Kapitel 5
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Samstag, 17.03.2012
Es war eine gute Nacht, denn jeder in unserem Haushalt hatte in seinem eigenen Bett geschlafen. Etwas, was nicht häufig vorkam. Tali wachte regelmäßig wegen Albträumen auf und ich hatte schon immer einen leichten Schlaf.
Während des gemeinsamen Frühstücks bekam ich einen Rückruf von dem Ausschreiben der Haushaltshilfe. Danach schmierte ich mir aus Frust eine extra Portion Erdnussbutter aufs Toast. Die Stelle war schon besetzt und ich durfte weiter suchen.
Meemaw und Tali verbrachten erneut den Vormittag zusammen und mein schlechtes Gewissen erdrückte mich. Ich wollte ihn nicht abschieben, aber gleichzeitig wusste ich, dass er weder in der Werkstatt noch bei der Suche nach einem Job großen Spaß haben würde. Und Meemaw betonte erneut, dass sie sich freute, endlich Zeit mit ihrem Enkel verbringen zu dürfen. Sie hatte uns nie in Chicago besucht. Eine Autofahrt wäre zu lang gewesen und sie litt unter schrecklicher Flugangst. Es waren ihre ersten richtigen Tage mit ihm. Video-Anrufe waren nicht dasselbe, wie wirklich mit jemanden zu interagieren. Sie lernten sich beide völlig neu kennen und ich war kaum dabei.
So lebte es sich eben als Erwachsene, dachte ich und parkte mit dem Pick-up näher an dem Tor, als beim letzten Mal. Es hatte mich erleichtert, dass der Wagen angesprungen war und den Weg zur Werkstatt, wenn auch unter lauten Protesten, gepackt hatte.
Wie am Tag zuvor kam Embry grüßend zu mir, besah sich den Wagen und machte sich auf einem Klemmbrett Notizen, wovon ich nicht einmal die Hälfte verstand. Ich händigte ihm den Schlüssel aus und gab ihm meine Nummer, damit er mich erreichen konnte, sobald der Wagen fertig war. Mein Vertrauen in ihn, dass er ihn retten konnte, war nicht hoch. Dafür war der Wagen einfach zu alt.
In dem Moment, als wir uns wieder verabschiedeten, fing der angekündigte Regen an. Perfektes Timing. Selbstverständlich hatten die Wolken sich ausgerechnet bis jetzt zurückgehalten. Wir stellten uns unters Dach und sahen dem Regen zu, wie er von jetzt auf gleich den Boden benässte.
„Soll ich dich irgendwohin bringen?"
„Du musst arbeiten."
Embry zwinkere mir zu. „Das ist das tolle, wenn man sein eigener Chef ist. Ich darf Pause machen, wann immer ich will."
Ich schmunzelte und dachte über sein Angebot nach. Schließlich schüttelte ich allerdings den Kopf und lehnte dankend ab. „Es ist nur Nieselregen. Ich muss mich auch wieder dran gewöhnen, im Regen unterwegs zu sein. Und so weit ist der Weg nach Hause nun auch wieder nicht."
Zweifelnd sah er mich an.
„Ich bin schon nicht aus Zucker."
„Warte hier", sagte er und war kurzerhand hinter einer Tür verschwunden.
Blinzelnd sah ich ihm hinterher. Wollte er jetzt drauf bestehen und holte seinen Autoschlüssel? Ich hoffte nicht.
Es dauerte wirklich nur kurz, da kam er wieder und hielt in der Hand keinen Schlüssel, sondern einen pinken Regenschirm. „Hier, den hatte eine Kundin mal vergessen. Liegt schon ewig hier rum."
„Das ist nicht nötig."
„Doch, sicher. Ist auch kein Problem."
„Ich bringe ihn dir wieder", bestand ich drauf, als ich ihn entgegennahm und erntete einen ungläubigen Blick.
„Danke, aber ich brauche echt keinen pinken Regenschirm."
Grinsend rollte ich die Augen und spann den Schirm auf. „Danke."
„Kein Ding. Ich ruf dich an, sobald ich mir den Alten", er nickte zum Pick-up, „genauer angeschaut habe."
Amerikaner waren nicht dafür bekannt spazieren zu gehen. Ganz im Gegenteil, wir fuhren für jeden Mist mit dem Auto. Einkaufen? Mit dem Auto. Ins Café? Mit dem Auto. Zum Nachbarn, der zwei Straßen weiter wohnte? Mit dem Auto.
Wir Indianer waren da etwas anders, als der typische US-Bewohner. Unser Volk fühlte sich auf eine besondere Art und Weise mit der Natur verbunden und stärkten unsere Beziehung mit der Erde mit jedem Schritt, den wir auf ihr gingen. Die Quileute lebten in der Nähe eines riesigen Berg- und Waldgebiets. Ein Teil dessen stand unter Naturschutz und wir hegten und pflegten unsere Umgebung. Egal, ob es sich um die Straße vor unserem Haus, der Strand oder der Wald handelte. Wir begegneten der Mutter Natur und ihren Bewohnern mit Respekt. Es wird uns in die Wiege gelegt und von Kinderbeinen an sind wir bei jeder Art von Wetter draußen unterwegs. Wir waren abgehärtet.
Was mir nur keiner gesagt hatte, war, dass man sich innerhalb von wenigen Jahren an die Bequemlichkeiten anderer Völker so sehr gewöhnt, dass man seine eigenen Wurzeln vergaß und die Natur lautstark verfluchen würde.
Der Schirm hielt den Regen zwar von oben ab, auf mein Gesicht zu tropfen, aber meine Hose war mittlerweile klitschnass und klebte an der Haut. Eklig. Unvorstellbar, dass ich früher bei solch einem Wetter nach einer Party nach Hause spaziert war. Bäh. Am liebsten würde ich mir den Regen wie ein Hund ausschütteln. Das tat ich natürlich nicht. Zum einem brachte es gar nichts und zum anderem liefen Bewohner durch die Straßen. Bewohner, die ihre Wurzeln nicht vergessen hatten und teilweise ohne Schirm unterwegs waren.
Eine war sogar so gestört und joggte! Nur eine leichte Regenjacke samt Kapuze schützte ihren Oberkörper vor dem dreckigen Wasser. Ihre eigentlich hellgrüne Leggins war wie meine Jenas schon ganz dunkel. Ich konnte darüber nur den Kopf schütteln und war neugierig darauf, wer so irre war und konnte es mir nicht verkneifen in ihr Gesicht zu schauen, als uns nicht mehr viel voneinander trennte.
Was ... Verwirrt hielt ich inne, betrachtete sie von oben bis unten und wieder nach oben. Das war unverkennbar Alexandra Connweller ... ohne Babybauch.
Es gab drei Möglichkeiten. Erstens, diese Jacke war die Beste, die ich je gesehen habe und kaschierte einen Babybauch – unwahrscheinlich.
Zweitens, sie hatte gestern entbunden und trainierte jetzt schon für ihren After-Baby-Body – in gewisserweise war es ihr zuzutrauen, aber nicht innerhalb eines Tages.
Und drittens – ich wettete darauf, auch wenn es für meine Psyche dann nicht gut aussah – dass ich mir den Donnerstag eingebildet hatte. Was anderes würde keinen Sinn ergeben. Es war Zeit für eine Therapie – haha, von welchem Geld?
Mittlerweile war die Alexandra-ohne-Babybauch vor mir stehen geblieben und blickte mich nicht minder überrascht an.
„Cat?"
Überrumpelt schaffte ich nur ein kurzes Nicken zustande.
„Oh. Mein. Gott. Wie gehts dir? Und wo warst du? Weißt du eigentlich, was für Sorgen wir uns damals gemacht haben? Krass, ich kanns kaum fassen. Was machst du hier? Du siehst ... äh .. gut aus. Sorry, ich komm gerade gar nicht drauf klar, dass du wirklich vor mir stehst. Ich dachte, wir sehen uns nie wieder."
Ich überhörte gekonnt, dass nicht gut gelungene Kompliment. Dass ich nicht mehr so schlank wie früher war, sah ich jeden Tag im Spiegel. Die täglichen Reste von Talis Teller saßen mir eben auf den Hüften und mit Frustessen hatte ich schon immer zu kämpfen gehabt. Damals hatte ich die Kalorien mit Sport bekämpft, jetzt fehlte die Zeit dafür.
„M-Mir gehts gut, äh ...", kam es verblüfft von mir. „Sorry, aber ... du bist gar nicht schwanger."
Alexandra zeigte verwundert auf sich selbst. „Ich? Schwanger? Wie kommst du denn- ach so!" Sie lachte. „Du hast mich mit Kim verwechselt."
Da fiel mir der Groschen. Alex hatte eine Zwillingsschwester. Kim, das schüchternste Mädchen, dass ich bis damals kannte. Nur Tali hatte das toppen können. Früher wäre mir diese Art von Verwechslung nie passiert.
„Wann hast du sie denn getroffen?"
„Eher gesehen. Äh vor ein paar Tagen mit ...", ich stolperte über den Namen und entschied mich, ihn nicht auszusprechen, „ihrem Freund ... äh oder Mann?"
„Verlobter", klärte sie mich auf, grinste und beugte sich verschwörerisch zu mir unter den Schirm. Unter ihrer Kapuze erkannte ich, dass sie ihre langen Hare behalten hatte und zu einem Pferdeschwanz trug. „Wahnsinn, oder? Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet meine Schwester mit so jemanden zusammen kommt."
Ich schluckte. „J-Ja, unglaublich."
Wenn man es genauer betrachtet, war es tatsächlich ungewöhnlich. Kim war zur Schulzeit ein Mauerblümchen, das sich lieber hinter ihren Büchern versteckt hielt und nicht viel mit andren interagierte – womöglich hatte ich deswegen ihre Existenz vergessen. Paul war das komplette Gegenteil. Er fiel schon auf, sobald er einen Raum betrat. War laut, ein Hitzkopf und ständig unter Strom. Wegen seines Temperaments hatte er auch schon die ein oder andere Prügelei gehabt.
Gegensätze zogen sich bekanntlich an und obwohl ich von Natur aus ein neugieriger Mensch war, wollte ich aktuell nichts davon hören, wie glücklich Paul war.
„Aber es sei ihr gegönnt, die beiden sind so süß. Und passen perfekt zusammen. Mich hätten keine zehn Pferde in La Push gehalten, aber für beide war es nie ein Thema gewesen. Dass ich so früh Tante werde, hätte ich aber auch nicht gedacht. Wenn du mal Cupcakes brauchst; sie ist ein Naturtalent. Die besten Cupcakes weit und breit. Sie arbeitet bei BakerDreams in Forks. Wenn du sagst, dass ich dich geschickt habe, bekommst du einen kleinen Rabatt", sie zwinkerte mir zu. „Oh Gott, ich hör ja gar nicht mehr auf zu brabbeln. Sorry, aber ich bin immer noch so geflasht, dass ich dich hier sehe. Erzähl, was treibt dich her?"
„Meine Mom ist vor ein paar Monaten gestorben", sagte ich und wusste, dass ich von Alex keinen mitleidigen Blick bekommen würde. Sie hatte um unsere Mutter-Tochter-Beziehung gewusst.
„Ach, kacke. Jetzt bist du für deine Meemaw hier?"
Bestätigend nickte ich und sie zuckte verständnisvoll mit den Schultern.
„So ist das mit Familie. Und wo warst du die letzten Jahre? Sag bloß, ich bin die erste, die weiß, dass du zurück bist?"
„In Chicago und ja, das bist du. Wenn man Embry und Quil nicht dazu zählt. Habe gerade mein Auto zu denen gebracht. Was machst du denn eigentlich hier?", versuchte ich das Thema auf sie zu lenken und hoffte gleichermaßen, bei ihr zu bleiben und nicht zurück zu ihrer Schwester und derer perfekten Beziehung zu kommen.
„Spring Break, bin gestern Abend zu Hause angekommen."
„Was studierst du denn? Bestimmt etwas mit Sport", vermutete ich. Alex war ein Ass im Sport, ganz egal welcher.
„Master of Arts in Leadership und Change. Also mehr in Richtung Führung und Management. Aber dem Sport selbst habe ich natürlich nicht den Rücken gekehrt. Nur eben nicht mehr so exzessiv wie früher."
„Sagt sie und joggt durch den Regen", kommentierte ich und wir lachten.
„Wir müssen uns unbedingt zu einem Kaffee treffen. Spring Break geht leider nur eine Woche, aber wir müssen", beschloss sie eindringlich und wir tauschten daraufhin unsere Nummern aus und machten ein Kaffeedate aus.
Ich hatte das Handy noch in meiner Hand, als ein Anruf einer nicht gespeicherten Nummer einging. War das etwa jetzt schon Embry? Bitte nicht. Das konnte kein gutes Zeichen sein.
„Da muss ich rangehen", erklärte ich Alex und wir verabschiedeten uns voneinander.
„Caitlyn Johnson", nahm ich den Anruf an.
„Hi Caitlyn, hier ist Emily Uley."
„Hallo Emily, was gibts?"
„Suchst du noch einen Job?"
„Äh, ja."
„Tiffany Call sucht jemanden, der ihr im Laden hilft. Ich musste direkt an dich denken, aber ich hatte deine Nummer gestern Abend nicht parat. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich deine Nummer einfach aus den Bewohnerdaten genommen habe." Ein entschuldigender Ton lag in ihrer Stimme.
„Was? Nein, gar nicht. Im Gegenteil. Tiffany Call sagtest du? Gehört ihr immer noch der Supermarkt an der Quileute Street?"
„Genau. Am besten schaust du heute einfach mal bei ihr vorbei."
„Das werde ich machen. Danke, dass du an mich gedacht hast."
Deutlich beschwingter als noch vorhin ging ich die Straße entlang und entschied kurzerhand, mich direkt zum Supermarkt aufzumachen. Wozu Zeit verschwenden, wenn in der Zwischenzeit mir jemand den Job wegnehmen konnte? Nicht mit mir!
Ich kam zwar völlig durchnässt bei ihr an, aber so war das eben in La Push.
Eine Glocke ertönte, als ich den Laden durch die Glastür betrat, und mir fielen einzelne Erinnerungen ein, die ich hier erlebt hatte. Es war der Supermarkt vom Reservat und die Anlaufstelle für Jung und Alt. Hier hatte ich sogar meine ersten und einzigen Diebstahlerfahrungen gesammelt – Jugendsünden eben.
Der Laden war groß, aber nicht so riesig wie in einer Großstadt. Hohe Regale teilten den Laden in verschiedene Abteilungen auf und boten genug, dass die Einwohner La Pushs nur für spezielle Dinge nach Port Angeles fahren mussten. Die einzige Kasse, die es hier gab, war von der Tür aus direkt anzusteuern und Miss Call, die zuvor etwas auf eine Liste schrieb, blickte auf und grüßte freundlich.
Tiffany Call war eine Makah und schon seit ich mich erinnern konnte ein festes Mitglied der Quileute. Die Ähnlichkeit zwischen ihr und Embry war unverkennbar. Selbst das Grübchenkinn schien das Gleiche zu sein.
„Hallo, Miss Call", grüßte ich sie zurück und stellte mich vor. „Ich bin Caitlyn Johnson."
Sie lachte. „Kind, hier leben keine vierhundert Leute. Ich weiß, wer du bist, auch wenn ein paar Jahre vergangen sind. Schön, dass du wieder hier bist. Und nenn mich Tiffany, das hast du früher auch gemacht. Wie kann ich dir helfen?"
So viel Freundlichkeit war ich gar nicht mehr gewohnt. In Chicago waren alle so anonym und distanziert.
„Emily hat mir gesagt, du hast eine Stelle frei?"
Überrascht neigte sie den Kopf. „Suchst du für dich?"
„Ja. Ich bin die Woche wieder zurückgekehrt, werde bleiben und suche einen Job." Sie runzelte die Stirn und ich sprach hastig weiter. „Etwas Erfahrung hab ich auch, denn die letzten Jahre habe ich in einem Kiosk gearbeitet. U-Und ich suche etwas dauerhaftes, hab nicht vor so schnell wieder zu verschwinden."
Sie seufzte und blickte mich nachdenklich an.
„Stimmt irgendetwas nicht?", fragte ich unsicher, denn das sah mir ganz nach einer Abfuhr aus.
Tiffany stemmte die Hände an die Hüften. „Das letzte Mal als ich dich gesehen habe, hätte ich beinahe Chief Swan angerufen, weil du wieder Mal etwas heimlich mitnehmen wolltest."
Mir stieg das Blut in die Wangen.
„Was war es beim letzten Mal nochmal gewesen? Es war kein Parfüm oder Schminke, wie üblich." Überlegend sah sie an die Decke und kaute auf der Lippe. „Es war irgendetwas anderes", murmelte sie und schien sich ernsthaft erinnern zu wollen.
Verdammt jetzt mussten es meine Jugendsünden sein, die mich daran hinderten Geld zu verdienen.
„Ein Schwangerschaftstest", nuschelte ich schließlich mit knallroten Wangen, als sich die Sekunden weiter hinzogen. An die Situation und den Scham konnte ich mich damals noch sehr, sehr gut erinnern.
Erkenntnis spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder. „Stimmt. Deswegen hatte ich den Chief auch nicht angerufen."
Ich räusperte mich und wollte so schnell wie möglich aus dem Laden verschwinden und ihn nie wieder betreten. „J-Ja, also ... tut mir leid, wirklich. Das war auch das letzte Mal gewesen, dass ich was klauen wollte. Habs danach nie wieder getan. U-Und werde es auch nie wieder tun. Aber, also ... wegen des Jobs, ich kann verstehen, dass du ihn mir nicht geben willst. I-ich versuchs einfach woanders."
Ein tiefer Atemzug entkam ihr und mit herabgesenkten Schultern, setzte ich dazu an, mich zu verabschieden, als sie mir zuvorkam.
„War er positiv?"
„Was?"
„Der Schwangerschaftstest, ich hatte ihn dir mitgegeben. War er positiv?"
Zögerlich nickte ich und wieder seufzte sie, löste ihre Arme und sah mich mit einem Blick an, als würde sie alles verstehen. Vielleicht tat sie das auch. Ich kannte keine Hintergründe, denn als sie damals schwanger nach La Push kam, war ich ein Baby. Aber die Leute redeten und gerade meine Mom hatte viel geredet und sich an Gossip geradezu ergötzt.
„Ich suche wirklich jemanden. Jemand, der zuverlässig ist. Auf den ich mich verlassen kann. Bei dem ich weiß, er wird den Laden schmeißen, selbst wenn ich mal ausfalle. Und jemanden, dem ich vertrauen kann", sprach sie und stocherte in der Wunde. Sie musste mir nicht erklären, dass das nicht auf mich zutraf.
„Klar, verstehe ich."
„Es wird eine Probezeit geben."
Nicht sicher, weshalb sie mir das sagte, hörte ich ihr zu.
„Sollte irgendetwas in dieser Zeit passieren, dass mir auch nur einen klitzekleinen Grund gibt, an dir zu zweifeln, bist du den Job wieder los."
Ungläubig sah ich sie an. „I-ich kriege eine Chance?"
„Eine letzte Chance, ja. Zeig mir, dass du sie dir verdienst."
„Danke, danke, danke, danke!", rief ich erleichtert und wäre ihr über den Hals gefallen, wenn nicht die Kasse zwischen uns gestanden hätte.
„Dann lass uns mal über deine Arbeitszeiten sprechen. Komm, das machen wir hinten. Mittlerweile habe ich Kameras und bekomme direkt mit, wenn jemand rein kommt."
Ich folgte ihr in den Bereich, der nur für das Personal zugänglich war. Hinter ihrem Rücken verzog ich das Gesicht bei ihrer Anspielung. Mit den Sticheleien würde ich leben müssen, denn das hatte ich mir selbst eingebrockt.
„Ich vermute, dir passt es vormittags? Hast du einen Betreuungsplatz für dein Kind?", fragte sie und zeigte mir abermals, dass sie eine gute und faire Chefin sein würde. Und ich würde diese Chance nutzen.
Der Regen hatte aufgehört, als ich meinen zukünftigen Arbeitsplatz verließ und ich machte mich geradezu beflügelt auf den Weg nach Hause. Am Montag war mein erster Tag und weil es gleichzeitig der Start für Tali in den Kindergarten war, würde es nur eine Einarbeitung sein. Wie ich erwartet hatte, zeigte sie sehr viel Verständnis im Bezug auf das Alleinerziehendsein. Dennoch würde ich mein Glück mit ihr nicht überstrapazieren. Sie wollte jemanden Zuverlässigen und Vertrauenswürdigen und das werde ich sein.
Mein Handy vibrierte und zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich von einer nicht gespeicherten Nummer angerufen. Emily konnte es nicht sein, denn ihre Kontaktdaten hatte ich direkt danach ins Telefonbuch eingetragen. Nachdem sie heute, an einem Samstag, extra zur Arbeit gegangen war, nur um an meine Nummer zu kommen, hatte ich ihr direkt geschrieben, dass ich den Job hatte und mich erneut bei ihr bedankt.
Mit meinem Namen meldete ich mich und kurz darauf erklang die tiefe Stimme von Embry.
„Hey, Caitlyn, Embry hier. Wegen deinem Wagen", er räusperte sich und ich sandt ein Stoßgebet in den Himmel. Das hörte sich nicht gut an. „Uns fehlen ein paar Ersatzteile. Das wird alles etwas länger dauern, als gedacht."
„Oh, okay." Es könnte schlimmer sein. „Von wie lange sprechen wir denn?"
„Bis Ende nächster Woche mit Sicherheit. Bis wann hast du denn den Leihwagen?"
„Mittwoch ist Abgabetag."
Im Hintergrund hörte ich Papier rascheln. „Du musst ihn in Port Angeles abgeben?"
„Ja."
„Folgender Vorschlag: einer von uns muss eh nach Port Angeles, das können wir auf den Tag schieben und dich von dort dann wieder einsammeln."
„Dein Ernst?" Das würde mir eine Menge Taxigeld sparen.
Embry lachte. „Mein Ernst. Ist wirklich kein Problem. Passt dir vierzehn Uhr?"
„Kann ich mich nochmal bei dir melden? Am Montag fang ich an zu arbeiten und müsste das dort einmal besprechen."
„Kein Ding. Glückwunsch zum neuen Job, wo fängst du an?"
„Bei deiner Mom."
Kurze Stille am anderen Ende der Leitung.
„Bei meiner ... Mom?"
„Du wusstest nicht, dass sie eine Stelle frei hat?"
„Ne, sonst hätte ich dir das natürlich direkt gesagt. Aber ... cool. Sie drückt bestimmt ein Auge zu. Ich kläre das mit ihr wegen Mittwoch."
„Das ist nicht nötig, ich mach das schon."
„Blödsinn, ich sehe sie heute Abend und kläre das. Aber das wird kein Problem sein."
Erschlagen von so viel Hilfsbereitschaft, gab ich nach und wir hielten fest, dass er sich bei mir melden würde, ob es bei der Abmachung bleiben würde.
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