Kapitel 9
Songempfehlung: Britt Lari - Wild
»Heute Nacht werde ich Sex haben!«, Reya sprach die Worte so mir nichts dir nichts aus, als wären sie etwas ganz Alltägliches - und für manche Menschen waren sie das womöglich auch. Doch wer Reya kannte, der wusste, dass ihre bisherigen Erfahrungen in der Liebe alles andere als rosig waren. Sie bestanden nicht aus Blümchen, Küsschen und verliebten Blicken, sondern sie hatten ihrem Glauben an die große Liebe einen gewaltigen Dämpfer verpasst. Nichtsdestotrotz war Reya bereit, der Liebe eine zweite Chance zu geben.
Man könnte sogar meinen, dass sie sich nichts aus diesen unschönen Erfahrungen machte. Dass sie darüber stand, schließlich war sie ein Mensch, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzte. Ja, Reya war vieles. Sie war mutig, vorlaut und unerschrocken, jemand, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Aber es gab da auch eine Seite an ihr, die sie kaum jemandem offenbarte. Eine Seite, die sehr viel verletzlicher und sensibler war, als sie andere glauben ließ. Ihre ersten Erfahrungen mit dem Thema hatten kein schönes Ende genommen und seither verschloss sie sich davor.
Bis jetzt.
Denn das sollte sich heute Abend ändern. Am First Year Prom, den sie gemeinsam mit Jesse, besagtem Typen, den sie vor einem Monat auf der Silvesterparty kennengelernt hatte, besuchen wollte.
Für gewöhnlich war es eine ungeschriebene Tradition in Yale, dass sich Mitbewohner gegenseitige Dates organisierten. Da allerdings klar war, dass Charlotte sich in Begleitung ihres Verlobten befinden würde und Reya Jesse erst vor Ort antraf, hatten die beiden auf diese Gepflogenheit verzichtet. Selbst Caya, die normalerweise für jeden Spaß zu haben war, boykottierte unsere Einmischung. Sie wollte mit Noah hingehen.
Lediglich Yuki und ich hatten keine Verabredungen.
Nun ja. Wobei das nicht so ganz der Wahrheit entsprach, denn Caya und ich hatten für Yuki ein Blind Date organisiert. Mit Ren. Allerdings wusste Yuki, im Gegensatz zu Ren, noch nichts von ihrem Glück. Ren war natürlich hellauf begeistert von der Idee, den Abend mit Yuki verbringen zu können. Sie dagegen würde es erst herausfinden, nachdem sie eine Art Schnitzeljagd mit mehreren Hinweisen hinter sich gebracht hätte, die sie schlussendlich zu ihm führten. Obwohl wir uns im Klaren darüber waren, dass Yuki sich mit großer Wahrscheinlichkeit tierisch darüber aufregen würde, konnten wir nicht widerstehen. Womöglich war es unsere Art, uns an ihr zu rächen, weil sie kein Sterbenswörtchen über ihr vergangenes Date mit Ren verlor. Egal wie viel und wie oft wir nachbohrten, sie hüllte sich in exzessives Schweigen und verzog dabei nicht mal eine Miene.
»Du willst dein zweites erstes Mal wirklich mit diesem Langweiler verbringen?«, Caya warf Reya einen zweifelhaften Blick durch den Spiegel zu, an dem sie sich gerade die Wimpern tuschte.
»Jesse ist kein Langweiler!«, protestierte Reya empört und schenkte Caya einen boshaften Blick. »Er ist niedlich, nett und blond. Alles was ein Mann braucht, um attraktiv zu sein.«
»Oh bitte!«, Caya schnalzte verächtlich mit der Zunge. »Erstens gibt es auch andere niedliche Typen, die nicht einer absoluten Modesünde verfallen sind. Ich meine... Tennissocken unter Adiletten? Ernsthaft? Leben wir in Deutschland?«, Caya rümpfte angeekelt die Nase. »Zweitens: Du hast ihn als nett beschrieben und nett ist bekanntlich die kleine Schwester von Scheiße. Und Drittens«, Caya reckte den dritten Finger in die Höhe, holte zu ihrem finalen Gegenschlag aus und machte Reyas Argumenten den Garaus. »Gibt es wenig blonde Typen, die wirklich heiß sind. Und Jesse McAllen gehört definitiv nicht zu dieser Kategorie.«
»Du bist absolut erbarmungslos, weißt du das?«, Reya stemmte beleidigt die Hände in die Hüfte und starrte Caya wütend an.
Caya zuckte nur lässig mit den Schultern.
»Ich nenne es erbarmungslos ehrlich, meine Chicka. Aber ich verurteile deine Entscheidung nicht. Dein Keller muss mal wieder gefegt werden, egal von wem, dort wimmelt es sicher nur so vor Staub und Spinnweben«, sie machte eine vage Handbewegung zu Reyas Mitte alias besagter Keller.
Reya unterdessen fiel die Kinnlade herunter. Charlotte brach in schallendes Gelächter aus, auch ich prustete los und Yukis Reaktion bestand aus dem Heben einer Augenbraue, was wohl so viel bedeuten sollte, wie dass sie Cayas Spruch ebenfalls recht amüsant fand.
»Das sagt ja die Richtige!«, Reya deutete in Cayas Richtung und in ihren braunen Augen schimmerte ein verräterisches Funkeln. »Wann wurde denn dein Keller zum letzten Mal gefegt?«
»Oh, das ist eine einfach Frage«, Cayas Lippen teilten sich zu einem diabolischen Grinsen und präsentierten eine Reihe weißer Zähne. »Gerade gestern erst.«
»Gestern?«, nun war ich diejenige, der die Kinnlade herunter fiel. »Aber... Aber du hast gar nichts erwähnt! Ich dachte, du und Noah wollten es langsam angehen?«
»Naja«, Caya schürzte die Lippen. »Das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun. Sex ist wichtig. Wir wollten es beide, so what?«
Noch ehe ich etwas erwidern konnte, funkte Reya dazwischen. Sie bekam buchstäblich einen Nervenzusammenbruch.
»Scheiße verdammt! Ich werde heute doch keinen Sex haben. Wisst ihr auch warum? Nein? Ich werd's euch sagen!«, sie holte tief Luft, während wir sie aus großen, fassungslosen Augen beobachteten. Einen solchen Ausbruch hatten wir an Reya noch nie beobachtet.
»Ich bin super nervös, weil mein erstes Mal so scheiße war und ich mich kaum richtig daran erinnere. Himmel! Ich weiß nicht einmal, was ich machen muss. Wie ich mich bewegen soll. Ich meine, wenn ich auf ihm sitze, was mache ich mit meinen Hüften? Vor und zurück oder hoch und runter bewegen? Und wie soll ich stöhnen? Laut oder eher leise? Zu laut ist schließlich ein totaler Abturn, aber wenn ich zu leise bin, könnte er glauben, dass es mir nicht gefällt! Was wenn er denkt, dass ich einen auf Seestern mache, weil ich einfach nur reglos da liege? Ich habe immer eine große Klappe, aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann hab ich keinen Plan, wie Sex eigentlich funktioniert. Ihr müsst mir helfen!«
Von der einen auf die andere Sekunde kehrte absolute Stille ein. Dann brach das Chaos aus. Caya prustete los, was ihr lynchende Blicke von Charlotte einbrachte, die Reyas Ängste durchaus ernst nahm. Yukis Augen waren so groß wie Untertassen und hastig versteckte sie ihr Gesicht hinter ihrem Laptop, um sich dieser peinlichen Situation zu entziehen. Und ich? Ich schloss mich Charlotte an. Reya tat mir richtig leid. Sie machte sich unglaublich viele Gedanken über das Thema Sex, statt es einfach zu genießen und alles auf sich zukommen zu lassen.
»Also, es ist ganz einfach«, setzte Charlotte hochmotiviert und voller Tatendrang an. »Ihr bringt euch gegenseitig in Stimmung.«
»Genau«, stimmte ich ihr nickend zu, da ich ebenfalls etwas beitragen wollte. »Zum Beispiel indem ihr euch küsst.«
»Und dann zieht ihr euch aus und berührt euch«, fuhr Charlotte fort. »Du musst schließlich erst einmal in Stimmung kommen.«
Reyas Kopf wanderte zwischen Charlotte und mir hin und her, während wir sie mit knappen, prägnanten Ratschlägen bombardierten.
»Die Verhütung nicht vergessen«, warf Yuki trocken ein, während sie kurz von ihrem Laptop aufblickte.
»Und dann..«, Charlotte wollte ihre Erklärung weiterführen, als Caya sie fluchend unterbrach.
»Himmel Herrgott! Das klingt ja zum Sterben langweilig! Läuft euer Sex immer so ab?«, Caya schüttelte ungläubig den Kopf, im nächsten Moment linste sie zu Yuki rüber und verlangte nach deren Laptop. »Gib mal her.«
Yuki zögerte kurz, ehe sie Caya widerwillig ihren wertvollsten Besitz überließ.
»Was hast du vor?«, fragte ich mit zusammengekniffenen Brauen, während Caya wie wild auf den Laptop einhämmerte. Eine Sekunde später erklang ein lautes Stöhnen aus den Lautsprecherboxen. Yuki, die neben Caya saß, versteifte sich und starrte aus großen Augen auf den Bildschirm ihres Computers. Dann legte sie den Kopf schräg, als könnte sie so besser verstehen, was sich gerade auf ihrem Laptop abspielte.
»Na was wohl?«, ein schelmisches Grinsen schlich sich auf Cayas zartes Gesicht. »Wir schauen einen Porno!«
♥
Nachdem Johnny Sinner die vollbusige Dirty Veronica in mindestens zehn verschiedenen Stellungen genommen hatte, bei denen sich selbst eine Ballerina die Knochen gebrochen hätte, bestand unser einziger Erfolg darin, dass Reya endlich ein absolut unrealistisches Bild von Sex hatte. Charlotte und ich versuchten noch Schadensbegrenzung zu betreiben, indem wir ein eher umspektakuläres Filmchen raussuchten und ihn Reya unter die Nase hielten, aber leider war Reyas Vorstellung schon in Mitleidenschaft gezogen worden.
Irgendwann gaben wir es auf und machten uns fertig für den First Year Prom.
»Verdammt, wir sehen heiß aus!«, stieß Caya später anerkennend aus, als sie uns der Reihe nach musterte. Ich tat es ihr gleich.
Caya trug eine besondere Version des kleinen Schwarzen, welches ihr bis zu den Knien reichte und strahlender glitzerte, als ein Diamant im Sonnenlicht. Es schmeichelte ihren roten Locken und ließ sie hervorstechen wie eine Flammenbracht in dunkler Nacht. Wie immer hatte sie sich das Deckhaar zu zwei Buns geknotet und auch ihr übliches Markenzeichen in Form von schwarzen Doc Martens durfte nicht fehlen. Caya sah umwerfend aus. Genau wie Yuki, die ein knielanges, schwarzes Qipao Kleid aus seidenem Stoff trug, auf dem rote Drachen eingearbeitet waren. Doch der wahre Hingucker war ihr Dekolleté, das ein tropfenförmiger Ausschnitt zierte, ehe der Stoff sich um ihren Hals wieder schloss. Das dunkle Haar floss ihr wie ein Wasserfall über den Rücken und ihr Gesicht war wunderschön durch ein dezentes Make-Up hervorgehoben, was auf Cayas Konto ging. Ren würden die Augen ausfallen.
Nach Yuki nahm ich Reya in Augenschein, deren Wahl auf ein auffälliges, rotes Seidenkleid gefallen war, das einen weiten Ausschnitt mit Spaghettiträgern aufwies sowie einen breiten Beinschlitz, der freien Blick auf ihre wohlgeformten, langen Beine freigab. Doch besonders prägnant war das Korsett, aus dem der obere Teil ihres Kleides bestand. Sie sah umwerfend aus und besonders das Rot schmeichelte ihrem gebräunten, südländischen Teint. Ihr schwarzes Haar trug sie hochgesteckt, doch die zwei vordersten Strähnen stahlen sich aus ihrer Frisur und verliehen ihr etwas Sanftmütiges.
Zu guter Letzt betrachtete ich noch Charlotte. Sie hatte sich für ein klassisches Ballkleid entschieden, das aus einem blauen Tüllrock bestand und dessen herzförmiger Ausschnitt mit tausenden von Perlen bestickt war. Das braune Haar trug sie in spiralförmigen Locken und schmückte ihre Frisur - natürlich - mit einem ihrer innig geliebten Haarreifen. Sie sah aus wie eine wahre Prinzessin, innerlich wie auch äußerlich.
Und ich? Ich trug ein Kleid, das im Groben dem von Reya glich. Obwohl Reyas Kleid an Eleganz kaum zu übertreffen war, schien mein Kleid noch eine Spur anmutiger. Denn trotz des einfachen Schnittes, legte es sehr viel nackte Haut frei. Es handelte sich um ein hauchzartes Seidenkleid in schlichtem Mintgrün mit weitem Ausschnitt und Spaghettiträgern. Um den Oberkörper herum saß es recht eng und wurde auf der Rückseite geschnürt, was dafür sorgte, dass mein gesamter Rücken komplett entblößt war. Dem Betrachter wurde somit nicht viel der Vorstellung überlassen. Das Ganze rundete ich mit ein paar goldenen Riemchensandalen ab, die man bis zu den Knien schürte und die immer wieder hervorblitzten durch einen Beinschlitz, der bis zur oberen Hälfte meines Oberschenkels reichte. Zunächst fühlte ich mich etwas unwohl, da ich befürchtete, das helle Grün könnte meine ohnehin schon blasse Haut noch fahler wirken lassen, ebenso wie der tiefe Ausschnitt in meinem Dekolleté, der meine hässliche Narbe hervorhob. Doch wenn man von der Narbe mal ganz absah, gefiel mir mein eigener Anblick.
Ein Blick in den Spiegel sorgte sogar dafür, dass sich all meine Unsicherheiten in Luft auflösten. Ich sah hübsch aus. Richtig hübsch. Anmutig, elegant und sexy. Ich erkannte mich fast nicht wieder.
»Lasst uns ein Gruppenfoto machen«, trällerte Caya und zückte ihr Handy. Von Charlotte und Reya erklangen zustimmende Laute, während Yuki ihre Meinung darüber nur mit einem abfälligen Grummeln kundtat. Allerdings ergab sie sich ihrem Schicksal und rückte dichter an mich heran. Wir stellten uns in Reih und Glied, woraufhin Caya ein Selfie von uns schoss.
Ich ließ mir von ihr das Bild zusenden. Es war wirklich ein schönes Foto - und verdammt, Caya hatte recht! Wir sahen alle wirklich gut aus. Nach kurzem Überlegen lud ich das Foto sogar auf meinem Instagram Profil hoch, mit der Unterschrift:
We said yes to the dress 💁♀️ #promtime
Natürlich fragte ich mich instinktiv, ob Julian das Bild wohl sehen würde? Allerdings bezweifelte ich es, denn wir folgten uns in den Sozialen Medien nicht und sicherlich hegte er auch nicht den Wunsch, daran etwas zu ändern. Es war besser, wenn es so wenig Hinweise auf eine Verbindung zwischen uns gab, wie nur möglich. Davon abgesehen war Julian vermutlich nicht so versessen wie ich und stalkte mein Profil tagtäglich, so wie ich es bei seinem tat.
Jaaa, ich wusste, dass ich einen ungesunden Bezug zu Julians Social Media Profil besaß und jaaa, ich wusste, dass es nicht förderlich für meine Heilung war, ihn jeden Tag zu stalken - daran erinnerte Caya mich mindestens drei Mal täglich, wenn sie mich beim Stalken erwischte. Aber ich konnte nicht anders. Es war wie ein innerer Zwang.
»Also gut, dann lasst uns gehen!«, Reya brachte etwas Bewegung in unsere Runde. Wir schnappten uns alle gar unsere Taschen und Mäntel und machten uns auf den Weg zum Omni Hotel, wo der First Year Prom stattfand. Das Omni Hotel lag gerade mal zwei Blocks vom Old Campus entfernt und so war es nur ein knapp zehnminütiger Fußmarsch, bis wir unseren Zielort erreichten. Dennoch waren meine Füße absolut durchgefroren und meine Zähne klapperten von der eiskalten Januarluft. Ganz zu Schweigen von meinem Kreislauf, der selbst mit diesem kleinen Spaziergang massiv zu kämpfen hatte. Vor Ort angekommen brauchte ich erst einmal eine kurze Verschnaufpause.
Wir trafen Noah und Charlottes Verlobten Lenny vor dem Omni Hotel. Reya würde ihre Begleitung erst auf der Fete treffen. Sie hatte darauf bestanden, gemeinsam mit uns in den Abend zu starten, um wenigstens ein bisschen Quality Time mit ihren Freundinnen zu erleben - ihre Worte, nicht meine. Ich hingegen vermutete ja, dass der wahre Grund dahinter der war, dass sie sich davor zu drücken versuchte, Jesse näherzukommen. Ich verstand ohnehin nicht, weshalb sie sich einen solchen Druck machte. Vielleicht sollte sie sich selbst etwas mehr Zeit geben, um Jesse besser kennzulernen und sich in ihrer Entscheidung sicherer werden.
Mein Blick wanderte zu Noah. Er hatte sich richtig in Schale geworfen für Caya. Mit seinem Navy blauen Anzug und seiner Football Statur, die sich deutlich darunter abzeichnete, sah er wirklich fabelhaft aus. Caya fiel ihm sogleich um den Hals und küsste ihn innig.
So viel zum Thema langsam angehen. Aber wenn Caya glücklich war, war ich es ebenfalls. Ich gönnte ihr von Herzen, wenn es mit Noah endlich rund lief. Auch Lenny, den ich heute zum ersten Mal kennenlernen durfte, machte einen äußerst freundlichen Eindruck. Er stammte, genau wie Charlotte, aus reichem Hause, was man seinem maßgeschneiderten Markenanzug direkt entnehmen konnte. Doch statt die typischen Klischees zu bedienen, dass reiche Leute an Hochnäsigkeit und Arroganz nicht zu überbieten seien, belehrte uns Lenny eines Besseren. Er war wirklich außerordentlich zuvorkommend und legte wohlerzogene Manieren an den Tag. Gentlemanlike öffnete er uns jede Tür und ließ uns überall den Vortritt. Und die Kirsche auf dem Sahnehäubchen war natürlich, dass er auch noch absolut vernarrt in Charlotte zu sein schien. Der perfekte Boyfriend, wie Reya damals erzählt hatte, als sie sich über Charlottes Bilderbuchbeziehung lustig gemacht hatte. Aber Charlotte besaß wirklich großes Glück...
Gemeinsam betraten wir die Wärme des Gebäudeinneren und ein erleichterndes Seufzen kam über meine Lippen. Das Omni war ein Vier-Sterne-Hotel, was sich in dem Interieur des Gebäudes deutlich widerspiegelte. Ich fand mich in einer Lobby wieder, deren Boden aus hochpolierten, marmorähnlichen Fließen bestand, die wunderbar mit der Rezeption aus edlem, rotbraunem Mahagoniholz harmonierten. Alleinstellungsmerkmal des Omni Hotels jedoch waren definitiv die atemberaubende Aussicht über New Haven und die Größe des Hotels. Es besaß die perfekten Rahmenbedingungen für das Veranstalten besonderer Festlichkeiten.
Gemeinsam reihten wir uns in dem Ansturm weiterer Studenten in Abendkleidung ein, die warteten, um mittels Fahrstuhl in den neunzehnten Stock zu gelangen. Dort befand sich nämlich der Grand Ballroom mit seinen fast zehntausend Quadratmeter. Er bot Platz für bis zu sechshundert Gäste.
»Wir sollten die Treppe nehmen. Etwas für die Umwelt tun und so«, bemerkte Reya und warf einen raschen Blick zu der Beschilderung, die ins Treppenhaus führte.
»Das ist viel zu anstrengend für Laney, du Blitzmerker«, mischte sich Caya mit einem Augenrollen ein.
»Oh, stimmt«, Reya schaute zerknirscht in meine Richtung und schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln. Ich winkte nur ab, da es für mich nicht weiter tragisch war, dass meine Erkrankung hin und wieder in Vergessenheit geriet. Ganz im Gegenteil, es gefiel mir sogar. Denn es bedeutet, dass meine Freunde in mir nicht nur das kranke, arme Mädchen sahen. Dass meine Krankheit mich nicht ausmachte. Mich nicht bestimmte.
Nach geschlagenen zehn Minuten kamen wir endlich mit dem Aufzug im neunzehnten Stock an und folgten der Menschentraube, die sich zum Eingang des Ballsaals zubewegte. Um uns herum herrschten reges Treiben, Aufregung und glückliche Gesichter. Laute Gespräche zogen an meinen Ohren vorbei durch die Flure und belebten das Hotel mit einer Euphorie und Energie, die nur auf Bällen herrschte. Vor dem Grand Ballroom gab es eine kleine Garderobe, an der man seine Jacken und Mäntel abgeben konnte. Eine brillante Idee, wie ich fand, denn ich verspürte herzlich wenig Lust, den ganzen Abend meinen Mantel Spazieren zu tragen. Also folgte ich meinen Freundinnen zu dem Garderobenstand.
Ich war gerade im Begriff, mir meinen Mantel über die Schulter zu streifen, als mein Blick auf die Person fiel, die hinter dem provisorischen Tisch stand, um Jacken und Mäntel entgegenzunehmen. Oder besser gesagt: die beiden Personen.
Es waren Julian... und Daphne.
Mein Herz rutschte mir in die Hose und um ein Haar wäre mir meine Jacke aus den Händen geglitten. Schockstarre breitete sich in meinem gesamten Körper aus, während ich Julian und seine Exfrau fassungslos musterte.
Das Schlimme an der ganzen Sache jedoch war, dass die beiden nebeneinander ein unfassbar atemberaubendes Pärchen abgaben.
Julian trug einen Smoking, dessen Sakko aus einem metallicfarbenen, dunklen Grün bestand. Einem Grün, das sowohl seine Augen als auch seinen athletischen Körper sehr vorteilhaft zur Geltung brachte. Das Ganze kombinierte er mit der farblich dazu passenden Anzughose, einem schwarzen Hemd und Fliege. Sein braunes Haar, das normalerweise immer perfekt lag, schien er heute nicht gebändigt zu haben, stattdessen war es ein wildes Durcheinander.
Julian hatte diese Art Präsenz, die absolut vereinnahmend war. Eine Präsenz, die nun den gesamten Hotelflur ausfüllte und ihn zum Fluchtpunkt machten. Als wäre er ein schwarzes Loch, das alles und jeden wie magisch anzog.
Fuck, Julian sah gut aus.
Umwerfend gut.
So gut, dass es ein Verbrechen sein sollte, ihn auch nur anzuschauen.
Ich schluckte schwer und ein sehnsuchtsvolles Ziehen ergriff Besitz von meinem Körper. Bilder rasten durch meinen Kopf. Bilder von Julian. Bilder, wie er ohne diesen Anzug aussah. Bilder, wie er mich küsste. Leidenschaftlich. Bilder wie er mich in seinen starken Armen hielt.
Aber auch Bilder, wie ich in seinem Vorlesungssaal beinahe gestorben wäre...
Doch all das rückte in den Hintergrund, als ein lautes, hohes Lachen erklang und sich eine Hand mit langen, rotlackierten Nägel auf seinen Arm legte.
Daphne.
Was zum Teufel hatte Daphne hier zu suchen?
Ein schmerzhafter Stich breitete sich in meinem Innern aus, als ich dabei zusah, wie sie ihn berührte. Wie sie neben ihm stand. Ihm nahe war. Während ich es... nicht war.
Hatte er sie etwa eingeladen? War sie sein Date? Was tat sie hier? Mir wurde speiübel und eine eiserne Hand krampfte sich um meinen Magen.
In diesem Moment entdeckte Julian mich. Seine Augen fanden meine und zwei Welten prallten aufeinander. Um ein Haar wäre mir das Herz stehen geblieben und der intensive Blick aus seinen smaragdgrünen Augen lähmte mich für mehrere Sekunden.
Ich vergaß die Zeit.
Ich vergaß den Ball.
Ich vergaß all die Leute und meine Freundinnen um mich herum.
Ja, ich vergaß selbst das Atmen.
Es fühlte sich an, als wäre Julian das Licht und ich die Motte, die unweigerlich von ihm angezogen wurde - und ihm schien es mit mir nicht anders zu ergehen. Denn ich sah, wie seine Augen über mich hinweg streiften. Über mein Gesicht, mein Kleid, meinen Körper. Er betrachtete mich von Kopf bis Fuß und ein hungriger Ausdruck trat in sein Gesicht. Als wäre ich ein Traum, den er sich genauestens einprägte, ehe er verblasste. Eine Gottheit, der er huldigen wollte. Und seine Augen... Ich konnte sie fast schon auf meinem Körper spüren, wie Hände, die mich sanft berührten. Ein grünes Feuer glühte in ihnen. Ein Feuer, das Gänsehaut in mir hervorrief und nur unter größter Anstrengung widerstand ich dem Drang, meine Arme um mich zu schlingen, um mich vor ihm zu verdecken. Und sei es nur drum, die Reaktion meines Körpers zu verbergen, die ihm sicherlich nicht entging - damit meinte ich nicht nur mein beschleunigter Atem, sondern allem voran meine Brüste, die sich aufrichteten. Ich verfluchte mich, dass ich wegen des Rückenausschnitts meines Kleides auf einen BH verzichtet hatte!
Julian verlieh dem Sprichwort Sich mit Augen ausziehen eine ganz neue Bedeutung. Trotz des Kleides fühlte ich mich absolut entblößt. Ich hätte auch genauso gut nackt vor ihm stehen können.
War das normal? Würde es immer so sein? Würde ich immer so heftig auf Julian reagieren? Es war unvorstellbar.
Ich hatte keinen Schimmer, wie viel Zeit verging, während wir uns einfach nur anstarrten. Doch die Ernüchterung folgte sogleich in Form von Daphne, die sich in Julians Blickfeld drängte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es fühlte sich an, als würde mir ein Eimer eiskaltes Wasser übergekippt. Unser Blickkontakt brach ab und die plötzliche Unterbrechung verursachte mir beinahe schon körperliche Schmerzen.
»Scheiße, was macht die denn hier?«, hörte ich plötzlich Reya neben mir murmeln, die wohl ebenfalls Notiz von Julians Exfrau genommen hatte.
»Über wen lästern wir? Ich möchte mitmachen!«, mischte sich Caya ein, linste über unsere Schultern und spitzte die Ohren.
»Na von der Ex meines Bruders alias dem größten Flittchen, das die Welt je gesehen hat«, flüsterte Reya mürrisch, um unser Gespräch vor neugierigen Ohren zu schützen.
»Was?«, stieß Caya überrascht aus und ihr Kopf fuhr neugierig herum, um Daphne genauer in Augenschein zu nehmen. »Das ist Professor Wrights Frau?«
»Exfrau«, widersprachen Reya und ich unisono. Wir tauschten einen hastigen, aber dennoch belustigten Blick aus. Schön zu wissen, dass ich mit meiner Aversion gegen Daphne nicht alleine dastand. Doch nach allem, was Daphne Reyas Bruder angetan hatte, war es kein Wunder, dass Reya Julians Ex genauso verabscheute, wie ich.
Während wir in der Schlange warteten, um unsere Jacken abzugeben, wanderte Julians Blick immer wieder zu mir. Ein sehnsüchtiges Funkeln flackerte in in seinen Augen, das mir jedes Mal heftiges Bauchkribbeln bescherte.
Ich mied seinen Blick stoisch, doch mit jedem Schritt, den wir ihm und Daphne näher kamen, wuchs meine Nervosität. Als wir endlich an der Reihe waren, blieb mir nichts anderes mehr übrig, als hoch zu sehen.
»Hallo Bruderherz!«, Reya grinste und kniff Julian über die Tische hinweg in den Arm.
»Hallo«, erklang Julians Stimme. Sie klang wie immer rau, melodisch, verführerisch. Doch es schien, als begrüße er weniger seine Schwester, als mich. Ich schluckte schwer und es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis ich schon wieder vollkommen von ihm eingenommen war. Meine Augen wanderten über seine perfekten Gesichtszüge, seine gerade Nase, die hohen Wangenknochen und die sinnlich geschwungenen Lippen, die förmlich zum Küssen einluden. Darauf, wie gut er in einem Smoking aussah, wollte ich gar nicht erst zu sprechen kommen.
»Hey«, erwiderte ich atemlos und klammerte mich an meinen Mantel, den ich noch immer in den Händen hielt.
»Hallo«, mischte sich plötzlich eine weitere weibliche Stimme ein. »Wollt ihr eure Jacken abgeben?«
Daphne.
Allein der hohe Klang ihres Soprans verursachte mir Brechreiz. Ich hätte niemals gedacht, dass ich in der Lage war, einen Menschen wahrhaftig zu hassen, aber Daphne kam dem gefährlich nahe. Für sie war ich durchaus bereit, eine Ausnahme zu machen. Mein Blick richtete sich auf die Frau an Julians Seite.
Sie sah wie immer unverschämt schön aus. Mit ihren langen Beinen reichte sie Julian fast bis zur Hälfte seines Kopfes - und Julian war locker über einen Meter neunzig groß. Nun gut, man musste zusätzlich erwähnen, dass sie auch High Heels trug, die höher waren, als das Empire State Building. Bildlich gesprochen, versteht sich.
Daphnes sattes, dunkelbraunes Haar war spiegelglatt, reichte ihr bis zur Brust und strahlte - unfairerweise - im Licht der an den Decken befestigten Kronleuchter heller, als die untergehende Sonne auf einem Meeresspiegel. Das ungewöhnliche Blau ihrer Augen wurde von schwarzem Kajal noch mehr hervorgehoben und verlieh ihrem Gesicht pure Perfektion. Sie sah aus wie ein Supermodel, das gerade frisch vom Victoria Secrets Laufsteg kam, um auf dem First Year Prom in Yale Jacken entgegenzunehmen.
Mit einem Mal kam ich mir neben ihr völlig schäbig vor, obwohl ich wusste, dass auch ich heute ziemlich gut aussah. Ich versuchte mir einzureden, dass Daphnes hässlicher Charakter ihrer Schönheit viel zu sehr Abbruch tat, aber als ich meine Augen über ihr Kleid wandern ließ, hätte ich am liebsten laut aufgestöhnt. Sie hatte sich alle Mühe gegeben, so wenig Stoff wie nötig zu tragen und so viel Haut wie möglich zu zeigen. Ihr Kleid, sofern man es als solches bezeichnen konnte, trug ein knalliges Rot und bestand aus zwei schmalen Bändern, die ihre üppige Oberweite gerade so an Ort und Stelle hielten. Daphne musste großes Vertrauen in diese zwei Stofffetzen haben. Ihr Rock reichte bis zum Boden und wies zwei große Beinschlitze rechts und links auf, die ihr bis zur Hüfte reichten. Eine falsche Bewegung und man würde ihre Unterwäsche sehen können.
Heiliger Bimmbamm!
Daphne wusste ihre Reize und ihren kurvenreichen Körper gut in Szene zu setzen.
»Yep, wir wollen unsere Jacken abgeben, aber nicht bei dir. Bros before Hoes«, konterte Reya ohne Daphne eines Blickes zu würdigen und reichte Julian ihren Mantel. Ich räusperte mich verlegen und unterdrückte ein Schmunzeln. Schön, dass Reyas Temperament nach ihrer Panikattacke vor dem Ball wieder sein Comeback feierte. Daphnes Mundwinkel hingegen fielen rapide nach unten und ein abschätziger Ausdruck trat in ihre Augen. Doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Stattdessen räusperte sie sich lautstark und setzte wieder ihr bezauberndstes Lächeln auf, als sie die Jacken von Yuki und Charlotte entgegennahm.
Da ich Julian direkt gegenüberstand, tat ich es Reya gleich und reichte ihm meinen Mantel.
Unsere Finger berührten sich.
Ein Schock durchfuhr meine Hand, breitete sich in meinem gesamten Körper aus und verleitete mich dazu, hastig meine Hände wegzuziehen. Seit unserer kleinen Auseinandersetzung in der Sporthalle hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Keine Ahnung, ob Julian noch immer sauer war, weil ich Dylan geküsst hatte. Um ehrlich zu sein, konnte ich es ihm nicht einmal verübeln. Denn die Eifersucht, die ich jetzt verspürte, wenn ich ihn und Daphne zusammen sah, stand seiner in keinster Weise nach. Es zerriss mir beinahe das Herz. Es machte mich krank.
Ich hasste mich dafür, dass ich nicht einfach vergessen konnte, was Julian mir vor drei Monaten angetan hatte, denn in diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als ihm nahe zu sein. Auch wenn in meinem Kopf tausende von Fragezeichen herrschten wegen Daphnes Anwesenheit hier. Doch es gab sicherlich einen vernünftigen Grund für ihr Zugegensein. Oder?
»Kein Date für den Ball, Laney?«
Ich brauchte eine Sekunde, um mir bewusst zu werden, dass Daphnes neckender Tonfall an mich gerichtet war. Julians Körper schien sich bei Daphnes Worten zu verkrampfen und sein Blick wurde völlig starr. Ich riss mich von Julian los und schaute zu der Frau neben ihm.
Daphnes Blasiertheit bestimmte ihr gesamtes Gesicht und plötzlich erschien sie mir gar nicht mehr so schön, wie noch wenige Sekunden zuvor.
»Nein«, ich schenkte ihr ein kühles Lächeln. »Ich bevorzuge heute Abend die Gesellschaft meiner Freunde.«
»Was ein Jammer, du solltest deinen Horizont etwas erweitern und Ausschau halten nach ein paar süßen Jungs in deinem Alter. Das Angebot heute Abend ist schließlich groß.«
Mir entging keinesfalls die Art und Weise, wie Daphne die Worte in deinem Alter aussprach.
Julian versteinerte noch mehr und ich wettete, dass er sichtlich Mühe hatte, Daphne keine Szene zu machen. Insbesondere vor all den Partygästen. Schließlich waren wir nicht alleine und die Schlange an Studenten hinter uns, die ebenfalls ihre Jacken abgeben wollten, erstreckte sich ins Unermessliche.
»Du wirst es nicht glauben, Daphne, aber es gibt auch noch Frauen, die ihre Sexualpartner nicht so oft wechseln, wie ihre Unterwäsche«, erklang es plötzlich zuckersüß von meiner Rechten. Reya.
Gott, was geschah hier gerade? Dieses Gespräch lief in eine völlig falsche Richtung. Wenn ich nicht gleich intervenierte, würde das Ganze in einem schrecklichen Chaos enden. Ich warf einen entsetzten Blick zu Julian, der mindestens genauso erschrocken über Daphnes und Reyas Disput wirkte, wie ich.
»Natürlich, du musst es ja wissen, nicht wahr Reya?«, Daphne lächelte Reya unterkühlt an. Reya erstarrte und sog scharf die Luft ein. Doch das unheilvolle Funkeln in ihren dunkelbraunen Augen verstärkte sich. Die beiden Frauen lieferten sich ein Blickduell und es schien, als trugen sie einen nonverbalen Krieg miteinander aus.
»Daphne«, flüsterte Julian kaum hörbar und drehte sich zu seiner Exfrau um. Vorsichtig berührte er sie am Arm. »Halte dich zurück.«
Julians Stimme war leise. Drohend. Doch sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Unterdessen konnte ich nur auf die Stelle starren, wo sich Julians Hand um Daphnes Arm geschlungen hatte. Sein eisiger Befehl stand in totalem Kontrast zu der Berührung und trotzdem kündigte sich wieder dieser schmerzhafte Stich in meinem Innern an.
Meine linke Hand begann heftig zu zittern und zu zucken.
Nein, nein, nein, nein.
Weshalb ausgerechnet jetzt?
Hastig ballte ich sie zu einer Faust.
Ich räusperte mich geräuschvoll, um die Aufmerksamkeit aller auf mich zu lenken.
»Danke für den Tipp, Daphne, aber ich passe«, mit diesen Worten wandte ich mich ohne einen weiteren Blick ab und ging in Richtung Eingang des Ballsaals davon. Ich spürte die Augen aller in meinem Rücken, aber ich ertrug es nicht mehr länger, Julian und Daphne zusammen zu sehen...
Während Noah und Lenny sich bereit erklärten, schon einmal Getränke zu besorgen und zur Bar liefen, folgten meine Freundinnen mir eilig weiter in den Ballsaal.
»Was eine Bitch!«, erklang es von Caya.
»Sie ist ein absolutes Flittchen!«, Reya.
»Sie schien wirklich gemein zu sein«, stimmte Charlotte zu.
»Soll ich ihr Handy hacken und peinliche Bilder auf ihrem Social Media Account hochladen?«, fragte Yuki unschuldig und zückte bereits voller Tatendrang ihr Tablet - was zur Hölle verstaute sie noch alles in dieser kleinen Tasche?
»Oh, was eine fabelhafte Idee!«, Reya drehte sich begeistert in Yukis Richtung. »Bekommst du das denn hin?«
»Stopp!«, ich hob abwehrend die Hände und die Vier hielten sofort mit ihren Schimpftiraden inne. Aus großen Augen sahen sie mich an.
Ich nahm einen tiefen Atemzug.
»Ihr habt Recht. Sie ist eine Bitch und ein Flittchen und gemein obendrein«, ich sah Caya, Reya und Charlotte nacheinander eindringlich in die Augen. »Aber wir hacken nicht ihr Handy! Das ist es nicht wert. Lasst uns vergessen, dass sie hier ist und einen schönen Abend haben!«
Yuki blickte grimmig drein. Offensichtlich hatte ich ihr den Spaß verdorben, allerdings ließ sie ihr Tablet wieder zurück in ihre Handtasche gleiten.
Caya und Reya wirkten nicht minder enttäuscht, aber sie akzeptierten meinen Wunsch und so suchten wir uns einen Tisch, während ich die Gedanken an Julian und Daphne zu verdrängen versuchte. Kaum hatten wir Platz genommen, drehte sich Caya zu Yuki um.
»Oh Yuki, bevor wir es vergessen, wir haben dir ein Blind Date organisiert«, Caya griff in ihre Clutch und förderte ein paar Notizen zutage, die sie Yuki hinhielt. »Du musst auf Schnitzeljagd gehen! Wenn du alle Hinweise erfolgreich gefunden hast, triffst du auf dein Date und...«
»Wer ist es?«, fragte Yuki ungerührt und lediglich das Zucken ihrer rechten Augenbraue verriet die Abscheu, die sie dieser Idee gegenüber zweifelsohne empfand. »Es ist Ren, oder?«
»Na das können wir dir nicht verraten, sonst ist es ja kein Blind Date mehr!«, mischte sich Reya grinsend ein, da Caya sich mit großer Wahrscheinlichkeit verraten hätte. Sie war eine schlechte Lügnerin.
Yukis Aufmerksamkeit richtete sich mörderisch auf Reya und sie verengte die Augen zu zwei gemeinen Schlitzen.
»Das war deine Idee, nicht wahr?«
Reya hob kapitulierend die Hände in die Luft, um ihre Unschuld zu beteuern.
»Eigentlich war es meine«, gestand Caya kleinlaut und klimperte zuckersüß mit ihren falschen Wimpern.
Yuki nahm einen tiefen Atemzug, ehe sie mit ausdrucksloser Miene wieder nach ihrem Tablet griff.
»Entweder ihr sagt mir, wer es ist oder ich hacke mich in eure Handys und finde es selbst heraus.«
Bedrücktes Schweigen legte sich über unser Tisch.
»Yuki, du kannst nicht immer alles und jeden hacken, wenn dir etwas nicht passt«, befehligte Charlotte sanft und warf ihr einen eindringlichen Blick zu.
»Wetten?«, entgegnete Yuki völlig emotionslos.
Reya brach in schallendes Gelächter aus, womit sie sich einen tödlichen Blick von Caya einhandelte.
»Meine Güte! Sei kein Spielverderber, Yuki, lös einfach die Rätsel und finde dein Date«, mischte ich mich ein und rollte mit den Augen.
Yuki hob nur eine Braue und sah mich ein paar Augenblicke lang schweigend an. Dann wandte sie sich an Caya, schnappte sich ohne eine Miene zu verziehen die Hinweise aus ihrer Hand und erhob sich von ihrem Stuhl.
»Nur fürs Protokoll: Ich hasse euch und wir sind keine Freunde«, mit diesen Worten ging sie davon. Jede Wette, dass sie sich in weniger als einer Minute in unsere Handys gehackt hatte. Wir schauten ihr hinterher, bis sie in der Menge verschwand, dann brachen wir in lautes Kichern aus. Doch auch Reya sollte das Kichern jeden Moment vergehen, denn just in diesem Moment tauchte Jesse hinter ihr auf.
Jesse war, wie Reya gesagt hatte, ganz nett anzusehen. Er hatte blondes Haar, war durchschnittlich groß und besaß dunkelbraune Knopfaugen. Doch ein Augenschmaus war er - meiner bescheidenen Meinung - jetzt nicht unbedingt. Vor allem nicht sein Modegeschmack, was ein Smoking, auf dem rosane Flamingos aufgedruckt waren, unschwer erkennen ließ.
Allerdings spielte das zugegebenermaßen eine eher eine zweitrangige Rolle. Zwar vertritt ich schon immer die Meinung, dass man sich von seinem Partner angezogen fühlen sollte und ihn auch äußerlich attraktiv finden musste, aber wenn es auf zwischenmenschlicher Ebene nicht Klick machte, konnte jemand noch so gut aussehen, es würde nicht funktionieren. Die Hauptsache war, dass er Reya gut behandelte, nach allem was sie durchgemacht hatte. Und wenn die beiden sich gut verstanden und Chemie miteinander hatten, war Jesse doch perfekt für Reya.
»Hallo Reya«, aus dunkelbraunen Augen starrte er auf sie hinab. Dann begrüßte er mich und die anderen ebenfalls mit einem freundlichen Lächeln.
»Hey«, Reya erwiderte sein Lächeln, wenngleich sie ein wenig nervös wirkte. »Möchtest du dich zu uns setzen?«
Jesse zögerte kurz und wirkte für einen Moment verunsichert. Dann streckte er seine Hand nach ihr aus. »Ich habe dir ein paar Tische weiter bei meinen Freunden einen Platz freigehalten. Lass uns doch dort sitzen. Ich würde dich ihnen gerne vorstellen.«
»Oh«, aus großen Augen sah Reya zu ihm hoch, ehe ihr Blick zu seiner Hand wanderte und dann zu uns. Reya wirkte zwiegespalten.
»Ist schon okay, Reya, geh ruhig mit«, ich lächelte ihr aufmunternd zu, um ihr zu signalisieren, dass wir schon zurecht kamen. Das hier war ihr Abend und ich wollte nicht, dass sie zwischen den Stühlen saß und sich entscheiden musste. Es war ohnehin klar gewesen, dass sie heute Abend in Begleitung war.
Reya nickte und lächelte mir zu, wenngleich ihr Lächeln etwas aufgesetzt wirkte. Kurz ereilte mich der Eindruck, dass sie womöglich lieber bei uns geblieben wäre. Aber einen Moment später erhob sie sich und ging mit Jesse davon.
So blieben nur noch Caya, Noah, Charlotte, Lenny und ich übrig.
Ich erinnerte mich daran, wie Reya vor ein paar Tagen die Befürchtung geäußert hatte, heute Abend das fünfte Rad am Wagen zu sein.
Tja, wer war jetzt das fünfte Rad am Wagen?
Reya jedenfalls nicht.
Mit einem Stöhnen griff ich nach der Champagnerflöte - leider alkoholfrei - und nahm einen kräftigen Schluck. Dann fischte ich mein iPhone aus der Handtasche und entsperrte es. Kurz checkte ich meine Benachrichtigungen, als mir eine Neuigkeit von Instagram ganz besonders ins Auge stach. Ich klickte auf die App und mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf.
Ju.Wri. gefällt dein Foto
Und direkt darunter:
Ju.Wri. folgt dir jetzt.
Ich sog erschrocken die Luft ein und mein Herz geriet gefährlich ins Stolpern. Ich konnte meinen Augen kaum trauen und Ungläubigkeit breitete sich in mir aus.
Hastig betätigte ich wieder die Tastensperre, da ich nicht den Nerv besaß, mich ausgerechnet jetzt mit meinen Gefühlen für Julian auseinanderzusetzen. Aufgewühlt ließ ich das Handy zurück in meine Tasche sinken.
Aus irgendeinem Grund beschlich mich das Gefühl, dass dieser Abend die reinste Katastrophe werden würde...
Hello meine Lieben <3
Ich hoffe es geht euch allen gut!
Wie gefällt euch das neue Kapitel und was sagt ihr über Daphnes plötzliches Auftauchen? Habt ihr schon irgendwelche Vermutungen bezüglich der nächsten Kapitel? Ich sag mal so viel: Es wird seeehr spaaaanneeend hehe !!!
Ich bin sooo gespannt darauf zu erfahren, was ihr denkt! Schreibt es mir in die Kommentare!
Fühlt euch gedrückt!
Eure Lora <3
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