8 | Daddy
ETHAN
„Hey Buddy", sage ich flüsternd und sehe auf meinen schlafenden Sohn.
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals beim Anblick des kleinen zusammengerollten Körpers in dem Kinderbett, das aussieht wie ein Schiff. Er wollte es unbedingt haben, also habe ich es ihm zu seinem vierten Geburtstag geschenkt.
Ein Geburtstag, zu dessen Feier seine Mutter ganze zwei Stunden zu spät gekommen ist, denke ich bitter.
Vielleicht sollte ich dankbar sein. Immerhin ist sie gekommen.
Fuck! Ich habe keine Ahnung, wie ich ihm morgenfrüh erklären soll, dass sie ihn schon wieder versetzt. Er hat schon seit Tagen davon gesprochen, was er alles mit seiner Mom machen will. Und sie hat nichts Besseres zu tun, als ihn zu versetzen für ein Wochenende mit ihren Freundinnen in einem verdammten Spa.
Dieser Tag ist wirklich eine einzige Shitshow. Nicht nur dieser Tag, die letzten Wochen. Und daran trägt einen nicht unerheblichen Anteil eine Person, von der ich dachte, dass ich sie nie wiedersehe.
Ich ziehe mein Handy aus meiner Anzugshose und tippe eine Nachricht an meinen Bruder.
Ethan
Muss morgen absagen. Aubrey hat mal wieder Noah versetzt.
Levi
Shit! Was ist es diesmal?
Ethan
Spawochenende mit ihren Freundinnen.
Levi
Bitch!
Levi
Ich komme vorbei. Du wirst sehen, Noah wird so viel Spaß mit Onkel Levi haben, dass er überhaupt nicht mehr an seine bemitleidenswerte Version von einer Mutter denken wird.
Das war tatsächlich auch mein Plan für morgen, aber umso mehr Ablenkung Noah bekommt, umso besser. Wenn Levi in etwas großartig ist, dann ist es Noah abzulenken.
Ethan
Aber keine Süßigkeiten!
Levi
Ich bin der Onkel. Ich darf das.
Ethan
Ich dachte, das sind die Großeltern.
Levi
Alle außer dir.
Ich rolle nicht ganz ernst gemeint mit den Augen.
Ethan
Wenn er fett wird, mache ich euch verantwortlich.
Von Levi bekomme ich daraufhin nur ein GIF mit einem unglaublich dicken Kleinkind. Levi weiß ganz genau, dass ich morgen nichts sagen werde, wenn er Noah Süßigkeiten mitbringt. Nicht an so einem Tag. Ich streiche Noah noch einmal sanft über den Kopf und ziehe ihm die Decke über die schmalen Schultern, bevor ich leise den Raum verlasse.
Die letzten Wochen waren der Horror seit der Übernahme und selbst wenn Grace wirklich noch das war, was mir obendrauf gefehlt hat, ist die Tatsache, dass ich viel zu viel arbeite und viel zu wenig meinen Sohn sehe, die schlimmste.
Es geht vorüber ... Nur noch ein paar wenige Wochen, dann ist alles auf Kurs und ich kann wieder zu geregelteren Arbeitszeiten zurückkehren. Bloß waren sie das auch vorher nicht.
Ich hatte in meinem ganzen Berufsleben noch keine geregelten Arbeitszeiten. Der Unterschied vorher war nur, dass ich viel mehr auf die späten Abendstunden legen konnte, wenn Noah schon im Bett ist oder allgemein von zuhause gearbeitet habe. Doch mit dem ganzen Chaos im Grand Haven ist das aktuell nicht möglich. Hätte ich gewusst, wie chaotisch das Unternehmen geführt wurde, hätte ich alles daran gesetzt, um die Übernahme zu verhindern. Dass diese Hotels so erfolgreich geworden sind, kann nur an extrem fähigen Mitarbeitern liegen und ganz sicher nicht an der Gründerin. Alles, was Claudia konnte, war gute Werbung machen und sich so die Gäste heranziehen. Obwohl Aufgaben weiter delegieren, konnte sie ganz sicher auch sehr gut. Aber wir wollten die Marke Grand Haven, mit ihrem frischen, jungen Image, da müssen wir jetzt auch den Preis zahlen.
Wenn wenigstens Grace nicht wäre.
Vielleicht sollte ich mich für meinen Ausbruch vorhin bei ihr entschuldigen. Schon ihr Gesichtsausdruck bei meinen Worten hat in mir das Gefühl ausgelöst, sie trösten zu wollen.
Sie hat mich damals ohne ein Wort verlassen und mir tut sie leid, wegen ein paar härteren Worten.
Ich bin wirklich ein Idiot. Aber Grace Arnolds hat mich schon immer zum Idioten werden lassen.
***
In den frühen Morgenstunden werde ich davon geweckt, dass ein kleiner Körper zu mir ins Bett gekrochen kommt, um mir kurz darauf lautstark mitzuteilen, dass er frühstücken will, weil er dann zu Mom geht. Spätestens da bin ich hellwach und das Engegefühl in meiner Brust ist zurück.
Ich greife nach ihm und setze mich etwas im Bett auf. „Was hältst du davon, wenn wir heute Pancakes essen?"
„JAAA!", schreit er mir ins Ohr und beginnt aufgeregt auf der Matratze auf und ab zu wippen.
Noah liebt Pancakes. Am liebsten in Ahornsirup ertränkt.
Als ich aufstehe, springt Noah aufgeregt neben mir herum. „Kann ich Blue zu Mom mitnehmen?"
Ich schließe kurz die Augen. Blue ist Noahs Kuscheltierhund, der ein blaues Halsband hat und deshalb diesen kreativen Namen von ihm verpasst bekommen hat. Mir bricht es das Herz, wenn ich daran denke, was ich ihm gleich mitteilen muss. Die Frage ist nur, ob ich es ihm vor oder nach den Pancakes sage. Es ist egal. Egal, wann ich es sage, es wird eine riesige Enttäuschung für ihn sein.
„Komm mal her, Noah", sage ich sanft zu ihm und gehe vor ihm in die Hocke.
„Daddy, essen wir jetzt Pancakes?"
„Ja", sage ich lächelnd zu ihm. „Nur vorher will ich noch etwas mit dir besprechen. Onkel Levi kommt heute vorbei."
Noah legt den Kopf schief und sagt auf seine lispelnde Art. „Aber Daddy, ich gehe doch heute zu Mom."
Ich reibe ihm über seine Arme und er sieht mich unschlüssig an.
„Was hältst du davon, wenn wir heute etwas mit Onkel Levi machen und ein anderes Mal mit deiner Mom?"
„Nein", erwidert er fast panisch.
„Noah ... Deine Mum kann heute nicht. Wir–"
„NEIN!" Tränen treten ihm in die Augen.
Ich will ihn in den Arm ziehen, doch er stemmt sich mit seinen winzigen Händen gegen mich, während ihm Tränen über das Gesicht laufen. Bitter denke ich, dass mal wieder alle anderen, insbesondere ihr Sohn, die Konsequenzen für ihre verantwortungslosen Taten tragen müssen, nur sie selbst nicht.
Noah reißt sich von mir los und rennt in die Richtung seines Kinderzimmers. Ich folge ihm mit großen Schritten, gebe ihm aber für den Moment den Abstand. Als ich bei ihm ankomme, liegt er mit dem Gesicht im Kissen vergraben in seinem Bett. Ich setze mich an den Rand und fahre sanft mit meiner Hand über seinen Rücken.
„Noah, ich bin das ganze Wochenende da. Keine Arbeit. Okay? Wir können machen, worauf du Lust hast."
Er schielt von seiner Position leicht zu mir hoch, aber noch sind wir nicht so weit, dass er überzeugt ist.
„Du wolltest doch schon die ganze Zeit auf das Riesenrad. Wir können später dort hinfahren."
Gott, ich hasse Riesenräder.
Noch immer bleibt er liegen, aber die Schluchzer hören auf.
„Und danach können wir Pommes essen gehen."
Damit habe ich ihn endlich. Er schnellt hoch und sieht mich ernst an. „Aber nur mit Ketchup."
Ich lächle, während ich ihn in meinen Arm ziehe. „Nur mit Ketchup."
***
Nach einem Frühstück, nach dem nicht nur mein Sohn überall geklebt hat, sondern auch alle Möbel um ihn herum, sitzen wir im Garten. Noah spielt mit seiner Wasserbahn, auf der er kleine Bote durch die bunten Kanäle fahren lässt. Levi, der vor einer halben Stunde gekommen ist, hat es sich in dem hellgrauen Loungssessel neben mir bequem gemacht, während wir beide Noah beobachten.
Mein Bruder und ich sahen uns schon immer ähnlich. Levi ist nur ein wenig kleiner als ich, was immer noch groß ist, und seine braunen Haare sind ein paar Nuancen heller. Er ist zwei Jahre jünger als ich und einer meiner engsten Vertrauensperson. Ich kann immer auf ihn zählen und er hat mich noch nie enttäuscht, wenn ich ihn gebraucht habe. Außerdem liebt er Noah abgöttisch und ist für ihn der beste Onkel, den man sich vorstellen kann.
„Erinnerst du dich noch an Grace Arnolds?", frage ich ihn.
Verwundert sieht er mich an. „Grace Arnolds? Die Tochter von Dads altem Gärtner? Deine Ex?"
„Genau die."
„Was ist mit ihr?"
„Sie arbeitet im Grand Havens hier in Wilbur Creek."
„Nicht dein Ernst? Seit wann?"
„Kurz bevor wir sie übernommen haben."
„Wo?"
„Im Marketing."
„Scheiße! Das heißt du siehst sie jeden Tag? Warum erzählst du das erst jetzt?"
„Wann haben wir das letzte Mal so zusammengesessen?"
Betreten sieht mich Levi an. „Viel zu lange her. Und wie ... wie läuft das so für dich?"
Ich zucke mit den Schultern. „Wir ignorieren uns die meiste Zeit. Oder besser gesagt tun so, als hätten wir nur diese rein professionelle Verbindung zueinander."
„Habt ihr darüber geredet?"
„Nope. War eher eine stille Übereinkunft, würde ich sagen."
„Warum hast du sie nicht einfach rausgeschmissen?"
Zweifelnd sehe ich Levi an. „Aus was für einem Grund? Sie macht keine schlechte Arbeit."
„Weil du der Boss bist? Weil du es kannst? Weil sie es verdient hätte?"
Ich schüttle den Kopf. „Ich bin kein Arschloch, das sie auf die Straße setzt, weil wir eine problematische Vergangenheit haben."
Levi schnaubt auf. „Ich hätte kein Mitleid. Sie hat dich hängen lassen und dir echt böse mitgespielt."
„Sie war sechszehn."
„Sie war alt genug, um mit dir zu v–"
„Levi!", unterbreche ich ihn scharf und sehe zu Noah, der zum Glück weit genug weg ist, damit er nichts von diesem Gespräch mitbekommt.
Er seufzt auf. „Fein. Mach, was du denkst. Fall nur nicht wieder auf sie rein."
„Keine Sorge", erwidere ich trocken. „Wir sind nicht gerade auf dem Weg zur großen Wiedervereinigung."
Levi sieht mit dieser Antwort zwar etwas zufriedener aus, allerdings hält es nicht lange an. Er zieht seine Augenbrauen kritisch zusammen und sagt: „Ich bin mir nur nicht sicher, ob dein Frauengeschmack nach ihr nicht noch schlechter wurde."
Ich schneide eine Grimasse. „Vielen Dank auch."
„Obwohl, wenn ich es mir so recht überlege ... Aubrey hat man wenigstens von Anfang an angesehen, dass da etwas Teuflisches in ihr steckt. Grace ... Keine Ahnung, sie hat immer so lieb gewirkt und hätte man mich damals gefragt, hätte ich gesagt, sie vergöttert dich."
Bitterkeit steigt in mir hoch, wenn ich daran denke. Doch ich wische es schnell weg. Dieses Kapitel ist abgeschlossen und wenn ich erst einmal zurück auf meinem eigentlichen Posten bin, werde ich dafür sorgen, dass ich sie so wenig wie nur möglich sehe. Am besten nie. Bei Aubrey habe ich diesen Luxus leider nicht. An sie bin ich ein Leben lang gekettet. Fast hätte ich mich noch so viel mehr an sie gekettet. Dass es nie dazu gekommen ist, dafür werde ich wohl ewig dankbar sein.
Levi sieht zu Noah, der sich mittlerweile komplett nass gemacht hat. Aber da es ein warmer Tag ist, ist es nicht weiter schlimm. Die Sonne wird es schnell wieder trocknen. „Was wirst du wegen Noah und seiner Mutter machen?"
„Wenn ich das nur wüsste. Ich werde, wenn sie von ihrem Wochenende zurückkommt noch einmal mit ihr reden."
Zweifelnd fragt er mich: „Und du denkst, das bringt etwas?"
Nein. „Ich muss es versuchen. Ich will nicht, dass Noah ohne seine Mutter aufwächst."
„Wenn du mich fragst, besser keine Mutter als so eine."
Vielleicht hat er recht, aber noch bin ich nicht bereit, es aufzugeben.
„Natürlich hat er Anna, aber sie ist sein Kindermädchen. Ich bezahle sie und sie könnte jederzeit kündigen."
„Wenn man es genau nimmt, bezahlst du Aubrey auch."
„So ist das nicht."
„Du zahlst ihr einen vollkommen überzogenen Unterhalt, auf den sie nicht einmal einen Anspruch hat. Ihr wart nie verheiratet, sie hat Noah nicht. Du schuldest ihr überhaupt nichts."
Es ist nicht das erste Mal, dass wir darüber diskutieren, daher übergehe ich es einfach. Ich weiß, wie wenig Levi davon hält, dass ich Aubrey jeden Monat Geld überweise, aber die Wahrheit ist, dass ich ihr noch so viel mehr überweisen würde, wenn ich damit nur verhindern kann, dass sie mich irgendwann für das Sorgerecht vor Gericht zerrt. Nicht, weil sie Noah will, einfach nur, um an das Geld zu kommen. Wenn Noah bei ihr wäre, müsste ich es ihr geben. Nur, dass Noah von diesem Geld absolut nichts abbekommen würde. Also zahle ich ihr lieber so etwas und umgehe diese Gefahr.
„Noah", rufe ich und er dreht sich zu mir um. „Wollen wir zum Riesenrad fahren?"
Sofort springt er auf und das kleine Boot, das er gerade noch in der Hand gehalten hat, fällt mit einem Platsch in das Wasser zurück.
„Hey Noah", sagt Levi neben mir, als Noah bei uns ankommt. „Wusstest du, dass dein Daddy ganz doll Angst vor Riesenrädern hat?"
Noah sieht mich mit großen Augen an. „Daddy, du brauchst keine Angst haben. Ich halte deine Hand ganz fest."
_____
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