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Heute
🅷🅰🆁🆁🆈*
Vorsichtig hält er mir eine Jogginghose hin, die ich mit zusammengepressten Lippen annehme und mir dann umständlich anziehe. Dabei sehe ich wahrscheinlich aus, wie ein gestrandeter Fisch, aber ich kann mich nicht mal eben mit beiden Füßen von der Matratze abdrücken, sodass mein Becken in der Höhe ist.
Den Bund richte ich an meinem Bauch schließlich noch ein wenig und ziehe die Schleife im inneren Hosenbund etwas zusammen, da mir die Hose beim Stehen sonst wahrscheinlich runterrutschen würde.
„Darf ich dich umarmen?", flüstert Louis leise und spielt mit seinen Fingern, die unruhig in seinem Schoß liegen. Als Antwort lege ich mich auf die Matratze und halte einen Arm in die Höhe. Sofort legt Louis sich zu mir und zieht mich dicht an sich, bevor ein leises Schluchzen seine Kehle verlässt und an meiner Halsbeuge verebbt. „Du hast mir Angst gemacht.", murmelt er dann und zieht die Decke umständlich über uns, sodass wir beide unter dem Schutz der Wärme liegen und uns fest umarmen. Das Feste geht von Louis aus, ich liege mehr in seinen Armen, als dass ich etwas anderes machen würde.
Dazu kommt, dass Louis mich immer näher zu sich zieht und ich irgendwann mehr auf ihm liege, als auf der Matratze selbst. Dabei lausche ich seinem Herzschlag, welcher mich sichtlich beruhigt, obwohl er ein wenig schneller als sonst geht. „Ich liebe dich.", murmelt Louis leise und fährt über meinen Rücken. „Ich dich auch.", entgegne ich und rutsche etwas anders auf ihn, um es mir gemütlicher zu machen.
Ansonsten schweigen wir, was ich Louis hoch anrechne. Auch, wenn ich merke, dass er mich fragen will, was eben genau passiert ist, hält er den Mund und krault mich einfach nur, während er plötzlich anfängt, eine Melodie zu summen. Ich kenne den Song, da bin ich mir sicher, aber ich komme nicht drauf.
Trotzdem bin ich froh, dass es nicht so still im Zimmer ist und ich Louis Anwesenheit mehr als nur deutlich wahrnehme. Vor allem, weil sein Geruch sich in meiner Nase festgesetzt hat und ich seinem Herzschlag lauschen kann. Dazu das entspannende Summen.
„Sie hieß Melek.", bringe ich irgendwann hervor und schlucke laut. Ich habe nach dem Unfall nie wieder darüber gesprochen, aber an Louis' Stelle würde ich es wahrscheinlich auch wissen wollen. „Wer hieß so?" Louis lässt mich, als ich mich etwas von ihm löse und mich so hinlege, dass wir beide wieder auf der Matratze liegen. Trotzdem noch dicht nebeneinander. Louis' Hand ziehe ich zwischen unseren Körpern zu meinen Lippen und hauche einen Kuss auf diese, bevor ich unsere Hände auf die Matratze lege.
„Das kleine Mädchen. Sie..." Ich beiße auf meiner Wange herum und schließe für einen Moment die Augen. „Ihre Familie gehörte zu unseren Verbündeten. Ihr Vater kannte sich dort aus und hat uns mit den Karten geholfen. Dafür haben wir der Familie Schutz geboten. Ecrin, ihre Mutter hat beinahe jeden Tag mit mir in der Küche gestanden, um für die Jungs zu kochen. Ich war der Jüngste, ich hatte fünf Tage die Woche Küchendienst, da kommt man ins Gespräch. Wenn auch nie privat. Von meiner Seite zumindest nicht." Louis drückt meine Hand vorsichtig und brummt leise.
„Die Jungs und ich haben öfters mit den Kindern dort Fußball gespielt, wenn wir eine Pause machen konnten. Natürlich immer in Alarmbereitschaft, aber es hat ein Stück Normalität geschaffen. Wir hatten Eltern in der Truppe, Melek war die Ersatztochter für jeden von uns. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden." Jetzt zieht Louis meine Hand zu seinen Lippen und küsst jeden einzelnen Knochen doppelt. „Sind sie gestorben?" Es ist nur ein Flüstern aus Louis' Mund, trotzdem höre ich es und nicke.
„Mahdi ist in einem Gefecht entführt und nach ein paar Tagen umgebracht worden. Seine Frau und Melek haben überlebt. Ob sie noch leben, weiß ich nicht. Ich hoffe es." Ich streiche mir eine Träne von der Wange und setze mich auf. Jetzt zu liegen, fühlt sich falsch an. „Wir haben Fangen gespielt. Auf der Wiese neben dem Lager. Melek kam erst später dazu und ist einfach in ungeschütztes Gebiet gegangen. Dort war die Wahrscheinlichkeit größer, angegriffen zu werden, als in unserer kleinen Siedlung, die wir mit unseren Fahrzeugen und Zelten aufgebaut haben. Dort wurde alles überwacht." Ich schaue auf meinen Stumpf und berühre diesen vorsichtig. Angefreundet habe ich mich noch lange nicht mit ihm. Ich bin auf dem Weg ihn zu akzeptieren, aber weiter bin ich noch nicht. Immerhin toleriere ich diese Situation so langsam.
Louis rutscht so an mich, dass er mich im Sitzen in seine Arme schließen kann und fährt durch meine verschwitzten Haare. „Was ist passiert?", fragt er beinahe lautlos und streicht mir die Haare aus der Stirn, bevor er einen langen Kuss auf diese haucht.
„Melek hat sich mit ihrem Vater gestritten. Er war der Überzeugung, dass es sich für Mädchen nicht gehöre, Fußball zu spielen. Diese Diskussionen kannte jeder von uns. An dem Tag ist sie abgehauen, über dieses Feld." Ich schlucke und merke, wie meine Hände anfangen zu zittern.
Plötzlich fühle ich mich in die Situation zurückkatapultiert, als ich nach ein par Tagen auf dieser Krankenstation auf der anderen Seite des Landes aufgewacht bin. Nur noch mit einem Bein und höllischen Schmerzen. Ich kann mich kaum an diese Tage erinnern, aber die Sache, an die ich mich noch glasklar zurückerinnere ist, dass Louis mein einziger Gedanke war. Jede einzelne Sekunde.
„Harry, du musst tief durchatmen." Plötzlich werde ich auf Louis' Schoß gezogen und mir wird eine Wasserflasche hingehalten. Geöffnet.
Dankend nehme ich Louis diese ab und setze sie zittrig an meinen Lippen an, schaffe es trotzdem, einen großen Schluck zu trinken. „Können wir... können wir ein wenig Musik anmachen?", frage ich Louis, der mir die Flasche wieder abnimmt und wieder schließt. „Natürlich." Mit mir auf dem Schoß lehnt er sich zum Nachttisch und hält mir mein Handy entgegen, welches ich nach zwei Versuchen endlich entsperrt bekomme und direkt die Playlist anmache, die mich seit Monaten beruhigt. Vor allem aber Car's Outside von James Arthur. Auch wenn er nicht die heiterste Stimmung bringt, entspanne ich mich mit diesem Song am meisten.
„Brauchst du irgendwas?" Ich lege mein Handy auf die Matratze und schlinge dann meine Arme um Louis, der erleichtert ausatmet, ehe er mich ebenfalls umarmt. Kann auch sein, dass ich mir das Ausatmen auch nur eingebildet habe, aber seine Schultern verlieren an Anspannung „Nein, ich denke, ich habe alles, was ich brauche." Darauf lacht Louis traurig und zieht mich noch etwas dichter an sich. Mit nur einem Bein auf seinem Schoß zu sitzen, fühlt sich irgendwie komisch an, aber wahrscheinlich nur für mich. Louis hat noch nie etwas negatives über mein Bein gesagt und dafür liebe ich ihn um so mehr. Er lässt mir meine Zeit und hilft mir mit und bei allem, wobei er mir helfen kann. Aber er verurteilt mich nie und tröstet mich, wenn es mal nicht so klappt, wie ich es mir vorstelle.
