Kapitel 3
Normalerweise würden wir um diese Uhrzeit zu Abend essen, aber ich kann meinen Eltern und Shane jetzt nicht unter die Augen treten. Deswegen schleiche ich mich aus dem Haus hinaus und verursache so wenig Geräusche wie möglich, die sowieso durch den Fernseher übertönt werden.
Sobald ich auf die Straße trete, fange ich an zu rennen, als gäbe es um Leben und Tod. Und wer weiß, vielleicht ist auch genau das der Fall. Mit jeder vergehender Sekunde fühle ich mich nämlich elender und würde mich am liebsten auf den Boden legen und dort verweilen, wäre da nicht meine Willensstärke.
Das bewundert meine Freundin immer so an mir. Dass ich mich nicht unterkriegen lasse und für meine Ziele kämpfe, egal was andere sagen. Und so bin ich gerade bereit, alles dafür zu tun, um wenigstens einen der dreien zu sprechen.
Nach einigen Metern fällt mir allerdings auf, dass ich nicht einmal weiß, wo sich das Haus, in dem ich aufgewacht bin, befindet. Den Weg von dort nach Hause zu finden, war nicht allzu schwer, doch nun habe ich absolut keine Ahnung, in welche Richtung ich gehen soll.
Bereits außer Puste bleibe ich stehen und schaue um mich. Keine Menschenseele ist in Sicht, die mir möglicherweise weiterhelfen könnte. Aber es ist auch keine Menschenseele in Sicht, der ich weh tun könnte. Von daher ist es vielleicht besser, wenn ich hier draußen auf mich allein gestellt bin.
Bis ich das Haus von heute Morgen gefunden habe, ist es vielleicht schon zu spät. Doch ich kann mich noch dunkel an den Weg zu Elena erinnern, da ich einmal ihrem Bruder Jeremy etwas für ein gemeinsames Projekt geben musste. Wahrscheinlich ist sie meine letzte realistische Chance.
Mit jedem Schritt, der mich näher an mein Ziel bringt, werde ich immer schwächer. Mich hat es zwar schon einmal ziemlich übel mit einer Krankheit erwischt und ich lag tagelang nur in meinem Bett, aber das hier übertrifft alles.
Als ich das Haus schließlich von Weitem erkenne, komme ich nur noch sehr langsam voran und hebe meine Füße beim Laufen schon kaum mehr. Ich habe das Gefühl, gleich auf der Stelle zusammenzubrechen.
Auf einmal öffnet sich die Tür des Gilbert-Hauses und Elena erscheint in deren Rahmen. Sie hält so etwas wie einen kleinen Sack in den Händen, wenn ich es aus der Entfernung richtig einschätze, und scheint wohl den Müll herausbringen zu wollen.
Schnell wird mir klar, dass ich mich irgendwie bemerkbar machen muss, auch wenn ich die dazu notwendige Kraft beinahe nicht mehr aufrufen kann. "Elena...", krächze ich mehrmals hintereinander, während ich weiterhin auf das Haus zuhumpele.
Eigentlich ist mein Krächzen so leise gewesen, dass das Mädchen es unmöglich gehört haben kann, doch aus mir unerklärlichem Grund sieht sie tatsächlich auf und richtet ihren Blick auf mich. Sie zögert keine Sekunde und schreit ins Haus hinein: "Jer, rufe sofort Stefan oder Damon an und sage ihnen, dass Kiara bei mir ist. Sie sollen bitte schnell kommen!"
Danach macht sie sich auf den Weg zu mir. Doch inzwischen bin ich schon der Reihe nach hingeflogen, sodass sie mir erst einmal aufhelfen muss, als sie mich erreicht hat. "Oh Gott", sagt sie. "Ich dachte, Stefan hätte die Sache schon erledigt."
Anstatt mich darüber zu beschweren, dass ich jetzt offensichtlich als Sache bezeichnet werde, verlassen nur diese zwei Worte meinen Mund: "Hilf mir..." Ich bin nun wirklich fast am Ende.
