dann gilt man als besonders."
Marty runzelt die Stirn.
"Das bedeutet "Zu dumm für den "normalen" Unterricht", dickhead."
Enesco spielt mit seiner Pistole herum.
"Weißt du, mein Bruder Karlos, er fand es immer wahnsinnig unterhaltsam, mir das Leben zur Hölle zu machen und da war es auch jedem egal. Ob ich nun mit einem gebrochenen Knochen mehr oder weniger aufkreuzte...das kümmert doch niemanden, denn Emil ist Narzisst und Hochbegabt, Emil ist seltsam, Emil spielt nicht mit den anderen Kindern."
Marty schluckt. Enesco auch.
"Warum bin ich jetzt also ein Monster, aber Karlos steht im Operationssaal und schnippelt an fremden Organen rum. Vielleicht hätte er damit anfangen sollen, meine Wunden zu heilen, die er mir zugefügt hat. Aber nein...für mich interessiert sich niemand."
"Vielleicht hättest du auch versuchen sollen, etwas aus dir zu machen, anstatt jetzt rumzuweinen!", wirft Marty ein.
Enesco zögert. "Aber das habe ich, Kleiner. Ich war bei der Armee, ich habe gekellnert, Drogen vertickt, über 50 Menschen umgebracht und noch immer interessiert sich niemand für mich. Keine Sau auf dieser Erde gedenkt, etwas gegen mich und meine angeblich so "zerstörte" Psyche zu unternehmen. Die Bösen sind den Menschen egal, es geht immer nur um die Opfer...mit Ausnahme von mir natürlich. Ich bin doch schlau, warum würde ich mich nicht wehren. Es muss ganz klar meine Schuld sein, dass meine gesamte Familie für'n Arsch ist!"
"Und trotzdem bist du Obdachlos."
"Falsch", korrigiert Enesco. "Und trotzdem habe ich mehr Geld als du und das weinerliche Kind auf dem Boden vor mir zusammen. Es ist simple Fairness, mein Freund. Wenn ich ein mäßiges Leben habe, dann hast du auch ein mäßiges Leben."
Er überlegt kurz, dann richtet er seine Waffe auf Marty. "Ein mäßiges Leben, in dem ich auch mal die obere Hand habe und das ich ohne mit der Wimper zu zucken einfach beenden werde."
"Das wirst du nicht tun!", sagt Marty.
"Dann halt mich auf, Schlampe", erwidert Enesco. "Die Leute werden um dich weinen, Blumen und Teddys auf dein Grab stellen, obwohl sie dich überhaupt nicht kannten. Und ich kann wieder verschwinden, denn bis die Polizei mal einer ordentlichen Spur hinterher ist, die nicht dazu führt, dass Unschuldige hinter Gitter landen, da bin ich schon längst wieder weg."
Er räuspert sich kurz. "Im Übrigen ist das auch der gloriose Grund für meine Obdachlosigkeit. Aber lieber schlafe ich im Wald, als in einer Nachbarschaft voller verlogener Möchtegern Helden, die sich besser fühlen, wenn sie einem toten Menschen Blumen kaufen, dessen Namen sie nicht kennen."
Marty schüttelt den Kopf und sieht aus, als wolle er etwas sagen, doch Enesco ist noch nicht fertig.
"Und wenn sich dann herausstellen würde, dass ich ihm die Kugel durch's Gehirn gejagt habe, dann täten sie noch überrascht, dabei wussten sie es ganz genau. Von vorne herein. Der Typ, der nie auf die Gartenparties kommt und an Silvester die Vorhänge zuzieht, anstatt die bunte Umweltverschmutzung zu betrachten...Wer sonst käme da infrage? Aber natürlich hätten sie nicht damit gerechnet, sonst würden sie ja eine Mitschuld tragen."
Wieder schnaubt Enesco und wirft einen abwertenden Blick auf Viola.
"Es ist so leicht, sich frei von jeglicher Schuld zu machen, indem man sagt: Oha, krass, damit hatte ich ja gar nicht gerechnet. Und man kann es noch so sarkastisch aussprechen. Es wird immer eine Person geben, die dir glaubt und dich gehen lässt."
In diesem Moment kracht es vor dem Haus. Blaues Licht durchflutet den kleinen Weg zwischen Wand und Büschen, als eine Einheit bewaffneter Polizisten in lächerlichen Uniformen in den Garten stürmt. Glas und Holz scheppert, während sie sich vor ihnen aufbauen, wie ein Kult.
"WAFFE WEG!", brüllt ein Mann im karierten Hemd, der in der Mitte seiner Kollegen irgendwie fehl am Patz wirkt. In der Ferne klingen Sirenen, die ihre schaurigen Töne durch die Nacht schicken.
"Oha...krass", hört Enesco Marty sagen. "Damit hatte ich ja gar nicht gerechnet."
Er lächelt kaum merklich, während der Trupp an Polizeibeamten sich mit genügend Sicherheitsabstand nähert. "Wer wird dir jetzt glauben und dich gehen lassen."
Enesco überlegt kurz. Schließlich schmunzelt auch er. "Ich!", ruft er.
Dann setzt er die vertraute Waffe unter seinem Kiefer an und beendet es.
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