NINETEEN
Bin eingeschlafen, upsi
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Als ein großer lockiger Hund schwanzwedelnd auf mich zuläuft, erstarre ich im ersten Moment und stöhne schmerzerfüllt auf, als ich plötzlich auf dem Kiesweg unter mir liege, mit dem großen Hund auf mir.
„Oh Gott, das tut mir fürchterlich leid, Harry!", höre ich Prinzessin Charlotte, die den Hund von mir wegzuziehen versucht, was nicht sonderlich gut funktioniert. „Schon gut. Er ist groß.", gebe ich zu und drücke ihn an der Wange von mir, als er mich abschlecken will.
Hunde sind zwar gut und schön, aber wenn sie mich ablecken, sind sie bei mir unten durch. Egal wie süß sie sind. „Und er hört nicht gerade wie aufs Kommando. Sein Trainer ist auch schon völlig verzweifelt. Mein Bruder war damals mit Clifford ein Herz und eine Seele, aber nach dem Unfall nicht mehr...", erzählt sie und hockt sich mit einem kleineren Hund neben mich, der locker in eine Handtasche passen würde.
Während ich den schwarzhaarigen Labradoodle zwischen den Ohren kraule, sodass er es sich auf meinem Schoß gemütlich macht, schaue ich die Prinzessin etwas verwirrt an. Soweit so schön, dass der Hund mich anscheinend mag, nur ist er etwa drei Mal so groß, als dass Platz auf meinem Schoß ist. Und er ist ziemlich knochig.
„Was für ein Unfall?", frage ich vorsichtig nach, da ich nie etwas von einem Unfall gehört habe. Für einen Moment schaut Prinzessin Charlotte mich erstaunt an, bevor sie lieb lächelt und den großen Hund wieder anleint. „Das erzählt er dir lieber selbst." Ich nicke und stehe vom Boden auf, als Clifford sich schüttelnd von mir erhebt und dann seine Besitzerin anspringt. „Mach Sitz!", befiehlt sie ihm und wuschelt über seinen Kopf, als er dem Kommando entgegenkommt.
„Das hier ist übrigens Cleo. Sie ist ein Cavalier King Charles Spaniel. Ich habe mich sofort in ihre Süßen Ohren verliebt." Ich nicke lächelnd und wische mir den Staub von der Hose, bevor ich meinen Arm etwas drehe und sehe, dass dieser ein wenig am Ellenbogen aufgeschürft ist. „Brauchst du ein Plaster?", fragt die Prinzessin, jedoch schüttle ich den Kopf und deute auf Clifford, der nicht wirklich still sitzen will.
„Kann ich ihn nehmen oder wollt Ihr lieber beide Hunde führen?", biete ich mich an und grinse, als Cleo mich verspätet begrüßt und sich einmal an meinem Bein entlang reibt. „Kannst du gerne, aber ich kann beide nehmen, das ist kein Problem.", entgegnet sie, doch ich winke nur ab und nehme ihr die Leine für den größeren Hund ab.
Dann gehen wir los, während Clifford ziemlich an der Leine zieht und ich ein wenig Schwierigkeiten damit habe, neben Prinzessin Charlotte zu gehen und nicht drei Meter vor ihr.
„Ich weiß, du magst keinen Smalltalk, aber mich interessiert es wirklich. Also wie hast du dich hier eingelebt? Du bist seit drei Wochen hier.", fängt die Prinzessin ein Gespräch an, während ich momentan ziemlich stolz auf Clifford bin, der brav neben mir her läuft. „Es ist ganz okay, aber..." Ich zucke mit den Achseln und versuche die richtigen Worte zu finden. „Es ist großartig. Das Bett ist ein Traum, ich schlafe so gut wie lange nicht mehr und auch das Essen ist lecker. Ich bin froh, dass ich mein Studium von hier aus beenden kann, dafür wollte ich mich auch nochmal recht herzlich bei Euch und Eurer Familie bedanken. Ich hätte es nachvollziehen können, wenn ich mein Studium nicht von hier aus fortsetzen hätte können.", bin ich ehrlich und versuche die richtigen Worte zu finden, um ihr zu sagen, weshalb ich wirklich noch hier bin.
„Da musst du dich bei meinem Bruder bedanken. Von den Auserwählten mag er dich wohl am meisten.", lächelt sie und schaut kurz zu Cleo runter, die perfekt neben ihr her läuft. Anders als Clifford, der seinen eigenen Kopf hat. Ich kann nur nicken und den Klos in meinem Hals versuchen zu ignorieren. „Prinzessin Charlotte, das was ich ihnen jetzt sage, hat absolut nichts mit Euch zu tun, Ihr seid eine großartige, junge Frau, aber..." Sie unterbricht mich, indem sie auf eine kleine Bank deutet und ihren Hund ableint. „Du kannst ihn auch ableinen. Die beiden können sich ein wenig austoben, während wir uns unterhalten können.", schlägt sie vor, worauf ich zustimme und Clifford ebenfalls ableine, sodass er mit seiner Freundin auf der Wiese spielen kann.
Die Prinzessin und ich gehen derweil auf die weiß gestrichene Bank zu und lassen uns auf dieser nieder. Für einen Moment schweigen wir, bis ich tief durchatme und für einen Moment die Augen schließe.
„Ich war die ganze Zeit nicht ehrlich. Ich hätte früher etwas sagen sollen und wollte Euch keine falschen Hoffnungen machen, aber das war absolut nicht geplant. Meine Eltern haben mich hier angemeldet, um das Geld zu kassieren, welches den Familien ausgezahlt wird. Ihnen war das Geld wichtig, nichts anderes. Die beiden sind Alkohol- und Nikotinabhängig. Mich würde es nicht wundern, wenn die beiden noch mehr Drogen zu sich nehmen, als dass ich es weiß. Das Amt weiß Bescheid, aber es ist ihm egal. Ich bin volljährig und könnte ja ausziehen, wenn ich wollte. Dass bei ihnen bald ein neues Kind einziehen soll, ist dem Amt ebenfalls egal." Ich merke nicht, wie ich mich immer mehr aufrege, bis sich eine manikürte Hand auf meinen Oberschenkel legt.
„Atme erstmal tief ein und aus.", flüstert die Prinzessin, was ich versuche zu machen und nach einem Augenblick auch richtig hinbekomme. „Und jetzt kannst du mir erklären, was das Amt mit deinen Eltern zu tun hat, das verstehe ich nicht. Nehmen sie Pflegekinder auf?" Ich nicke und raufe mir die Haare.
„Ich bin selbst Pflegekind. Mein Vater hat meine Mama damals verlassen. Da war ich zwölf oder so. Wir haben dann mit meiner Schwester zu dritt in einer Wohnung in Cardiff gewohnt, bis Mama und meine Schwester einen Autounfall hatten. Ihre Leichen sind zwar nie gefunden worden, aber sie müssen tot gewesen sein. Mamas Auto war vollkommen demoliert. Es gab keine Vordersitze mehr, so sehr war der Wagen kaputt. Ich war nicht dabei und habe meine Mutter verloren. Ich konnte nicht allein leben, war erst sechzehn. Dann bin ich zu meinen jetzigen Eltern gekommen.", erkläre ich und atme immer wieder tief durch, um nicht die Fassung zu verlieren.
„Das tut mir leid, Harry. Ich weiß nicht, ob dir das schon gesagt wurde, aber das Geld für dich geht auf ein extra Konto. Vater hat mir davon erzählt und hat sich am gleichen Tag noch darum gekümmert. Wenn du Zugriff zu dem Konto haben möchtest, musst du bescheid sagen. Wir geben dir die Daten gerne.", lächelt die Prinzessin und streicht für einen Moment über meinen Oberschenkel.
„Ich bin schwul. Ich habe die ganze Zeit nicht mit fairen Karten gespielt und es tut mir leid. Ich hätte ehrlich zu Euch sein können, aber mir fehlte der Mut dazu. Ich bin bei drei Menschen geoutet, alle anderen haben keinen blassen Schimmer davon, dass ich auf Männer stehe. Es tut mir so leid für Euch, ich habe Euch zwei Wochen lang falsche Hoffnungen gemacht und..." Prinzessin Charlotte unterbricht mich lächelnd und zieht mich in eine sanfte Umarmung.
Dabei sagt sie nichts. Sie umarmt mich einfach nur still, während ich mich für einen Moment sammeln und meinen Herzschlag unter Kontrolle bringen kann. Ich habe mich gerade bei der Prinzessin geoutet. Ich kann meine Sachen packen und verschwinden. Ich kann mich hier nicht mehr blicken lassen. Wieso sollte ich bleiben?
„Ich hoffe, dass mein Bruder dir besser gefällt, als ich?", will sie dann schmunzelnd wissen, während mein Herz für einen Moment verstummt. Ihr Bruder? Das ist Louis.
Perplex schaue ich sie an und merke, wie mir plötzlich viel zu heiß ist, während meine Hände anfangen zu schwitzen. Sie weiß von Louis und mir? Hat die Königin etwas erzählt oder Louis selbst?
Mir schwirren so viele Fragen durch den Kopf, sodass ich gar nicht mitbekomme, wie Prinzessin Charlotte mich für einen Moment mustert und dann eine Hand auf meine Schulter legt, als sie sich ein wenig auf der Bank gedreht hat.
„Ich verurteile dich dafür nicht, Harry. Mich freut es, dass mein Bruder jemanden gefunden hat, der es mit ihm aushält. Er ist anstrengend, glaub mir. Außerdem sind das seine Klamotten. Die Hose habe ich ihm letztes Jahr geschenkt.", grinst sie, worauf ich mit roten Wangen an mir runter schaue.
Daran hätte ich denken müssen, als ich mich an Louis' Kleiderschrank bedient habe. „Außerdem bist du erst heute Morgen in dein Zimmer zurückgekommen. Du warst bei ihm, das weiß ich und finde ich schön. Ist der Knutschfleck an deinem Nacken von ihm?" Ich nicke vorsichtig und versuche das Rauschen in meinen Ohren zu ignorieren.
Sie hasst mich nicht dafür, dass ich mit ihrem Bruder im selben Bett schlafe. Sie schaut mich nicht angeekelt an, weil ich sie belogen habe. Prinzessin Charlotte freut sich für mich. Das kann nicht sein.
„Louis hat mich gestern in einen Club mitgenommen. Als wir heute Morgen wieder hier waren, war er total durch und naja... mein Rücken war für ihn anscheinend ziemlich interessant.", gebe ich mit roten Wangen zu und zucke mit den Achseln. „Dein gesamter Rücken?" Prinzessin Charlotte lacht und deutet auf mein Shirt. „Kann ich den mal sehen? Ich brauche noch etwas, womit ich ihn aufziehen kann." Ich nicke und drehe mich unwohl mit dem Rücken zu ihr, bevor sie mein Shirt nach oben zieht und anfängt zu lachen.
„Du hast es sicherlich noch nicht gesehen, aber auf seinem Rücken prangt ein riesiges »L«", lacht sie, während ich mit großen Augen auf meinen Rücken zu schauen versuche. Jedoch sehe ich absolut nichts und bedanke mich bei ihr, als sie mir mein Shirt wieder runter zieht.
Dass Louis mich ernsthaft mit seinem Anfangsbuchstaben markiert hat, habe ich nicht mitbekommen. Ich hätte es unterbunden, aber jetzt ist es zu spät. Ich laufen mit seinem Initial auf meinem Rücken rum. Und das für die nächsten Tage.
Dann schweigen wir für einen Moment, bis Prinzessin Charlotte erneut das Wort ergreift. „Vielleicht hast du schon mitbekommen, dass ich morgen mit Vater und Louis zu einer Eröffnung fahre und wollte dich fragen, ob du mich dorthin begleiten möchtest? Ich soll einen der Auserwählten mitnehmen und da kamst du mir als erstes in den Sinn.", fragt sie dann, worauf mein Blick schneller zu ihr schnellt, als dass ich es selbst merke.
Kurz schaue ich sie verwirrt an, bevor ich mich räusperte. „Ihr habt es eben mitbekommen, als ich gesagt habe, dass ich schwul bin? Ich stehe auf Männer, der Anfangsbuchstabe Eures Bruders prangt auf meinem Rücken. Louis hat das auf meinem Rücken hinterlassen, keine Frau, auch nicht Ihr.", versuche ich es erneut, worauf Prinzessin Charlotte anfängt zu lachen. „Ich habe einen schwulen Bruder, ich weiß was das ist. Trotzdem möchte ich dich gerne mitnehmen." Kurz schweigt sie und schaut sich um, als wolle sie ausschließen, dass uns jemand belauscht.
„Ich bin auch nicht ehrlich gewesen. Zu allen Auserwählten nicht. Selbst zu meiner eigenen Familie nicht. Aber ich bin seit knapp einem halben Jahr in einer Beziehung. Ich liebe meinen Freund, der leider keiner der Auserwählten ist. Ein paar der Männer sind ganz süß, aber sie sind nicht mein Freund. Jeden, den ich morgen dort hin mitnehmen würde, würde sich Hoffnungen machen. Du nicht." Sie wird ein wenig rot, was mich lächeln lässt.
Auch wenn ich diese Nachricht für einen Moment verdauen muss. Sie ist kein Single mehr und hat anscheinend genau so viel Spaß an dem Drama hier wie ich. „Du könntest sowas wie mein Wingman werden. Wir spielen der Öffentlichkeit vor, dass wir uns prima verstehen, während ich meine Beziehung mit meinem Freund fortsetze und hier immer mehr Kandidaten nach Hause schicke, bis ich mich entscheiden muss. Aber ich habe noch mehr als fünf Monate Zeit, also hoffe ich, dass ich bis dahin eine Lösung finden werde.", erklärt sie weiter.
An sich würde das hier keinem von uns schaden, aber eine Fake- Beziehung einzugehen, stand nie auf meiner Agenda. Und die anderen? Sie werden mich noch mehr hassen. Aber ich kann so länger bei Louis bleiben, ohne dass es negativ auffällt.
„Aber ich muss Euch in der Öffentlichkeit nicht küssen? Ich glaube, das würde ich nicht lange überleben." Prinzessin Charlotte nickt lachend und spielt mit der Leine in ihrer Hand herum. „Mein Bruder kann ziemlich Besitz ergreifend sein, ich weiß. Aber mehr als ein Kuss auf die Wange wird wohl nicht nötig sein. Ich weiß nicht, ob wir morgen sonderlich viel mit der Presse reden müssen, aber wenn ja, sagen wir einfach nur, dass wir dabei sind, uns kennenzulernen. Du kannst sagen, dass ich eine liebenswerte Prinzessin bin und sowas. Ich rede ein wenig im generellen, wenn das okay ist für dich." Ich nicke und versuche, nicht ganz so nervös zu sein.
Ich werde morgen zu einer Eröffnung gehen. Offiziell mit Prinzessin Charlotte, inoffiziell mit Louis. Wie wird er es wohl finden, dass ich morgen den Begleiter seiner Schwester spielen soll? Wahrscheinlich nicht so toll, aber da müssen wir beide durch. Louis und ich.
„Wollen wir gleich noch eine Runde Tennis spielen?", wechselt die Prinzessin das Thema, worauf ich nur nicke. „Es ist wohl schon ein wenig länger her, als ich das letzte Mal gespielt habe.", Warne ich sie vor, doch anscheinend stört sie es nicht sonderlich.
Mit Elan getrieben, springt sie von der Bank auf und ruft die Hunde zu sich. „Bessere Gewinnchancen für mich, werter Mann!", schreit sie, während sie mit den Hunden vorläuft und ich mir dieses Bild nur lachend anschauen kann. Typisch Frau...
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