42 | Die Andere
GRACE
Im Auto sitzend, sehe zu dem Hauseingang, an dem Ethan steht und wartet, bis Aubrey ihm öffnet. Seit ihrem Anruf war er angespannt und hat sich Sorgen um Noah gemacht.
Bisher habe ich Aubrey noch nicht gesehen, aber als sich jetzt die Tür öffnet und eine bildhübsche Blondine erscheint, ist da ein kleiner Stich in meiner Brust.
Sie sieht aus wie ein Supermodel und auch wenn es das nicht sollte, fühle ich mich von ihrem Aussehen eingeschüchtert. Bewundernd sehe ich auf ihre langen blonden Haare, die direkt einer Shampoowerbung entsprungen sein könnten.
Noch dazu scheint sie viel mehr aus seiner Welt zu kommen, als ich es tue, wenn ich mir ihr Haus so ansehe. Es ist nicht annähernd so groß wie Ethans, aber auch weitentfernt davon, was sich eine Normalverdienerin leisten könnte.
Ich weiß, ich muss damit aufhören. Sie hat eine verdammt miese Nummer mit ihm abgezogen und ist noch dazu fürchterlich, was ihren eigenen Sohn angeht. Mich in etwas hineinzusteigern, ist dämlich und auch Ethan gegenüber unfair. Egal, was sie getan hat oder wie es zwischen ihnen in der Vergangenheit war, er liebt mich und würde mich niemals hintergehen. Etwas anderes zu denken, würde ihm unrecht tun.
Immer wenn diese Unsicherheiten in mir hochkommen, frage ich mich, ob es mein Vater nicht doch geschafft hat, tief in mir drin Zweifel zu pflanzen, ob ich gut genug für Ethan bin.
Vorsichtig sehe ich wieder zu dem Eingang, wo gerade Noah herausgestürmt kommt und sich an Ethans Bein klammert. Der geht in die Hocke und nimmt ihn auf den Arm. Noah schlingt seine kleinen Ärmchen um Ethans Hals und drückt sich an ihn. Es ist ein Anblick, der mir zur gleichen Zeit das Herz zerreißt und es aufgehen lässt. Zu sehen, wie sehr Noah seinen Dad liebt und das er derjenige ist, bei dem er sich sicher fühlt, gehört zu den Momenten, die man niemals in Worte fassen könnte, weil sie so viel mehr sind.
Ich war in der vergangenen Woche häufig abends noch bei Ethan und habe daher auch einige Zeit mit Noah verbringen können. Es waren immer meine Lichtblicke zu wissen, dass ich die beiden nach der Arbeit sehen werde, wenn dort wieder alles auf mich eingestürzt ist. Ich liebe die Stunden mit Noah und Ethan zusammen, bis Noah irgendwann ins Bett muss und ich noch Zeit bekomme, Ethan ganz für mich zu haben.
An Ethans Gesichtsausdruck kann ich sehen, wie sehr er sich zusammenreißen muss. Schon auf der Autofahrt hierher war er angepisst wegen Aubrey, aber jetzt Noah so zu erleben, wird es noch viel schlimmer machen. Er wird keinen Streit mit Aubrey vor Noah austragen, aber das ändert nichts daran, dass es ihn sicher noch so viel länger beschäftigen wird.
Ethan kommt mit Noah auf dem Arm zum Auto zurück und Aubrey verschwindet nach drinnen. Die Tür hinten öffnet sich und Ethan setzt Noah in den Kindersitz.
„Hey Noah", sage ich fröhlich zu ihm und drehe mich in meinem Sitz um.
Noah sieht auf und ein Lächeln erscheint auf seinem verheulten Gesicht. „Gra, ich komme auch wieder nach Hause."
„Das ist toll", sage ich und strahle ihn an.
Ethan nickt mir dankbar zu und will dann gerade etwas zu Noah sagen, da erklingt eine weibliche Stimme. „Hier ist sein Zeug."
Hinter Ethan steht Aubrey und hält Noahs Rucksack und sein Kuscheltierhund. Ethan nimmt es, ohne ein Wort zu sagen, entgegen, sein Mund zu einer geraden Linie verzogen. Die Situation ist mehr als nur ein wenig unangenehm. Erst recht als ihr Blick auf mich fällt.
Sie legt ihren Kopf schief und mustert mich. Irgendetwas ist seltsam daran. Es ist nicht einmal abfällig ... eher bitter.
Auch wenn sie mich ansieht, ist es Ethan, mit dem sie spricht, als sie kühl sagt: „Willst du uns nicht vorstellen? Es wird Zeit, dass wir uns nach all den Jahren endlich kennenlernen. Meinst du nicht?"
Verwirrt fliegt mein Blick zu Ethan, der eben schon angepisst ausgesehen hat, aber jetzt sieht er stinksauer aus. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er meinen Blicken ausweicht, was es nicht besser macht.
„Muss das jetzt sein?", zischt er Aubrey zu und tritt dabei einen Schritt vom Auto weg, damit Noah ihn nicht hören kann.
