Kapitel 28
Es dauerte eine Weile, bis ich diese Neuigkeiten verdaut hatte.
"Was...wie...wie lang weißt du es schon?"
Er lachte. Eine Bedienung kam und wir bestellten beide einen Eiskaffee.
"Süße, ich war knappe vier, als meine Mom Rob kennen lernte. Ich wusste es von Anfang an. Genauso wie jeder andere. Zumindest aus der Familie."
"Achso. Ich dachte schon, Zoë hätte Rob betrogen oder so."
"Nein, so war das nicht. Aber das ist eine lange Geschichte."
"Erzähl schon, bitte. Ich will endlich alles verstehen."
"Alles?"
"Wirklich und absolut alles!"
Er seufzte und überlegte kurz.
"Okay, also...meine Mom wurde schwanger, als sie 17 war und als sie es meinem Dad erzählt hat, war er weg. Damals war er auch gerade erst 18."
"Die arme Zoë." murmelte ich.
"Ja. Sie hätte auch abtreiben können, aber das hat sie nicht. Obwohl sie alleine war und selbst ihre Eltern und Freunde meinten, es wäre besser für sie."
"Ach, darum ist Zoë die einzige, die du liebst."
Tyler sah mich grinsend an.
"Darf ich mal weitererzählen?"
"Ja, sorry. Ich bin schon still." kicherte ich und ließ ihn fortahren.
"Mom war die einzige, auf die ich immer zählen konnte. Sie hatte zwei Jobs, die gar nicht mal so schlecht bezahlt wurden und während sie arbeitete, spielte ich mit den Nachbarskindern. Doch dann kam sie mit Rob daher und..."
"...und er mochte dich nicht." ergänzte ich.
Er warf mir nur einen halbwegs strengen Blick zu und ich hielt mir grinsend den Mund zu.
"Nein. Er war eigentlich ganz nett. Die beiden haben geheiratet und wir waren eigentlich ganz glücklich, bis Marcus auf die Welt kam. Er wurde von Rob verwöhnt und mich hat er links liegen lassen. Mom hat uns beide gleich behandelt, schließlich waren wir ja beide ihre Söhne. Doch gegen Rob hatte ich anfangs überhaupt nichts...ja nicht mal gegen Marcus. Und erst recht nichts gegen meine anderen Halbgeschwister. Aber je älter er wurde, desto unausstehlicher wurde er. Er hat sich aufgeführt, als ob er der bessere von uns beiden wäre und ich nicht dazugehören würde. Die Tatsache, dass ich der einzige war, der nicht Robs Sohn war, machte es noch schlimmer. Und da gab es diesen einen Vorfall..."
"Vorfall?"
"Marcus hat mich gereizt und ich habe ihn geschlagen. Nicht wirklich brutal, aber ich habe ihn mit einem Schlag die Nase gebrochen. Und das war der Anfang vom Ende."
"Wie? Deswegen hasst dich deine ganze Familie? Deswegen seid ihr umgezogen?" Das passte für mich nicht zusammen, das schien viel zu hamlos.
Tyler schüttelte den Kopf.
"Nein. Ich habe ja gesagt: der Anfang. Ab da ging es erst bergab."
"Achso, okay. Und wie ging es weiter?"
"Rob ist ausgeflippt. Er hat mich behandelt wie einen Schwerverbrecher und Marcus hat das Schamlos ausgenutzt. Er hat mich immer wieder provoziert, sodass ich die Kontrolle verloren habe oder hat gepetzt, wenn ich irgendetwas angestellt habe, was nicht unbedingt selten vorkam. Ich glaube, da war ich so um die zwölf, aber ich bin nicht sicher. Jedenfalls, alle haben Marcus geglaubt, bis auf meine Mom. Die hat aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht kenne, immer auf meiner Seite gestanden. Vielleicht weil ich alleine war und sie Mitleid hatte oder vielleicht auch weil mein Dad früher genauso war und sie ein Helfersyndrom hat, ich weiß es nicht. Alles, was ich weiß ist, dass ich so angefangen habe, Marcus zu hassen."
"Das kann ich mir vorstellen." murmelte ich und konnte es nicht fassen, was für ein Arschloch Marcus sein konnte.
"Das muss schlimm für dich gewesen sein."
"Das war nicht gerade toll, aber es kam noch schlimmer."
"Noch schlimmer? Du tust mir jetzt schon mega leid."
Er lachte leise.
"Ich brauche dir nicht leidzutun. Schließlich sieht mein Leben jetzt ziemlich perfekt aus."
"Ja, aber...trotzdem. Erzähl weiter, bitte."
"Na gut. Also...wo war ich? Ach ja. Clarice. Von der habe ich glaube ich schon erzählt."
"Ja, du meintest, das war die erste, in die du verliebt warst." erinnerte ich mich.
Er nickte.
"Ich war 14, sie 13. Sie war eine Klasse unter mir, aber ihr kleiner Bruder war mit Jason sehr gut befreundet, daher kannten wir uns ziemlich gut. Also...unsere Familien kannten sich sehr gut, so muss man das sagen. Ich war total in sie verliebt und das war für alle offensichtlich. Und ich dachte, sie würde genauso empfinden, aber das war nicht so. Sie mochte mich, aber sie war nicht richtig in mich verliebt. Und dann hatte ich mein erstes Mal mit ihr. Ich war so verblendet, ich hatte damals gar nicht geahnt, dass sie das tat, um jemanden anderes eifersüchtig zu machen, nämlich meinen kleinen Bruder. Er wollte nichts von ihr wissen, dafür war er noch zu jung, aber er war so wie immer und wollte mein Glück zerstören, also hat er ihr irgendeinen Scheiß über mich erzählt, der bei den Mädchen natürlich die Runde gemacht hat. Clarice hat Schluss gemacht - letztendlich war sie wahrscheinlich sogar froh, mir die Schuld in die Schuhe schieben zu können - und mal wieder war ich der Arsch wegen Marcus. Bei meinen Freunden war ich der Held, bei allen anderen war ich untendurch. Und das war der zweite Teil der Geschichte, schaffst du den letzten Teil überhaupt noch?" fragte er grinsend und ich verstand, dass er meinen Gesichtsausdruck meinte. Ich musste wohl ziemlich geschockt ausgehen haben.
Schnell nickte ich und er grinste breit.
"Na gut, nicht dass du noch anfängst, zu heulen." lachte er und räusperte sich dann.
"Ja, ja. Mach dich nur lustig. Du kannst halt sehr gut erzählen. Und ich kann es kaum glauben, dass Marcus so ein Arsch gewesen ist. Aber erzähl weiter. Es ist so spannend."
Tyler lachte.
"Mein Leben - der Thriller." Er schüttelte grinsend den Kopf, dann wurde er wieder ernst.
"Als ich 16 war, habe ich meinen Dad getroffen. Also meinen echten Dad...und habe ihn kennen gelernt."
Ich sog scharf die Luft ein, aber das störte ihn nicht bei seiner Erzählung.
"Er war nicht gerade ein gutes Vorbild, er hat gedealt und hat in den schlimmsten Kreisen verkehrt, aber er war ein netter Kerl. Mal abgesehen davon, dass er mich und Mom sitzen hat lassen. Ihm tat es leid und wir haben uns soweit echt gut verstanden, allerdings zog er mich ziemlich runter. In die Abgründe meine ich. Meine besten Freunde waren dann alle Kriminelle aller Art und das in dem jungen Alter. Glaub mir, du willst dir gar nicht vorstellen was da alles lief...und wie die teilweise aufgewachsen sind. Und das färbte alles auf mich ab. Ich fing an, mich wegen jeder Kleinigkeit zu prügeln, fing an zu kiffen und hab hier und da auch mal was mitgehen lassen. Ich habe niemanden etwas von Dad erzählt, nicht einmal Mom. Und trotzdem gab sie die Hoffnung für mich nicht auf."
"Sie ist eine Heilige. Ich wusste es." sagte ich lächelnd.
Er sah zu mir und lächelte.
"Ja, das ist sie. Wenn ich nicht selbst gesehen hätte, wie sie Marcus zur Welt gebracht hat, würde ich nicht glauben, dass die beiden verwandt sind."
Ich kicherte und wartete gespannt auf das, was folgte.
"Und dann kam der Tag, der mich bis ans Ende meines Lebens verfolgen wird." sagte er bedeutsam und starrte auf den Tisch vor sich.
"Willst du mir jetzt extra Angst machen, oder?" lachte ich schwach und ich und er sah zu mir hoch.
"Verkraftest du es? Du siehst aus als würdest du jeden Moment umkippen." grinste er.
"Ja, verdammt! Ich habe schon schlimmeres gehört. Also keine Rücksicht auf meine Nerven."
"Wenn du meinst...es war Abends, es dämmerte bereits und wir waren schon ziemlich betrunken. Meine Kumpel waren alle älter als ich, aber auch noch lange nicht volljährig.
Auf der Straße machte mich dann so ein Typ an. Er war ein Bekannter von Rob und kannte meinen Dad. Er meinte so etwas wie: "Wie der Vater, so der Sohn" oder so ähnlich und hat irgendeinen Scheiß erzählt, ich weiß nicht mehr genau was, jedenfalls bin ich explodiert. Ich habe ihn vollkommen zusammengeschlagen, bis er auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte - wie vorhin bei Marcus. Dann wurde ich klarer im Kopf und merkte, was ich getan habe. Ich schüttelte ihn und schrie auf ihn ein und zum Glück wachte er auf. Ich war total fertig, das sage ich dir. Ich wollte ihn ins Krankenhaus bringen, aber die Jungs zogen mich mit. Sie knackten ein Auto und ich stieg ein. Wir fuhren nur eine Straße weiter, dann war mir so schlecht, dass ich ausstieg, mich übergab und mich von den Jungs trennte."
Tyler nahm einen Schluck von seinem Eiskaffee und erzählte dann weiter.
"Ich stand eine Weile nur da und wusste nicht ob ich zu meiner Mom oder meinem Dad gehen sollte, aber da ich Schiss hatte, Mom von diesem Abend zu erzählen, ging ich zu meinem Dad, der eh nicht allzu weit weg wohnte. Und als ich dann dort ankam, staunte ich nicht schlecht."
Er ließ den Satz so stehen und trank länger als nötig.
"Wirklich? Ist das jetzt dein Ernst? Musst du das herauszögern?" fragte ich ungeduldig und er grinste selbstgefällig.
"Sag schon, was war los? Hat Rob bei deinem Dad Drogen gekauft?"
"Nein. Ich habe meinen Dad beim Sex erwischt. Mit meiner Mom." sagte er nur und stellte seinen Eiskaffee weg.
Ich hatte vor Staunen und Entsetzen den Mund offen stehen.
"Nee oder?"
"Oh doch. Und es war...sehr überraschend."
"Das glaube ich dir gerne. Ich fände es schon strange wenn ich meine Eltern dabei erwischen würde und die sind noch zusammen..."
"Nein, das meinte ich nicht. Nicht nur. Es war nicht einfach nur... Sex. Es war leidenschaftlich. Das hat mich überrascht. Meine Mom war wirklich noch in den Arsch verliebt, der sie hat sitzen lassen. Das hat mich fast davon abgelenkt, dass ich fast jemanden gekillt hatte." Er lachte bitter.
"So waren alle drei an diesem Abend in einer seltsamen Position. Ich erzählte den beiden, was geschehen ist. Meine Mom und selbst mein Dad waren besorgt um mich und meinte, es wäre besser, wenn wir umziehen würden, damit ich von diesen Jungs wegkomme. Und ich versprach meiner Mom, es niemanden zu erzählen."
"Wieso ist sie dann bei Rob geblieben wenn die deinen Dad immer noch geliebt hat? Und wieso warst du dann im Gefängnis?"
"Das kommt gleich. Also, wir beschlossen, diese Nacht ist niemals passiert und wir verlieren nie wieder ein Wort darüber. Nur wurde am nächsten Morgen alles nur noch schlimmer. Ich wurde festgenommen und vorgeladen. Der Typ, den ich verprügelt habe ist gestorben. Aber nicht wegen den Schlägen, sondern weil die Jungs ihn mit dem Auto überfahren haben in ihrem Suff. Wir kamen dann alle vor Gericht und die Jungs konnten sich an nichts mehr wirklich erinnern, auch nicht dass ich ausgestiegen bin. Ich habe die Wahrheit erzählt, bis auf die Zeit nach der Autofahrt. Ich konnte ja schlecht erzählen, dass ich zu meinem Dad wollte um mit ihm eine zu rauchen und ihn dann mit meiner verheirateten Mutter im Bett vorgefunden hatte. Also habe ich gelogen und meinte, ich wollte zu meiner Mom, die bei einer Freundin war. Die Geschichten passten leider nicht besonders gut zusammen, weswegen man uns nicht glaubte. Doch den Rest gaben mir Rob und Marcus, die gegen mich aussagten. Rob sagte immerhin noch die Wahrheit, dass er von nichts wusste, aber ich schon seit längerem gewalttätig war, aber Marcus erfand Sachen, die mir schadeten. Er behauptete, er hätte gehört, wie ich mit meinen Jungs ein Auto klauen wollte und dass ich, als meine Mom und ich nach Hause kamen, total bekifft war. Und so kam ich in den Jugendknast für ein halbes Jahr lang. Als ich rauskam, zogen wir um nach New York und fingen ganz von vorne an. Wir verrieten niemanden etwas von meiner Vergangenheit und...ja, den Rest kennst du ja."
Mir blieben fürs erste die Worte weg. Ich war sprachlos, so unfassbar war die Geschichte.
"Oh mein Gott. Das ist...so krass." war alles, was mir einfiel.
"So, jetzt weißt du, warum ich Marcus hasse."
"Also an deiner Stelle hätte ich ihn wirklich umgebracht. Und hättest du es mir davor erzählt, hätte ich dich vielleicht nicht aufgehalten."
"Das sagst du jetzt. Aber wenn du dann in dieser Situation bist, dann kannst du es nicht. Glaub mir, so ging es mir bisher jedes Mal. Wie oft habe ich mir gewünscht, ich würde ihn erschießen? Wie oft habe ich davon geträumt ihn zu foltern und dann zu erhängen? Tausendmal! Und jedes Mal wache ich Schweiß gebadet auf anstatt froh zu sein."
"Weil du ein guter Mensch bist. Marcus dagegen ist... Satan, Hitler und Bart Bass in einem."
"Bart wer?"
Ich kicherte.
"Das kommt davon wenn man zu lange mit Jen rumhängt. Aber es stimmt. Ich kann es nicht fassen dass ich so lange mit ihm zusammen war. Ich bin so froh, dass du mir die Augen geöffnet hast, Tyler."
"Ich bin nur froh, dass du jetzt weißt, wer er wirklich ist."
"Eine Frage habe ich noch."
"Und welche?"
"Was ist mit deinem Dad geworden?"
Tyler zuckte mit den Schultern.
"Habe seitdem nicht mehr viel von ihm gehört. Da müsstest du meine Mom fragen."
Und neugierig wie ich war, nahm ich mir vor, sie so bald wie möglich deswegen zu fragen...
Na, überrascht? Oder habt ihr euch schon so etwas gedacht?
Hoffe, euch hats gefallen ♡
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