Kapitel 6: Ein bisschen mehr?
"In vier Wochen findet ein Turnier statt, welches ganz besonders wichtig ist. Außerdem kommt noch ein Auftritt in einer Art Eistheater, wirklich schön gemacht!" Hätte ich mir irgendwie denken können, bloß das letzte klingt interessant. "Was genau soll dieses Eistheater denn sein?" - "Wir wissen es selbst noch nicht genau, allerdings steht noch nicht fest, ob Angel der richtige dafür ist, da er ja blind ist und er die Ausstattung nicht sehen kann. Um Stürzen vorzubeugen, ziehen sie wahrscheinlich jemanden mit Augenlicht vor ..."
"Schade..." Ich seufze und beobachte den Jungen. Vom Können her wäre er sicher die Nummer Eins. "Mir kam heute der Gedanke, Angel neue Schlittschuhe zu schenken, aber ich kann mir so etwas teures nicht leisten", gebe ich in Gedanken versunken von mir, da höre ich sie erneut leise lachen. "Ich habe Angel schon welche besorgt und lange dafür gespart, doch er kann mit meiner Rente sowieso mehr anfangen als ich selbst", sagt sie fröhlich. "Wenn du willst, kannst du sie ihm ja überreichen, vielleicht fasst er dann auch Vertrauen zu dir."
Ich sehe sie erstaunt an. "Warum unterstützt du mich so sehr?"
"Weil ich möchte, dass Angel endlich Freunde findet. Seit fünf Jahren ist er beinahe nur noch bei mir und besonders seit mein Mann gestorben ist, ist er mir nicht mehr von der Seite gewichen und hat mich getröstet. Nie bin ich alleine, anders als so manch andere Großmutter. Doch Angel selbst ... Er ist immer alleine." Mit ihrer brüchigen, alten Stimme klingt sie so liebevoll ...
"Auch Angel soll jemanden haben, der gerne mit ihm zusammen ist, außer seine alte, gebrechliche Großmutter. Natürlich unterstütze ich da."
Alter. Nicht der Enkel ist ein Engel, sondern seine Oma! "Ich danke dir, Ömchen!", unkontrolliert nehme ich ihre Hände in meine und schüttle sie. Ohne diese Frau hätte ich wohl keine Chance bei Angel, aber das muss Ray nicht wissen. "Aber psst!"
Ist es vielleicht komisch, dass ich geheime Machenschaften mit einer Oma um ihren Enkel mache? Nein! Hehe ...
Es vergehen Tage, bis die Schuhe endlich ankommen und das Ömchen mir diese gibt, ohne dass Angel es mitbekommt. "Du musst sie nicht schön einpacken", lächelt sie mir freundlich zu, während sie mir den hochwertigen und ungewöhnlich leichten Koffer in die Hände drückt. Sie gibt mir damit einen Gegenstand, der sie über einen Tausender gekostet hat ... Omas sind wirklich zu vertrauenswürdig. "Ja!" Und natürlich packe ich den Koffer nicht ein.
Ein Blinder sieht es doch sowieso nicht.
Ich hätte wirklich nicht gewusst, was ich ohne das Ömchen hätte tun sollen, dementsprechend bin ich ihr sehr dankbar. Den nächsten Morgen kann ich kaum abwarten und bin wieder recht früh da. Ömchen zeigt mir einen Daumen nach oben, als sie sieht, dass ich den Koffer in den Händen halte. In diesen Schlittschuhen sehe ich meine Chance auf Angels Vertrauen und Körper!
Gerade als er sich setzt und seine nun alten Schuhe aus dem ebenso alten Koffer holen will, berühre ich seine Schulter und sage: "Warte!"
Angel stockt und neigt langsam das Gesicht in meine Richtung, da stelle ich die Aufbewahrung der Schuhe neben ihm auf die Bank und führe seine Hand mit meiner an die Oberfläche des Koffers. "Das hier ist von Ömchen und mir für dich", grinse ich und gehe vor ihm in die Hocke. Die alte Dame ist ganz aufgeregt und legt sich die Hand auf das Herz. "Wir sind sicher, es gefällt dir!"
Angel sieht mich beinahe misstraurisch an, zumindest kommt es mir so vor, obwohl sein Blick eher emotionslos ist. Erst, als er auch die Stimme des Ömchens hört streicht er über die glatte Oberfläche und nimmt den Koffer auf den Schoß, bevor er mit den Fingern den metallischen Verschluss sucht und diese mit einem klickenden Geräusch zurückschnellen lässt. Angel klappt den Koffer auf und führt seine Hand das schützende Material entlang, berührt das Metall seiner neuen Schuhe, als wären sie die geschärften Klingen eines Schwertes. Ich erblicke die Schuhe selbst das erste mal, sie sehen wirklich prächtig aus!
"Sie ... sind wunderschön", seufzt Angel nach der Anspannung und lockert einen der schneeweißen Schlittschuhe aus ihrer Halterung. Sein Haar hat beinahe die selbe Farbe, sie passen zumindest für einen Sehenden unglaublich gut zu ihm.
Fast scheint es mir so, als würde er sie in sich aufnehmen, als er nun beide an sich drückt und tief einatmet.
"A-angel?", frage ich nach einer kurzen Zeit, da lächelt er mich an. "Danke", flüstert er fast unhörbar und macht sich sofort daran, sie anzulegen. Seine Alten packt er kurz darauf zurück und seine Oma bekommt eine intensive Umarmung zum Dank. Er ist noch immer nicht besonders gesprächig, doch wenigstens strahlt er nun nicht mehr so ernst.
Wir folgen ihm bis zum Eis und er erinnert mich etwas an ein Kind, das total stolz auf seine neuen Spielsachen ist. "Na, magst du mich jetzt ein bisschen mehr?", frage ich grinsend, als er wieder zu uns gleitet und seine Oma anlacht. "Vielleicht!", gibt er grinsend zurück. "Darf ich das als Ja aufnehmen?" Angel kichert mich an, wird daraufhin aber etwas stiller, als ob er sich selbst ermahnt hätte nicht so offen zu mir zu sein, wobei er noch immer sehr verschlossen wirkt.
"Ein wenig, vielleicht."
Ich seufze, lächle daraufhin aber. "Ich bin nicht hier, um schlecht von dir zu denken, sondern ... weil ich dich interessant finde, Angel."
"Mhm." Na ja, besser als gar keine Antwort.
"Kannst du nicht ein wenig offener sein? Nur ein bisschen? Mir ein wenig über das Eislaufen erzählen?"
"Ich laufe seit ich ganz klein bin", gibt er zurück und ehrlich gesagt freut es mich, dass er mir antwortet. "Und wie alt bist du heute?" - "Ich bin 20."
Damit ist Angel vier Jahre jünger als ich, mhm? Das muss ich mir irgendwie merken.
"Ich bin mir sicher, dass ihr gute Freunde werden könntet", wirft das Ömchen ein und ich lache leise, um freundlich zu klingen. "Das fände ich schön."
Doch Angel gibt nur wieder ein "Mhm" von sich und verlässt uns daraufhin, um weiter Eis zu laufen.
Fast so, als wäre er in seiner eigenen Welt, in der er niemand anderen brauchen würde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro