
~56~
Minho P.O.V.
Der Schmerz zerriss mich. Immer enger schnürte sich mein Brustkorb zusammen, es fühlte sich an als bekäme ich keine Luft mehr. Als hätte man mir ein Messer zwischen die Rippen gejagt, als wäre ich es, der gerade von der Brücke gesprungen war. "Nein... Nein!" Schluchzend, am Boden zerstört krallte ich meine
Finger an das eiskalte Geländer. Ich suchte verzweifelt nach Halt, aber nichts und niemand konnte ihn mir geben.
Jisung war der einzige Mensch, der mich jemals immer wieder aufgerichtet hatte, der mich nicht nach einiger Zeit fallen lassen würde. Und jetzt hatte ich ihn fallen lassen. Ich hatte zugelassen, dass der wichtigste Mensch meines Lebens für mich sprang. Zahllose Tränen rannten mein Gesicht hinab, während ich mich schreiend über das Brückengeländer hängte.
Es war mir beinahe unmöglich dort unten etwas zu erkennen. Alles was ich sehen konnte, waren tödliche, dunkle Wellen und Massen über Massen an eiskaltem Wasser. Das durfte nicht wahr sein, das konnte nicht wahr sein. Jisung war einfach gesprungen, er hatte mich zurück geschubst. Ich hätte ihn festhalten sollen! Ich hätte es nicht zulassen dürfen! Meine Beine verloren ihre Kraft, sodass ich mich schließlich voller Pein an dem Geländer fest halten musste um nicht wieder auf dem Boden zu sitzen.
Einige Autos die vorbei fuhren hupten, ich hörte einige Menschen schreien, und Autotüren zuklappen. Aber all das interessierte mich kein kleinstes Bisschen. Alles was mir übrig blieb war, schluchzend in die Tiefe hinab zu starten, hoffend, dass das alles hier gerade nicht geschehen ist. Nach einigen Sekunden, es fühlte sich dabei an wie Jahrzehnte, hatte ich mich aus dieser Schockstarre befreit.
Meine Atmung ging schnell, unregelmäßig. Ich spürte wie sich mein Herz in seinem Brustkorb nur noch rasend bewegte, dem Schmerz, welcher durchgehend meine Adern durchflutete, standhaltend. Mein erster, richtiger Instinkt trat ein. Ich schrie weiterhin, nach Luft ringend. Dabei begannen meine zitternden Arme, mich schwach an der Rehling nach oben zu zerren. Was brachte das Leben denn noch ohne ihn? Was hatte ich denn noch zu verlieren?
Ich hatte keinen Wert mehr, keinen Sinn. Ich hatte keinen Grund mehr zu bleiben, denn wenn Jisung mutig genug war sich hier hinunter zu stürzen, würde ich nicht zögern. Ich war ein Nichts ohne diesen Jungen. Durch das ganze Adrenalin in meinem Körper ausgelaugt hing ich einen Fuß über das Geländer. Es hatte sich bereits eine leichte Schneeschicht gebildet, dünne, feine Flocken lagen auf dem grauen Metall, auf welches ich mich aufstützte. Der Schnee unter meinen kalten Händen begann nur sehr, sehr langsam zu schmelzen, was Mal wieder bestätigte wie durchgefroren ich nun schon war.
Selbst wenn ich hier jetzt nicht hinab sprang, würde der Zeitpunkt kommen an dem ich starb. Vielleicht gar nicht so bald, wenn man meine Fingerspitzen betrachtete. ber meine Aufmerksamkeit ruhte nun erneut auf dem sprudelnden Gewässer viele Meter unter mir. Mit einem zitternden Atem rutschte ich weiter über das graue Metallrohr, meine Augen nicht von den Wellen lassend. Ich sah zwar sowieso nichts, aufgrund der unendlichen heißen Tränen in meinem Gesicht, aber das tat auch nichts zur Sache.
Ich musste mein Leben beenden, wenn er es ebenso für mich tat. Mein einziger Half in meinem ganzen Leben, meine Anlegestelle, mein Anker für alles. Ohne ihn schaffte ich es nicht mehr, ich war dazu bestimmt nur mit ihm zu leben. Vor meinem inneren Auge sah ich noch einmal wie er hinab fiel, die Angst in seinem Blick. Ich sah, dass er sich fürchtete. Und trotzdem hatte er sich geopfert. Geopfert,damit ich weiter leben konnte. Schluchzend kletterte ich zurück auf den Bürgersteig, unwissend was ich tun sollte.
Jisung war nur für mich gestorben! Mich selber hinab zu stürzen würde seinen Tod unbegründet werden lassen, ohne Sinn. Und dies würde noch mehr schmerzen, als das Wissen, dass ich für seinen Tod verantwortlich war. Erneut inhalierte ich hektisch Sauerstoff, krampfhaft versucht daran am Leben zu bleiben. Immer stärker zog sich alles zusammen, ich schrie unter Tränen, als mein Blick in die Tiefe hinab sank. Ich musste da runter.
Auch wenn es mich vollkommen zerstörte, und mir meine letzten verfügbaren Kräfte raubte, stand ich mit zitternden Beinen auf und rannte zum nicht sehr weit entfernten Ende der Brücke. Ich lief direkt um den letzten Pfeiler herum, warf mich in die dahinter liegenden Büsche. So schnell ich es vermochte stolperte ich den Anhang hinunter, einen Fuß vor den anderen setzend. Die Wassertropfen brannten auf meiner Haut, aber wurden sofort durch den stürmischen Wind abgekühlt. Ich brach aus dem engen Dickicht hervor, um am Ufer fast zusammen zu brechen.
Der Schnee stürmte um mich herum, ich sah wie sich auf den Spitzen der Wellen weiße Schaumkronen kräuselten. Schwer atmend starrte ich auf den Fluss hinaus, zwischendurch immer Mal wieder einige Schluchzer hören lassend. Sie wurden direkt von dem Wind, gemischt mit Unmengen an Schnee weggetragen. Dann erblickte ich ihn. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt konnte ich etwas ausmachen, was ganz und gar nicht aussah, wie etwas was hier hin gehörte.
Ich erkannte den Kopf schwarzer Haare, die schneeweiße Haut. "Nein! Jisung, nein!" schluchzte ich. Ohne zu zögern stürzte ich mich in die Fluten, mich nicht darum kümmernd, dass ich eventuell von der Strömung davon gerissen werden könnte. Die Kälte des Wassers war wie ein Schock für mich, ich konnte innerhalb wenigstens Sekunden meine Füße nicht mehr spüren. Und doch rauschte ich weiter durch den Fluss, immer tiefer hinein. Als der Wasserstand bei meinen Oberschenkeln ankam blieb mir der Atem weg.
Nur wenige Minuten in diesem Wasser würde zum sicheren Tod führen, das wusste ich. Und darum flehte ich, sowohl leise, als auch laut, dass Jisung noch nicht durch die Kälte gestorben war. Ich warf mich weiter hinein, die Strömung riss mir die Beine fast weg. Aber ich war nah dran. Unfähig nach Luft zu schnappen stand ich bis zum Oberkörper in dem eiskalten Gewässer, streckte meine Hand aus, um nach dem dunklen Pullover des Jungen zu greifen. Meine Fingerspitzen berührten seinen Ärmel, ich packte ohne Hemmungen zu.
"Jisung! Jisung, kannst du mich hören?!" kreischte ich vom Heulen geschüttelt. So schnell mein halb toter Körper es vermochte zog ich den blonden Jungen zurück zum Land. Schwer atmend, und so laut heulend, dass noch die Menschen oben auf der Brücke es hören konnten, warf ich uns beide aufs Land. Einige Schneeflocken wirbelten um uns herum auf, und es sähe beinahe schönen aus, wenn es andere Umstände gäbe. Aber das hier schien die eiskalte Realität zu sein. Ich betrachtete zitternd sein Gesicht, die Augen geschlossen.
Sein Mund war leicht offen, und ich war mir ziemlich sicher, dass er verdammt viel Wasser geschluckt haben musste. Seine Haut war hell wir Porzellan, nass und die tropfenden Haare hingen ihm ins Gesicht. "Nein! Jisung! Das darf nicht sein!" schrie ich. Ich umgriff sein Handgelenk, um den Puls zu messen. Und auch wenn meine Hände zitterten, bemerkte ich diese eine Sache sofort. Egal wie lange ich meine Finger um sein eiskales Handgelenk presste, ich verspürte keinen Herzschlag mehr.
