Kapitel 20
Schwungvoll schmeiße ich mir den Rucksack auf die Schultern und laufe zügig an den Rand des Hanges. – der zwar nicht hoch ist, aber dafür ziemlich steil.
»Was hast du vor, Nate?«, höre ich Jenny, die noch immer an derselben Stelle steht.
»Baden! Oder denkst du das ich mir das entgehen, lasse?« Noch immer überwältigt von dem Anblick, hebe ich beide Hände in die Höhe und zeige auf den kleinen Fleck Paradies, vor dem wir stehen. Euphorisch blicke ich in Jenny ihre Richtung und wackele mit den Augenbrauen. »Na komm! Worauf wartest du?«
Bevor sie antworten kann, stelle ich mich seitlich an den Hang und bewege ich mich rutschend nach unten. Das letzte Stück springe ich mit einem großen Satz ab. Zögerlich macht sich nun auch Jenny an den Hang und rutscht ebenfalls seitlich runter.
»Vorsicht vor dir ist ein großer A...« ----
Bevor ich sie warnen kann, stolpert sie über den Ast, der aus der Erde ragt und verliert das Gleichgewicht. Sie fliegt nach vorne und aus einem Reflex heraus, spreize ich meine Arme - als würde man mir einen Ball zuspielen. - und fange sie auf. Es geht viel zu schnell und die kraft, mit der sie in meine Arme fliegt, bringt mich ins Wanken. Hart pralle ich mit dem Rücken auf den Boden, der durch meinen Rucksack abgefedert wird. Jenny, die ich fest im Arm halte, landet auf mir.
»Fuck! Alles in Ordnung?«, bringe ich keuchend hervor. Mit besorgter Miene sehe ich sie an und versuche herauszufinden, ob ihr was fehlt.
Jenny richtet ihren Blick auf und bricht in schalendes Gelächter aus. Mein gesamter Körper wackelt unter ihrem. Ich kann nicht anders und pruste auch los. Wie kleine Kinder liegen wir auf der Erde von diesem magischen Ort und lachen um die Wette. Als gäbe es kein Morgen, keine Vergangenheit und auch keine dunklen Zeiten. Als wäre alles perfekt und keiner hätte diese Qualen die einen Tag für Tag einholen. Drohen zu ersticken, bis einem das Atmen schwerfällt. Dieser unglaubliche Moment inmitten von nichts, und dennoch so viel der diesen Augenblick zu etwas Magischem macht.
»Ziehst du dich etwa komplett aus?« Ich sehe in Jennys erschrockenes Gesicht, als sie mich das fragt, während ich mich weiter ausziehe. Ich muss schmunzeln. Nervös verlagert sie die Beine im Wechsel hin und her und die Arme hat sie sich fest um die Brust geschlungen. So wie sie da steht, nervös und überfordert mit dem, was sie gleich erwartet, droht mir ein erneuter Lachanfall. Als hätte sie noch nie einen Jungen nackt gesehen? Irgendwie finde ich es süß, wie nervös sie plötzlich ist. Mein breites Grinsen scheint sie noch unsicherer zu machen, denn sie wendet mir den Rücken, zu als ich ihre Frage nicht beantworte.
Ich hatte noch nie Probleme, meinen Körper zu zeigen, durch das Intensive Football Training, das ich seit Jahren schon über mich ergehen lasse, ist er immer toptrainiert, egal zu welcher Jahreszeit.
Jenny zuliebe beschließe ich, meine Boxershorts anzulassen. Am Ufer der Lagune angekommen, stecke ich langsam meine Füße in das kristallklare Wasser. Ein eiskalter Schauer durchströmt meinen gesamten Körper. Wäre das Wasser durch das Plätschern des Wasserfalles nicht permanent in Bewegung, würde man den Grund sehen können. Wie ein Spiegel. Weder ein Ast noch ein Krümel befindet sich darin. – als würde es sich selbst reinigen. Ich frage mich, ob wir die Ersten sind, die diesen magischen Ort entdeckt haben? Als würden die Büsche mit den giftigen Beeren, wie Soldaten diesen Ort beschützen und vor Eindringlingen fernhalten. Ganz langsam, bewege ich mich mit kleinen Schritten weiter ins Innere und ziehe die Luft scharf ein, weil die Kälte meine Beine zum brennen bringt.
Ich werfe meinen Blick über meine Schulter, um Jenny sehen zu können. Noch immer steht sie mit derselben Haltung an der Stelle wie davor und blickt mit besorgter Miene in meine Richtung.
»Jenny, na komm schon! Zieh dich aus und komm auch rein. Es ist schweinekalt aber supererfrischend!«, rufe ich – so laut ich kann, – um nicht von dem Wasserfall übertönt zu werden.
»Niemals! Ich ziehe mich garantiert nicht vor dir aus.« Die letzten Worte flüstert sie fast. Als würde ihre Stimme versagen.
»Willst du dir wirklich dieses einmalige Erlebnis entgehen lassen?« Demonstrativ weite ich meine Arme aus und zeige auf das Wasser und und zu dem Wasserfall. Noch immer mit dem Blick an sie gerichtet, zwinkere ich ihr zu, um sie davon zu überzeugen.
Mit einem tiefen Atemzug wende ich mich wieder dem Wasser zu und springe vom Boden ab und gleite mit dem Kopf voraus in das eiskalte kristallklare Wasser. Tausende von Nadeln durchfahren meinen Körper – zumindest fühlt es sich so an. Als ich wieder auftauche, verlässt ein lautes Schnaufen meinen Mund. »Boah... Jenny! Das Wasser ist unglaublich, na komm schon! Du kannst deine Sachen auch anlassen, Hauptsache du kommst rein.«
Als ich meinen Blick über die Lagune werfe, sehe ich Jenny schon am Rand des Ufers. Ihre Wanderschuhe hat sie bereits ausgezogen und mit den Fußspitzen ertastet sie das Wasser. »Na also. Geht doch.« Ich bin gerade dabei zu ihr hinüber zu laufen, als sie mich davon abhält.
»Nein, Nate. Dreh dich bitte um und schaue nicht zu mir bis ich im Wasser bin.«, sagt sie. Ihre Stimme klingt heiser, als würde es ihr schwerfallen, zu sprechen.
Nickend willige ich ihren Wunsch ein und drehe mich auch sofort um. Noch immer bis zum Bauchnabel im Wasser.
Einige Sekunden später höre ich, wie sie langsam ins Wasser steigt. Schritt für Schritt wird das plätschern hinter mir lauter.
»Darf ich mich wieder umdrehen«, frage ich vorsichtig. Keine Antwort. »Jenny?« Als sie noch immer nicht antwortet, drehe ich mich um. Dicht hinter mir, steht sie mit den Armen fest um den Körper geschlungen im BH und ihrem Slip. Ihr Gesichtsausdruck sieht unsicher und gequält aus, als hätte sie schmerzen. Sie sieht an mir vorbei und scheint den Wasserfall hinter mir zu fixieren.
Mit angehaltenem Atem wandert mein Blick über ihre offenen Haare, die ihr zierliches Gesicht leicht bedecken, über diese unglaublich leuchtenden grünen Augen, die Tag für Tag wieder zu ihrem Glanz finden, runter an ihren Körper, der überseht ist mit Blutergüssen, die schon etwas älter zu sein scheinen. Ich laufe ich den letzten Schritt auf sie zu, der ihr noch gefehlt hat mich zu erreichen und stelle mich vor sie, dass sie gezwungen ist mich anzusehen. Sie lässt die Arme neben sich fallen, die bis eben noch fest um ihren Körper geschlungen waren. Ihre Armbeugen sind voller Einstichstellen. Große und kleine Wunden überstreckten sich bis runter an ihre Handgelenke. Teilweise vernarbte und auch, welche die noch nicht ganz abgeheilt sind. Ein Schauer jagt mir über den gesamten Körper. Wie Millionen kleiner Stromschläge lässt mich der Anblick ihrer Arme einfrieren.
Wortlos nehme ich ihre Arme in meine Hände. Sie zuckt leicht zusammen, aber entzieht sich nicht meiner Berührung. Ich beginne von oben ihrer Schulter an, auf jeden blauen Fleck und jede Wunde meine Lippen zu setzen. Vorsichtig und behutsam wandere ich mit meinem Mund bis nach unten und wiederhole es auf der anderen Seite. Jenny lässt es über sich ergehen. Unter ihrer Berührung spüre ich, wie angespannt sie ist. Ich wiederhole es so lange bis ich merke, wie sich ihre Arme langsam entspannen und ihre Atmung gleichmäßiger wird. Jede Wunde küsse ich, als würde ich sie verschwinden lassen können, als würde es diese ungeschehen machen.
Als ich zu ihr aufsehe, sehe ich, dass ihre Augen geschlossen sind. Lautlose Tränen laufen an ihren Wangen runter. Sie öffnet sie langsam. Sieht mich mit einem Blick an, dass ich nicht deuten kann.
