Kapitel 5: Kindheitsträume
Ohne ihm zu widersprechen, bedanke ich mich für den warmen Kaffee bei seiner Oma und lege mir meine Winterjacke um. Wenn ich nun gegen Angels Willen hier bleiben würde, dann würde ich mir sogar selbst auf die Nerven gehen. "Gehst du schon?", fragt die alte Dame schon beinahe traurig darüber, doch ich lächle ihr aufmunternd zu und deute auf das Sofa, wo Angel sich mittlerweile aufhält.
"Du bist ja nicht alleine, Ömchen."
"Da hast du allerdings recht", stimmt sie mir zu und setzt sich zu ihm, während ich in der Eingangstür stehe. Sie streift mit der nicht mehr so jungen Hand über Angels helles Haar und winkt mir langsam. Ich nicke und schließe die Tür hinter mir, seufze dann und bwginne sofort weiter zu tüfteln ... Ich brauche einen Plan ... und zwar einen sehr guten.
Angel ist total komisch und kann mich nicht leiden ... Er will mich nicht da haben und redet so gut wie gar nicht mit mir ... Was sind die Informationen, die ich habe?
Er läuft gerne Eis, mag wohl keinen Kaffee und ist sehr misstrauisch ... Der einzige Weg etwas Vertrauen zu gewinnen wird wohl der sein, dass ich Tag für Tag an der Bahn sein muss ... Ob man es glaubt oder nicht, aber ich bin Student - dementsprechend habe ich morgens Zeit, da meine Vorlesungen bloß drei mal die Woche mittags sind, doch selbst das würde viel zu lange dauern. Angel ist nichts weiter als eine Wette, doch der Einsatz ist es mir wert weiter zu machen. Normalerweise hätte ich schon längst aufgegeben, denn Angel hat nichts besonderes ... Ich müsste ihn nicht unbedingt in das Bett bekommen ... So spielt wohl das Schicksal.
Unterwegs nach Hause rufe ich Ray an, um ihm zu berichten, dass ich mehr Zeit brauche. "Angel wird schwer zu knacken sein, aber nicht zu schwer für mich."
Für diesen Tag lasse ich das Thema Angel und Würde damit ruhen. Ich will schließlich nicht meine ganze Zeit damit verschwenden und da Angel mir nicht vertraut, braucht es diese auch so schon genügend auf.
Dennoch wäre es interessant zu wissen, was er gegen mich hat. Angel hat doch anfänglich nicht mitbekommen, dass ich eine Wette mit Ray gemacht habe? Er hat nicht zu uns geblickt, hat nicht ausgesehen als würde er kurz lauschen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Angel viele Freunde hat, wenn er zu jeden so abweisend ist.
Ich sitze auf meiner Coach und schüttele den Kopf. Noch während ich daran denke, dass das Thema Angel für heute gestrichen ist, drehen sich meine Gedanken um ihn. Immer wenn ich Wetten habe, in denen es um meine Ehre geht, kann ich an kaum etwas anderes denken.
Ich lasse den Tag mit Filme gucken ausklingen und direkt am nächsten sitze ich morgens wieder bei der Eisbahn - noch früher, als Angel selbst. Nach zwanzig Minuten in der Kälte sitzend bekomme ich Zweifel, ob er überhaupt kommt wenn er weiß, dass ich hier warte.
Ich erhebe mich von der kühlen Bank und trotte die von weißen Schneekristallen bedeckte Straße entlang, um zu schauen, ob sie wenigstens in Sicht sind.
Ich werde enttäuscht.
Etwas wütend über den jetzt schon missglückten Tag lehne ich mich auf das Geländer der Bahn und blicke auf das harte, weiße Eis. Ich lächle, als ich mich an meine Kindheit zurückerinnere. Damals bin ich selbst noch sehr gerne Schlittschuhe gelaufen und konnte die Wintertage deswegen kaum abwarten, doch dann hatte ich diesen grausamen Unfall ...
Es wurde alles schwarz und ich im Krankenhaus wieder wach.
Seit diesen Tag habe ich mich nicht mehr auf das Eis getraut und irgendwann auch das Interesse an meinen Kindheitsträumen verloren. Heute ist es nur noch zum Fang von Beute gut und das kann auch so bleiben. Für nichts auf der Welt würde ich mir wieder solche Schuhe anziehen. Ich kann mir vorstellen, dass Angel ganz heiß auf seine eigenen war und sie heiligt und ehrt ...
Ich hebe den Kopf bei meinen Gedanken und grinse. Angels Schuhe sehen hochwertig aus, doch es gibt bestimmt noch bessere , die er auf seinen Wettkämpfen tragen kann!
Nur wären diese nicht so unglaublich teuer ... Das wäre es ... Aber am Ende lohnt es sich vielleicht doch nicht und richtig, richtig gute kosten sehr viel. Außerdem kenne ich Angels Schuhgröße nicht ... Ein Fünfziger wäre mir schon zu teuer. Selbst wenn ich wollen würde, könnte ich Angel kein solch teures Geschenk machen. Wahrscheinlich gehen die ganz guten schon in den vierstelligen Bereich ... Mhm. So viel habe ich nicht ... Und so viel ist mir Angel auch nicht wert.
Ich muss doch bloß einmal Sex mit ihm haben. Ach, warum ist er nicht so willig wie so viele andere?
"Guten Morgen", reißt mich eine
Stimme aus meinen Gedanken und als ich hochschrecke, sehe ich in das Gesicht der Oma. "H-hallo", begrüße ich sie minimal verwirrt und lächle auch den Jungen neben ihr an. Angels eisblaue Augen starren mich förmlich an, wie immer. "Hi", murmelt er knapp angebunden und dreht sich sofort weg zur Bank, um sein Schuhwerk zu tauschen.
"Warum seid ihr heute so spät?", frage ich sofort und freue mich, dass mein Warten doch nicht umsonst war.
"Ich habe meine Brille verlegt ... Du musst wissen: ohne sie kann ich nirgendwo hingehen", lächelt mir das Ömchen zu und ich nicke verständnisvoll. "Angel kann mich nicht leiden", suche ich einen Rat bei ihr, um mir die Wette zu erleichtern.
Wieder kichert sie und rückt sich ihr Wintermützchen zurecht. "Ach, Angel ist nur missttrauisch, weißt du? Er hat keine richtigen Freunde und nimmt auch keine an, anders als die anderen in seinem jungen Alter. Ich denke er hat Angst, verletzt zu werden." Sie legt die Hand auf meine Schulter, zieht mich enger zu sich und deutet auf ihren Enkel, der gerade mit den Schlittschuhen auftritt. "Er weiß: Dem, dem man sein Vertrauen schenkt, schenkt man auch die größte Macht über einen und legt ihnen das Messer in die Hand, mit denen sie direkt in das eigene Herz stechen könnten."
Wo das Ömchen recht hat, hat es recht. "Stimmt schon ... Aber ich will mich mit Angel anfreunden."
"Das schaffst du sicher", ermuntert sie mich und schweigt, als Angel an uns vorbei kommt.
"Für was genau übst du eigentlich jeden Tag?", rufe ich nach einer Weile zu ihm auf das Eis, doch natürlich antwortet er mir nicht. Dafür aber seine Großmutter.
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