"Du darfst nicht tot sein! Ich brauche dich doch!" Mein Kreischen wurde immer hysterischer. Laut heulend legte ich meine Hände übereinander, den Handballen auf seinen Brustkorb. Uns wurde niemals in der Akademie beigebracht, wie man einen Menschen wieder belebt oder soetwas. Ich hatte ein paar Mal im Internet etwas davon gelesen, aber alles was dort stand war im Moment nicht hilfreich. Also musste ich schließlich improvisieren. Ich wusste nicht, ob es nur bei noch lebendigen Menschen funktionierte, aber es war mir egal. Ich musste etwas tun.
"Lass mich nicht allein!" schrie ich Jisung an, in der Hoffnung er würde die Augen plötzlich öffnen. Aber er tat es einfach nicht. Zögernd suchte ich mit meinem Handballen nach dem unteren Ende seines Brustbeins. Und sobald ich es endlich fand, drückte ich fest zu. Ich steckte all meine Kraft da hinein. So lange, bis ich es eindeutig laut knacken hören konnte, und sein Oberkörper endlich nach gab. Seine Rippen waren gebrochen, ich begann den Druck auf sein Herz auszuüben, jetzt, wo ich dran kam.
Immer wieder pumpte ich an seiner Brust, hoffend dass es irgendetwas brachte. Schluchzend sah ich von meiner Arbeit in sein Gesicht, nur um zu bemerken, dass er noch immer keine Regung zeige. "Jisung! Jisung, komm zurück! Sag irgendwas! Du kannst mich nicht verlassen, ich brauche dich doch!"
Nichts geschah. Immer weiter pumpte ich sein Herz, ich musste langsam aber stetig mit ansehen, wie sein eiskaltes Gesicht genau wie sein restlicher Körper mit wunderschönen, dicken Schneeflocken bedeckt wurde. Heulend beugte ich mich über sein Gesicht, als mir glücklicherweise endlich wieder einfiel, dass ich auch einmal etwas von Mund zu Mund Beatmung gehört hatte. Mein heißes Tränen fielen auf sein Gesicht, welche ich direkt mit meinen Daumen wegwischte.
Dabei entfernte ich auch einige Eiskristalle, und erst jetzt bemerkte ich, wie kühl seine Haut erst wirklich war. Es fühlte sich an, als würde ich ein Stück glattes Eis anfassen. So rein und kalt, bewegungslos. Ich hielt ihm vorsichtig die Nase zu, tief durch atmend. Ich musste ihm helfen, und alles was ich tat, war noch immer zum Himmel zu beten, ihn irgendwie dazu zu bekommen wieder zu Armen. Schnell senkte ich meinen Kopf auf den seinen, verband meine, von Tränen salzigen Lippen, mit seinen, von der Unterkühlung blauen.
Gänsehaut verbreitete sich über meinen ganzen Körper, als ich das bewegungslosen Lippenpaar in Beschlag nahm. Sie waren so kühl wie Eis, ich konnte nicht daran denken, dass in ihm noch Leben stecken sollte. Aber ich gab nicht auf. Ich schenkte dem regungslosen Jungen meine Atemluft, ich versuchte ihn dazu zu bringen von selbst wieder die Augen aufzuschlagen.
Mit verschwommenem Blick löste ich mich wieder von ihm, drückte mich schluckend weg um weiter seinen Oberkörper zu bearbeiten. Mit beiden Händen stützte ich mich auf, begann erneut zu pumpen. Bei jeder Bewegung knirschten die gesplitterten Rippen unter meinen Fingern, was selbst ich nur noch als unfassbar grauenvoll empfand. "Jisung, du darfst mich nicht verlassen!" schluchzte ich erneut laut. "Wir hätten doch eine Lösung finden können! Wie kannst du mir das antun?!"
Der Schwarzhaarige antwortete nicht. Immer mehr Schnee wehte um uns herum hinab, sodass der Boden fast mit einer hauchdünnen Pulverschicht bedeckt war. Doch jedes Mal, wenn ich mich vor lehnte um ihn zu beatmen, wischte ich die kleinen Eiskristalle von den weichen Wangen, der von Haaren nassen Stirn oder den geschlossenen Augen. Seine schwarzen, langen Wimpern lagen unverändert auf der hellen Haut, aber ich hörte nicht auf. Ich würde Jisung so lange ich es vermochte versuchen ins Leben zurück zu holen, und wenn ich für immer mit ihm hier knien müsste. Meine Hände zitterten, als sie ein weiteres Mal über seine Wangen strichen.
Die hellen Flocken auf seinem Körper begannen Dank meiner Tränen zu schmelzen, die ich noch immer, ununterbrochen produzierte. Gerade wollte ich meinen Mund erneut auf seinen senken, als ich auch schon Sirenen im Hintergrund vernehme. Blaulicht, Auto-Hupen und Schreie kann ich hören. Aber meinen Blick nehme ich nicht einmal von dem Jungen. Wie er noch immer ohne Veränderung schlaff am Boden liegt, so friedlich als würde er nur schlafen.
"Aus dem Weg! Gehen Sie zur Seite!" Laute, schwere Schritte näherten sich. Ich hörte viele Stiefel auf dem gefrorenen Ufer in meine Richtung rennen, wie sie schließlich bei mir ankamen. Aber statt sie zu beachten hielt ich nur weiter den Kopf des Koreaners in meinen Händen, schluchzend, denn es war das Einzige was mir übrig blieb. Ich fühlte behandschuhte Hände meine Schultern packen, Menschen die mich davon zogen.
"Nein! Lassen sie mich in Ruhe!" Die Griffe an meinen Armen waren stark, aber ich war stärker. Während sie mich ein paar Schritte nach hinten zogen, riss ich mich los, schubste einen der beiden Menschen zur Seite und ließ mich erneut vor Jisung auf die Knie fallen. "Nein! Jisung mach die Augen auf!" kreischte ich. Mein verschwommener Blick ruhte auf ihm, als ich mich an den Schwarzhaarigen klammerte.
Nach Luft schnappend, legte ich meine rechtes Ohr auf seine Brust. Die Tränen fielen wie Wasserfälle, und ich heute laut auf, als ich in der Brust des Jungen keinen Herzschlag vernehmen konnte. "Wir brauchen Beruhigungsmittel!" hörte ich eine Frauenstimme rufen. "Jisung, was hast du nur getan...?!" flüsterte ich. Wieder spürte ich wie Menschen nach mir griffen, eine Nadel in meinem Oberarm und wie etwas in mich gespritzt wurde.
"Nein... Nein, nein... Bitte... Bitte!" Nun wurde ich brutaler davon gezerrt, und ich spürte wie mir zur Sicherheit die Hände auf den Rücken gedreht wurden. Ich rüttelte daran, stellte mich den Griffen der Ärzte entgegen, als sie versuchten mich auf eine Trage zu legen. "Lassen sie mich zu ihm! Bitte, ich muss zu ihm!" flehte ich schreiend. "Beruhigen Sie sich erst einmal. Schauen sie mich an."
Schnell atmend, mit sich anbahnenden Kopfschmerzen schenkte ich der jungen Dame neben mir einen verängstigten Seitenblick. Meine Kräfte gaben langsam nach, ich bemerkte, wie das Beruhigungsmittel seine Wunder tat. Und es wirkte verdammt schnell. "Wie ist ihr Name?" Ich schüttelte nur hektisch den Kopf, die ständig auf mich einwirkende Müdigkeit bekämpfend. "Lee Minho... Bitte, ich muss zu ihm!"
Mit glasigen Augen versuchte ich mich hinzustellen, wurde aber sofort von einem der Männer in Uniform auf eine weitere Trage gedrückt. "Wie heißt der junge Mann?" fragte sie weiter, ohne mit der Wimper zu zucken. Als hätte er sich soeben nicht selbst von der Brücke gestürzt, als würde nicht gerade einer seiner Freunde hier sitzen. Erneut schossen mir Tränen im die Augen, ich starrte an ihr vorbei zu der Meute Menschen dort hinten. Im Schneegestöber wuselten alle um den kleinen, leblosen Körper herum.
Ich schluchzte kurzatmig, als ich zwischen den Beinen der einen Person das zarte Gesicht Jisungs ausmachen konnte. Eine Person lief zu uns hinüber, ich schätzte ihn ebenso, dass er ein Helfer war. Meine Schnallen an der Trage würden fest gestellt, so dass ich nicht mehr hinunter fallen konnte. Jetzt hatte ich perfekten Blick auf die Brücke, dorthin, wo alles geschehen war. Alles geschah so unfassbar schnell.
Meine Augen wurden groß, ich starrte fassungslos zu der Brücke hinauf, wo ein mir nur zu bekanntes Fahrzeug hielt.
Gebrochen blickte ich zu dem vor fahrenden Leichenwagen auf, die Sätze des Mannes noch immer in meinem Kopf. "Puls gleich null. Wir können nichts mehr für ihn tun. Die Ärzte gehen davon aus, dass er direkt beim Sturz umgekommen ist."
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