Sie zuckt mit ihren Schultern und fährt mit ihren langen Fingernägeln durch ihre Haare. Sie dreht sich um und macht den Eindruck, als würde sie zum Haus zurückgehen wollen. Doch dann bleibt sie neben Ethan noch einmal stehen. Selbst wenn sie ihre Stimme gesenkt hat, kann ich sie noch hören. „Rede dir ruhig ein, dass ich es bin, die dafür gesorgt hat, dass das nicht funktioniert. Aber ich war nicht diejenige, die eine dritte Person in unser Schlafzimmer gebracht hat."
Ich reiße die Augen auf. Was will sie damit andeuten? Dass Ethan ihr fremdgegangen ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas tun würde. Es gibt keinen Menschen, dem ich so sehr vertraue wie ihm.
Selbst, wenn es so war, es hat nichts mit uns zu tun, sage ich mir. Trotzdem bleibt ein bitterer Beigeschmack.
Ethan lässt sich neben mir auf der Fahrerseite nieder und schlägt die Tür zu, was mich aus meiner Starre holt. Er sieht geschafft aus und als er jetzt seine Schultern strafft, ist ihm anzusehen, wie sehr er sich dazu zwingen muss.
„Daddy", sagt Noah von hinten.
„Ja?"
„Ich denke, ich mag nicht mehr zu Mom gehen."
Vorsichtig sehe ich zu Ethan, wie er darauf reagiert. Seine Schultern sinken wieder ein Stück nach unten, doch er hält den Blick auf die Straße gerichtet, während er das Auto weg von Aubreys Haus lenkt.
Mit überraschend ruhiger Stimme fragt er: „Hattest du keinen Spaß mit Mom, Noah?"
„Nein. Mit Mom macht es keinen Spaß. Sie will nur mit ihren Freundinnen telefonieren und sie ist immer sauer auf mich."
Ethans Knochen treten weiß hervor, als er seinen Griff um das Lenkrad verstärkt. „Sie war sauer auf dich?"
„Ja, aber ich habe es nicht böse gemeint. Ich wollte sie nicht stören."
Ich höre, wie Ethan tief durchatmet. „Das weiß ich, Buddy. Mach dir keine Sorgen."
„Ich will lieber immer bei dir sein, Daddy."
Ein kleines Lächeln erscheint um Ethans Mund und da er gerade an einer Ampel halten muss, dreht er sich zu Noah um. „Du musst dort nicht mehr hin, wenn du es nicht willst. Und wenn du deine Meinung irgendwann änderst und es doch willst, ist das auch okay."
Es überrascht mich im ersten Moment, das von Ethan zu hören. Auch wenn wir nie so richtig darüber gesprochen haben, hatte ich immer das Gefühl, dass es ihm wichtig ist, dass Noah auch eine Beziehung zu seiner Mutter hat. Aber vielleicht ist jetzt einfach der Zeitpunkt gekommen, an dem ihm bewusst geworden ist, dass es nicht funktioniert. Allein die Tatsache, dass er Noah abholen musste, weil seine eigene Mutter ihn nicht beruhigt bekommen hat, hat vermutlich das Fass zum Überlaufen gebracht.
Die restliche Autofahrt verbringen wir größtenteils schweigend. Noah ist eingeschlafen und Ethan ist irgendwo ganz anders mit seinen Gedanken. Ich weiß noch nicht, was ich aus dem Zusammentreffen mit Aubrey machen soll.
Bei Ethan angekommen, gehe ich in sein Schlafzimmer und warte, bis er Noah ins Bett gebracht hat.
Als er schließlich nach einer halben Stunde auftaucht, sieht er mich mit einem schwachen Lächeln an. Ich stehe sofort auf und gehe zu ihm. Einen Arm schlinge ich um seine Taille und meine andere Hand lege ich an seine Wange. Ich sollte mich jetzt auf ihn konzentrieren und dafür sorgen, dass es ihm besser geht und mich nicht mit irgendwelchen Aussagen von Aubrey beschäftigen.
„Noah ist glücklich, Ethan. Mach dir darum keine Sorgen."
Er seufzt auf. „Ich weiß nicht, ob ich mir Vorwürfe machen sollte, dass ich ihn noch zu seiner Mutter geschickt habe, obwohl ich wusste, wie wenig sie sich für ihn interessiert oder einfach nur stinksauer auf Aubrey sein soll, dass sie es so vermasselt. Vermutlich beides."
„Nichts davon ist deine Schuld, Ethan. Du wolltest nur das Beste für Noah und wenn Aubrey nicht will, kannst du es nicht ändern."
Er sieht zwar nicht überzeugt aus, nickt aber. Dann greift er nach meiner Hand und sagt: „Lass uns ins Bett gehen."
***
Wenig später liege ich auf Ethans nackter Brust. Er trägt nur noch seine Boxershorts und ich habe mir sein T-Shirt geschnappt, als er es ausgezogen hat. Jetzt bin ich sozusagen doppelt in Ethan gehüllt. Sein T-Shirt riecht nach ihm, genau wie das Bett, doch am besten ist es, dass ich ihn selbst auch noch nah an mir habe. Seine Arme sind um mich geschlungen und ich lasse meine Finger über seinen Oberkörper streifen.
