Chapter 23
Weder die Lestranges noch Ginny hatten sich in den letzten Tagen hoch in den Laden gewagt, seit sie von der Anhörung geflüchtet waren. Die Kinder versorgten sie mit Infos und Tagespropheten, während das Quartett jede einzelne Seite der Bücher umblätterte, die Bellatrix anscheinend irgendwann einmal heimlich aufgetrieben hatte.
Völlig entnervt klappte die Dunkle Lady den dicken Wälzer zu, dem sie seit etwa zwei Stunden ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmete. Aus den Seiten stob eine Staubwolke, die Ginny in der Nase kitzelte und zum Niesen brachte.
Bellatrix sah sie vorwurfsvoll aus ihrem Ohrensessel heraus an. „Wie soll man sich so konzentrieren, Weasleygöre?", schnaubte sie verärgert.
Der Horkrux rührte sich. Ginny kniff die Augen zu, blinzelte mehrmals. Hinter ihrer Stirn war ein ungeheurer Druck, der herauswollte – in Form von ungebremster, grausamer Wut. Doch sie riss sich zusammen. Sie wollte nicht auch noch das letzte Teammitglied vergraulen, das es in ihrer Nähe aushielt oder überhaupt anwesend sein konnte. „Ich muss mal kurz an die frische Luft", verkündete Ginny in ziemlich gepresstem Ton.
„Das kannst du ganz schnell wieder vergessen!" Bellatrix war nahezu panisch aufgesprungen. Sie war kreidebleich. Die Dunkle Lady hatte den Eindruck, die ältere Hexe noch nie so verängstigt gesehen zu haben. „Hör mal", zischte Bella, „wenn dir auch nur ein Haar gekrümmt wird, wird mir der Dunkle Lord das nie verzeihen."
„Und schon reibst du mir wieder die Tatsache unter die Nase, dass er dir alles bedeutet und ich bloß unglücklicherweise der Brutkasten seines Kindes bin. Du willst mich aufhalten?" Ginny war gefährlich leise geworden. „Versuch es doch." Sie merkte, dass Bellatrix zurückzuckte, wusste aber nicht weshalb. Ehrlich gesagt waren ihr die Beweggründe einer irren Massenmörderin momentan auch ziemlich egal. Da war nur diese Rage, die in ihr wütete. Sie wollte ihre Nägel in den Hals der Todesserin graben und so fest zudrücken, wie sie nur konnte. Sie wollte ihr den Spott für immer aus dem Gesicht wischen, bis es nur noch ein wächsern erstarrtes Abbild der Person war.
Bevor sie auch nur irgendeine dieser Gewaltfantasien umsetzen konnte, brachte sie einige Schritte Abstand zwischen sich und Bellatrix und machte dann auf dem Absatz kehrt, warf den Umhang knatternd hinter sich und verließ die Diele.
Aufgebracht und ein wenig verstört setzte sich Bellatrix wieder und schlug ihr Buch an der Stelle auf, die sie mit einem schwarzen Haarband aus Ginnys Vorrat markiert hatte. Dann seufzte sie und schnipste mit den Fingern. „Rod? Tut mir leid, dass ich dich darum bitten muss, aber könntest du ein Auge auf Ginny haben? Die verlässt gleich den Laden. Einfach so."
Wenige Momente später stand ihr Ehemann im Türrahmen zu ihrem Schlafzimmer. „Du hast dich mit ihr angelegt." Der Vorwurf war nicht zu überhören. Schließlich hatte Bella ja selbst gesehen, zu was für einer Furie Ginny zur Zeit werden konnte, wenn ihr etwas sauer aufstieß.
„Ich habe gar nichts getan." Trotzig verschränkte Bellatrix die Arme vor der Brust.
Rodolphus zog ungläubig eine Augenbraue hoch. „Ach nein? Und es schien dir so nichtig, sie einmal mehr glauben zu lassen, sie wäre dir egal?"
Die Hexe verdrehte die Augen. „Es geht doch nicht darum, dass ich sie nicht genug wertschätze oder so-"
„Das nicht", stimmte ihr Rod zu, „bedenke aber mal, dass wir das Einzige sind, was ihr noch bleibt, außer einer unsicheren Zukunft. Du hast ihr das Gefühl gegeben, sie würde nur geduldet werden, weil sie schwanger vom Dunklen Lord ist."
„Es ist nicht meine Pflicht, sie zu bemuttern. Sie hat schon eine Familie", widersprach die Todesserin in der ihr ganz eigenen Sturheit.
Ihr Ehemann schüttelte den Kopf. „Bells, momentan sind wir sind ihre Familie." Er sah sie durchdringend an. „Denk darüber nach, ich gehe Gin suchen. Wohlgemerkt, obwohl sie vor wenigen Tagen noch versucht hat, mich zu töten. Wenn ich ihr das vergeben kann, kriegst du es auch hin, ihr eine bessere Freundin zu sein", sagte er und ging die Treppe hinauf.
„Wir sind nicht einmal befreundet!", rief Bellatrix ihm hinterher.
„Jaja", war das Letzte, was sie von ihm hörte, ehe er aus ihrem Blickwinkel verschwand. Mit einem Zauberstabschwenker schloss Bellatrix die Tür hinter ihm.
***
Hermine fühlte sich mehr als unwohl bei dem, was sie tat, aber sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Seit ein paar Minuten patrouillierte der Aurorentrupp unauffällig gekleidet auf der Straße. Sie meinte, ihr Herz setzte einen Schlag aus, als wie aus dem Nichts eine junge Schwangere mit rotem Long Bob aus einem der verkommenen Läden stürmte. Es war unverkennbar Ginny, auch wenn ihr Gesichtsausdruck ziemlich ungewohnt war. Er wirkte kalt und verbissen; nichts, was die Weasley jemals in ihrem Leben ausgezeichnet hatte.
Der Plan war, Ginny laufen zu lassen, und so sahen die Auroren ihr nur nach, wie sie mit unglaublich schlechter Laune in einer dreckigen und vor allem düsteren Gasse verschwand. Hermine persönlich hätte ihre ehemals beste Freundin nur zu gerne geschnappt und sie zur Vernunft gebracht. Harry gegenüber mochte sie sich so gegeben haben, als wäre sie komplett darüber hinweg, von der jetzigen Dunklen Lady hintergangen worden zu sein, doch wenn sie ganz ehrlich war, wünschte sie sich eigentlich nur, alles wäre wieder wie früher und Ginny bei ihnen. Bei ihnen im Fuchsbau und bei ihnen im Team. Ohne ein Kind, dessen Vater die meistgefürchtetste Person ganz Großbritanniens war.
Am liebsten wäre Hermine ihr hinterhergelaufen und hätte sie aufgehalten, aber sowohl Molly als auch George hatten sich deutlich dagegen ausgesprochen.
Nur eine Minute später öffnete sich die Ladentür erneut und einer der Lestranges trat hinaus auf die Straße. Er sah sich suchend um. Vermutlich hielt er Ausschau nach Ginny.
Hermine zögerte nicht, George ein Zeichen zu geben. Er hatte sich direkt hinter einer Häuserecke versteckt, bei der sie sicher sein konnten, dass sie von der Straße aus nicht einsehbar war.
Der Weasleyzwilling nickte ihr knapp zu und ging, das Gesicht im Schatten der Kapuze seines Umhangs verborgen, auf Rodolphus Lestrange zu. Dieser bemerkte ihn ziemlich spät: Erst, als George nur noch wenige Meter vom Todesser entfernt war, fiel diesem die unsympathische Gestalt in unmittelbarer Nähe zu ihm auf. Hastig zückte der Mann seinen Zauberstab und richtete ihn auf den Unbekannten. „Wer sind Sie? Ein Auror?" Er war nervös, sah sich selbst aber in der Oberhand.
George blieb stehen, um Lestrange nicht weiter zu beunruhigen, dann hob er die Kapuze ein bisschen an. Es musste ja nicht jeder sehen, dass der Typ, der erst letztens öffentlich zur landesweiten Fahndung ausgeschrieben worden war, nun wieder frei durch die Gegend spazierte.
„Weasley?" Rodolphus musterte den anderen überrumpelt. „Hätte nicht gedacht, dich so bald wiederzusehen. Wurdest du entlassen? Weshalb?"
George steckte die Hände in die Taschen. „Kooperation."
„Was...?" Der Moment, in dem die Wahrheit für Rodolphus unbestreitbar wurde, war der, in dem gleich drei Schocker ihn aus unterschiedlichen Richtungen trafen. Bewusstlos sackte der Todesser zu Boden.
„Sorry, Kumpel", murmelte George kaum hörbar, als er auf die zusammengesunkene Person zu seinen Füßen niedersah. „Aber es ist das einzig Richtige."
***
Aus irgendeinem Grund konnte Bellatrix sich nicht weiter konzentrieren. Frustriert legte sie das Buch beiseite und streckte die Beine aus.
Plötzlich vernahm sie leichte, schnelle Schritte auf der Treppe. Ein etwa neunjähriges Mädchen aus dem Waisentrupp kam die Treppe heruntergeeilt. „Da oben ist irgendwas los!", schrie die Kleine. „Die haben Rodo!"
„Was?" Bellatrix fühlte sich, als wäre sie gegen eine Wand gerannt. „Wer? Wer?" Sie wusste, dass sie keifte, aber ihr war nicht nach Zurückhaltung.
„Da oben sind ganz viele Leute und die kommen gleich rein!" Das Mädchen schien ernsthaft aufgelöst. Völlig verschreckt verschwand sie in einem der Zimmer, die Ginny für die Waisen hergerichtet hatte.
Bellatrix war wie vom Donner gerührt stehengeblieben. Die Sorge fraß sie von innen auf. Es war eine Kurzschlussreaktion, das war ihr bewusst, aber sie eilte die Treppe hinauf, knickte einmal um, ignorierte den Schmerz und warf einen Blick durch den Türspalt in den Laden. Einige Auroren waren gerade zur Eingangstür hereingekommen... angeführt von Hermine Granger, die dreinschaute, als hätte sie gerade die Weltherrschaft an sich gerissen. Hatte sie es doch gewusst, sie hätte Greyback damals freie Hand lassen sollen.
Durch das Schaufenster sah Bella, wie eine schlaffe Gestalt von zwei Auroren am Arm festgehalten und wegappariert wurde. Ihr schossen Tränen in die Augen. Sie redete sich ein, dass es bloß Tränen der Wut waren, dass sie so bald entdeckt worden waren. Aber tief im Inneren wusste sie, dass der Anblick ihr das Herz brach.
Das Schlimmste war, dass sie nichts für ihn tun konnte. Nur sich selbst in Sicherheit bringen.
Leicht orientierungslos taumelte die ältere Todesserin die steile Treppe herunter. Sie hörte die Auroren hinter sich. Die letzte Stufe wurde zur Stolperfalle, aber sie rappelte sich hoch. Ihre Handflächen brannten. Mit letzter Kraft machte sie einen Satz nach vorne, wirbelte herum und knallte die Tür hinter sich zu. Sie lehnte sich mit aller Kraft dagegen, während sie ihren Zauberstab aus ihrem Kleid zog. Über ihre Wangen rannen in Schminke getränkte Tränen, die dunkle Spuren auf ihren Wangen hinterließen.
Sie würde sich nicht kampflos ergeben. Koste es, was es wolle. Zeit, ihrem Namen alle Ehre zu machen und zu kämpfen. Für Rod.
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