„Ich wollte Melek zurückrufen und bin ihr hinterhergerannt. Sie hat die Landmine verfehlt, das letzte, was ich gesehen habe ist, dass sie stehengeblieben ist und tatsächlich auf mich zukommen wollte. Dann war da dieser Knall und dann warst du da und dann war alles schwarz." Während des Redens fange ich wieder an zu weinen und das wie ein Schlosshund. Aber Louis hält mich in seinen Armen und lässt mich. Trotzdem spricht er mir beruhigende Worte zu und fängt an, mich nach rechts und links zu wiegen, wie man eigentlich ein Baby zum Einschlafen bekommt.
„Du warst mein letzter Gedanke. Da waren die ganzen Sachen, die ich dir noch sagen wollte, es vorher aber nie gemacht habe, weil ich Angst hatte. Ich liebe dich schon mein halbes Leben, ich weiß noch, wie ich als Jugendlicher aufgewacht bin und mir geschworen habe, dich zu heiraten, wenn du mit deiner Freundin Schluss machst. Und da hatte ich bewusst noch keine Gefühle für dich. Ich will dich irgendwann heiraten, Lou. Mit dir eine Familie gründen, einen kleinen Engel adoptieren und neben dir sterben."
Währenddessen habe ich mich in Louis' Rücken gekrallt und höre Louis ebenfalls leise schluchzen. Trotzdem definitiv besser gekonnt als ich. Hätten wir die Tür zum Balkon auf, würden die Nachbarn wahrscheinlich jedes einzelne Wort mitbekommen weil ich zwischen dem Weinen und Schluchzen nicht leise reden kann und die letzten Sätze mehr oder weniger laut von mir gegeben habe.
„Ich verspreche dir, irgendwann werde ich dich heiraten. Ich möchte in guten und in schlechten Zeiten für dich da sein, Harry. Mein Herz wird niemals so sehr für jemand anderes schlagen. Weißt du wieso?" Vorsichtig lehnt er sich ein wenig zurück, sodass ich ihn anschauen muss.
Kopfschüttelnd schluchze ich laut auf und schließe die Augen, als Louis über meine Wangen streicht. „Weil ich mein Herz dir geschenkt habe. Es schlägt in deinem, weil du der Mann für mich bist, mein kleiner Otter. Ich will niemanden haben, der nicht du bist." Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht noch lauter zu weinen, bevor ich ihn küsse und wieder an mich ziehe.
Mit Louis habe ich die Person fürs Leben gefunden. Und hoffentlich werde ich mit ihm auch noch in sechzig Jahren gemeinsam im Bett liegen und neben ihm aufwachen. Ich möchte genau so von ihm geküsst werden, wie er mich die letzten Monate geküsst hat. Denn eins ist klar: Egal, wie schlecht es mir geht, wenn Louis da ist, geht es mir besser. Er ist der größte Faktor, weshalb ich tatsächlich hier stehe, wo ich setzt bin. Okay ich sitze weinend auf seinem Schoß, aber es ist ein Anfang.
Irgendwann werde ich vor ihm knien und ihn fragen, ob er sein restliches Leben mit mir verbringen möchte. Denn nur mit ihm an meiner Seite fühle ich mich vollkommen. Da ist es auch gar nicht mehr so schlimm, dass ich nur noch ein Bein habe und vieles nicht mehr machen kann, wie ich es vor einem Jahr noch machen konnte.
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Oh, da erzählt Harry das erste Mal von seinem Unfall. Habt ihr das erwartet?
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