Es ist die erste Nacht, die ich hier verbringe, wenn Noah auch da ist. Oder allgemein ist es überhaupt erst die zweite Nacht, die ich hier bin. Dass Ethan heute wollte, dass ich bleibe, hat mich zunächst überrascht, da ich dachte, dass er damit noch etwas warten will, aber ich war auch so froh darüber. Ich hätte es heute noch mehr gehasst, als sonst zu gehen, wo es ihm so eindeutig nicht gutgeht.
„Grace", sagt er mit etwas belegter Stimme, als hätte er sie lange nicht benutzt.
„Mhm?"
„Ich weiß nicht wie viel du von dem gehört hast, was Aubrey gesagt hat, aber ... sollen wir darüber reden?"
„Es ist okay, Ethan. Wir müssen über nichts reden."
„Ich habe aber das Gefühl, dass ich etwas dazu sagen sollte. Als Aubrey gesagt hat, dass ich eine dritte Person–"
„Wenn es da eine andere gab, hat das nichts mit uns zu tun", werfe ich schnell ein. Vielleicht auch, weil es das ist, was ich mir selbst einrede. Oder ich so tun kann, so lange er es nicht ausspricht.
„Eine andere?", fragt er perplex.
„Du ... äh ... bist ihr nicht fremdgegangen?"
„Was? Nein! Natürlich nicht. Das denkst du von mir?"
„Tut mir leid", erwidere ich kleinlaut. „Eigentlich nicht. Daher hat es mich auch so geschockt."
Sein Körper entspannt sich wieder etwas unter mir und er rutscht ein Stück die Bettrückseite hoch, damit wir uns besser ansehen können. Seine Arme hält er weiter um mich geschlungen.
Mit einer Hand reibt er sich über das Gesicht und er kneift die Augen zusammen, als hätte er Kopfschmerzen. „Ich bin ihr nicht fremdgegangen", sagt er noch einmal. „Aber ich ... ich war auch nie wirklich frei, was sie gespürt hat."
Ich würde gerne etwas dazu sagen, ich weiß bloß nicht was, denn ich habe keine Ahnung, was er mit dieser Aussage meint.
„Uh ...", starte ich unsicher. „Du warst nicht frei, wegen ... jemand anderem?"
Ethan lacht auf, aber es ist nicht wirklich ein Lachen, weil er es lustig findet. „Grace", sagt er ungläubig. „Ja, wegen dir."
„Wegen mir?", frage ich perplex.
„Ich habe das nicht nur so gesagt, als ich dir erzählt habe, dass ich dich nie vergessen habe. Levi hat mal gescherzt, dass ich nach dir nur noch Frauen hatte, die das genaue Gegenteil von dir sind, und er hatte recht damit. Ich wollte dich und keinen Ersatz."
„Ethan", sage ich gerührt und gleichzeitig macht es mich tieftraurig. Ich weiß wie es sich anfühlt jemanden immer zu vermissen, egal wie viel Zeit vergeht. Ich hätte es mir nur nie für ihn gewünscht, dass es ihm auch so geht.
Erst als Ethan mit seinem Finger über meine Wange streicht, spüre ich, dass ich begonnen habe zu weinen.
Mit sanfter Stimme sagt er: „Ich wollte nicht, dass du dich deshalb schlecht fühlst. Das war nicht meine Intension. Aber vielleicht ist dir aufgefallen, dass Aubrey dich erkannt hat. Das hat sie, weil sie irgendwann ein Bild von uns beiden bei mir gefunden hat."
Er greift zur Seite und holt ein etwas in die Jahre gekommenes Papier aus seiner Nachttischschublade. Er hält es vor uns und ich greife mit zitternden Händen danach. Es sind Ethan und ich, wie wir vor vielen Jahren im Garten seiner Eltern sitzen und über irgendetwas lachen.
„Das ist unglaublich", wispere ich und streiche über unsere Gesichter. „Ich wusste nicht, dass dieses Bild existiert."
„Grady hat es damals heimlich aufgenommen. Er hat es mir erst irgendwann später gezeigt." Verlegen fährt er fort: „Ich mochte es und habe es deshalb ausgedruckt. Es hat genau das widergespiegelt, wie ich mich daran erinnert habe, wie es zwischen uns war. Es hat wehgetan, darauf zu sehen, daher habe ich es in die Schublade gepackt. Aber jetzt mit dir in meinem Arm kann ich es ansehen und es ist eine schöne Erinnerung geworden."
Ich sehe zu ihm und lächle ihn zärtlich an. „Eine wunderschöne Erinnerung, der wir noch viele hinzufügen sollten."
Ethan ist unglaublich und ich werde nie begreifen, wie ich dieses Glück haben kann. Doch ich werde es zu schätzen wissen. Ich werde es zu schätzen wissen und beschützen, wie nichts anderes. Egal, wer uns alles auseinander bringen will.
_____
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro