Chapter 16
„Bereit?"
Harry nestelte an seiner Krawatte herum, weil er sich fühlte, als bekäme er zu wenig Luft. Er warf seiner besten Freundin einen nervösen Blick zu. „Nicht wirklich, Mine."
Mitfühlend legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Sie sah ihm in die Augen, aber nicht stechend, prüfend, wie alle anderen Ordensmitglieder, denen er heute bereits begegnet war. Hermines Blick war ernst, aber vertrauensvoll. „Ich bin da, das weißt du? Das Quartett kommt nicht zu dir durch, versprochen."
Ein Lächeln von ihm. Auf Hermine Granger konnte er sich verlassen, da war er sich sicher. Aber das war nicht, was ihm Kopfzerbrechen bereitete. „Es ist seltsam. Vor wenigen Monaten noch habe ich die Malfoys gehasst. Ich hätte nicht gezögert, sie anzugreifen." Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Und jetzt riskiere ich vermutlich mein Leben dafür, sie hier verteidigen zu können. Das soll jetzt nicht feige klingen, aber warum konnte diese Anhörung nicht privat stattfinden?"
Hermine seufzte. „Weil das nicht möglich gewesen wäre. Diese Familie hat zu vielen Leuten geschadet. Und all diese wollen dieser Anhörung beiwohnen, weil sie hoffen, endlich Gerechtigkeit für ihre Taten zu bekommen."
„Und ich verwehre ihnen vermutlich diese Chance", grummelte Harry. Entnervt zog er seine Krawatte auf und pfefferte sie auf den kleinen Tisch neben das Glas Wasser, das ihm bereitgestellt worden war.
„So darfst du nicht denken!", sagte Hermine ein bisschen zu laut und ein bisschen zu schrill. Sofort senkte sie ihre Stimme mit Blick auf McGonagall an der Tür wieder. „Vergeltung ist nicht der Grund, warum du hier bist. Du bist hier, um dieser Familie Gnade zu erweisen."
„Kann ich das überhaupt?", zweifelte Harry auf einmal. Er wischte sich mit dem Hemdärmel übers Gesicht. „Findest du mich nicht selbstgerecht?"
Verwirrt legte Hermine die Stirn in Falten. „Was meinst du?"
„Ich bin doch selbst kein Stück besser als Narzissa!", brauste er auf. „Und siehst du mich in einer Untersuchungshaft-Zelle?"
Hermine machte einen Schritt von ihm weg. Sie war ratlos und ein wenig erschrocken über seinen Ausbruch. „Wovon sprichst du?"
„Davon, dass er Carrow gefoltert hat", meinte plötzlich McGonagall von der Tür her. Bisher hatte die Schulleiterin die Unterhaltung nur stumm mitverfolgt, aber nun hatte sie sich offenbar entschieden, sich einzumischen.
„Wie bitte?" Hermine war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen.
Harry wagte es nicht, sie anzusehen. Er redete schnell, aber deutlich, als er erklärte: „Als ich kurz vor der Schlacht mit Luna Professor McGonagall geholt habe, ist mir Carrow begegnet. Er hat McGonagall beleidigt und angespuckt. Da bin ich ausgetickt." Er wandte sich von den beiden Hexen ab, nahm sein Wasserglas in die Hand und betrachtete es ausgiebig von allen Seiten, nur um nicht Hermines Reaktion sehen zu müssen. „Ich würde ja gerne sagen, er hatte es verdient, und sicherlich hatte er das, aber was gab mir das Recht dazu?"
„Er war ein Todesser-"
„Aber immer noch ein Mensch!", schnitt ihr Harry das Wort ab und fuhr zu ihr herum. In seinen Augen funkelte Wut – aber nicht nur das, auch Verzweiflung. „Du hast leicht reden, Mine, du hast niemanden gefoltert! Nur ein paar Erinnerungen gelöscht und Schocker ausgeteilt! Du weißt nicht, wie es ist, zu wissen, dass man einem Menschen Schmerzen bereitet hat! Ich dachte, ich komme damit klar, aber die Sache mit Ginny hat mich wachgerüttelt. Sie hat sicherlich auch schreckliche Dinge getan, aber das hätte genauso gut sie sein können. Sie ist nach wie vor unsere Freundin!"
Auf einmal war Hermines Ausdruck kühl. „Ach, ist sie das? Sie hat uns verraten. Sie hat Fred getötet. Denk erst einmal an Lupin! Wer weiß, wie viele Tode von Ordensmitgliedern auf ihre Kappe gehen, weil sie irgendwelche Infos weitergegeben hat? Und sie ist schwanger von Voldemort. Dazu muss ich wohl gar nichts sagen. Sei du gerne weiterhin in deiner eigenen Welt gefangen, da will ich dir nicht im Weg stehen. Anscheinend blendest du hier gerade einen riesigen Teil der Wahrheit aus. Du kannst die Malfoys verteidigen, weil du zu den Guten gehörst. So ist das. Punkt."
Harry holte aus und warf das Glas an Hermine vorbei auf den Boden, wo es zersplitterte. McGonagall keuchte auf. Hermine dagegen zuckte nicht einmal. Er hatte nicht bemerkt, wie der Krieg sie abgestumpft hatte.
„Ich darf das, weil ich zu den Guten gehöre?", echote er. „Die Welt ist nicht schwarzweiß, Hermine. Das scheinst du vergessen zu haben. Vielleicht macht es dir alles einfacher, wenn du den bösen Todessern die Schuld dafür geben kannst, dass du deine Eltern seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hast. Aber ich werde mich nicht über sie stellen. Wir sind keine Kriegshelden. Wir sind nur die Gewinner, die nicht vor Gräueltaten zurückgeschreckt haben, um zu gewinnen. Sie sind schlimm, ja. Aber wir sind keine Heiligen. Und jetzt würde ich gerne mit den Mandanten sprechen. Vielleicht kann ich damit ein bisschen von dem Schaden wiedergutmachen, den der Orden verursacht hat." Mit diesen Worten drängte er sich an Hermine vorbei, nickte McGonagall knapp zu und verließ den Raum.
***
Die drei Angeklagten saßen in Steinsesseln auf einem Podest. Lucius war der Einzige, der angekettet worden war. Narzissa und Draco dagegen hatten bloß die strikte Order erhalten, auf gar keinen Fall aufzustehen, da das von den Auroren als Bedrohung aufgefasst werden und somit in einer Tragödie enden könnte.
Harry Potter saß alleine in der Zeugenbank und sah niemanden an. Er hatte die Hände heimlich zu Fäusten geballt, da er sich immer noch so fühlte, als müsste er etwas zerschlagen. Die Krawatte hatte er nicht mehr angezogen.
Quer durch den Anhörungssaal warf Hermine dem Helden der Zaubererwelt immer wieder wütende Blicke zu. Einerseits verstand sie seinen Standpunkt, andererseits hatte sie das Gefühl, sobald sie diesen anerkannte, würden all ihre Moralvorstellungen ins Wanken geraten. Wo wäre dann noch Gut und wo Schlecht? Sollte man etwa jeden Schwerverbrecher begnadigen?
Das Geräusch eines Hammers sorgte für Ruhe im lärmenden Saal. Kingsley Shacklebolt räusperte sich. Er hatte seine Stimme mit einem Sonorus verstärkt. „Die Anhörung ist eröffnet. Lucius Malfoy ist angeklagt wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Erpressung unter Androhung von Mord und Gefängnisausbruch. Narzissa Malfoy, geborene Black, wird einzig die Unterstützung einer Terrororganisation durch Geheimhaltung sowie Stellung von Räumlichkeiten vorgeworfen. Draco Malfoy wird der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation beschuldigt. Verteidigung durch Harry James Potter." Der Zaubereiminister drehte sich zum jungen Mann um und sah ihn auffordernd an.
Harry stand auf.
Für eine Sekunde meinte er, die schäbig gekleidete blonde Hexe zwei Reihen hinter Hermine würde er kennen, aber er war sich nicht sicher. Etwas an ihrem Gesicht kam ihm bekannt vor, aber es war wie verzerrt in seiner Erinnerung. Die Frau drehte sich mit einer seltsam raubtierhaften Bewegung zu einem Mann hinter ihr um. Dieser stieß sie an, damit sie sich wieder dem Geschehen vor ihnen widmete.
Völlig aus dem Konzept gebracht, sah Harry wieder auf seine Notizen. Dann holte er tief Luft. „Ich, Harry James Potter, ergreife die Verteidigung für das Haus Malfoy."
Dann durchzuckte ihn die Erkenntnis. Rasch sah er auf. Und tatsächlich. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Etwa hundert Meter entfernt, am Eingang, halb hinter einer Säule versteckt, stand eine schwangere Frau. Sie trug einen Hut, aber er war sich sicher, dass sie rote Haare hatte.
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