Kapitel 20
Songempfehlung: Mickey Valen, Joey Myron - Chills
Seit geschlagenen zehn Minuten schon versuchte ich mühsam den Fleck auf meinem Shirt zu beseitigen. Zwar fiel es auf dem schwarzen Stoff kaum auf, aber das Schicksal schien es nicht gut mit mir zu meinen, denn der hartnäckige Geruch nach Bier hatte sich darin festgesetzt.
Angeekelt rümpfte ich die Nase und sah mich suchend nach einem Handtuch oder zumindest etwas um, das den widerwärtigen Biergestank überdecken könnte. Es war mehr als offensichtlich, dass es sich um eine reine Männer WG handelte. Außer überteuerten Parfüms und Deodorants, die fast noch penetranter dufteten, als der Alkohol selbst, wurde ich nicht fündig. Gott, besaß denn niemand dieser Kerle eine Freundin?
Seufzend schloss ich die Tür des Spiegelschranks, ignorierte das Klopfen an der Badezimmertür und ging in die Hocke, um die Schubladen unter dem Waschbecken zu inspizieren. Ja, die Benutzung des Badezimmers auf Partys war heiß begehrt. Ich konnte von Glück reden, dass ich nur zwanzig Minuten hatte anstehen müssen.
Ich warf einen Blick in die Kommode und schloss sie wieder mit hochrotem Kopf, als ich ein Fach voller Kondompackungen entdeckte, die ganz bestimmt nicht für meine Augen bestimmt waren. Subtilität stand in diesem Haushalt wohl nicht unbedingt auf der Tagesordnung. Zugegeben, es war nicht gerade die feine englische Art, in anderen Schubladen zu schnüffeln. Aber zu meiner Verteidigung war ich sicherlich nicht die Einzige auf dieser Party, die die Schränke im Bad nach Hygieneartikel durchsuchte. Das großzügige Kondomsortiment sprach da für sich.
Ich setzte meine Suche fort. Irgendwo musste doch ein Handtuch oder zumindest ein einigermaßen annehmbares Parfüm stehen! Ohne große Erwartungen öffnete die nächste Schublade und schloss sie fluchend wieder, als ich auf drei Flaschen Gleitgel stieß. Bewahrte man solche Dinge nicht für gewöhnlich in der Nachttischschublade auf oder so? Widerwillig griff ich nach der letzten Schublade, als plötzlich das Klingeln meines Smartphones einen eingehenden Anruf ankündigte.
Irritiert ließ ich von der letzten Schublade ab, deren Geheimnis nicht zu lüften womöglich kein Verlust war, und griff nach meinem iPhone, das ich neben dem Waschbecken abgelegt hatte.
Julian Wright
Im Bruchteil einer Sekunde erhob sich eine Armee von Schmetterlingen in meinem Bauch und mein Herz geriet gefährlich ins Stolpern. Julian rief mich an. Spät abends - nein, mitten in der Nacht, schließlich war es bereits kurz nach ein Uhr.
Mein Puls schoss rapide in die Höhe und ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich den Anruf sofort entgegen.
»Hallo?«, ich klang aufgeregt. Atemlos. Vorfreudig.
»Hallo zurück«, ertönte seine tiefe, vertraute Stimme vom anderen Ende der Leitung. Sie jagte mir einen Schauer über den Rücken und ließ mich sogleich an die schmutzigen Worte denken, die er mir noch vor ein paar Stunden ins Ohr geraunt hatte. Daran, was er mit mir angestellt hatte.
Mitten in der Bibliothek.
Sofort reagierte mein Körper auf diese Erinnerungen. Verdammt, es war wirklich ein Verbrechen eine solche Stimme zu besitzen. Sie sollte definitiv verboten werden!
»Julian, hey«, erwiderte ich ungeschickt und kam mir plötzlich total blöd vor. Ich räusperte mich, verlegen um eine feste Stimme. »Wieso rufst du so spät noch an? Ist alles in Ordnung?«
Kurzes Schweigen, dann:
»Wie ist die Party?«
»Die Party ist-«, ich hielt verdutzt inne. »Woher weißt du, dass ich auf einer Party bin?«
»In Anbetracht der Tatsache, dass dein Social Media voll ist mit Bildern und Videos der DEKE Verbindung, war das nicht schwierig zu erraten«, erwiderte er trocken.
»Mein Instagram Profil ist nicht-«, ich biss mir auf die Unterlippe, als mir schlagartig bewusst wurde, was Julians Aussage wohl zu bedeuten hatte. »Moment mal. Stalkst du mich etwa auf Social Media?«
Ich hatte tatsächlich nur zwei Storys gepostet und die waren nicht einmal von mir. Ein Video beim Tanzen, das Caya aufgenommen hatte und ein Gruppenfoto, das Poppy hochgeladen hatte - wir waren uns direkt auf Instagram gefolgt.
»Ich würde es nicht unbedingt als stalken bezeichnen«, räumte Julian ein, wenngleich er ein wenig ertappt klang. »Ich war nur neugierig darauf den Grund zu erfahren, warum du mir heute einen Korb gegeben hast.«
Julians Aussage bescherte mir unwillkürlich ein Grinsen.
»Schwer zu verkraften, dass ich dir eine Party vorziehe, was?«
»Verdammt schwer«, bestätigte er missmutig, aber seine nächsten Worte erschienen sogleich etwas sanfter. »Lohnt es sich wenigstens? Hast du Spaß?«
Mein Grinsen wurde breiter.
»Julian Wright, versuchst du auf subtile Art und Weise herauszufinden, ob ich brav bin und mich benehme?«
Ich brauchte ihn nicht zu sehen, um zu wissen, dass er grimmig das Gesicht verzog.
»Naja, wir haben nicht eindeutig geklärt, was das zwischen uns ist. Nur verständlich, dass ich... besorgt bin.«
»So ungeduldig«, kommentierte ich und schüttelte lächelnd den Kopf. »Und das richtige Wort hierfür lautet übrigens Eifersucht.«
Ein Grummeln war vom anderen Ende der Leitung aus zu hören.
»Weißt du, in meiner Generation ist die Frage Willst du mit mir gehen, Ja, Nein, Vielleicht etwas außer Mode. Das entwickelt sich einfach. Deshalb lass uns doch auf ein, zwei Dates gehen und schauen, wie sich unsere Beziehung entwickelt.«
Julian schien meine Worte wirken zu lassen, denn am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Als er jedoch wieder zu sprechen begann, wusste ich nicht, ob ich frustriert seufzen oder in Lachen ausbrechen sollte.
