Kapitel 3
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Ich sah auf den Wecker, der anzeigte dass es kurz nach fünf war. Normalerweise hätte ich am Wochenende vor zehn schon aus Protest meine Augen nicht geöffnet, aber ich hatte einen ziemlich leichten Schlaf, was bedeutete, dass ich durch irgendetwas aufgeweckt wurde.
Um diese Uhrzeit wäre mir eigentlich ziemlich am Arsch vorbei gegangen, was das war, aber als ich mich wieder an Marcus kuschelte, merkte ich, dass er leise schnarchte.
Eigentlich störte es mich nicht, aber jetzt, da ich wieder einschlafen wollte, konnte ich nicht. Ich versuchte, mir die Ohren zuzuhalten und nicht darauf zu achten, aber das funktionierte nicht.
Egal. Ich war mittlerweile sowieso hellwach, da konnte ich auch aufstehen und mir die Füße vertreten. Ich könnte auch in die Küche gehen und etwas zu trinken holen, mein Hals war so trocken wie die Sahara.
Also holte ich mir ein Glas Wasser und trank es in einem Zug leer. Auf dem Rückweg von der Küche zu Marcus Zimmer entdeckte ich, dass die Tür am Ende des Flurs offen stand. Ich habe davor noch nie gesehen, dass die offen war, wusste gar nicht, was das überhaupt die ein Zimmer sein sollte, hat mich bisher aber auch nicht besonders interessiert.
Jetzt konnte ich annehmen, dass das Tylers Zimmer sein musste.
Doch er war nicht in seinem Zimmer. Stattdessen sah ich ihn auf dem Balkon sitzen, der vom Wohnzimmer nach draußen ging.
Es war mehr die Verwunderung als die Neugier, dass ich zu ihm auf den Balkon ging.
"Was machst du hier?" fragte ich ihn und er drehte sich langsam um. Er war nicht erschreckt, so als ob er geahnt hätte, dass noch jemand nicht schlafen kann.
"Sonnenaufgang." sagte er nur und nickte in die Ferne, wo es zu dämmern begann. Er ging ernsthaft in aller Herrgottsfrühe auf den Balkon um sich einen Sonnenaufgang anzusehen? Für so kitschig hatte ich ihn nicht eingeschätzt.
"Du stehst also...auf Sonnenaufgänge?"
"Ja, sicher." Er lachte leise und schüttelte den Kopf.
"Miami macht einen Sonnensüchtig. Und ich habe keinen Bock in meinem dunklen Zimmer zu sitzen, wenn es hier schon hell und warm ist."
Die ersten Sonnenstrahlen schlichen sich über den Horizont und Tyler schloss die Augen und genoss die Sonne auf seinem Gesicht.
"Wieso bist du eigentlich schon auf?" fragte er, ohne die Augen zu öffnen.
"Marcus schnarcht. Und ich dachte, ich hätte was gehört."
"Ja, das war wahrscheinlich ich." meinte er, ohne sich zu entschuldigen, dass er mich geweckt hat.
"Hm...Jessica, oder?"
"Janine." verbesserte ich.
"Jessica gefällt mir besser."
"Ich heiße aber Janine!"
"Ist doch fast dasselbe." meinte er gelangweilt.
"Sicher, der erste Buchstabe stimmt, wieso nicht?" Ich zuckte mit den Schultern und er lachte leise.
"Du hast Humor. Was zur Hölle findest du dann bitte an Marcus?" wollte er wissen und öffnete jetzt seine Augen wieder.
"Bitte?"
"Marcus ist ein totaler Langweiler. Da ist sogar Jason noch besser, obwohl der jetzt nur noch vor der Glotze sitzt."
"Ich glaube nocht, dass du das beurteilen kannst, wenn du die letzten drei Jahre nicht da warst. Menschen können dich verändern."
"Humor kann man nicht lernen. Und Spaß auch nicht. Entweder man hat es oder nicht. Und Marcus ist für keinen Spaß zu haben." stellte er richtig.
Ich verdrehte nur die Augen und schwieg. So früh wollte ich nicht wegen so einem Unsinn diskutieren.
Er bückte sich und suchte etwas auf dem Boden. Mit seinem Zeigefinger fuhr er die Rillen zwischen den Fließen nach.
"Ist alles okay?" fragte ich nach.
"Jaja...ich suche nur...ah da ist es." Er hob eine Fließe hoch, die lose drauflag und ich bemerkte, dass darunter etwas lag.
Er nahm sich das Päckchen und drehte sich doch tatsächlich einen Joint!
"Sag mal geht's noch? Du kiffst schon um diese Uhrzeit in deinem eigenen Zuhause?"
Er steckte sich den Joint in den Mund und zündete ihn sich an. Dann legte er das Päckchen zurück an seinen alten Platz.
"Mach keinen Stress. Weißt du wie lange ich darauf gewartet habe? Ich war so blöd und habe es hier vergessen, als ich nach Miami geflogen bin." Er verdrehte die Augen wegen seiner eigenen Dummheit.
Er nahm einen kräftigen Zug und ich seufzte. Langsam konnte ich mir vorstellen, was Zoë mit 'schwierig' meinte.
"Dir ist echt nicht zu helfen." murmelte ich. Mein Gott, wenn er es brauchte, dann sollte er doch. Ich war nicht seine Nanny.
"Wie kommst du darauf, dass ich Hilfe brauche?" fragte er gelassen und lehnte gegen das Geländer vom Balkon.
"Jeder braucht Hilfe."
"Ich nicht. Ich komme perfekt alleine klar."
"Das bezweifle ich auch nicht. Aber niemand ist gerne alleine. Jeder braucht irgendwen, der ihn unterstützt, wenn man mal nicht weiter weiß."
"Also...das trifft alles nicht auf mich zu, aber netter Vortrag." meinte er mit diesem nervigen Grinsen.
"Das kaufe ich dir nicht ab. Zwar kenne ich dich erst sehr kurz, aber ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch gleich veranlagt ist und zwar als Familienmensch. Wir brauchen Familie, wir brauchen Freunde...und du genauso."
"Wieso interessierst du dich eigentlich so für mich? Hat dich mein kleiner Bruder auf dich angesetzt?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Dann bist du wohl so eine Weltverbesserin. Dann sag ich es lieber gleich: Lass mich zufrieden, mir geht es gut!"
"Bist du sicher, dass du dich nicht vor deinen wahren Gefühlen versteckst?"
Er warf den Joint hinter sich nach unten und verschränkte nun genervt die Arme vor der Brust.
"Hör mal, Prinzessin. Das ist keine Therapiestunde, klar? Ich bin keiner dieser Typen, die sich ändern, um den Mädels zu gefallen, ich bin so. Wenn's dir nicht passt, schön, aber geh mir nicht auf die Nerven."
Er sagte das kühl und arrogant, überhaupt nicht erregt oder wütend. Er schien es wirklich ernst zu meinen.
"Dann hör auf mich 'Prinzessin' zu nennen!"
Prinzessin war an sich ein neutrales Wort, wurde aber meistens, wie etwa von Marcus, als Kosewort benutzt, dass Mädchen das Gefühl gab, etwas besonderes zu sein.
Doch wie Tyler es aussprach, klang es wie eine Beleidigung.
"Ich nenne dich, wie es mir passt." meinte er nur.
Jetzt hatte er es geschafft, ich war von ihm absolut angepisst.
"Dann nenn mich lieber Jessica!" rief ich und ging mit schnellen Schritten wieder zurück ins Haus und in Marcus' Bett.
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