Kapitel 11
Songempfehlung: Tate McRae - Exes
Noch immer benommen von den Ereignissen, die sich nun innerhalb kürzester Zeit zugetragen hatten, bahnte ich mir einen Weg zurück in den Ballsaal. Wie hatte dieser Abend so schnell aus dem Ruder laufen können?
Erst dieser überaus leidenschaftliche Moment mit Julian und dann dieses seltsame Gespräch mit Misha. Ich wusste um ehrlich zu sein überhaupt nicht, wo mir der Kopf stand.
Ich war völlig durcheinander.
Zurück im Ballsaal hielt ich Ausschau nach meinen Freunden. Ich entdeckte Caya, Noah, Lenny, Charlotte und sogar Reya mit Jesse an unserem Tisch, wo sie sich angeregt unterhielten.
Einen tiefen Atemzug nehmend kämpfte ich mir einen Weg zu ihnen und betete zu Gott, dass man mir die turbulenten Zwischenfälle nicht ansah. Wäre da nicht das gedämpfte Licht und die Stroboskopbeleuchtung, hätten meine roten Wangen und mein hektischer Atem mich sicherlich verraten, aber den anderen schien nichts Außergewöhnliches an mir aufzufallen.
»Bist du in die Toilette gefallen oder wo hast du dich die ganze Zeit rumgetrieben?«, scherzte Caya amüsiert. Doch statt meine Antwort abzuwarten, bedeutete sie mir mit einem aufgeregten Funkeln in den Augen zur Tanzfläche zu schauen.
Ich folgte ihrem Blick und entdeckte zu meiner großen Überraschung Ren und Yuki. Besser gesagt: Ren und Yuki, die miteinander tanzten!
Und das sogar ziemlich vertraut.
Rens Hände lagen auf Yukis unterem Rücken, so tief, dass man es beinahe schon als unsittlich bezeichnen konnte. Ihre Körper waren so dicht aneinander gedrängt, dass kaum mehr ein Blatt zwischen ihnen Platz gefunden hätte und ihre Gesichter schwebten so nahe beieinander, dass man annahm, sie würden sich jeden Augenblick küssen. Auch die Blicke aus ihren Augen, die sie sich zuwarfen, konnte man mit nichts anderem als innig beschreiben.
Ich sog scharf die Luft ein.
»Was zur Hölle habe ich verpasst?«
»Das fragen wir uns auch schon die ganze Zeit«, kicherte Caya und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Ich finde die beiden passen super zueinander«, seufzte Charlotte verträumt.
Mein Blick wanderte zu Reya, die dem Ganzen keinerlei Beachtung schenkte und stattdessen auf ihr Handy fokussiert war. Neben ihr saß Jesse, der in eine Unterhaltung mit Noah und Lenny vertieft zu sein schien, aber hin und wieder warf auch er einen Blick auf sein Smartphone. Außer der überaus interessanten Entwicklung, was Yukis Liebesleben betraf, schien ich während meines kurzen Stelldichein mit Julian also nicht viel verpasst zu haben.
Während Caya und Charlotte noch immer Yuki und Ren anschmachteten, nutzte ich die Gunst der Stunde, um mich auf den anderen, freien Platz neben Reya zu setzen. Vielleicht wusste sie ja mittlerweile, was Julians Exfrau auf dem Ball zu suchen hatte.
»Reya?«
Keine Reaktion.
Stattdessen tippte sie wie wild mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf ihr Handy ein.
»Reya?«, wiederholte ich dieses Mal mit etwas mehr Nachdruck und erst beim zweiten Anlauf, schaffte ich es, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
»Hm?«, erschrocken sah sie von ihrem Smartphone hoch und betätigte hastig die Tastensperre. »Sorry, ich war abgelenkt.«
»Ist alles in Ordnung?«, hakte ich nach und warf einen argwöhnischen Blick auf ihr iPhone.
»Was?«, sie wirkte kurz verwirrt, als verstünde sie meine Frage nicht so ganz, dann schien sie jedoch zu begreifen, dass ich mich nach ihrem Befinden erkundigt hatte.
»Oh ja. Ja klar, alles super«, sie räusperte sich verlegen.
»Sicher?«, ich blieb hartnäckig. Irgendetwas schien nicht mit ihr zu stimmen. »Du verhältst dich seltsam.«
»Naja«, Reya strich sich nervös eine schwarze Strähne hinters Ohr. »Ich bin einfach nur aufgeregt. Jesse hat ein Hotelzimmer für uns gemietet, weißt du? Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dafür schon bereit bin. Ich meine...«, sie beugte sich etwas näher zu mir heran, um ihre Worte vor unerwünschten Zuhörern zu verbergen. »Ich hatte zwar schon einmal Sex, aber es fühlt sich trotzdem an, als wäre es mein erstes Mal.«
Ich nickte verstehend. Daher wehte der Wind also. Ich hatte recht behalten, Reya war unsicher, ob sie wirklich bereit dazu war, diesen Schritt mit Jesse zu gehen.
»Ich verstehe dich, Reya. Willst du meine ehrliche Meinung dazu hören?«, ich lächelte ihr aufmunternd zu, was sie dazu veranlasste, eifrig zu nicken.
»Also«, ich holte tief Luft und suchte nach den richtigen Worten. »Sex ist für jeden Menschen unterschiedlich. Für manche ist es etwas Besonderes, für andere wiederum etwas ganz Normales. Das Wichtigste daran ist aber, dass du dich wohl fühlst. Es ist dein Körper und deine Entscheidung. Du solltest nichts tun, womit du dich nicht gut fühlst. Und glaub mir, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist und du bereit dazu bist, dann wirst du es spüren. Genau hier«, ich legte meine Hand auf mein Herz und schenkte Reya ein warmes Lächeln.
Sie erwiderte es.
»Vielleicht hast du Recht. Nur...«, sie zögerte. »Ich glaube ich habe Angst vor Jesses Reaktion. Was, wenn er gemein wird, weil ich mich umentscheide? Ich möchte ihn nicht verletzen.«
»Reya, du solltest dich immer umentscheiden können, ganz egal wann, ob davor oder sogar während dem Sex. Nein bedeutet nein. Und wenn er das nicht akzeptiert, dann ist er nicht der Richtige für dich.«
Reya nickte langsam und ließ meine Worte wirken. Nach einer kurzen Weile sah sie mich wieder an. »Du hast vollkommen recht.«
»Natürlich habe ich recht«, ich grinste. »Lass dich nicht beeinflussen in deiner Entscheidung. Sie liegt ganz alleine bei dir.«
Reya schenkte mir ein umwerfendes Lächeln und obwohl sie und Julian nicht blutsverwandt waren, erinnerte es mich an ihn.
»Danke Laney«, ihre Hand griff nach meiner. »Mein Bruder hat großes Glück, dich gefunden zu haben.«
Ich erstarrte bei ihren Worten und spannte mich kaum merklich an. Sofort schossen mir die Erinnerungen an unsere kurze Liebelei in der Abstellkammer in den Kopf.
Mir wurde siedend heiß.
Doch bevor Reya Notiz von der Veränderung in meinem Verhalten nehmen konnte, klingelte ihr Handy erneut. Mit gerunzelter Stirn schaute sie auf den Bildschirm ihres iPhones, ehe sie einen hastigen Blick mit Jesse tauschte, der ebenfalls an seinem Handy hing und sich aus der Konversation mit Lenny und Noah ausgeklingt zu haben schien. Es sah ganz so aus, als würden die beiden heimlich miteinander simsen - obwohl sie nebeneinander saßen. Sicherlich ging es jedoch um besagtes Thema und die beiden wollten nur nicht, dass es unerwünschte Zuhörer gab. Immerhin handelte es sich um etwas sehr Privates. Ich hoffte nur, dass Reya die richtige Entscheidung bezüglich ihres Vorhabens heute Nacht traf.
Ich wandte mich von ihr ab und beobachte wieder Yuki und Ren. Die beiden tanzten noch immer zusammen zu Easy Lover von Phil Collins und verdammt, Ren konnte sich wirklich gut bewegen! Er warf Yuki in eine Pirouette, ehe er sie wieder dicht zu sich heranzog und in Tanzstellung ging. Obwohl die beiden unterschiedlicher nicht sein konnten, waren sie wie zwei Puzzleteile, die perfekt zusammenpassten. Ihre Körper harmonierten miteinander, wie ich es noch nie bei einem Pärchen gesehen hatte. Als wären sie füreinander geschaffen worden. Wie Ying und Yang. Gut und Böse. Engel und Teufel.
»Ich bin gleich wieder da, muss mal kurz für kleine Prinzessinnen«, informierte mich Reya. Ich nickte, was sie mit einem entschuldigenden Lächeln quittierte. Dann schob sie ihren Stuhl zurück, erhob sich und lief zum Ausgang des Ballsaals.
Ich sah ihr hinterher und hoffte, dass meine Worte ihr wirklich geholfen hatten. Dass sie ihre Wirkung nicht verfehlten. Es tat mir im Herzen weh, Reya so verunsichert zu erleben und ich verwettete meine linke Niere darauf, dass die Wurzeln ihrer Unsicherheit in ihrem misslungenen ersten Mal gründeten. Wenn ich jemals in die Verlegenheit kam, diesem Mistkerl gegenüberzustehen, würde er ein blaues Wunder erleben.
Ich wollte mich gerade wieder Yuki und Ren zuwenden, als ich bemerkte, wie Jesse sich einen Augenblick später ebenfalls erhob. Er entschuldigte sich bei Noah und Lenny und verließ kurz nach Reya den Ballsaal. Verwirrt runzelte ich die Stirn und sah ihm hinterher. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass hier etwas im Busch war - etwas, das mir ganz und gar nicht gefiel. Ich spielte bereits mit dem Gedanken, Jesse zu folgen, als etwas anderes nach meiner Aufmerksamkeit verlangte.
Ich war so sehr in meine Sorge um Reya vertieft, dass mir dadurch das Getümmel auf der Tanzfläche entging, das ausgerechnet in diesem Moment ausbrach.
»Oh verdammter Mist«, hörte ich Caya neben mir fluchen.
Mein Kopf fuhr zu ihr herum.
»Was ist los?«, hakte ich zu nach und folgte ihrem Blick zur Tanzfläche, wo Ren sich gerade gegen einen Kerl zu Wehr setzte, der ihn wutentbrannt zur Seite stieß.
Doch es war nicht nur irgendein Kerl.
Es war Luan.
»Shit«, murmelte ich und erhob mich im selben Moment wie Caya, Charlotte und die Jungs. Mit schnellen Schritten eilten wir an Yukis Seite, die mit weit aufgerissenen Augen zwischen den beiden Jungs hin und her starrte.
»Lass deine dreckigen Finger von Yuki, hast du gehört, du Wichser?«, Luan spuckte Ren die Worte vor die Füße, ehe er wieder die Arme ausstreckte, um Ren einen erneuten Stoß zu verpassen. Aber Ren war schneller. Er fing Luans Hieb ab und hielt seine Handgelenke fest. Ren überragte Luan um ein paar Zentimeter und so starrte er mit einer Mischung aus Amüsement und Überraschung auf Luan herab.
»Was ein derbes Vokabular, Cane. Kein Wunder, dass Yuki dich abgeschrieben hat«, Rens Lippen verzogen sich zu einem schelmischen Grinsen, das sein Lippenpiercing im Schein der Stroboskopbeleuchtung aufblitzen ließ.
»Ich bring dich um, Rochana!«, Rens Worte schienen Luans Zorn jedoch nur noch mehr zu befeuern, denn er versuchte sich mit aller Macht aus Rens Schraubstockgriff zu befreien.
»Oh, das wäre aber jammerschade«, Rens Lächeln wurde noch gehässiger, während er sich zu Luan runter beugte, um ihm seine nächsten Worte ins Ohr zu flüstern. So leise, dass ich sie fast überhört hätte. »Schließlich soll Yuki heute Nacht erfahren, wie es ist, mit einem richtigen Mann zusammen zu sein. Du weißt schon, jemand, der nicht schon nach einer Minute sein ganzes Pulver verschießt.«
Luan erstarrte und Yuki, die Rens Worte ebenfalls gehört hatte, wurde kreidebleich. Dies schien wohl der Tropfen zu sein, der das Fass zum Überlaufen brachte. Einen Wimpernschlag später hatte Luan sich nämlich befreit, ballte seine Faust und holte zum Schlag aus.
Noah und Lenny machten Anstalten, zu intervenieren, aber sie hätten es niemals rechtzeitig zwischen die beiden Jungs geschafft. Yuki hingegen schon.
»Hör auf!«, schrie sie und trat in letzter Sekunde vor Ren. Schützend hob sie die Hände vor ihr Gesicht. Luan hielt mitten in der Bewegung inne und stoppte sofort.
Aus Augen, die Pfeile hätten spucken können, starrte Yuki mit ihren gerade mal Einen Meter fünfzig zu Luan hoch. Doch sie hatte noch nie furchteinflößender ausgesehen
Sie war wütend.
So richtig wütend.
Die Emotionen schienen regelrecht aus ihre heraus zu sprudeln.
So hatte ich sie noch nie erlebt.
»Was glaubst du eigentlich, was du hier tust?«, ihre Worte trafen Luan mit voller Wucht und aus großen Augen starrte er auf sie herab.
»Ich...«, setzte er an und rang sichtlich um Worte. Er war noch immer aufgebracht wegen Rens Beleidigung, aber Yukis Reaktion schien ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es kam schließlich nicht oft vor, dass Yuki aus der Haut fuhr. Oder besser gesagt: es kam nie vor.
»Yuki, ich bitte dich, du hast Besseres verdient, als ihn«, er starrte finster über ihren Kopf hinweg und deutete mit einer flapsigen Handbewegung zu Ren.
»Besseres?«, Rens schallendes Lachen hallte über Yukis Schulter hinweg. »Etwa dich, Cane?«
Luan erdolchte Ren mit Blicken und hätte Yuki nicht dazwischen gestanden, um das Schlimmste abzufangen und die Streitschlichterin zu spielen, hätte die Auseinandersetzung sicherlich schon weitaus schlimmere Ausmaße angenommen.
»Du benutzt Yuki doch nur, um mir eins reinzuwürgen«, knurrte Luan und ballte seine Hände neben seinem Körper zu Fäusten. So fest, dass sogar die Knöchel weiß hervortraten.
»Oh Cane, du nimmst dich für viel wichtiger, als du bist«, Ren schüttelte lachend den Kopf und hob belustigt eine seiner gepiercten Brauen. »Geht es dir etwa immer noch um die Kleine letztes Semester? Das ist doch Schnee von gestern.«
»Darum geht es nicht«, blaffte Luan und der hohe Tonfall seiner Stimme verriet, dass Ren direkt ins Schwarze traf. Oh, wie unangenehm verletzter Stolz doch sein konnte! Ganz offensichtlich hatte Ren unserem lieben Freund Luan im letzten Semester ein Mädchen ausgespannt, was Luan ihm immer noch Übel nahm. Luans Gesicht besaß mittlerweile die Farbe einer Tomate. »Du hast kein Recht auf Yuki! Sie gehört mir!«
Kurze Stille.
»Wie bitte?«, erklang es plötzlich seitens Yuki. Aus großen, fassungslosen Augen starrte sie zu Luan hoch. »Seit wann gehöre ich bitteschön dir?«
»Yuki...«, setzte Luan an, dieses Mal mit einem sanfteren Tonfall. Seine Gesichtszüge klärten sich und er versuchte nach ihrer Hand zu greifen.
Yuki entzog sie ihm sofort.
»Ich gehöre ganz bestimmt nicht dir«, sie schnaubte abfällig und absolute Ungläubigkeit spiegelte sich in ihren Augen wider. »Weißt du, Luan, ich bin dir jahrelang hinterhergelaufen! Ich habe alles für dich getan, in der Hoffnung, dass du irgendwann erkennst, was du an mir hast. Aber stattdessen hast du mich benutzt, als wäre ich eines deiner... deiner Flittchen! Ich musste dabei zusehen, wie du jedes Wochenende ein anderes Mädchen abgeschleppt hast und ich bin es verdammt nochmal so leid, mich von dir behandeln zu lassen, wie Dreck!«
Luans Augen waren so groß wie Untertassen, während Yuki sich alles von der Seele redete. Ihren Gefühlen freien Lauf ließ und endlich den angestauten Emotionen Raum gab. Es war längst überfällig.
»Yuki...«, begann Luan geschockt und seine Stimme nahm einen beinahe schon flehentlichen Tonfall an, als er merkte, wie seine beste Freundin ihm entglitt, wie Wasser, das durch seine Hände rann und sich auflöste. Yuki hatte sich immer weiter von ihm entfernt. Es war ein schleichender Prozess gewesen, der sich vor Wochen schon in Gang gesetzt hatte und nun zu seinem finalen Abschluss kam.
»Ich weiß, dass ich vieles falsch gemacht und zu spät erkannt habe, was ich an dir habe. Die anderen Frauen, das war nichts Ernstes. Aber du und ich... Wir sind zusammen aufgewachsen. Wir sind beste Freunde. Wir sind doch ein Team. Gib uns eine Chance. Gib mir noch eine Chance, ich bitte dich. Ich verspreche dir, mich zu ändern, ich...«
Ren hinter Yuki unterdrückte ein lautes Lachen. Er schien das Ganze mehr als amüsant zu finden. Sofort ruckte Luans Kopf wieder hoch zu Ren. Zornerfüllt schaute er ihn an.
»Was lachst du so blöd? Willst du mir irgendetwas sagen?«
Ren räusperte sich lautstark.
»Oh, nein gar nicht. Ich glaube, Yuki hat die Situation bestens im Griff. Sie braucht meine Hilfe nicht.«
Luans Gesichtszüge entgleisten.
»Du hast ihr das eingebläut, oder? Du hast sie gegen mich aufgebracht und sie um den Finger gewickelt, um sie genauso fallen zu lassen, wie alle anderen Mädchen, nicht wahr?«
»Du langweilst mich, Cane. Bist du bald fertig?«, Rens Gesicht nahm einen fast schon gereizten Ausdruck an, der Luans Aggression erneut entfachte. Seine Fäuste zitterten.
»Es reicht jetzt!«, Yukis Stimme durchschnitt die Luft zwischen den beiden Männern wie ein Blitz. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Luan. »Niemand wickelt mich hier um den Finger! Ich kann sehr gut für mich selbst sprechen. Und nur, weil du mich jetzt mit jemand anderem siehst, kannst du nicht wie durch Zauberhand unbegründete Besitzansprüche an mich stellen!«, sie schüttelte ungläubig den Kopf, dann aber trat ein trauriger, fast schon wehmütiger Ausdruck auf ihr Gesicht. »Du hattest deine Chance, Luan. Es ist zu spät. Lass es gut sein.«
Mit diesen Worten drehte Yuki sich um, griff nach Rens Hand und zog ihn mit sich von der Tanzfläche. Die beiden verschwanden in der Menge und ließen Luan fassungslos und gebrochen zurück. Rens breites, selbstgefälliges Grinsen würde sicher noch einige Zeit in Luans Erinnerungen nachhallen. Ich schluckte schwer. Dann sah ich entsetzt zu Luan.
Einsam und verlassen stand er da, sein Blick leer und voller Hoffnungslosigkeit. Obwohl ich Yuki immer wieder versucht hatte einzubläuen, dass Luan sie nicht verdient hatte, tat er mir jetzt, in diesem Augenblick, doch ein kleines bisschen leid. Aber wie Yuki sagte - er hatte seine Chance gehabt und nicht genutzt. Stattdessen hatte er Yuki wieder und wieder verletzt. Karma konnte wirklich fürchterlich sein...
»Hey Mann, tut mir leid«, Noah trat näher an Luan heran und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Aber Luan schlug sie sofort weg.
»Lass mich.«
Noah hob beschwichtigend die Hände hoch. Er hatte seinen Freund nur trösten wollen, doch allem Anschein nach wollte Luan nun kein Mitleid.
»Glotzt woanders hin! Hier gibt es nichts zu sehen«, schnauzte Luan die sensationsgierige Menschentraube an, die sich im Laufe des Streits um uns gebildet hatte. Hastig blickten die Studenten nacheinander in andere Richtungen und widmeten sich wieder ihrem eigenen Leben. Ein Wunder, dass sich keine Aufsichtperson in den Konflikt eingemischt hatte. Offenbar schien niemand des Lehrpersonals Kenntnis von der Auseinandersetzung genommen zu haben. Glücklicherweise hatte Yuki aber auch durch ihr Eingreifen das Schlimmste abgewendet.
Gott sei Dank.
Noah öffnete gerade die Lippen und wollte etwas zu Luan sagen, als dieser völlig überstürzt davon stürmte und in der Menge verschwand.
Unterdessen versuchte ich noch immer zu verarbeiten, was soeben geschehen war.
Yuki und Ren, die sich nähergekommen waren.
Der Streit zwischen Ren und Luan.
Yukis Gefühlsausbruch.
Entgeistert schüttelte ich den Kopf und eine Sekunde später sprach Caya die Worte aus, die mir die ganze Zeit schon im Kopf herumgeisterten.
»Verdammte Scheiße, was ein Abend!«
♥
Nachdem sich der Wirbel um Yuki, Ren und Luan etwas gelegt hatte, fiel mir auf, dass Reya noch immer nicht von ihrem Gang für kleine Prinzessinnen zurückgekehrt war. Verwirrt kniff ich die Augen zusammen und hielt Ausschau in dem Ballsaal, aber von ihr fehlte jede Spur. Genau wie von Jesse.
Sorge überkam mich und ich teilte Caya mit, dass ich auf der Damentoilette nach ihr sehen wollte. In diesem Zuge konnte ich auch meine eigenen Bedürfnisse erledigen. Natürlich wollte ich meine Nase nicht in Reyas Angelegenheiten stecken, aber ich wurde einfach dieses ungute Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte.
Ich schob mich durch die Menge hindurch in Richtung Ausgang und lief auf die Toiletten zu. Nachdem ich meine Notdurft verrichtet hatte, trat ich wieder aus der Kabine heraus und blieb wie angewurzelt stehen.
Ausgerechnet Daphne stand direkt gegenüber vor dem Waschbecken und zog sich ihren kirschroten Lippenstift nach.
Ihr Blick traf durch den Spiegel auf meinen. Sie hielt mit ihrem Tun inne und ihre bemalten Lippen verzogen sich zu einem breiten, arroganten Lächeln.
Ich schluckte schwer, ignorierte mein sich beschleunigender Herzschlag und reckte selbstbewusst mein Kinn nach vorn. Mit so viel Würde, wie ich aufbringen konnte, trat ich neben sie an den Waschtisch und begann meine Hände zu waschen.
Ich spürte ihren forschenden Blick auf mir.
Sie beobachtete mich.
Unbehagen breitete sich in mir aus und das Händewaschen konnte gar nicht schnell genug vonstatten gehen. Ich wollte nur noch raus aus diesem verdammten Raum. Ihre Anwesenheit beunruhigte mich.
Ich griff gerade nach ein paar Papiertücher, als sie ihr endloses Schweigen brach.
»Lass deine Finger von ihm, Schätzchen. Du verbrennst dich nur.«
Ich erstarrte mitten in der Bewegung und glaubte beinahe, mich verhört zu haben. Ich wusste, dass Daphne es faustdick hinter den Ohren hatte, auch wenn sie stets bemüht darum war, ihr zweites Gesicht zu verbergen. Doch dass sie so direkt mit der Sprache rausrückte, hatte ich nicht erwartet. Ihre Offenheit war mir allerdings lieber, als dass wir uns nur anschwiegen.
Langsam und mit hämmerndem Herzen warf ich in aller Seelenruhe die Papiertücher in den Müll. Dann erst drehte ich mich zu ihr um.
»Wie bitte?«, fragte ich und mühte mich ab, mir ein falsches Lächeln auf die Lippen zu kleistern.
»Du hast mich schon verstanden«, sie erwiderte mein Lächeln. Doch es war ein kaltes Lächeln, eines, das ihre Augen nicht erreichte. »Halte dich von Julian fern.«
»Sonst was?«, ich schnaubte abfällig und schüttelte verächtlich den Kopf.
Daphnes Lächeln verrutschte und wich einem ernsten Ausdruck. Sie kam ein paar Schritte auf mich zu, in der klaren Absicht, mich einzuschüchtern. Zu meinem Leidwesen funktionierte es. Instinktiv wich ich vor ihr zurück, bis ich die Wand in meinem Rücken spürte. Mein Puls schoss in die Höhe und Adrenalin erfüllte mich von Kopf bis Fuß.
»Sonst«, sie blieb unmittelbar vor mir stehen und ihre eisblauen Augen wanderten abfällig an mir herab, ehe sie sich wieder auf mein Gesicht richteten. Die Temperatur im Raum schien um zehn Grad zu fallen. »Wirst du die längste Zeit in Yale gewesen sein. Der Dekan wäre sicherlich nicht sehr begeistert, wenn er erführe, dass sich eine Undergraduate auf ein unmoralisches Verhältnis mit ihrem Professor eingelassen hat.«
Mein Herzschlag setzte eine Sekunde lang aus und blankes Entsetzen erfüllte mich. Es fühlte sich an, als kämen die Wände auf mich zu. Daphnes blaue Augen waren so kalt, dass ich fürchtete, jeden Moment in eine Eisskulptur verwandelt zu werden. Zischend sog ich die Luft ein und mein Gesicht entgleiste mir. Wieder begann meine linke Hand zu zittern und wurde von Myoklonien erfasst. Hastig versteckte ich sie hinter meinem Körper und rief mir in Erinnerung, dass ich Daphne gegenüber auf gar keinen Fall Schwäche zeigen durfte. Davon abgesehen würde Daphne Julian mit absoluter Sicherheit niemals verraten.
Sie wollte Julian zurückgewinnen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Wenn sie uns verpfiff, würde Julian ihr das niemals verzeihen. Sie würde ihn verlieren und das war das genaue Gegenteil von dem, was sie zu erreichen versuchte.
Unser Geheimnis war sicher bei ihr - zumindest redete ich mir das ein.
So oder so wäre es besser, diese Konversation im Keim zu ersticken. Ihre Drohungen waren leere Worte und dieses Gespräch der Mühe nicht wert. Vor mir stand nur eine eifersüchtige, verschmähte Frau, der nichts Besseres einfiel, als der neuen Freundin ihres Ex' zu drohen - wobei das Wörtchen Freundin nicht einmal zutraf. Dennoch war Daphnes Verhalten nicht nur feige, sondern auch absolut blamabel.
Ich schnaubte abfällig, schüttelte den Kopf und wandte den Blick von ihr ab.
»So etwas muss ich mir nicht anhören«, erwiderte ich mit ruhigem Ton und verließ mechanisch die Damentoilette. Wenngleich ich mich um Stärke bemühte, empfand ich innerlich absolute Furcht. Doch das Gespräch war für mich hiermit beendet.
Für Daphne aber anscheinend nicht, denn sie folgte mir sofort und heftete sich an meine Fersen. Sie hatte mich beinahe eingeholt, als ich spürte, wie ihre Hand sich um meinen Oberarm schlang und mich mit einem Ruck zu sich umdrehte.
Als ich dieses Mal in ihr Gesicht blickte, war es beinahe alarmierend rot vor Zorn. Keine Spur mehr von der makellosen Schönheit, um die ich sie Stunden zuvor noch bewundert hatte.
»Du wirst nicht diejenige sein, die dieses Gespräch beendet«, echauffierte sie sich und ihr Griff um meinen Arm verstärkten sich, ihre Finger gruben sich fest in meine Haut.
Ich ignorierte den Schmerz und stand dem wütenden Blick aus ihren Augen in nichts nach. Im Gegenteil, ich funkelte mindestens genauso zornig zurück.
»Du hast...«, ich verstummte kurz, als zwei Studenten vorbei liefen und uns schräge Blicke zuwarfen. Sie schienen sich jedoch nicht die Mühe zu machen, in unseren Konflikt einzugreifen und gingen mit eingezogenen Köpfen hastig weiter. »Du hast mir überhaupt nichts zu sagen«, fauchte ich, sobald die unwillkommenen Zuschauer außer Sichtweite waren und riss mich mit einem Ruck von Daphne los. »Halte dich von mir fern!«
»Ich halte mich von dir fern, sobald du dich von meinem Mann fernhältst!«, zischte sie und ihre Augen schienen Feuerbälle zu spucken vor Eifersucht. »Mit mir hat er wenigstens eine Zukunft! Ich werde schließlich nicht vor seinen Augen wegsterben.«
Daphnes Worte trafen mich.
Mitten ins Herz.
Es fühlte sich an wie eine schallende Ohrfeige. Oder ein heftiger Tritt mitten in die Magengrube.
Wie konnte sie es wagen, meine Krankheit auf den Tisch zu bringen? Woher wusste sie überhaupt davon?
Ich blinzelte ein paar Mal, während die schwere Bedeutung ihrer Aussage über mich hinwegrollte, wie ein Tsunami.
Mit mir hat er wenigstens eine Zukunft! Ich werde schließlich nicht vor seinen Augen wegsterben.
Ihre Worte holten mich zurück ins Hier und Jetzt. In eine Realität, in der ich schon bald sterben würde und keine Zukunft mit Julian hatte. Eine Realität, die mir mit einem Mal völlig trist und grau erschien und wiederum eine Realität, in der ich nicht leben wollte.
Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Daphne war zu weit gegangen. Sie hatte den Bogen überspannt - und das würde sie zu spüren bekommen. Es war an der Zeit, dass ich ihr meine Grenzen aufzeigte. Ich unterdrückte das Bedürfnis erschrocken nach Luft zu schnappen und ignorierte den Schmerz, den sie mit ihrer Gemeinheit in meiner Brust auslöste.
Stattdessen holte ich zum Gegenschlag aus und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Ihr Kopf flog so heftig zur Seite, dass sich ein zischender Laut über ihre Lippen stahl.
Ein roter Handabdruck zeichnete sich auf ihrer linken Wange ab, während sie fassungslos nach ihrem Gesicht tastete.
Ich hörte das Blut in meine Ohren rauschen. Ob vor Wut, Adrenalin oder Genugtuung konnte ich nicht definieren, doch es hatte sich verdammt gut angefühlt, Daphne in die Schranken zu weisen!
Wie in Zeitlupe drehte sie ihr Gesicht wieder empört in meine Richtung. Ihr Schock darüber, dass mir die Hand ausgerutscht war, schien langsam nachzulassen und wich purem Hass. Hass, mit dem sie nun auf mich hinab starrte.
Könnten Blicke töten, wäre ich in diesem Moment tot umgefallen.
»Du!...« presste sie aufgebracht zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. »Du hast ihn nicht verdient! Du bist nur eine kleine dreckige Studentin, die er gefickt hat, um über mich hinwegzukommen! Du bist...«,
Sie verstummte abrupt und ihre Augen weiteten sich vor Schreck, während sie über meine Schulter hinweg einen Punkt fixierte.
Ich folgte ihrem Blick und zuckte ebenfalls erschrocken zusammen.
Direkt hinter mir stand niemand Geringeres, als Julian.
Und er war wütend.
Seine Augen waren so dunkel, wie ich es noch nie an ihm gesehen hatte. Instinktiv fragte ich mich, wie viel er von unserem Streit wohl mitbekommen hatte. Ob er noch gesehen hatte, wie ich seine Exfrau geohrfeigt hatte?
Ich errötete bis zu den Haarwurzeln und rechnete schon damit, jeden Moment von ihm zurechtgewiesen zu werden. Dann fiel mir allerdings auf, dass er gar nicht mich anstarrte.
Nein, sein Blick war stur auf Daphne gerichtet.
Finster. Unheilvoll. Drohend.
In seinen Augen schien wieder dieses grüne Feuer zu lodern, wie jedes Mal, wenn er aufgebracht war.
»Jules«, hauchte Daphne atemlos und um eine Spur zu verlegen. »I-ich kann das erklären, es...«
»Ich möchte dass du gehst, Daphne«, Julians Stimme war schneidend ruhig, erfüllte aber den Flur, wie ein tosender Donnerschlag. Sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Daphne zuckte zusammen.
»Jules, du hast das falsch aufgefasst ich wollte nur...«, aber Julian ließ Daphne gar nicht mehr zu Wort kommen.
»Du wirst nie wieder so über Laney reden. Und jetzt verlässt du auf der Stelle diese Veranstaltung oder ich sorge dafür, dass du sie verlässt.«
Daphne lief bis zu den Haarwurzeln rot an. Wortlos senkte sie den Kopf, gestand sich ihre Niederlage ein und nickte deprimiert.
Erst dann wanderten Julians Augen zu mir und sofort begann mein Herz höher zu schlagen.
»Ich begleite dich nach draußen«, sagte Julian, ohne den Blick auch nur für eine Sekunde von mir abzuwenden, sodass ich beinahe glaubte, er meinte mich nach draußen begleiten zu wollen.
Daphne lief wie ein geprügelter Hund an uns vorbei, aber Julian machte wider seiner Worte keine Anstalten, ihr zu folgen. Stattdessen lagen seine unglaublich schönen, grünen Augen auf mir und obwohl ich ihn hassen, ihn verachten und ihn zum Teufel schicken wollte für das, was er mir angetan hatte, für das, noch immer zwischen uns schwebte, wurden meine Knie nun weich wie Butter.
Seine Augen sprachen mit mir. Wurden weicher. Sanfter. Sie hielten meine gefangen, als läge ein Bann auf mir. Als wären sie der Mittelpunkt meines Lebens. Meiner Welt. Meines Universums. Als wollten sie mir gleichzeitig so vieles sagen und fanden doch keine Worte dafür.
Es verging eine ganze Weile, bis er sich endlich von mir abwandte, in Bewegung setzte und Daphne folgte.
Ich hingegen blieb atemlos und mit rasendem Herzen alleine auf dem Flur zurück. Und ein weiteres Mal an diesem Abend fragte ich mich, was zum Teufel gerade passiert war...
Hellooo meine Lieben!
Ein sehr turbulentes Kapitel hehe! Ich bin schon sooo gespannt darauf zu erfahren, was ihr denkt und würde mich wie immer wahnsinnig über ein kleines Feedback freuen! (:
Darüber hinaus DANKE, dass ihr jedes Mal so fleißig votet und kommentiert. Ich bin euch unendlich dankbar dafür.
PS: Heute Abend um 18 Uhr könnt ihr die Bekanntgabe der Watty Awards live mitverfolgen! Es heißt also Daumen drücken für Laney & Julian! Ich bin total aufgeregt!!! Aber auch wenn wir es nicht unter die Hauptgewinner schaffen, bin ich unendlich dankbar dafür, es auf die Shortlist geschafft zu haben. Das alles verdanke ich nur euch! Ihr seid die Besten.
Fühlt euch gedrückt <3
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