XV
Seine Grünen trafen auf meine Blauen. Ich könnte ihn ewig anschauen und einfach in dem hellen Glanz seiner Smaragde versinken, vermied es dann aber doch und drehte beschämt meinen Kopf zur Seite. Wohl etwas zu schnell, denn meine Haare flogen zur Seite und Darryl zuckte kurz erschrocken zurück, als sei er aus einer Trance aufgewacht.
Er jedoch beobachtete mich weiter. Wie ein Raubtier was seine Beute fixierte. Fast schon gruselig wie er jede meiner Bewegung beobachtete, während ich noch aufaß.
„Könntest du das vielleicht lassen?", fragte ich an ihn gewandt und war von meiner Selbstsicherheit etwas überrascht.
Hingegen meiner Vermutung fing Darryl an spitzbübisch zu Grinsen, was ich eher von David kannte. „Was genau meinst du?", wollte er unschuldig wissen.
„Mich so anzustarren als wäre ich deine Beute und du würdest mich jeden Moment angreifen", erklärte ich etwas genervt und wendete mich wieder meiner Suppe zu.
Jetzt trat Erkenntnis in Darryls Gesicht, obwohl ich mir sicher war, dass er schon längst wusste was ich meinte. „Ah, du hältst mich also für ein Raubtier", stellte er fest. Ich nickte nur. „Und du bist die Beute", sprach er weiter. Irgendwie gefiel mir die Richtung des Gesprächs nicht, weswegen ich nicht reagierte. „Hm... gefällt mir. Du bist das zarte Reh und ich der böse Wolf", lachte er laut und jetzt riss ich meine Augen auf und sah ihn geschockt an. Bitte was?!
„Was meinst du damit?", verlangte ich zu wissen und hätte mich fast an der Suppe verschluckt.
Der Schwarzhaarige dachte kurz nach und schien leicht abwesend, dabei sah er einfach nur mich an. Dann ganz plötzlich fokussierten sich seine Augen wieder. „Ach nichts... aber glaub mir, das Letzte, was ich will, ist dich zu verletzen", versicherte er mir und war dabei auf einmal so ernst als würde sonst was davon abhängen, dass ich ihm Glauben schenkte.
Zudem wandte er seinen Blick kein einziges Mal von mir ab und ich konnte seine Ehrlichkeit deutlicher als bei jedem anderen Menschen spüren.
„Ich weiß", entgegnete ich nur.
Es war wie ein Impuls, ein Gefühl oder eine Gewissheit, dass er mir nie etwas tun würde. Darryl jedenfalls schien sich über meine Antwort aufrichtig zu freuen, denn er strahlte übers ganze Gesicht. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber mir kam das Alles so bekannt und normal vor.
„Wie wärs, wenn ich dich ein wenig herumführ und dir deine langersehnten Antworten gebe?", kam plötzlich von ihm der Vorschlag.
Natürlich hatte ich nichts dagegen und wollte die Situation ausnutzen, weswegen ich sofort zustimmte. „Klingt super!", antwortete ich gut gelaunt und stand zusammen mit ihm auf. Meinen leeren Teller ließ ich stehen, da ich keine Ahnung hatte, wo die Küche war, und lief dann Darryl hinterher.
Dieser öffnete die knarzende Holztür und verließ das Haus. Sofort wurde ich vom hellen Licht geblendet und beeilte mich, um ihn einzuholen. Erst jetzt konnte ich einen genaueren Blick auf das kleine Lager, Dorf oder Camp werfen. Kein Plan was es war. Jedenfalls war es recht groß, mit einigen Häusern und Hallen, umringt von riesigen Mauern.
Viel mehr Menschen als letzte Nacht liefen über den riesigen Innenhof. Einige von ihnen bewaffnet andere verletzt, so als hätte hier ein Kampf stattgefunden. „Was ist hier passiert?", flüsterte ich mehr zu mir selbst und sah mich schockiert um.
„Was meinst du?", fragte Darryl, der mir einen verwirrten Blick über die Schulter zu warf. Dann traf ihn die Erleuchtung wie ein Blitz. „Nichts ist passiert." Er zögerte kurz. „So sieht eben ein normaler Alltag bei uns aus", erklärte er weiter und lächelte für einen kurzen Moment traurig. Nur um im nächsten Moment schwer zu seufzten. „Ich fürchte ich bin dir wohl einige Erklärungen schuldig."
„Allerdings", schoss ich sofort los und freute mich endlich mal etwas zu erfahren, damit ich wusste, wie ich mich mit der neuen Situation arrangieren konnte.
Darryl lächelte kurz. „Okay, also was willst du wissen?"
Ich tat so als würde ich kurz überlegen. „Ähm Alles?!"
„Gut, wie du willst", lachte er. „Also zuerst, du hast sicher mitbekommen, dass wir etwas anders sind, oder? Tja, sagen wir es so, wir sind eine Art Clan oder Stamm. Wir leben schon seit Jahrhunderten eher abgeschieden und meiden den Großteil der anderen Menschen. Die meisten wissen nichts von unserer Existenz und das ist auch gut so, denn wir haben nicht besonders viele Freunde, dafür aber ziemlich viele Feinde."
Ratlos sah ich ihn an. „Feinde?"
„Ja, Leute, die mit unserer Lebensweise und unseren Handlungen nicht einverstanden sind. Bei uns herrschen eben andere Regeln und Menschen sind nicht in der Lage anderes zu respektieren. Was sie nicht verstehen, das erklären sie für sich als negativ", erklärte er.
Meine Augenbrauen zogen sich zusammen und leicht vorwurfsvoll blickte ich in sein Gesicht. „Woher willst du das wissen? Du kannst doch nicht alle Menschen in einen Topf schmeißen und sie alle als gleich abstempeln! Wenn ihr die ganzen Jahre über es nicht mal versucht habt euch in die Gesellschaft zu integrieren, wie könnt ihr dann sicher sein, dass ihr nicht akzeptiert werdet?"
„Du klingst genau wie damals, immer noch die selbe Laila!", stieß er erfreut und bitter zu gleich aus. Doch ehe ich nachfragen konnte, fuhr er schon fort. „Glaub mir, ich weiß es. Wir bleiben lieber unter uns. Das ist das Beste."
Ich entschied mich nicht weiter nachzufragen. „Okay. Aber was sollten sie an eurer Lebensweise nicht akzeptieren, außer das ihr etwas altmodisch lebt? Und warum sind hier so viele bewaffnet oder verletzt?"
„Die Verletzungen kommen vom Training und die Waffen brauchen wir zur Selbstverteidigung. Was unsere Lebensweise angeht möchte ich dir noch nicht so viel dazu verraten. Nicht bevor der Moment dafür gekommen ist. Aber was du wissen solltest, du bist hier jederzeit herzlich willkommen und die Typen, die dich jagen sind auch unsere Feinde. Wir stehen also auf derselben Seite", meinte er und sah mir dabei tief in die Augen.
Das war ziemlich viel auf einmal. Zwar wollte er mir nicht alle gewünschten Antworten geben, aber ich hatte schon jede Menge erfahren. Was jedoch seltsam an dieser ganzen Sache ist, ist die Tatsache das mir alles so bekannt vorkommt und mich die Menschen hier, bis auf Jessie alle zu akzeptieren scheinen.
„Ey, Darryl! Und... Laila?!", ertönte plötzlich ein Schrei am anderen Ende des Hofs. Wir beide drehten unsere Köpfe in Richtung der Person, die uns gerufen hatte und nun schnellen Schrittes auf uns zu kam.
Darryl, der gerade noch so ernst gewirkt hatte entspannte sich auf einmal komplett und sah den jungen Mann mit so viel Wärme und Freundlichkeit an, dass ich ihn überhaupt nicht wieder erkannte. „Molotov! Na, auch mal da?", fragte er tadelnd.
Der junge Mann kam etwa einen Meter vor uns zum Stehen. Er hatte orangenes Haar, was oben etwas länger war und an den Seiten kurzrasiert war und goldene Honigaugen. Seine Haut war ebenfalls gebräunt, aber bei weitem nicht so dunkel wie die von Darryl. Er war auch nur einen halben Kopf kleiner als der Schwarzhaarige und seine tätowierten Unterarme kamen durch das kurze, helle Shirt gut zur Geltung.
„Ja, tut mir wirklich leid, dass ich zu spät bin, aber du kennst ja meinen Vater", lachte er und schlug erst bei Darryl ein, ehe sie sich brüderlich umarmten.
Dann drehte er auf einmal seinen Kopf in meine Richtung, sah mich kurz an und wieder fragend zu Darryl.
„Ist es nicht ein bisschen früh? Ich dachte du wolltest ihr noch nicht alles sagen?", fragte er verwirrt und ich wurde hellhörig.
Wem hatte Darryl mein Name denn noch alles erzählt?! Es war ja offensichtlich, dass alle etwas wussten nur ich nicht. Was wurde hier nur für ein doofes Spiel gespielt?
Darryl kratzte sich kurz am Hinterkopf und sah verlegen drein, was eigentlich immer David tat. So langsam glaubte ich, die Beiden hatten Rollen getauscht. „Ich habe ihr auch noch nichts erzählt."
„Oh", kam nur von Molotov. „Und weshalb ist sie dann hier?" Irgendwie störte es mich, dass sie die ganze Zeit über mich sprachen, aber nicht mit mir.
„Ich hab sie letzte Nacht vor Ihnen gerettet und sie hat dann hier übernachtet", erklärte er dem Orangehaarigen.
Dieser drehte sich auf einmal zu mir. „Echt? Ich hoffe dir ist nichts passiert, Laila? Ich bin übrigens Molotov, aber das wusstest du ja schon. Naja, wie dem auch sei, ich sollte mal eben zu Mara, sonst kann ich mir die nächsten Tage noch ganz schön was anhören. Wir sehen uns später!", sagte er und rannte Richtung Haus.
„Ja bis später", rief Darryl ihm hinterher und als er sich wieder zu mir umdrehte, war sowohl ihm als auch mir klar, dass wir noch einiges an Redebedarf hatten.
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