Ohne zu zögern, greift Elena unter meine Arme und hievt mich nach oben. Sie legt einen meiner Arme um sich, damit sie mich stützen kann, und läuft so zügig wie möglich mit mir zurück in ihr Haus. Für so ein zierliches Mädchen besitzt sie wohl einiges an Kraft.
Als wir es die Treppen am Eingang und über die Türschwelle geschafft haben, führt sie mich ins Wohnzimmer, wie ich mal stark vermute, und lässt mich auf die Couch nieder. Ich bemerke erst später, dass sich Jeremy im selben Raum befindet. "Bei Damon und Stefan gab es einen kleinen Zwischenfall, um den sie sich kümmern mussten, aber sie sollten jede Minute hier sein."
Ich weiß noch, dass ich vor etwa einem Jahr ziemlich auf ihn stand. Jedoch habe ich mich nach unserem Projekt nie wieder mit ihm getroffen, weil meine Freundin meinte, er hätte einen schlechten Einfluss auf mich, da er nach dem Tod seiner Eltern mit Drogen zu tun hatte. Zudem hatte er es auf Vicky, eine Schülerin, die leider ebenfalls verstorben ist, abgesehen. Auch wenn ich keine Gefühle mehr für ihn habe, schäme ich mich dafür, dass er mich in dieser Lage sieht.
"Keine Angst, Kiara, gleich wird es dir wieder besser gehen", versucht Elena mir einzureden, doch ich weiß nicht, ob ich ihr glauben soll. Sie schaut mich einen Moment lang besorgt an, wendet sich dann von mir ab und sieht dabei so aus, als würde sie angestrengt über etwas nachdenken. "Okay, ich kann das nicht länger mitansehen. Ist mir egal, was Damon und Stefan sagen. Ich hole dir jetzt eine Blutkonserve."
Nachdem sie noch zu ihrem Bruder gesagt hat, dass er auf mich aufpassen soll, verschwindet sie in einer rasanten Geschwindigkeit. Saß sie eben noch am Rand des Sofas, ist sie nun schon nicht mehr zu sehen. Aber vielleicht hatte ich auch einfach einen Aussetzer und habe es mir eingebildet.
Es dauert nur wenige Sekunden, bis sie wieder an meiner Seite ist und mir eine Konserve voller roter Flüssigkeit hinhält. "Hier, trink das." Dieses Mal lehne ich es nicht ab, denn schlimmer als in diesem Moment kann es mir wirklich nicht mehr ergehen. Also ergreife ich den Beutel und nehme das Strohhalmartige in den Mund, um daran zu ziehen. Tatsächlich fühle ich mich nach nur einem einzigen Schluck etwas stärker, weswegen ich schnell weitere zu mir nehme.
Auf einmal springt die Haustür auf und die beiden Typen von heute Morgen erscheinen in Begleitung der angeblich manipulierten Frau - was auch immer das heißen mag - im Zimmer. Als der Dunkelhaarige mich erblickt, geht er leicht angesäuert auf Elena zu. "Ich dachte, wir haben uns geeinigt, ihr kein abgefülltes Blut zu geben. Sie sollte direkt von einem Menschen trinken, damit sie Erfahrung sammeln und vielleicht sogar schon lernen kann, ihr Verlangen zu kontrollieren."
"Ich weiß", entgegnet sie darauf, "aber es hätte nicht mehr lange gedauert und sie wäre gestorben. Und du kennst mich, Damon, das konnte ich nicht zulassen. Vor allem konnte ich das Stefan nicht antun..." Ich kann mir zwar nicht erklären, was Stefan und ich miteinander zu tun haben sollen, aber frage auch nicht nach.
"Also gut", murmelt Damon vor sich hin, worauf er einen Schritt auf die Frau zu macht. "Verschwinde von hier und vergesse alles, was heute passiert ist. Du hast mal eine Auszeit gebraucht und hast den Tag deshalb alleine verbracht. Und jetzt geh." Daraufhin verlässt die Frau das Haus.
Nach einem Augenblick der Stille melde ich mich schließlich zu Wort: "Ähm, bin ich jetzt so ein... Ein Vampir?"
Dieses Mal antwortet Stefan: "Ja, und es wird nun eine Menge auf dich zukommen."
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