»Gut. Was machst du morgen?«
Ich entschied mich für ein Schmunzeln. Er war die Ungeduld in Person.
»Wenn du so fragst, werde ich wohl gleich auf ein Date eingeladen.«
»Ich hol dich um sechs Uhr ab.«
»Soll ich nicht lieber zu dir nach Hause kommen? Wenn uns jemand sieht-«
Er ließ mich erst gar nicht ausreden.
»Ich hol dich ab. Sei pünktlich.«
Dieses Mal seufzte ich tatsächlich resginiert und versuchte erst gar nicht, gegen seine Dominanz anzukämpfen. Es war, als versuchte man eine Betonwand mit der bloßen Hand zum Einsturz zu bringen. In der Hinsicht glichen wir uns sehr. Beide dickköpfig.
»Na schön. Ich komme um sechs Uhr nach unten.«
»Gut«, murmelte er und der selbstzufriedene Tonfall war kaum zu überhören.
»Julian?«, fragte ich nach einem kurzen Moment des Schweigens.
»Ja?«
Ich nahm einen tiefen Atemzug und wappnete mich innerlich für die nächsten Worte.
»Vertraust du mir?«
Stille.
Noch mehr Stille.
Aber dann:
»Ich vertraue dir.«
Ich schluckte schwer und sammelte all meinen Mut zusammen.
»Gut. Denn ich muss dir etwas sagen, was dir nicht gefallen wird«, nervös begann ich eine meiner Hasrsträhnen zu zwirbeln, ehe ich mit der Tür ins Haus fiel. Ich musste es schnell machen, kurz und schmerzlos, wie ein Pflaster, das man mit einem Ruck abzog. »Dylan ist hier auf der Party. Er wohnt hier und ist ein Mitglied der DEKE Studentenverbindung. Ich habe mich eben mit ihm unterhalten und ich mag ihn, Julian. Ich möchte gerne mit ihm befreundet sein.«
Sobald die Worte meine Lippen verlassen hatten, breitete sich eine Flut der Erleichterung in mir aus. Gut möglich, dass ich hiermit neuen Zündstoff für einen Streit lieferte. Ausgerechnet jetzt, wo wir unseren letzten doch erst beigelegt hatten. Aber ich wollte keine Beziehung führen, in der ich nicht zu hundert Prozent aufrichtig sein konnte. Eine Beziehung, deren Grundsteine auf Lügen und Verheimlichungen basierte, war zum Scheitern verurteilt. Dort wo keine Ehrlichkeit war, konnte kein Vertrauen wachsen. Keine Liebe.
Ich wollte unsere zweite Chance nicht erneut vermasseln und hoffte, dass Julian es genauso wenig vermasseln wollte. Dass er Verständnis aufbringen würde. Selbstverständlich konnte ich nachvollziehen, dass ihm Daphnes und Mishas Betrug noch tief in den Knochen steckte. Dass man einen solchen Verrat nicht so einfach vergaß. Ich war sogar bereit, seine Eifersucht zu tolerieren. Sie ein Stück weit zu akzeptieren. Allerdings nur, wenn er wiederum bereit war, daran zu arbeiten. Wenn er begann, mir zu vertrauen.
Ich richtete meine gesamte Aufmerksamkeit auf die Stimme am anderen Ende, die sich noch immer in Schwiegen hüllte.
Julian schwieg.
Eine ganze Weile lang sagte er kein Wort, ließ keinen Ton verlauten und eine unheilvolle Stille legte sich über unser Telefonat. Lediglich der dumpfe Bass der Musik drang im Hintergrund entfernt an meine Ohren. Jemand klopfte erneut gegen die Badezimmertür. Ich ignorierte es. Versuchte stattdessen meinen Herzschlag zu beruhigen, der immer schneller zu schlagen begann. Vor Aufregung. Vor Nervosität. Vor Angst.
Ich hörte einen tiefen, angespannten Atemzug und gleich darauf ein Wort. Ein einziges Wort.
»Okay.«
Verdutzt hielt ich inne und fragte mich, ob ich mich wohl verhört hatte. Kurz erwog ich sogar, das Handy vom Ohr zu nehmen, um sicherzugehen, dass ich noch immer mit Julian sprach - oder ob ich träumte.
»Okay?«, wiederholte ich verblüfft. »Du meinst, es wäre in Ordnung für dich, wenn ich mit dem Typen befreundet bin, den ich an Silvester geküsst habe?«
»Danke, dass du mich daran erinnerst«, murrte er entnervt, ehe er fortfuhr. »Ich gebe zu, dass es mir alles andere als gefällt, aber ich werde dir sicher nichts verbieten, Laney.«
Für ein paar Sekunden war ich sprachlos, musste erst wieder meine Stimme finden.
»Du vertraust mir wirklich, oder?«
»Dir ja. Ihm nicht«, erwiderte er nüchtern.
Und da war sie wieder. Die Aussage, die mich mit den Augen rollen ließ und die schöne Stimmung sogleich wieder zu zerstören drohte.
»Okaaay, belassen wir es einfach dabei, dass ich stolz darauf bin, wie offen und ehrlich wir darüber kommuniziert haben«, konterte ich ironisch. Wenngleich ich wirklich stolz war. Julian hingegen kommentierte meine Aussage nur mit einem weiteren unglücklichen Grummeln. Doch ich kam nicht umhin zu bemerken, dass er über seinen Schatten sprang. Dass er meine Wünsche respektierte. Dass er mich respektierte. Genauso wie ich seine Unsicherheit respektierte. Mir war klar, dass Julian noch einen langen Weg vor sich hatte, bis er anderen wieder vollends vertrauen konnte. Aber ich war bereit, diesen Weg mit ihm zu gehen. Ich war bereit, geduldig zu sein und ihm zu zeigen, dass er mit mir an seiner Seite nichts zu befürchten hatte.
Oh ja. Ich würde ihm zeigen, was Liebe, Vertrauen und Freundschaft wirklich bedeutete. Und ich war mir absolut sicher, dass er soeben einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht hatte. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
»Gut, ich werde dann mal zu meinen Freunden zurück gehen. Wir sehen uns morgen.«
»Sicher, dass ich dich nicht abholen soll?«, wagte er einen letzten Versuch.
