Kapitel 21: Sag mir, was du fühlst
Der Verlauf meiner Pläne scheint gut aufzugehen. Nachts, als ich in meinem Bett liege, lächle ich in mich hinein. Es läuft momentan so gut, das hätte ich am Anfang gar nicht erwartet. Ich muss mich aber daran erinnern, dass es sich hier immer noch nur um das Erreichen einer Wette handelt und um nichts anderes. Das darf ich nicht vergessen, sonst kann ich das was ich hier tue nicht mehr mit mir selbst vereinbaren. An diesem Abend, muss ich zugeben, habe ich nicht an meine Wette gedacht, sondern habe mich wirklich ehrlich für den blonden Jungen gefreut, habe ihn ehrlich verteidigt und habe ehrlich gelächelt, so etwas darf einfach nicht mehr passieren. Schließlich kommen in mir ja jetzt schon leichte Gewissensbisse auf - warum auch immer. Angel und auch seine Großmutter sind einfach besonders, ich kann es nicht anders ausdrücken. Die Oma ist so herzensgut und großzügig, Angel taut langsam mit mir auf und es fühlt sich beinahe so an, als wäre ich bei den beiden wie in einem zweiten Zuhause. Vor allem jetzt, nachdem ich nach einem Streit keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern habe, fühlt es sich doch sehr gut an, jemanden zu haben der für dich kocht und dir das Gefühl gibt, immer willkommen zu sein.
Zufrieden und mit einem Lächeln auf den Lippen schlafe ich mit diesen Gedanken ein und am Nachmittag des Tages schlendere ich über die glatten Straßen. Heute schneit es und ich recke meine Hand aus meiner Jackentasche hervor, um ein paar der weißen Schneeflocken in meiner Hand aufgehen zu lassen. Sofort werden sie zu Wasser und ich muss grinsen, als ich an ANgel denken muss. Sie erinnern mich an ihn - die Schneeflocken. Man muss sie fangen und dann lösen sie sich in deiner Hand, so wie Angel, der anfangs doch so kalt wirkte und nun sehe ich immer öfter ein Lächeln auf seinem Gesicht.
Bei den beiden angekommen reicht ein Klopfen an die Tür - es ist Angel, der mir öffnet und der Geruch von leckeren Essen, so welches, was nur eine gute Oma kochen kann, steigt mir in die Nase. Ich war mit gemischten Gefühlen hier aufgekreuzt, nachdem Angels Vater gestern so eine Nummer geschoben hat, doch der blinde Junge sieht doch sehr zufrieden aus. So sollte es auch sein, wenn man landesweit achter geworden ist! "Na du?", begrüße ich ihn lächelnd und ziehe meine nassen Schuhe am Eingang neben der Tür aus. "Na?", grinst auch Angel mich frech an und verschließt die Tür wieder. "Großmama wusste nicht genau was du magst, deswegen bereitet sie gerade ein Festmahl vor, von dem wahrscheinlich zehn Leute satt werden könnten ... Auswahl gibt es jedenfalls", beginnt er ganz von alleine zu erzählen und auch seine Stimmlage, sein Ton haben sich mir gegenüber verändert. Er wirkt nicht mehr so, als würde er vor mir weglaufen oder flüchten wollen, als würde er mich wegwünschen. Vor allem nach seiner Frage gestern, ob ich denn noch weiter zu Besuch käme, bekomme ich immer mehr das Gefühl, dass auch er sich über meine Anwesenheit freut. "Dann ist ja gut, ich habe nämlich einen Bärenhunger mitgebracht, weißt du?"
Ich schludere zu der alten Dame in die Küche und ein einziges Chaos herrscht hier. "Huch, Yoshua! Tut mir Leid, ich bin leider noch nicht mit allem fertig! Aber nur noch einen kleinen Moment, ihr könnt euch schon mal setzen!" Ich lache auf und sehe mich kurz um. Salatteller, verschiedene Sorten Fleisch und diverse Soßen sind bereits angerichtet. "Diese Mühe hättest du dir wirklich nicht machen müssen, Ömchen. Das ist doch viel zu viel für uns?"
"Vielleicht, aber besser es bleibt ein bisschen was übrig, als dass du hungrig wieder nach Hause gehen musst!" - "Wo du Recht hast, hast du Recht!" Ich muss grinsen und verlasse die Küche wieder. Angel sitzt bereits am gedeckten Esstisch und als ich näher komme, zieht er den Stuhl neben sich zurück. Diese Aufforderung verstehe ich sofort, doch ich bin mir nicht ganz sicher, ob er mich für seine Großmutter halten könnte. "Du weißt Bescheid?" - "Na klar", erwidert er und ich nehme den Platz direkt neben ihm ein. Angel beugt sich zu mir herüber und flüstert mir in mein Ohr, als ob er mir ein Geheimnis anvertrauen will. "Aber bitte behalte dieses Mal deine Abgase für dich, nicht dass Großmama auch noch erblindet."
Tatsächlich bricht das Lachen nur so aus mir heraus und es fällt mir schwer, mich wieder einzukriegen. Dabei bemerke ich gar nicht wirklich, dass sogar Angel selbst lacht - herzlich lacht. Das wohl aller erste Mal, seit ich ihn kenne.
"Du bist mir ja einer, das war eine extreme Ausnahmesituation", kann ich mich langsam wieder fangen und halte mir den Bauch bei dem Gedanken daran, wie schwer es war damals meinen Furz einzuhalten. Das im Zusammenspiel mit Angels Humor über sich selbst hat mir wirklich den Rest gegeben. "Hast du eigentlich deinen Vater gut überlebt? Siehst so aus!"
"Nee, der ist schon gefahren und meinte er will mich später sprechen ... Damit meint er, ich stehe da und lasse sein Geschrei über mich ergehen, wie ich das hasse ... Aber lass uns nicht darüber reden." Er verliert keineswegs sein ehrliches Lächeln und streckt die Finger nach meinem Gesicht aus. "Darf ich?", fragt er erneut, wie schon das erste Mal als wir beide alleine bei ihm in der Küche gestanden haben - doch dieses mal, bevor er schon die Griffel in meinem Gesicht hat. Unwillkürlich muss ich lächeln. "Ja, darfst du", gebe ich ihm die Erlaubnis, sich mit den FIngern ein Bild von mir und meinem Gesicht zu machen und Angel berührt mich so vorsichtig, dass es mich schon fast verunsichert. "Hast dich heute aber nicht ordentlich rasiert", neckt er mich, als er an meinem Kinn lang fährt. "Willst du mal fühlen, was ich auch fühle?", fragt er mich offen und nimmt meine Hand in seine, um sie an sein Gesicht heran zu führen. "Mach die Augen zu und sag mir, was du fühlst." Ich zögere kurz, ehe ich sein Gesicht das erste mal sanft berühre und plötzlich fühle ich mich in mir ganz warm an.
"Ich fühle ... Zufriedenheit."
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