Kapitel 24
Zwei Tage später haben wir immer noch nichts von Stefan gehört. Er scheint seine Freiheit wohl sehr zu genießen. Aber auch wenn wir uns ein wenig Sorgen machen, ist es vielleicht besser so, dass er gerade nicht in unserer Nähe ist und Probleme macht. Heute steht nämlich die nächste schriftliche Prüfung bevor, diesmal in Englisch.
Um genau zu sein, befinden wir uns wir uns sogar direkt in der Prüfung. Zwei der fünf zur Verfügung gestellten Stunden sind bereits vergangen, und bisher komme ich ganz gut zurecht. Thema ist Shakespeare's Romeo & Julia, mit dem ich mich die letzten Tage zwar eher weniger auseinandergesetzt habe, von dem ich jedoch noch einige Dinge im Gedächtnis hatte.
Da unsere Lehrerin uns nicht die ganze Zeit beaufsichtigen kann, übernimmt die Aufsicht nun ein anderer Lehrer, welcher sich als Alaric beziehungsweise Mr. Saltzman herausstellt. Glücklicherweise haben wir die Sache zwischen uns gestern schon geklärt - nachdem er mich in seinem Unterricht jedes Mal aufgerufen hatte, als ich keine Ahnung hatte, haben wir uns ausgesprochen -, sonst könnte ich mich jetzt nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren.
Ich werfe einen Blick auf Olivia, die ein paar Reihen hinter mir platziert wurde, doch sie hat weder Alaric bemerkt noch meinen Blick wahrgenommen. Sie sieht hochkonzentriert auf ihr Blatt Papier und setzt ihren Stift nicht einmal ab. Vielleicht sollte ich mir ein Beispiel an ihr nehmen.
***
"Und noch eine Prüfung geschafft", triumphiert Olivia, nachdem wir aus dem Schulgebäude gelaufen sind. "Wenn der Rest auch so läuft wie heute, bin ich mehr als zufrieden. Ich habe so ein gutes Gefühl, was Englisch angeht."
"Glaub mir, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Auch wenn du kurz vor den Klausuren ziemlich in Stress kommst, hast du den Stoff immer richtig gut drauf", sage ich, mein Gesicht ihr zugewandt, und übersehe einen anderen Schüler, den ich deswegen ein wenig anrempele. Ich entschuldige mich kurz bei ihm, bevor ich mich wieder an meine Freundin wende. "Die Ausnahme ist Mathe, aber das hast du diesmal ja etwas besser verstanden."
"Ja, wir werden sehen", meint die Blondine und kramt in ihrer Tasche nach ihrem Autoschlüssel, da es nur noch wenige Meter zum Parkplatz sind. "Kannst du es glauben, dass wir in wenigen Wochen unseren Abschluss feiern können? Vorausgesetzt natürlich, wir bestehen die Prüfungen."
"Klar werden wir das!", beteuere ich. Inzwischen sind wir am Wagen angekommen und öffnen die Türen. Als wir im Auto sitzen und die Türen wieder geschlossen haben, werde ich etwas ernster. "Und ja, es ist echt krank, wie schnell die Zeit vergeht. Und wir haben uns noch nicht zusammen an einem College angemeldet. Tut mir leid, dass es nicht so gekommen ist, wie wir es eigentlich vorhatten. Ich bin mir einfach noch nicht sicher, wie genau es nach der High School weitergehen soll."
"Das ist absolut kein Problem. Das Leben läuft eben nicht immer nach Plan." Wie recht sie damit doch hat.
Die ganze Fahrt über singen wir lauthals mit den Liedern im Radio mit. Früher haben wir das tatsächlich sehr oft gemacht, aber in letzter Zeit haben wir uns leider immer seltener getroffen. Umso schöner ist es, dass wir diesen Moment gerade genießen können.
Während wir die Sängerin Ruelle bei ihrem Song "Storm" begleiten, fahren wir am Salvatore-Anwesen vorbei, welches jetzt seit etwa drei Tagen leerstehen müsste. Seit Stefan abgehauen ist, ist es unbewohnt. Auch von uns hat seitdem niemand mehr das Grundstück betreten, doch nun spüre ich ein dringendes Bedürfnis dazu. Ich glaube nicht, dass ich etwas Bedeutendes darin finden werde, aber irgendetwas zieht mich dorthin.
Folglich wende ich mich an Olivia: "Hey, könntest du kurz anhalten und mich rauslassen? Mir ist gerade eingefallen, dass ich mich eigentlich mehr bewegen wollte." Kaum habe ich diese Worte ausgesprochen, könnte ich mir auch schon die Hand vor's Gesicht schlagen. Eine noch dämlichere Ausrede hätte mir echt nicht einfallen können.
Wie zu erwarten, reagiert die Blonde zunächst etwas verwirrt darauf. "Öhm, klar", sagt sie und setzt den Blinker nach rechts, woraufhin sie am Straßenrand hält. "Seit wann läufst du freiwillig nach Hause?"
"Ach, weißt du", beginne ich, während ich meinen Rucksack auf meinen Schoß hieve, "wegen der ganzen Vorbereitung auf die Prüfungen sitze ich nur daheim in meinem Zimmer. Ein bisschen Sport tut da ausnahmsweise mal gut."
Daraufhin nickt sie verstehend und wir verabschieden uns voneinander. Mit dem Rucksack in meiner Hand steige ich im nächsten Moment aus und schlage die Autotür mit etwas zu viel Schwung zu. Ich warte noch, bis sie außer Reichweite ist, und laufe dann in die entgegengesetzte Richtung.
Als ich nur wenige Minuten später beim Haus der Salvatores angekommen bin, fällt mir auf, dass die Tür überraschenderweise gar nicht verschlossen ist, was mich meine Augenbrauen zusammenziehen lässt. Mit langsamen Bewegungen trete ich ein, wobei ich darauf achte, so leise wie möglich zu sein. Da ich niemanden sehe, rufe ich einmal "Hallo?", aber es gibt immer noch keine Reaktion.
Also stelle ich meinen Rucksack ab und spaziere ein wenig durch die Räume, ständig auf der Suche nach irgendeiner Auffälligkeit. Weil ich dabei eher erfolglos bin, schüttele ich meinen Kopf. Das grenzt ja schon fast an Paranoia.
Doch dann höre ich ein lautes Geräusch, als ob jemand umgefallen wäre. Es müsste aus dem großen Schlafzimmer kommen, in welchem ich bisher noch nicht war. Das ändere ich nun natürlich und mache mich auf den Weg dorthin, um schließlich meinen Augen nicht ganz zu trauen. Denn das Bild, das sich mir bietet, ist nicht gerade schön anzusehen.
"Was machst du auf einmal hier?", erkundige ich mich mit lauter Stimme und lasse meinen Blick hin und her schweifen. Von der blassen Frau, die bewusstlos, vielleicht sogar tot, auf dem Boden liegt, zu Stefan, dessen Lippen und Kinn tief dunkelrot sind von ihrem Blut. "Und wie war das mit 'Ich tue niemandem etwas zuleide'?!" Meine Stimme wird lauter.
"Ganz ruhig, entspann dich", meint er daraufhin nur und wischt sich mit der Hand den Mund ab. "Sie ist die Ausnahme, ansonsten habe ich mich an unseren Deal gehalten. Aber irgendwann überkommt mich eben der Hunger, und heute hatte ich keine Lust auf Wildschwein oder Reh."
"Na super", gebe ich schnippisch von mir und verdrehe die Augen. In mir drinnen baut sich eine Wut auf, die immer größer wird. Nicht nur weil Stefan sich genau genommen nicht an die Abmachung gehalten hat und eine Frau deswegen sterben musste, sondern auch weil er einfach so verschwunden ist und nichts von sich hören hat lassen. Wenn ich nicht dieses seltsame Gefühl gehabt hätte, wüsste ich immer noch nicht, wo er sich befindet, und hätte es wohl auch in der nächsten Zeit nicht erfahren.
"Sei doch froh, dass ich sie hier reingebracht habe", entgegnet der Vampir und läuft knapp an mir vorbei, wobei sein Körper beinahe meinen streift, was dazu führt, dass mir plötzlich sehr warm wird. Diese Reaktion lässt mich meine Wut auf ihn für einen kurzen Augenblick vergessen. Die Erinnerung daran kommt jedoch schnell wieder, als er im angrenzenden Bad den Wasserhahn aufdreht und seine Stimme erhebt. "Wenigstens hat so keiner mitbekommen, was ich mit ihr getan habe. Kein Grund also, so eine Memme zu sein."
Jetzt habe ich genug von seinen Sticheleien. Vielleicht reagiere ich leicht über, aber ich sehe es nicht ein, dass er mich wieder und wieder mit seinen Worten verletzt, und möchte ihm nun endlich mal die Stirn bieten. Deshalb laufe ich schnellen Schrittes auf Stefan zu, dessen Gesicht inzwischen wieder sauber ist, mache mich vor ihm groß. "Wag es ja nicht, mich weiterhin so zu schikanieren!", rufe ich aus. "Du bist der gute Bruder, hieß es. Dabei führst du dich genauso auf wie dein Bruder, wenn nicht sogar schlimmer."
In meiner Erwartung würde er jetzt in irgendeiner Weise auf Damon eingehen. Schließlich bin ich davon ausgegangen, dass er Stefan's wunder Punkt ist, den ich treffen wollte. Doch es geschieht nichts dergleichen, stattdessen entwickelt sich unser Streit in eine ganz andere Richtung.
Stefan macht noch einen Schritt auf mich zu, und die unmittelbare Nähe zu ihm lässt mein Herz härter gegen meine Brust schlagen. Und dann sagt er mit einem leicht anzüglichen Lächeln: "Du bist echt heiß, wenn du wütend bist..."
Es ist nur ein Satz, doch dieser lässt mich komplett verwirrt zurück, da ich absolut nicht damit gerechnet hätte. Ich bin auch nicht sicher, was ich davon halten soll, weil immer noch der Ripper vor mir steht. Der Ripper, der keine Gefühle mehr hat und somit nur darauf aus sein kann, sich zu vergnügen.
Mir bleibt allerdings keine Zeit, um richtig darüber nachzudenken, denn bereits in der nächsten Sekunde presst er seine Lippen auf meine. Ich weiß nicht, was mich dazu verleitet, aber nach kurzem Zögern erwidere ich den Kuss, welcher sogleich fordender wird. Und zugegebenermaßen fühlt es sich gut an, so unglaublich gut.
Gerade als ich meine Arme um seinen Hals schlingen möchte, löst er sich von mir und stellt klar: "Das hier hat rein gar nichts zu bedeuten." Wäre ich bei Verstand, würde ich mich von ihm entfernen, doch schon nach diesem einen Kuss bin ich so benebelt, dass ich einfach nur nicke. Danach machen wir den Abstand zwischen uns wieder zunichte.
Stefan und ich stehen tatsächlich im Bad des Salvatore-Anwesens und küssen uns, nachdem er sich Tage nicht blicken hat lassen und im Zimmer neben uns eine tote Frau liegt.
Irgendwann beginnt er, meine leichte Jacke auszuziehen, und schmeißt sie irgendwo in eine Ecke. Während er über meine Arme streicht, bekomme ich eine Gänsehaut am ganzen Körper. Als er seine Hand schließlich unter mein Shirt fahren lässt, realisiere ich, dass er offensichtlich mehr will. Ob ich dafür bereit bin? Keine Ahnung. Ob ich das hier deshalb abbrechen möchte? Auf keinen Fall.
Blöd nur, dass mein Telefon in meiner hinteren Hosentasche das anders sieht. Das Klingeln unterbricht uns nämlich und vernichtet die Stimmung zwischen uns.
Stefan sieht mehr als nur genervt aus, und ich bin derselben Meinung. Dieses verdammte Telefon.
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Ja, Leute. Dafür dass das Kapitel letztes Mal etwas kürzer war, gibt es heute ein längeres und deutliches spannenderes😜
Ich hab vorhin gesehen, dass schon wieder 3 Wochen seit dem letzten Update vergangen sind. Irgendwie merke ich gerade gar nicht, wie viel Zeit wirklich vergeht😅
Heute war ich jedenfalls so sehr im Schreibfluss wie schon lange nicht mehr, und das hat sich echt gut angefühlt. Aber gerade in nächster Zeit werde ich leider seltener zum Schreiben kommen, weil ich in nicht einmal 2 Monaten mein Abitur schreibe.
Na ja, einen schönen Abend (oder Tag) noch❤️
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