»Ganz sicher, Julian«, bekräftigte ich grinsend. »Davon abgesehen wissen wir beide, wie es ausgeht, wenn wir nachts zusammen in deinem Auto sitzen, nicht wahr?«
Julian entging meine Anspielung an unsere erste gemeinsame Nacht am Monument keinesfalls und mit einem Mal schien sich seine Stimmung sofort aufzuhellen.
»Wie könnte ich das jemals vergessen? Deshalb frage ich ja, ob ich dich abholen darf. Wenn du dachtest, ich hätte nur edle Absichten, muss ich dich leider enttäuschen, Süße.«
Ein lautes Lachen entrang sich meiner Kehle.
»Du bist unmöglich, Julian Wright.«
»Und du bist eine Plage, Laney Taylor.«
»Genau deshalb hast du dich aber in mich verliebt, oder?«
Ein leises Lachen erklang. Ein Lachen, das schöner war, als jede Melodie, die ich kannte. Ein Lachen, das ich am liebsten aufgenommen und mir stundenlang angehört hätte.
»Bis morgen, Laney.«
♥
Der nächste Tag konnte nicht schnell genug kommen. Die Party endete, indem wir mit Poppy und Drea Nummern tauschten und uns versprachen, in Kontakt zu bleiben. Sie waren wirklich zwei ganz besondere Menschen. Beide auf ihre eigene Art und Weise. Drea, die sehr introvertiert war und Poppy mit ihrer offenherzigen Art.
Mit einem Seufzen verdrängte ich die Gedanken an die gestrige Party, warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und ignorierte Cayas doppeldeutige Anspielungen, weil ich ausnahmsweise mal einen Rock trug.
Ich hatte mich für einen khakifarbenen Cordrock entschieden, den ich mit einem weißen Longsleeve und schwarzen Boots kombinierte. Das dunkelblonde Haar, das mir in Wellen über die Schulter fiel, trug ich offen und ein leichtes Make-Up zierte mein wieder einmal viel zu fahles Gesicht.
Doch ich sah trotzdem hübsch aus und geflissentlich schob ich den Gedanken an meine Krankheit und meinen sich verschlechternden Zustand gekonnt beiseite, so wie ich es die letzten Wochen immer tat. Stattdessen warf ich Caya durch den Spiegel einen vernichtenden Blick zu, als sie schon wieder einen ihrer perversen Kommentare zum Besten gab.
»Ich denke der Rock ist eine gute Wahl. So geht es schneller, vor allem im Auto«, plötzlich beugte sie sich herab, als wollte sie einen Blick unter meinen Rock werfen. »Hast du denn auch die Unterwäsche weggelassen, so wie ich es dir geraten habe? Die ist meistens nur im Weg.«
»Caya!«, zischte ich, sprang hastig zur Seite und drückte den Stoff des Rocks fest an meine Beine - auch wenn ich wider ihrer Ratschläge gehandelt hatte.
»Was denn?«, murmelte sie und zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich versuche dir nur zu helfen. Wird Zeit, dass du mal wieder ordentlich...«
»Ich gehe jetzt«, fiel ich ihr harsch ins Wort, da ich ihre neuste Umschreibung für Sex gar nicht hören wollte. Seit heute Morgen hatte ich mindestens zehn neue Synonyme für die schönste Nebensache der Welt gelernt. Sie reichten von den Lachs buttern, über den Benz in die Garage fahren, bis hin zu der Katze Milch geben. Mein Kontingent an Kuriositäten war für heute definitiv erreicht.
»Ignorier sie einfach«, hörte ich Yuki murmeln, als ich das Wohnzimmer auf meinem Weg zur Tür durchquerte. Sie saß wie immer im Schneidersitz auf dem Sofa, ihren Laptop auf den Beinen und starrte konzentriert auf den Bildschirm. Ich fragte mich, wen oder was sie wohl dieses Mal wieder hackte - womöglich war es jedoch besser, im Dunkeln zu tappen und nichts mit ihren illegalen Aktivitäten am Hut zu haben.
»Als ob das möglich wäre«, erwiderte ich ironisch, was Yuki den Anflug eines Lächelns entlockte. »Bis später.«
Yuki verabschiedete sich ebenfalls und als ich die Tür unseres Dorms öffnete, verfolgte mich ein letztes Mal Cayas Stimme.
»Viel Spaß beim Matrazen-Mambo tanzen!«
Um ihr zu signalisieren, wie viel ich von ihren Witzen hielt, zeigte ich ihr über die Schulter hinweg den Mittelfinger und ließ die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
Mit vor Aufregung wild klopfendem Herzen verließ ich das Wohnheim und trat hinaus auf die High Street. Nahezu sofort entdeckte ich den schwarzen Dodge mit den getönten Scheiben und lief zielstrebig darauf zu. Nachdem ich mich mit einem paranoiden Kontrollblick versichert hatte, dass mich niemand beobachtete, öffnete ich die Beifahrertür und stieg ein.
Noch bevor ich mich in seine Richtung umdrehte, nahm ich den Duft seines unverfälschten, herben Aftershaves wahr, der mir mittlerweile mehr als vertraut war. Ich sog ihn tief durch die Nase ein und wandte mich ihm zu.
Worte konnten nicht beschreiben, was ich fühlte, als ich Julian ansah.
Er war zu schön. Viel zu schön. So schön, dass er jeden Mann im Umkreis von hundert Meilen in den Schatten stellte. So schön, dass sich sicherlich jeder Künstler die Finger danach leckte, ihn als Modell zu haben. So schön, dass es beinahe lachhaft war, ihn hinter einem Rednerpult als Professor stehen zu sehen, wenn er stattdessen großes Geld mit seinem Aussehen verdienen könnte.
Mein Blick wanderte über ihn hinweg.
Sein braunes Haar war - ganz offensichtlich - wieder etwas kürzer und perfekt gestylt. Seine Augen funkelten in einem satten Grün und als sie mich erblickten verzogen seine vollen Lippen sich zu einem schiefen Lächeln, dem sicherlich hunderte von Frauenherzen zuflogen.
Meine Augen sogen gierig jedes Detail auf. Vor allem seine breiten Schultern, die von dem dunkelgrünen Longsleeve mit Reißverschluss im Ausschnitt noch mehr hervorgehoben wurden. Kräftige Schultern, an denen man sich anlehnen konnte. An denen man sich im Eifer des Gefechts festhalten konnte.
Ich bemerkte, dass meine Gedanken in eine Richtung gingen, die alles andere als angemessen war. Meine Wangen begannen zu glühen. Beschämt brachte ein scheues Hallo über die Lippen.
Julians Grinsen wurde breiter.
»Hey.«
Ich erwiderte sein Lächeln und versuchte die Schmetterlinge in meinem Bauch unter Kontrolle zu bringen, die heftig zu flattern begannen.
»Ganz schön mutig mich direkt vor dem Wohnheim abzuholen«, startete ich einen verzweifelten Versuch, meine Nervosität in den Griff zu bekommen. Ich verstand nicht einmal, weshalb ich überhaupt noch nervös war in seiner Gegenwart. In Anbetracht der Tatsache, dass Julian mich bereits splitterfasernackt gesehen hatte, sollte mir eigentlich nichts mehr peinlich sein - und doch saß ich hier, nervös wie ein kleines Schulmädchen, das kurz davor stand, sich ihren ersten Kuss abzuholen.
»Die meisten Studenten sind nicht einmal auf dem Campus, sondern über Spring Break zu ihren Familien gefahren. Der Campus ist praktisch leergefegt. Davon abgesehen kennt kaum jemand mein Auto. Niemand wird sich einen Reim darauf machen.«
Ich seufzte innerlich. Julian hatte ja recht. Dennoch empfand ich bei all der Unachtsamkeit, die wir in letzter Zeit an den Tag legten, einfach kein gutes Gefühl. Ich wollte unser Glück nicht überstrapazieren. Vor allem nicht nach Daphnes Drohungen letzten Januar. Zwar bezweifelte ich noch immer, dass sie ihren Worten Taten folgen ließ, aber wir mussten unser Schicksal nicht unbedingt herausfordern, oder?
»Du siehst müde aus. Ging die Party denn noch lange?«, hakte Julian nach, während er sich in den Verkehr New Havens einfädelte.
»Nein. Um ehrlich zu sein, bin ich nach unserem Telefonat nach Hause. Partys sind irgendwie nicht so mein Ding.«
Julian warf mir einen amüsierten Seitenblick zu.
»Und was ist dann dein Ding?«
Ich grinste.
»Hm, lass mich mal überlegen. Ich schätze das wären dann Philosophie, Musik, Tanzen und - oh«, mein Grinsen wurde breiter. »Meinem Professor gehörig auf die Nerven gehen, um endlich herauszufinden, wohin er mich heute entführt!«
Julian lächelte.
»Du gehst ihm tatsächlich ziemlich auf die Nerven«, scherzte er und ich setzte bereits zu einem empörten Protest an, als er fortfuhr. »Du gehst ihm sogar so sehr auf die Nerven, dass er an nichts anderes mehr denken kann. Den ganzen Tag lang.«
Seine Augen richteten sich auf mich und die Intensität seines Blickes lähmte mich für mehrere Sekunden. Mit einem Mal wurde mir heiß und ich schnappte benommen nach Luft.
»Das beruht definitiv auf Gegenseitigkeit, glaub mir«, hörte ich mich selbst sagen, ohne dass ich meinem Mund effektiv befohlen hatte, die Worte auszusprechen. Julians Pupillen erweiterten sich und das Grün seiner Augen begann zu glühen. Die Spannung in dem kleinen Raum war beinahe schon mit Händen greifbar.
»Aber...«, ruderte ich hastig zurück, ehe unsere Gespräche wieder in unangemessene Abgründe abtriften konnten. »Du hast mir immer noch nicht verraten, wohin wir fahren.«
Julian brauchte ein paar Sekunden, um sich von dem abrupten Themenwechsel zu erholen. Dann richtete er den Blick wieder auf die Straße vor sich.
»Wir fahren ins Autokino.«
»In ein Autokino?«, stieß ich begeistert aus und ein euphorisches Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. »Haben die nicht über die Wintersaison geschlossen?«
»Doch«, bestätigte er, während er den Blinker setzte und einen Blick in den Außenspiegel warf. »Aber seit Spring Break haben sie die Saison wieder eröffnet.«
Freude ergriff Besitz von mir und ich widerstand dem Drang, aufgeregt auf meinem Sitz auf und ab zu hüpfen. Ich war noch nie in einem Autokino gewesen. Doch ich stellte es mir unglaublich romantisch vor, weshalb es auch auf meiner Bucket Liste gelandet war.
Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Herzen aus und erneut konnte ich nur darüber staunen, wie aufmerksam er war.
»Danke, Julian. Ich freue mich sehr.«
Er quittierte meine Aussage nur mit einem zufriedenen Lächeln.
Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, dass wir nach Hartford unterwegs waren, wo auch Julians Eltern wohnten. Hartford war die Hauptstadt Connecticuts und knapp eine Stunde von New Haven entfernt. Zwar gab es natürlich auch in New Haven ein Autokino, aber so weit reichte Julians Waghalsigkeit nun doch wieder nicht. Mit seiner Studentin in einem Autokino gesehen zu werden war, als würde er sein eigenes Todesurteil unterschreiben. Als würde er Karrieresuizid begehen. Wie sollte man schließlich begründen, was ein Superheldenfilm mit Julians Forschung gemein hatte? Richtig. Es gab keine Begründung hierfür. Umso besser, dass wir eine ganze Stunde vom Campus entfernt waren, wo uns - hoffentlich - niemand über den Weg lief. Und falls doch, besaß Julians Auto glücklicherweise vollgetönte Scheiben.
Wir erreichten das Autokino und er lenkte den Wagen souverän über den bereits gut besuchten Parkplatz. Er folgte den Anweisungen der Parkwächter, die uns einen Platz zuwiesen. Unterdessen vibrierte ich förmlich vor Vorfreude.
Nachdem das Auto zum Stillstand kam, stellte Julian noch die richtige Frequenz am Radio ein und es dauerte nicht lange, bis der Film endlich begann. Es handelte sich um Marvels Spiderman - No way home. Ich mochte Superheldenfilme und erinnerte mich vage, es einmal erwähnt zu haben. Zwar war ich noch lange kein exzessiver Nerd, wie Poppy - was ich gestern Abend festgestellt hatte - doch aus einem unerfindlichen Grund genoss ich es, für hundertzwanzig Minuten in eine andere, fantasievolle Welt abzudriften.
Kurz nachdem der Film begonnen hatte, deutete Julian über seine Schulter auf die Rückbank, wo einige Snacks und Getränke lagen. Unwillkürlich lächelte ich.
»Du hast wieder einmal an alles gedacht.«
»Hast du etwas anderes von mir erwartet?«, sein rechter Mundwinkel zuckte amüsiert, aber ich rollte nur mit den Augen.
Arroganter Mistkerl.
Der Film lief weiter und wir beobachteten Tom Holland und Zendaya, die ihr Bestes gaben, um die Welt vor gefährlichen Bösewichten zu beschützen. Jedenfalls so lange, bis Julian plötzlich meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte, indem er etwas sehr Unerwartetes von sich gab.
Er begann über seinen Bruder zu reden.
»Spiderman war Jacobs Lieblingsfilm«, hörte ich ihn sagen. Überrascht drehte ich mich in seine Richtung. Seine Augen waren konzentriert auf die Leinwand vorn gerichtet, die über einem Meer von Autos aufragte. Doch sein Gesicht hatte wieder diesen wehmütigen, schuldbewussten Ausdruck angenommen, den er immer dann besaß, wenn er über seinen kleinen, verstorbenen Bruder sprach.
Ich schluckte schwer, da mich sofort eine Welle des Mitgefühls traf. Julian vermisste ihn sehr. Er sprach nur selten über ihn, doch wenn, dann konnte man ihm seine Gefühle regelrecht vom Gesicht ablesen. Und obwohl es mich mit Freude erfüllte, dass er sich mir öffnete, machte mich sein offenkundiger Schmerz auch traurig. Einem inneren Impuls folgend griff ich nach seiner Hand, die locker auf der Mittelkonsole ruhte.
»Umso schöner, dass wir jetzt die neuen Filme zusammen schauen und dabei an ihn denken, findest du nicht?«
Julian senkte den Blick und aus traurigen Augen sah er auf unsere verschlungenen Hände. »Das stimmt.«
Dann hob er das Gesicht und sah mich an. Ein schwaches Lächeln kehrte wieder auf seine Lippen zurück.
»Aber ich denke, Jacob wäre kein großer Fan von Tom Holland als Peter Parker. Tobey Maguire war unschlagbar.«
»Wie bitte?«, empört schossen meine Brauen in die Höhe. »Hast du gerade Tom Holland beleidigt? Er ist super niedlich! Ich finde ihn toll in der Rolle!«
»Er sieht aus wie ein Zwölfjähriger«, hielt Julian dagegen und zog abfällig die Stirn in Falten.
»Du bist ja nur eifersüchtig, weil ich ihn niedlich finde«, zog ich ihn auf und warf mir ein Reeses in den Mund, dessen Verpackung ich vor ein paar Minuten geöffnet hatte.
»Jemanden, den man als niedlich bezeichnet, will man nicht vögeln«, hörte ich Julian plötzlich sagen, was dafür sorgte, dass ich mich beinahe an der Schokolade verschluckte. »Also nein, Laney. Ich bin nicht eifersüchtig auf Tom Holland.«
Seine Augen fanden meine und ein belustigtes Glitzern funkelte in ihnen.
Verdammt. Wie konnte es sein, dass Julian nur ein einziges schmutziges Wort in den Mund nehmen musste und schon meldete sich mein Kopfkino an? Meine Hormone spielten völlig verrückt in seiner Gegenwart. Doch Hormone hin oder her, ich würde ihm nicht länger Macht über mich geben. Julian wusste haargenau, welche Wirkung er auf mich hatte. Wusste, welche Knöpfe er drücken musste und es war an der Zeit, zum Gegenschlag auszuholen.
»Bist du dir sicher, dass du übers Vögeln sprechen möchtest, während wir in deinem Auto sitzen?«, neckte ich und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Ich dachte wir wären zu der Übereinkunft gekommen, dass wir beide in einem Auto eine sehr explosive Mischung abgeben.«
Wieder schlich sich dieser schalkhafte Ausdruck auf sein Gesicht.
»Ich muss zugeben, dass ich mir zunächst nicht so sicher war, ob es eine gute Idee ist«, er legte nachdenklichden Kopf zur Seite. »Als wir das letzte Mal längere Zeit zusammen in meinem Auto gesessen hatten, hat das Ganze schließlich damit geendet, dass du nackt auf mir saßt.«
Mein Herz setzte einen Schlag lang aus und Hitze schoss in meinen Körper, als die Erinnerungen an unser erstes gemeinsames Mal vor meinem inneren Auge auftauchten. Ich, wie ich auf ihm saß und ihn anflehte, mir endlich das zu geben, was ich so dringend brauchte... Raue Hände. Nackte Haut. Lautes Stöhnen.
Bei Gott! Ich wollte es wieder tun. Und wieder und wieder und wieder. Ich vermisste Julian. Die Monate ohne ihn waren verdammt hart gewesen und es war nicht nur mein Herz, das sich nach ihm gesehnt hatte, sondern auch mein Körper. Oh ja, besonders mein Körper, dieses verräterische Ding.
Ein Verlangen so heftig, dass es mich beinahe zu verschlingen drohte, erfasste mich von Kopf bis Fuß. Doch ich würde den Teufel tun, Julian so schnell nachzugeben.
»Ich kann mich beherrschen«, brachte ich hervor, wenn auch etwas atemlos. Meine Worte schmeckten nach Unwahrheit und genauso klangen sie wohl auch in Julians Ohren. Seine Reaktion, die aus einem wissenden Lächeln bestand, verriet mir, dass er meine Lüge glatt durchschaute.
»Kannst du das, ja?«, seine Stimme triefte vor Ironie.
»Ganz sicher. Ich bin die Beherrschung in Person. Laney Taylor ist quasi das Synonym für Beherrschung. Im Gegensatz zu dir. Du bist schließlich in der Bibliothek über mich hergefallen, wie ein ausgehungertes Tier.«
Ein lautes, kehliges Lachen erklang. Ein Lachen, das Julians gesamtes Gesicht erhellte und ihm eine solche Schönheit verlieh, die beinahe schmerzte anzuschauen.
Seine Aufmerksamkeit legte sich wieder auf mich, der Schalk, der zuvor noch in seinen Augen geleuchtet hatte, schwand und er beugte sich über die Mittelkonsole zu mir rüber. So nahe, dass sein Atem meine Wange kitzelte.
Hitze flutete mich.
Unbändige Hitze.
»Ich habe niemals behauptet, dass ich mich beherrschen würde«, flüsterte er. »Und wie wir beide wissen, fällt es mir unheimlich schwer die Finger von dir zu lassen, also versuche ich erst gar nicht, etwas anderes zu behaupten.«
Ich schnappte erschrocken nach Luft und kämpfte mit aller Macht gegen die Gefühle an, die sein heißer Atem in mir hervorrief.
Mein gesamter Körper stand unter Strom und ich war damit beschäftigt, die Feuer zu löschen, die seine Worte in mir entfachten, ehe sie sich mit rasanter Geschwindigkeit ausbreiteten konnten.
Ich wappnete mich innerlich und drehte mein Gesicht in seine Richtung, fest entschlossen, ihn in die Schranken zu weisen. Doch auf das was folgte, war ich nicht vorbereitet.
Sein Gesicht schwebte unmittelbar vor meinem und im Bruchteil einer Sekunde waren alle guten Vorsätze wie weggeblasen. Lösten sich in Luft auf. Ich verlor mich in den Tiefen seiner Augen. Mein Blick wanderte über seine unendlich langen Wimpern, die hohen Wangenknochen, die perfekt geschwungenen Lippen und wieder zurück zu seinen smaragdgrünen Augen, in denen dasselbe Verlangen loderte, das in mir sein Echo fand.
Ein kleiner Funke. Mehr brauchte es nicht, um ein Inferno in mir zu entzünden. Ein einziger Blick. Einen Atemzug.
Julians Blick richteten sich auf meine Lippen. Betrachteten sie, als wären sie das Einzige, an das er noch denken konnte. Hypnotisierte sie, bis ich mir nichts sehnlicher wünschte, als dass er diesen kleinen Abstand zwischen uns endlich verringerte. Bis ich beinahe den Verstand verlor und mein Herz jeden Moment meinen Brustkorb zu sprengen drohte.
Ich wollte ihn.
Ich wollte ihn mit jeder Faser meines Daseins.
Ich wollte, dass er mich berührte. Überall.
Und ich wollte ihn berühren. Überall.
Ich wollte es jetzt.
Ganz egal, dass wir uns gerade in einem Autokino befanden. Es war immerhin nicht das erste Mal, dass wir an einem öffentlichen Ort übereinander herfielen. Eigentlich war sogar das Gegenteil der Fall. Das Risiko machte es umso spannender. Unwiderstehlicher.
Ich nahm einen tiefen, zittrigen Atemzug und verlor klaglos den Kampf gegen meine niederen Instinkte. Gab mich ihnen hin, indem ich mich nach vorne beugte, um Julian zu küssen und - kassierte einen Korb.
Julian zog sich ein paar Zentimeter zurück und machte meinem Vorhaben somit einen Strich durch die Rechnung. Verwirrt zog ich die Stirn kraus und sah ihn an. Ich verstand die Welt nicht mehr. War es denn nicht auch, was er wollte? Hatte ich seine Signale fehlinterpretiert?
Auf Julians Lippen lag ein gefährliches Lächeln. Dann kam er wieder näher. So nahe, dass unsere Lippen einen Atemzug davon entfernt waren, sich zu berühren.
Er spielte mit mir.
Und es bereitete ihm einen Höllenspaß.
»Ist das eine Bitte?«, hauchte er und ich spürte seine Worte an meinen Lippen vibrieren.
Ich stieß die angehaltene Luft aus und konnte nicht fassen, dass er ausgerechnet jetzt auf dieses blöde Versprechen anspielte. Ich hatte angenommen, die Sache sei nun Geschichte, nachdem ich ihn in der Bibliothek geküsst hatte und es ihm überließ, mich zu bitten.
Doch weit gefehlt.
Julian gab nicht gern die Zügel aus der Hand. Er liebte Kontrolle und hielt offenbar immer noch an seinen Prinzipien fest. Wie hätte es bei dem pedantischen Professor, der er war, auch anders sein sollen?
»Nein«, murmelte ich gequält, da mir die kleine Distanz zwischen uns beinahe schon körperliche Schmerzen bereitete. »Es ist keine Bitte. Es ist eine Notwendigkeit.«
»Gut«, plötzlich verzogen sich seine Lippen zu einem verschwörerischen Grinsen. »Dann verdiene es dir.«
Mit dieser Aussage entzog er sich mir vollends und lehnte sich in seinem Sitz gemächlich zurück.
Ich unterdessen starrte ihn völlig fassungslos an.
»Ich soll mir einen Kuss verdienen?«, wiederholte ich irritiert das Offensichtliche. »Wie genau, soll ich mir den Kuss deiner Meinung nach denn verdienen?«
»Ich bin sicher, dir fällt etwas ein.« Julians Augen glühten, während sie hungrig an meinem Körper hinab wanderten. Sein Blick sprach Bände und es war ein Leichtes für mich zu erraten, was es war, das er wollte.
Mich.
Und das am liebsten Nackt.
Auf seinem Schoß.
Ganz so, wie er es mir vorhin detailliert beschrieben hatte und es war ihm vollkommen gleichgültig, ob wir uns hierbei in einem Autokino, einer Bibliothek oder weiß Gott wo befanden.
Julian wollte mich und zwar hier und jetzt.
Und obwohl ich ihn mindestens genauso sehr brauchte, war ich nicht bereit ihm zu geben, was er wollte. Jedenfalls nicht direkt. In meinem Kopf manifestierte sich ein Plan. Noch ruhte Julian sich auf der Sicherheit aus, die Kontrolle zu haben. Doch die würde er jeden Moment verlieren. Würde sie an mich abgeben müssen. Er wusste es nur noch nicht.
Julian wollte spielen?
Dann spielten wir.
»Na schön«, erwiderte ich mit einem süffisantem Grinsen, während sich ein siegessicherer Ausdruck auf seinem Gesicht ausbreitete. Sicher dachte er noch immer, dass er die Oberhand hatte. Oh, wie er sich da irrte!
Ich hob meine Hand und legte sie flach auf seinen Oberkörper. Ein heftiges Kribbeln durchfuhr mich, gepaart mit einer unbändigen Nervosität, die ich allerdings gekonnt ignorierte. Ich spürte seine Atemzüge, seine Brust, die sich unter meiner Handfläche regelmäßig hob und senkte. Ich schluckte schwer, ehe ich meine Hand weiter abwärts wandern ließ. Hinweg über seine Brust, weiter über seinen stählernen Bauch, dessen Muskeln ich unter dem weichen Stoff seines Shirts fühlen konnte, bis hin zu dem Saum seiner schwarzen Jeans. Julians Körper war eine Sünde. Eine verbotene Frucht. Er war makellos.
Als ich an dem Knopf seiner Hose ankam und mich daran zu schaffen machte, hielt er den Atem an. Seine Augen weiteten sich vor Erstaunen, als er mein Vorhaben wohl durchschaute.
»Laney, was-«, er stockte kurz. »Was tust du da?«
»Ich verdiene mir meinen Kuss.«
Er schluckte so schwer, dass sein Adamsapfel heftig hüpfte.
»Ich hatte damit nicht gemeint, dass du...«
»Halt die Klappe«, murmelte ich und fuhr mit meinem Tun unbeirrt fort. Zugegebenermaßen verspürte ich plötzlich einen kurzen Anflug von Unsicherheit. Ich hatte Julian meinerseits erst ein einziges Mal berührt - und selbst das war nur von kurzer Dauer gewesen. Ich besaß demnach also nicht sehr viel Erfahrung auf diesem Gebiet. Doch das hielt mich nicht davon ab, meine Hände auf Wanderschaft zu schicken und sie unter den weichen Stoff seiner Boxer Briefs gleiten zu lassen.
Julian war hart und bereit, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich mir endlich nahm, wonach es mir so sehr verlangte. Sofort spürte ich seine Errektion und umschloss sie vorsichtig mit meiner Hand. Ein lustverhangenes Keuchen kam über seine Lippen, das mir verriet, was meine Berührung wohl mit ihm anstellte. Dass es ihm genauso viel Erregung bescherte, wie mir. Von seinem Stöhnen angespornt, begann ich vorsichtig meine Hände an ihm auf und ab zu bewegen. Währenddessen hob ich den Blick und sah ihm ins Gesicht, um seine Reaktion abzuwägen.
Er warf den Kopf zurück, ließ ihn gegen die Kopfstütze sinken und pure Erregung verzerrte sein gesamtes Gesicht, explodierte hinter seinen geschlossenen Augenlidern. Es war das Schönste und gleichzeitig Erotischste, was ich je gesehen hatte. Sein Anblick ließ etwas in mir entflammen und der Griff meiner Hand verstärkte sich. Ich begann sie in einem schnelleren Rhythmus zu bewegen und sah mit Freuden dabei zu, wie ich Julian damit immer weiter an den Rand des Wahnsinns trieb.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich solchen Spaß dabei empfinden könnte, jemand anderem Befriedigung zu verschaffen, geschweige denn, dass es nicht nur meinem Partner solche Ekstase bescherte, sondern auch mir.
Doch hier, in diesem schicksalshaften Moment, wurde ich eines Besseren belehrt. Ich begriff, dass es bei dieser Gefälligkeit nicht um den Akt an sich ging. Es ging nicht nur um Lust oder Befriedigung. Nein, es ging um so viel mehr. Um Erfüllung, um Verbundenheit, Vertrauen. Darum, sein Gegenüber wertzuschätzen und ihm etwas Gutes zu tun. Es ging darum, sich fallen zu lassen, mit der absoluten Gewissheit, aufgefangen zu werden.
Ja, das war es, was diesem Augenblick seine Besonderheit verlieh.
Von Gefühlen übermannt, beschloss ich, einen Schritt weiter zu gehen. Das Ganze auf die Spitze zu treiben. Und so lehnte ich mich vor, beugte mich über Julian und ersetzte meine Hand durch meinen Mund, umschloss seine Erektion mit meinen Lippen.
Julian zuckte erschrocken zusammen, hob das Gesicht und blickte aus fassungslosen Augen auf mich herab. Ich spürte seinen Blick, der sich geradewegs in mich zu bohren schien.
»Fuck, Laney«, stöhnte er. »Was machst du da-?«
Doch ich ignorierte Julians Proteste. Stattdessen ließ ich mich einfach von meinem Gefühl leiten und verwöhnte ihn weiter mit dem Mund, achtete auf jedes kleinste Signal, um herauszufinden, was ihn gefiel und was nicht. Und verdammt, Julians verräterischer Körper machte es mir sehr leicht. Er zeigte mir sofort, was er mochte. Jedes Zucken, jeder angespannte Muskel, jeder Laut waren Hinweis genug.
Ich nahm meine Hand dazu. Meine Zunge. Und die Erregung in ihm wuchs. Ich spürte es, spürte, wie sein gesamter Körper zum Zerreißen angespannt war. Wie seine Brust sich in einem unregelmäßigen Rhythmus hob und senkte. Julians Hand fand ihren Weg in mein Haar, klammerte sich daran fest und begann meine Bewegungen vorsichtig zu führen.
»Oh Gott«, seufzte er und ließ erneut seinen Kopf nach hinten gegen den Sitz sinken.
Das Wissen, dass ich der Grund für diese ungehemmte Lust war, die in ihm wuchs, spornte mich noch mehr an. Voller Hingabe fuhr ich mit meiner reizvollen Folter fort, immer weiter und weiter, bis ich spürte, dass er sich kurz vor dem Abgrund einer Klippe befand. Der Griff seiner Hand in meinem Haar wurde grober. Fester. Als versuchte er irgendwie Halt zu finden.
»Laney-«, hörte ich ihn verheißungsvoll meinen Namen murmeln. Und dann wieder.
»Laney.«
Es schien, als wollte er mir etwas mitteilen. Mich vorwarnen, dass er jeden Augenblick die Kontrolle verlieren würde. Dass er sich nicht mehr länger zurückhalten konnte.
Julian wollte, dass ich aufhörte.
Doch das tat ich nicht.
Ich setzte mein Tun fort.
Heiß. Innig. Leidenschaftlich. Verwöhnte ihn aufopferungsvoll. War bereit, die Zeit für ihn anzuhalten. Die Erde davon abzuhalten, sich weiter zu drehen. Würde ihm die Sterne vom Himmel holen. Ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen.
Ja, ich genoss es, dass nun ich diejenige war, die die Kontrolle übernahm. Ich war diejenige, die ihn um den Finger wickelte. Ihn in der Hand hatte. Ich war der dominante Part und es gefiel mir, dass die Rollen einmal vertauscht waren.
Ich fühlte mich mächtig. Geliebt und gewertschätzt.
All das legte ich in meine Liebkosungen. All meine Gefühle und Emotionen. Zeigte Julian, was ich ihm mit Worten nie mitgeteilt hatte.
Sein gesamter Körper spannte sich an.
Und dann wurde er von einer flammenden Ekstase so allumfassend verschlungen, dass ich fürchtete seine Seele könnte seinen Körper jeden Moment verlassen. Seine Hand in meinem Haar verkrampfte, sein Griff wurde unnachgiebig und grob, so sehr, dass es beinahe schon schmerzte, doch ich sah keine Notwendigkeit mich zu beschweren. Im Gegenteil, es gefiel mir, dass er mir mit jeder Berührung zeigte, was ich mit ihm anstellte. Ein heftiges Keuchen stahl sich über seine Lippen, während er seinen Höhepunkt erreichte und heftig in meinem Mund kam.
Für einen kurzen Augenblick war ich etwas überfordert. Ich hatte hiermit keinerlei Erfahrung und da ich nicht wusste, was ich tun sollte - schluckte ich. Es war ein unbekannter Geschmack, der jedoch keinesfalls schlecht war. Es schmeckte salzig, mit einer metallischen Note.
Julians Orgasmus klang langsam ab und als ich mich mit hämmerndem Herzen von ihm löste, spürte ich seinen stechenden Blick auf mir. Fassungslos sah er aus seinen glühend grünen Augen auf mich herab. Seine Wangen strahlten in einem rosigen Ton, sein Blick war träge, noch immer verschleiert vor Lust und sein Atem war hektisch. Das braune Haar durcheinander. Gott, er sah verdammt heiß aus. Doch schien er völlig von der Rolle, als könnte er nicht begreifen, was soeben geschehen war.
»Hast du-«, Julian hielt inne, schüttelte verwirrt den Kopf und sah mich entgeistert an. »Hast du gerade- Hast du gerade alles heruntergeschluckt?«
Seine Stimme klang atemlos, als müsse er sich erst von dem, was ich ihm beschert hatte, erholen. Ich richtete mich auf und erwiderte seinen Blick, spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen.
»Hätte ich das nicht tun sollen?«, fragte ich unsicher und räusperte mich verlegen. Ich wusste, dass sich die Meinungen hier sehr deutlich spalteten. Im Allgemeinen schienen Männer es sehr zu mögen, wenn Frauen nach der oralen Befriedigung schluckten. Manchen Frauen gefiel es sogar. Den meisten, so hatte ich den Eindruck, wiederum nicht.
Aus großen Augen sah Julian mich noch immer völlig ungläubig an.
»Doch«, sagte er hastig. »Ich meine, versteh mich nicht falsch. Es hat mir gefallen. Sehr sogar. Aber du hättest das nicht tun müssen. Viele Frauen mögen es nicht.«
Ich zuckte lässig mit den Schultern. Ich hatte es keinesfalls als unangenehm oder ekelhaft empfunden.
»Es hat mir auch gefallen, weißt du«, ich lächelte scheu, ehe ich nachdenklich den Kopf zur Seite neigte. »Habe ich mir denn jetzt einen Kuss verdient?«
Ich kämpfte noch immer gegen den leisen Anflug von Scham, den ich auf meine Unerfahrenheit zurückführte. Doch meine Verlegenheit verflog prompt, als Julian erneut ungläubig den Kopf schüttelte. Voller Faszination sah er auf mich herab.
»Gott, ich kann nicht glauben, dass du mir gehörst«, und mit diesen Worten packte er meinen Hinterkopf und zog mich grob zu sich heran.
Sein Mund traf mit einer Heftigkeit auf meinen, die uns beide überraschte. Uns den Atem raubte. Julians Lippen waren weich - viel weicher, als in meiner Erinnerung. Mein gesamter Körper stand unter Strom und mir schwanden alle Sinne. Es war der Kuss, den ich mir seit Monaten herbeisehnte. Der Kuss, den ich brauchte. Julians Zunge glitt ungezügelt und ohne auf Einlass zu warten in meinen Mund, erkundete ihn, kostete jeden Zentimeter. Sicherlich schmeckte er auch sich selbst und ich war überrascht, dass er davor nicht zurückschreckte.
Ich hatte schon oft gehört und auch angenommen, dass es für Männer ein absolutes No-Go sei, ihre eigene Erregung zu schmecken. Julian schien da jedoch eine Ausnahme zu sein. Er schien in vielen Dingen eine Ausnahme zu sein. Vor allem in sexueller Hinsicht. Verdammt, Julian war abenteuerlustig, gleichzeitig respektvoll und in einem absolut vereinnahmenden Maße unanständig, dass ich mir niemand anderen vorstellen könnte, mit dem ich all diese erste Erfahrungen hätte erleben wollen.
Julian reizte mich. Er forderte mich heraus und brachte mich dazu, mich von einer ganz neuen Seite kennenzulernen.
Kurzum: Er war perfekt für mich.
Schweratmend zog ich mich ein Stück weit zurück und sah ihn an.
Ein träges Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich die nächsten Worte aussprach. Worte, von denen ich wusste, dass sie ihn zur Weißglut treiben würden.
»Wer sagt, dass ich dir gehöre?«
Julians Blick verdunkelte sich und mein Herz hüpfte freudig in meiner Brust. Gott, ich liebte es ihn zu provozieren!
Plötzlich schoss seine Hand nach vorne, packte mich erneut im Nacken und zog mein Gesicht dicht zu sich heran, sodass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu schauen. Er beugte sich über mich und sein Gesicht schwebte unmittelbar über meinem. Nur Zentimeter, die uns voneinander trennten.
»Ich sage das, Laney Taylor. Wir sind kein Vielleicht mehr oder ein Wir schauen, wie es sich entwickelt. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich alles von dir will, also lass mich eine Sache klarstellen«, seine Augen blitzten gefährlich auf und ein raubtierhaftes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. »Ab dem heutigen Tag gehörst du mir.«
Es gefiel und ärgerte mich zugleich, wie er mit mir sprach. Wie er Anspruch auf mich erhob. Und obwohl ich geneigt war, ihm zuzustimmen, ließ ich mir eine letzte Provokation nicht nehmen.
Ich grinste diabolisch, ehe ich die nächsten Worte aussprach.
»Verdiene es dir.«
Hellooo meine Freunde!
Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen. Es war wieder eimal etwas *räusper* spicyyy hehe. Ich freue mich schon wahnsinnig auf eure Kommis!
Fühlt euch gedrückt, ich wünsche euch einen tollen Start ins Wochenende! <3
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