»Du bist das Beste, was mir seit langem passiert ist, Nate!«, flüstert sie mir zu. Sie nimmt mein Gesicht in ihre Hände und küsst mich. Nicht wie beim ersten Mal. Nein. Dieser Kuss ist voller Leidenschaft. Intensiv und innig, als würde in dieser Berührung ihr ganzes Leben stecken – oder davon abhängen. Nachdem ich endlich begreife, was gerade geschieht, erwidere ich es. Ein Feuer entfacht in meinem Inneren, das droht auszubrechen. Ich packe sie an der Hüfte und drücke sie näher an mich ran. Voller verlangen, schmelzen wir beinahe zu eins zusammen. Sie umschließt meine Schultern mit ihren Armen und greift in meine Haare. Packt sie, krault sie und zieht an ihnen. Dieses Feuer, dass jetzt mehr von ihr ausgeht als von mir, bringt mich nur noch mehr um den Verstand. Nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, blende ich die letzten Tage aus und genieße diesen Moment mit ihr. Ich öffne meinen Mund und umschließe meine Zunge mit ihrer. Mit den Händen, die ihre Hüften fest umschließen, drücke ich sie noch näher an mich ran. – wenn das überhaupt möglich ist. Umgeben von diesem Ort, inmitten der Lagune, küssen wir uns, als würde alles was wir je getan haben von diesem, einen Kuss abhängen. Dieser Moment, auf den ich schon eine Weile gewartet habe, übertrifft alles, was ich mir vorgestellt habe. Jenny, die kaum noch zu bändigen ist – wie damals bei der Party. Dieses Feuer das sie hatte und das in jeder ihrer Bewegungen präsent war, ist zurück. Mit jeder Faser ihres Körpers ist sie hier, bei mir, an diesem Ort und fernab von dem Leid, der sie belastet und Tag für Tag dieses Brennen in ihr unterdrückt, um auf die Oberfläche zu gelangen.
Minutenlang Küssen wir uns. Trotz des eiskalten Wassers durchströmt mich im Sekundentakt ein brennen, das mich fast zum Explodieren bringt. Mit jeder Umkreisung unserer Zungen wird das verlangen mehr. Mit ihr auf meinem Schoß laufe ich zum Wasserfall. – ohne das wir unseren Kuss unterbrechen. Ich stelle mich genau unter den Stahl, der noch kälter ist, als das Wasser in dem wir stehen. Wie in einem Rausch der gerade seinen Höhepunkt erreicht, lassen wir den eisigen Strahl über unsere Köpfe laufen. Jede Faser meines Körpers ist elektrisiert. Jede Berührung löst eine Lawine in mir aus, die ich - wenn ich sie in Worte fassen müsste – nicht erklären kann. Das Einzige, was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass dieses Mädchen, aus welchem Grund auch immer sie in mein Leben getreten ist, mit jedem Millimeter meines Körpers schafft, dinge zu empfinden, von denen ich nicht wusste, dass sowas möglich ist.
Nach endlosen Minuten, in denen wir jegliches Zeitgefühl verloren haben, schaffen wir es voneinander abzulassen. Wie zwei frischverliebte spritzen wir uns gegenseitig nass, necken uns und jagen einander. Total aus der puste lasse ich mich ans Ufer fallen und lege mich auf den leicht feuchten Boden. Schwer atmend sage ich: »Was ist mit uns? Können wir das klarstellen, sonst dreh ich noch durch.« Seit unserem letzten Kuss im Motel, weiß ich nicht, wie wir zueinanderstehen, diese Ungewissheit treibt mich in den Wahnsinn. Mit einem breiten Grinsen kommt Jenny aus dem Wasser und lässt sich auf mich fallen. »Nun ja ... Das eben ... also dieser Kuss das sagt doch schon alles! Oder findest du nicht? Wer küsst schon so, nur einen Freund?« Sie umschließt ihre Lippen erneut mit meinen.
»Ja, Nate. Ich will.«, sagt sie als sie sich von meinen Lippen entfernt.
»Ich will?« Leicht irritiert sehe ich in Jenny ihr breites grinsen. »Hab ich dir gerade einen Heiratsantrag gemacht, ohne es zu merken?«
»Natürlich nicht.«, kichert sie amüsiert und richtet sich von mir auf. »Ich will damit sagen, dass ich gerne mit dir zusammen bin.«
Ich komme ebenfalls wieder auf die Beine und schnappe sie am Handgelenk, bevor sie weiterläuft. »Dann ist gut, denn auf diesen Moment warte ich schon eine Weile.«
Mit einem Drang reiße ich sie an mich und Küsse sie. Diese intensive Berührung, die nur eine Bedeutung hat: Ich will dich, ich bin da für dich. Du bist mir wichtig. Als würde die Botschaft bei ihr ankommen, krallt sie ihre Finger fest in meinen Nacken und presst ihren Körper noch näher an meinen, dass ich laut schnaufend unterbreche, denn das lodern in mir ist kurz davor auszubrechen.
So unglaublich dieser Moment an diesem Ort auch ist, schwirrt mir eine Frage im Kopf, die mit jeder Minute in denen meine Gefühle zu Jenny mehr werden, immer lauter ertönt: Was passiert nach unserem Trip, wenn wir wieder in unser altes Leben zurückkehren?
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