6
Am nächsten Tag war Jacob hellwach, obwohl er höchstens zwei Stunden lang fest geschlafen hatte, so aufgewühlt war er gewesen von den Geschehnissen dieses Tages und dem, was noch vor ihm lag.
Es war sieben Uhr morgens, als das Krächzen der Krähe, die in zu verfolgen schien, weckte, und voller Elan sprang er auf. Er holte sich frisches, noch warmes Brot vom Bäcker und ließ sich sogar die Schuhe putzen. Dennoch ließ in die Nervosität, die ihn befallen hatte, nicht los, seine Finger zuckten, und er konnte nicht eine Sekunde lang innehalten.
Jacob war ein Mensch, der seine Umgebung immer genau beobachtete. Er kannte nicht nur halb London beim Namen, er wusste auch, wer mit wem befreundet oder befeindet war, und welcher Wege die Leute gingen. Vielleicht war er ein so guter Beobachter, weil er selbst kaum in das gesellschaftliche Leben der Stadt eingebunden war. Schon einige Male hatte er versucht, Freundschaften zu schließen, aber nie war es ihm gelungen.
Daher wusste er auch genau, wann Evie ihren Weg zur Arbeit antrat. Er passte sie in einer wenig belebten, schmalen Gasse ab. Sie erkannte ihn sofort, ihre Hand schnellte zu der Pistole an ihrer Hüfte, aber Jacob war schneller und hielt ihre Handgelenke fest.
Ihr grüner Blick brannte vor Zorn, als sie ihm in die Augen sah. „Was? Willst du mir mein Geld zurückgeben?"
„Das weißt du doch."
„Was sollte ein heruntergekommener Dieb wie du von mir wollen, außer etwas, was ich dir sicher nicht geben werde?", antwortete sie gehässig, während sie überlegte, wie sie aus dieser Situation entfliehen sollte. An die Pistole kam sie nicht ran, genauso wenig wie an den kleinen Dolch, den sie wie immer in ihren Stiefel gesteckt hatte.
„Humbug. Ich will mit dir über die Frau reden, die dir gestern begegnet ist. Hel."
Evie biss sich auf die Lippe und entschloss sich, die Dumme zu spielen. Als Frau aus der Unterschicht wurde sie oft unterschätzt, sie war gut darin, die Leute an der Nase herumzuführen. „Wie bitte?"
„Hel. Die Herrscherin der Hölle", sagte Jacob unverblümt. „Die Frau, die eine verdammte Magierin ist und uns zu ihren Nachfolgern ausbilden will?"
„Dummkopf. Fällst du wirklich auf so was rein?" Spöttisch grinsend legte Evie den Kopf schief, sie bemerkte, wie Jacob immer mehr außer Fassung geriet und langsam den Griff lockerte.
„Ich habe es gesehen. Meine Eltern sind vor vier Jahren gestorben, und sie hat ein Bild von ihnen, brennend in der Hölle, heraufbeschworen. Glaub mir doch!"
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Oh, armes Jungchen. Waren deine Eltern etwa keine guten Menschen? Das tut mir ja so Leid für dich. Jetzt lass mich zur Arbeit gehen und verpiss dich."
„Ich treffe sie morgen um Mitternacht auf dem kleinen Platz beim Stringer's. Überlegs dir", antwortete Jacob ruhig und stieß sie von sich weg.
Sofort zog Evie ihren Revolver, doch bevor sie auf Jacob zielen konnte, war er schon hinter der nächsten Ecke verschwunden. Zähnefletschend steckte sie die Waffe zurück in den Holster, zog dafür aber den Dolch und verstaute ihn in ihrem Bustier. Noch einmal würde sie sich nicht von diesem dahergelaufenen Bauern mit seinem möchtegern-dandyhaften Auftreten an der Nase herumführen lassen.
Dennoch kauerte Evie am nächsten Tag im Schatten eines Hauseingangs an besagtem Platz. Sie war gekommen, hatte aber nicht vor, von den beiden gesehen zu werden.
Sie war hin- und hergerissen. Auf der einen Seite war sie sich noch nie so sicher gewesen, etwas Besonderes, eine Auserwählte, zu sein, andererseits war die Behauptung der Frau, die Anführerin der Hölle zu sein, mehr als nur ein bisschen verrückt.
Sie beobachtete, wie Jacob und die mysteriöse Frau sich begrüßten. Dann kam der spannende Teil. Hel zeichnete einen komischen Buchstaben auf den Boden, als sich der Buchstabe plötzlich entzündete.
Evie rieb sich ungläubig über die Augen, doch es war Tatsache. Egal, ob die Frau nun wirklich die Herrscherin der Unterwelt war oder nur etwas durchgeknallt, sie konnte zaubern.
Evie kribbelte es in den Fingern. Hatte sie sich nicht immer gewünscht, allen anderen überlegen zu sein? War diese Hel die Gelgenheit dazu?
„Na los, jetzt du.", forderte Hel Jacob auf. Jacob zeichnete denselben Buchstabe in den Staub, urplötzlich schoss eine Feuerfontäne aus dem Boden. Jacob keuchte, Evie sah sein ungläubiges Gesicht, aber diesen Triumph konnte sie ihn sich nicht einheimsen lassen. Eins wusste sie. Was dieser Strolch konnte, das konnte sie schon lange.
Ihre Beine waren steif vor Kälte, als sie aufstand. Sie trat in das schwache Licht hinaus. „Guten Abend, meine Freunde."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro