XXIII
• L A I L A •
Angespannt sahen wir Molotov dabei zu, wie er versuchte den Blonden zurück ins Leben zu holen. Ich hatte kein Gefühl mehr für die Zeit. Nur die Rettung von Bens Freund stand im Vordergrund. Nervös fuhr ich unaufhörlich durchs Darryls Haare, die dadurch langsam trockener wurden und wartete ab. Ben, der ungeduldig neben Molotov saß, gab immer wieder unbrauchbare Tipps und zeigte eine Seite, die ich so noch nie an ihm gesehen hatte.
Er hatte mir schließlich viele unschöne Momente beschert und dementsprechend wollte ich eigentlich nichts mehr mit ihm zu tun haben, doch jetzt saßen wir plötzlich im selben Boot.
„Warum wacht er nicht auf verdammt?!"
„Dein Gefluche bringt ihn auch nicht zurück!", fauchte Molotov zurück, der schon etwas aus der Puste war. Woher er wusste, wie man jemandem in solch einer Situation half, wusste ich nicht, aber aufgrund von Sorge und Unwissenheit ließen wir ihn einfach machen.
„Sei mal ein bisschen sensibler", meinte David mit mitleidigem Blick zu Ben.
Molotov sah entnervt auf. „Sensibilität rettet niemandem vor dem Tod."
„Er hat aber vielleicht noch nie einen Toten gesehen?!", verteidigte David unseren Schulkameraden.
„Was redet ihr denn alle von tot?!", schrie Ben mit den Nerven am Ende auf und zog Luke am Oberkörper nach oben von Molotov weg. Drückte ihn fest an sich. „Er lebt!"
„Woher willst du das-"
Lukes plötzliches Husten ließ Molotov innehalten und gebannt sahen wir zu dem Bewusstlosen, der sich leicht aufbäumte und Wasser ausspuckte. Oder es eher versuchte. Durch die ungünstigste Lage schluckte er das Wasser beim schnellen Luftholen fast wieder runter. Die Augen hatte er panisch aufgerissen und röchelnd blinzelte er, um zu erkennen, was eigentlich los war.
„Er lebt", entfuhr es Ben leise, der es nicht fassen konnte. „Er lebt!"
„Ich dachte da warst du dir so sicher?", zog Molotov ihn auf und nahm ihm Luke ab, um ihn umzudrehen und leicht nach vorne zu beugen, damit er das restliche Wasser loswurde.
Verkrampft hielt Luke sich an Molotovs Arm fest und hustete wie ein Kettenraucher. Dennoch atmeten wir alle auf. Ich hatte Darryl mittlerweile wahrscheinlich ein ganzes Büschel an Haaren ausgerissen und war unglaublich erleichtert, dass es heute keinen Toten gab. Vor Erschöpfung sackte Luke in sich zusammen und blieb in Molotovs Schoß liegen, wo er tiefe Atemzüge nahm und krampfhaft versuchte die Augen offen zu halten.
„Willkommen zurück bei den Lebenden", sagte Darryl halb ernst und näherte sich wackelig dem nach Luft schnappendem Jungen.
Vorsichtshalber ging ich mit und legte Darryl eine Hand auf die Schulter. Ganz auf der Höhe war er auch nicht und sollte sich nicht überanstrengen.
„Haha", krächzte Luke leise und schloss die Augen. Ben seufzte laut auf und zog seinen Kumpel zurück zu sich. Da war aber jemand besitzergreifend. Luke ließ es mit sich machen. Völlig fertig atmete er noch immer schwer und machte keine Anstalten sich zu bewegen.
Als dann der erste Schock bei uns allen abgeklungen war, fragte Ben entgeistert, „Kann mich mal bitte jemand aufklären? Was war das?!"
„Geht dich nichts an!", knurrte Molotov und Darryl brummte bestätigend.
Ben lachte auf. „Oh doch! Luke wäre beinahe umgekommen! Was auch immer hier los ist, ich hab ein Recht darauf zu wissen, was passiert ist... oder ich rufe die Polizei!", drohte er letztendlich und finster verzogen seine beiden Gegenüber das Gesicht.
„Irgendwo hat er ja recht", mischte sich David zögerlich ein.
„Dein Ernst?!"
„Ja?" Irritiert blickte David zu seinen Ziehbrüdern und zuckte mit den Schultern. „Er hat eh schon zu viel mitbekommen und wenn die Cops hier herumschnüffeln, wird's unangenehm. Wir sollten ihn einweihen." Wehleidig verzog er das Gesicht. „In Alles."
„Bei dir knisterts wohl-"
„Ich finde auch, dass wir ihn einweihen sollten", unterbrach ich Molotov. „Es ist das Einfachste."
Molotov schnaubte. „Und das Dümmste."
„Ich bin immer noch da, ne?", machte sich Ben wieder bemerkbar und unschlüssig sahen wir ihn alle an.
„Sagt es ihm einfach", forderte Luke mit brüchiger Stimme. „Er hatte bei mir kein Problem und wird bei euch auch keins haben."
„Wie?"
Leicht öffnete Luke die Augen. „Na ihr seid doch auch ein Stamm, oder nicht?"
„Clan trifft es eher", meinte Darryl noch leicht überrascht.
„Wie auch immer." Augenverdrehend stützte Luke sich auf seine Unterarme und richtete sich etwas auf. „Ich komm vom Stamm Sullivan. Etwas weiter weg von hier. Und ihr?"
Misstrauisch musterte Darryl Luke, ehe er sich geschlagen gab. „Ich bin Darryl Akshara. Sagt dir der Name was?"
„Hm." Luke nickte nachdenklich. „Malcom ist euer Anführer?" Traurig senkten wir alle den Blick. Natürlich war Malcom vielen bekannt. Naja, mehr den Menschen, die im Wald lebten, aber scheinbar wussten einige nicht von dessen Tod. Ebenso wenig von der Tatsache, dass Darryl der neue Anführer war. „Was ist?"
„Er ist tot", entgegnete Molotov trocken und wurde dafür leicht von David angerempelt.
Schmerzhaft verzog Luke das Gesicht. „Oh. Dann bist du...", unsicher sah er zu Darryl, „Sein Nachfolger?"
Darryl nickte.
„Ich versteh hier immer noch nichts!", keifte Ben.
Luke stöhnte auf. „Du weißt doch, dass ich im Wald großgeworden bin. Bei meinem Stamm." Ben nickte verstehend und zog die Augenbrauen leicht zusammen. „Sie sind so etwas Ähnliches." Skeptisch und mit zuckendem Mundwinkel sah Luke zu uns. „Nur scheinbar etwas besser an die Welt außerhalb angepasst und... zivilisierter." Das letzte Wort malte Luke mit Gänsefüßchen in die Luft und Ben schüttelte mit dem Kopf.
„Wusste ich doch, dass das halbe Barbaren sind", murmelte er mit einem Seitenblick zu Darryl.
Dieser knirschte augenblicklich mit den Zähnen. „Was soll das denn heißen? Die Sache von damals ist doch Eis von gestern."
„Es heißt Schnee von gestern."
„Ist doch egal!", rief Darryl sauer aus und musterte Ben weiterhin. „Vergiss nicht, was du damals Laila angetan hast. An deiner Stelle würde ich den Mund nämlich nicht so weit aufmachen, wenn ich ganz allein mit einer Gruppe Waldmenschen nachts im Wald wäre."
Kaum merklich schluckte Ben. „Ist ja gut." Nachdenklich sah er zu Luke. „Aber sagt mal, was waren das für Leute?"
„Wir kennen sie kaum. Aber sie sind skrupellos und halten sich noch weniger an die weltlichen Gesetze als wir", erklärte Molotov. „Und das muss was heißen. Vor kurzem hatten wir ne große Auseinandersetzung und dachten eigentlich, dass sich die Sache geklärt hätte, aber scheinbar..."
„Sind sie zurück", wurde er von Darryl ergänzt.
„Ihr hattet eine Auseinandersetzung mit ihnen?", wollte Luke überrascht wissen.
Darryl nickte. „Ja, war nicht wirklich schön, hatten aber somit die Hierarchie geklärt." Dann verhärtete sich plötzlich sein Blick. „Woher kannten die dich eigentlich? Der eine war ja ganz schön vernarrt in dich. Klang wie was persönliches."
„Ist es auch."
„Und was?", hakte Darryl nach.
Ben beugte sich leicht dem Schwarzhaarigen entgegen. „Noch nie was von Privatsphäre gehört?"
„Sowas kennen Barbaren nicht", entgegnete Darryl. „Abgesehen davon, hast du hier nichts zu melden. Das ist eine Sache, die nur unsere Clans etwas angeht und da Luke scheinbar auch Probleme mit ihnen hat, sind wir jetzt Verbündete."
„Aber nur mit mir!", bestimmte Ben. „Ich steck jetzt auch mit drinnen, also entweder mit uns beiden oder nicht."
Theatralisch ließ David sich nach hinten kippen. „Oh Gott, bitte nicht! Darryl, lass das nicht zu."
Abwartend sahen sich Darryl und Ben an. Ich wollte doch auch nicht, dass Ben jetzt zu unserer Gruppe gehörte, aber wenn Luke ohne ihn wirklich nicht zur Hilfe bereit war, ging es nicht anders. Darryl sah das ähnlich, denn schnell, aber widerwillig stimmte er zu. „Okay, aber Luke erzählt uns alles und du verpfeifst und nicht!"
„Abgemacht."
„Na toll!", stöhnte David und legte beide Hände auf sein Gesicht. „Der Hodenkobold will uns Barbaren helfen die Mantelträgerchen zu fangen."
Molotov verzog das Gesicht und meinte betont sarkastisch, „Klingt doch gut."
„Seid ihr dann mal fertig mit der Märchenstunde?! Mir wird langsam kalt", protestierte Luke. „Dann sind wir jetzt halt ne feine Truppe, aber das Gespräch führen wir gefälligst im Warmen fort und mit etwas zu Essen."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro