Chapter 9
Seit einer gefühlten Ewigkeit versuchte Ginny nichts zu sagen und zu tun, was ihre ältere Mitreisende hätte verärgern können. Es war nicht lange her, dass Bellatrix die Sache mit den Briefen herausbekommen hatte. Wie genau das vonstatten gegangen war, wusste die Weasley immer noch nicht, aber anscheinend hatte Greyback Lunte gerochen und gepetzt. Das nahm sie ihm durchaus übel, weshalb sie ihn keines Blickes würdigte, obwohl sie sich beide im Aufenthaltsabteil des Zeltes aufhielten.
Aufgebrachte Stimmen waren von draußen zu vernehmen, dann schob Rodolphus die Plane vorm Eingang beiseite und setzte sich mit einem deprimierten Seufzen neben Ginny. „Sie ignoriert mich."
Schlechtes Gewissen machte sich in dem Mädchen breit. „Es tut mir leid. Ich hätte niemals zulassen sollen, dass du das für mich tust." Die Worte schmerzten. Wo auch immer sie hinkam, sie schien nur Leid zu bringen oder Schaden anzurichten. Selbst bei den berüchtigtsten Anhängern Voldemorts.
Er schüttelte beschwichtigend den Kopf. „Dich trifft keine Schuld. Ich habe die Briefe verschickt. Außerdem muss ihr jemand mal klarmachen, dass sie hier eigentlich nicht der Boss ist. Das solltest du sein. Mylady."
Der Titel entlockte ihr ein kleines Lächeln. „So musst du mich nicht nennen. Momentan habe ich absolut nichts zu sagen."
Rodolphus nahm ihre Hände unvermittelt in seine. Sein Blick war ungewohnt ernst, ohne jede Spur von Schalk. „Das könntest du aber wieder haben. Selbst wenn es uns nicht gelingen sollte, den Dunklen Lord zurückzuholen – wir brauchen ihn nicht, um die Todesser neu zu formieren. Die, die an der Schlacht beteiligt waren, kennen dich. Und das sind die von Relevanz. Du könntest alles alleine wieder aufbauen."
Das Lächeln war wie von ihrem Gesicht gewischt. „Das möchte ich aber nicht. Nicht ohne Tom." Dass ihr Ton eine Spur zu scharf gewesen war, merkte sie erst, als Rod zurückzuckte. „Entschuldige", sagte sie sanfter. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, ohne ihn neu anzufangen."
Greyback gab ein belustigtes Knurren von sich.
„Was?", zischte sie und bedachte ihn über die Schulter mit einem kalten Blick.
Er bleckte die gelblichen Zähne zu einem widerlichen Grinsen. „Nichts, nichts. Du scheinst nur regelrecht abhängig von ihm zu sein."
Plötzlich regte sich etwas in ihrer Seele. Das bist du nicht.
Ginny erstarrte. „Tom?", flüsterte sie atemlos. Ihr Herz wummerte gegen ihren Brustkorb. Es kam keine Antwort. Traurig schüttelte sie den Kopf über sich selbst. Jetzt bildete sie sich schon ein, ihn zu hören. Sie mochte ein Horkrux sein, aber Harry hatte Voldemort ja auch nicht permanent gehört. Vermutlich lag es am Stress und ein bisschen persönlichem Wahnsinn.
Bellatrix streckte den lockigen Kopf ins Zelt, ließ die verstörten Gesichter unkommentiert und verkündete: „Jemand ist deiner Einladung gefolgt. Und Überraschung: Es ist dein Bruder, Weasleygöre."
Wie vom der Tarantel getroffen sprang Ginny auf. „George?!"
Die ältere Todesserin verdrehte verächtlich die Augen. „Genau der Idiot. Er rennt gerade gefühlt das vierte Mal am Zelt vorbei. Ich glaube, langsam sollte man ihm einen Tipp geben."
Zu glücklich, um ihrer Kollegin einen Vorwurf zu machen, stürzte Ginny hinaus auf die Lichtung, auf der sie campten. Und tatsächlich: Der verbliebene rothaarige Zwilling sah sich suchend um, tastete verwirrt in der Luft herum. Er schien das Flirren der Schutzzauber bemerkt zu haben.
„George!", schrie Ginny aus vollem Halse und warf sich in seine Arme.
Völlig überrumpelt erwiderte er die Umarmung. Für ihn musste es so ausgesehen haben, als käme sie aus dem Nichts, da die Zauber alles, was hinter ihnen lag, zuverlässig vor Blicken schützten. „Gin."
Ihre Augen waren ganz feucht. Sie drückte ihren Bruder noch fester. Ihr war gar nicht aufgefallen, wie sehr sie ihre Familie vermisst hatte. Die Todesser mochten ihre Freunde sein, aber das waren sie auch nur auf nicht allzu konventionelle Art und Weise. Und einer Familie kamen sie nun wirklich nicht gleich.
„Ich kann es gar nicht fassen, dass du hier bist", schluchzte sie und sah mit tränenüberströmtem Gesicht zu ihm auf. „Wie hast du uns gefunden?"
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Drei-Punkte-Zauber und grobe Schätzung. Leider nötiger Aufwand", antwortete er knapp. „Dein Brief ist bei uns im Briefkasten gelandet, mein Vater hat ihn gefunden."
Schock machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Wie kann das sein, Rod hat deinen Brief sogar einzeln verschickt, und zwar per Eule, um so etwas zu umgehen!"
George zog die Mundwinkel resigniert hoch. „Mum und Dad haben dafür gesorgt, dass auch Eulenpost unter jeden Umständen im Briefkasten landet. Falls du schreiben solltest."
Seine kleine Schwester stöhnte entnervt auf und löste sich von ihm. „Damit habe ich nicht gerechnet."
Auf einmal sah George sich um, als würde er nach etwas Ausschau halten. „Wo ist denn der Rest des Quartetts?"
Ginny runzelte die Stirn. „Was für ein Quartett?" Sie sprach das Wort aus, als hätte sie es noch nie in den Mund genommen.
Das entlockte ihm ein amüsiertes Schmunzeln. „So werdet ihr aktuell überall genannt. Einen Fernseher oder Zeitung habt ihr nicht, oder?"
„Fernseher nein, Zeitung unregelmäßig", wurde er von Ginny informiert. „Dann zeige ich dir mal, wo sich der Rest des Quartetts versteckt hat." Sie packte ihm am Handgelenk und zog ihn über die Grenze des Zaubers, der ihn automatisch miteinschloss.
Bellatrix stand von ihrem Platz vorm Zelt auf, hob spöttisch eine Augenbraue und verzog sich nach drinnen. Die Geschwister folgten ihr.
Rod hatte sich immer noch nicht von der Bank bewegt und hob eher mäßig begeistert die Hand zum Gruß. Vermutlich dachte er gerade an das verschwindende Geld, das sie für Nahrung zur Verfügung hatten.
Greyback sah den Neuankömmling kurz durchdringend an, dann verschwand er in den Teil des Zeltes, in dem er schlafen durfte. Dass er sich nicht den Schlafraum mit den Lestranges und Ginny teilen musste, schien ihn nicht im Geringsten zu stören.
Gut gelaunt stemmte Ginny die Arme in die Hüften und verkündete, dass sie ein weiteres Bett herzaubern würde, da George eine Weile bleiben würde. Dass sein Besuch nicht von Dauer sein würde, sah sie ihm an. Die Vorstellung, er könnte bald wieder gehen, stimmte sie traurig, deshalb versuchte sie nicht daran zu denken. Jetzt hieß es erst einmal, das Hier und Jetzt zu genießen. Oder zumindest das daran, was man genießen konnte.
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