35 | Elterngespräch
ETHAN
Als ich bei meinen Eltern eintreffe, finde ich sie mit Noah im riesigen Wohnzimmer, von dem man durch eine komplett verglaste Fensterfront in den Garten sehen kann.
Noah hat sich auf dem Boden zwischen seinen Spielsachen ausgebreitet und wenn ich mich nicht täusche, ist das Schokolade um seinen Mund. Meine Mutter sitzt neben ihm, während mein Vater dabei ist, ein abgefallenes Teil wieder an einem der Spielzeugautos anzubringen.
Meine Mutter ist die Erste, die mich entdeckt. Mit warmer Stimme begrüßt sie mich: „Ethan, da bist du ja. Komm zu uns."
Noah sieht auf, als er meinen Namen hört und schreit los: „DADDY!" Dann springt er auf und kommt auf mich zugestürmt.
Ich fange ihn auf und wirble ihn einmal im Kreis, bevor ich ihm einen Kuss auf die Schläfe zur Begrüßung drücke.
„Hey Buddy, hast du Grandma und Grandpa gut beschäftigt?"
„Wir haben Autos gespielt", erwidert er aufgeregt.
„Das ist großartig. Was hältst du davon, wenn du noch ein bisschen mit den Autos spielst, während ich kurz mit deinen Großeltern spreche?"
Überraschung erscheint auf den Gesichtern meiner Eltern. „Ist alles okay, Ethan?", fragt mich mein Vater.
„Ja. Ich würde nur gerne etwas mit euch besprechen. Kann vielleicht jemand kurz auf Noah aufpassen?"
„Natürlich. Ich hole Norman", erwidert meine Mutter. „Geht ihr doch schon ins Arbeitszimmer."
Ich nicke und setze Noah ab. „Spielst du noch ein wenig mit Norman Auto?"
„Ich will auch besprechen", erwidert Noah und sieht mich dabei ernst an.
„Ein anderes Mal. Heute muss ich mit deinen Großeltern allein sprechen."
„Warum?"
In diesem Moment betritt Norman den Raum. Er ist ein Bär von einem Mann mit einem vollen grauen Bart und einem großen Tattoo auf dem rechten Oberarm. Er gehört wohl auch zu den Menschen mit dem weichsten Herz, das ich kenne. Norman ist schon seit meiner Kindheit der Koch meiner Eltern. Alles, was ich übers Kochen weiß, weiß ich von ihm.
„Noah", ruft Norman mit seiner tiefen Stimme aus. „Ich habe gehört mein Lieblings-Tyrell ist da."
„Ich dachte immer, das bin ich", rufe ich ihm gespielt empört zu.
„Zeiten ändern sich, Ethan", erwidert Norman mit einem Lachen, das den ganzen Raum ausfüllt.
Zum Glück ist Noah so von Norman abgelenkt, dass er nicht mehr daran denkt, dass er eigentlich mit uns ins Arbeitszimmer kommen wollen. Jetzt ist er schon dabei Norman seine Autos zu zeigen, bei denen ich mir bei ein paar Exemplaren sicher bin, dass wir die nicht mitgebracht haben. Es ist hoffnungslos. Egal wie häufig ich meiner Familie sage, sie sollen ihn nicht mit Geschenken überhäufen, es passiert trotzdem jedes Mal wieder. Ich könnte genauso gut mit einer Wand sprechen.
Ich folge meinen Eltern in das Arbeitszimmer meiner Mutter, das näher am Wohnzimmer liegt. Es ist ein heller Raum, in dem sich, wie überall im Haus, ihre Vorliebe für Pflanzen widerspiegelt. Sie hatten zwar immer einen Gärtner, aber wenn es ihre Zeit zugelassen hat, hat sie sich auch gerne selbst im Garten betätigt.
Wir setzen uns in die bequemen Sessel, die an der linken Seite um einen kleinen Glastisch aufgestellt sind. Ich lasse mich in dem hellgrauen Polster zurücksinken und bereite mich innerlich auf das Gespräch vor, das mir bevorsteht. Ich befürchte, dass es durchaus unangenehm werden könnte.
Meine Mutter streift sich eine Strähne ihrer hell blondierten Haare hinters Ohr und schlägt ihre schlanken Beine übereinander. Meine Eltern haben nie zur Jogginghosenfraktion gehört und sehen auch jetzt beide wieder tadellos aus. Niemand würde auf die Idee kommen, dass sie den ganzen Tag im Haus mit ihrem Enkel verbracht haben. Doch anders als es ihr Aussehen vielleicht vermuten lässt, sind sie die herzlichsten und tollsten Großeltern, die ich mir für Noah wünschen könnte.
„Über was wolltest du mit uns sprechen, Ethan?", bricht mein Vater das Schweigen und auch meine Mutter sieht mich erwartungsvoll an.
„Es geht um die Arbeit", starte ich.
„Gibt es Probleme?", fragt er mich und eine kleine Sorgenfalte erscheint zwischen seinen Augenbrauen.
„Nicht direkt. Also nicht mit der Firma." Ich atme noch einmal tief durch. „Ich muss kürzer treten. Ich schaffe das alles nicht mehr. Nicht, wenn ich auch für Noah da sein will. Ich verstehe, wenn es nicht das ist, was ihr hören wollt, aber meine wichtigste Aufgabe ist es, ein Vater für meinen Sohn zu sein, was ich schon viel zu lange nicht mehr richtig bin."
Meine Eltern starren mich an und ich sehe unsicher von einem zum anderen.
„Aber natürlich ist es das", sagt meine Mutter.
„Oh", erwidere ich verblüfft über diese Reaktion. Zumindest mit ein wenig Widerstand hatte ich gerechnet.
Mein Vater sagt ebenfalls: „Das ist doch selbstverständlich, Ethan. Wir wollen auch nur das Beste für Noah. Und natürlich soll er seinen Vater haben. Wenn ich es heute noch einmal anders machen könnte, würde ich auch dafür sorgen viel mehr Zeit für meine Kinder zu haben. Ich weiß, dass ich zu wenig da war. Noah soll nicht das Gleiche erleben. Zumal er auch noch eine Mutter hat, die man kaum als solche bezeichnen kann."
Erleichtert auf so viel Verständnis zu stoßen, löst sich etwas von der Anspannung aus meinen Schultern. „Danke, Mom. Danke, Dad. Wirklich! Das bedeutet mir viel."
Meine Mutter streckt sich nach vorne und drückt meine Hand. „Wir wollen nur das Beste für dich." An meinen Vater gerichtet, sagt sie dann: „Ethan könnte sich komplett auf das Grand Haven konzentrieren und wir verteilen seine sonstigen Aufgaben um."
„Das ist eine großartige Idee."
„Uh ..." Ich räuspere mich, bevor ich weiterspreche: „Am liebsten würde ich das Grand Haven abgeben."
Verwundert sieht er mich an. „Oh, wieso das? Du hast gute Arbeit dort geleistet und hast es sogar geschafft, die Belegschaft größtenteils zu besänftigen. Das ist nach so einer Übernahme meistens eine der schwersten Aufgaben."
Ich übergehe seine Frage und sage: „Ich würde noch beratend zur Verfügung stehen. Das größte Chaos ist beseitigt und es geht jetzt darum die Firma intelligent, in Tyrell zu integrieren. Außerdem brauchen sie eine echte dauerhafte Führungskraft. Damit könnte man die Arbeitslast für meine Nachfolge teilen. Derjenige müsste nur noch die Konzernthemen behandeln."
„Okay ...", erwidert mein Vater zögerlich. „Ich hätte dich zwar lieber weiterhin dort, aber wenn du es so willst. Vielleicht könnten wir mit Levi sprechen, ob er–"
„Äh ... also um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, wenn es niemand aus der Familie ist", unterbreche ich ihn.
Ich muss ihnen von Grace erzählen ... Spätestens jetzt stoße ich langsam auf Unverständnis und ich kann es ihnen in diesem Fall nicht einmal verübeln. Ich will Grace nicht verheimlichen, aber ich hätte vorher mit ihr sprechen sollen. Wenn ich die Katze aus dem Sack lasse, wird sich alles ändern. Außerdem habe ich bei diesem Thema ziemliche Bedenken, wie es meine Eltern aufnehmen werden. Noah war das eine, aber für eine Frau zurückzutreten, ich weiß nicht, wie das bei ihnen ankommt. Insbesondere, wenn sie auf meine Historie zurückschauen, die zeigt, dass meine Beziehungen nicht unbedingt dafür bestimmt sind zu halten. Aber sie kennen auch nicht die ganze Geschichte. Sie wissen, dass Grace und ich damals zusammen waren, aber sie wissen nicht, dass sie auch gleichzeitig die Frau war, für die ich schon mit siebzehn mehr Liebe als für jede andere empfunden habe.
„Verschweigst du uns etwas?", fragt meine Mutter und sieht mich misstrauisch an.
Ich seufze. „Nein ... Oder ja. Ich muss euch noch etwas erzählen."
Fragend sehen sie mich an.
„Es gibt da wieder jemanden in meinem Leben und sie ist mir sehr wichtig."
„Oh, Ethan", ruft meine Mutter entzückt aus. „Das ist wundervoll. Du bist schon viel zu lange allein. Ist sie gut zu dir? Macht sie dich glücklich?"
„Ja, Mom. Das tut sie", erwidere ich und ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht.
„Das freut mich so sehr. Du solltest sie beim nächsten Mal mitbringen. Und wie ist das für Noah? Sie ist die Erste seit seiner Mutter oder hast du uns die anderen Frauen verschwiegen?" Am Ende sieht sie mich vorwurfsvoll an.
„Sie ist die Erste. Und ich habe Noah bisher rausgehalten. Es ist noch frisch und ich wollte erst dafür sorgen, selbst mehr da zu sein, bevor ich ihn mit einer neuen Frau in meinem Leben konfrontiere."
Und ich brauche mehr Zeit für diese Beziehung. Aber das sage ich nicht laut. Auch, wenn Grace gesagt hat, dass sie mit der wenigen Zeit, die ich habe zufrieden ist, bin ich es nicht. Es ist für uns beide kräftezehrend und ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht alles getan hätte, um es dieses Mal richtig mit ihr zu machen.
Mein Vater antwortet: „Auch ich freue mich für dich, Ethan. Aber was hat das mit dem Grand Haven zu tun?"
„Nun ja ... Sie arbeitet dort."
„Sie arbeitet dort?", erwidert mein Vater mit einem Gesichtsausdruck, der zeigt, wie wenig er davon hält. „Du hast etwas mit einer Angestellten angefangen? Ich muss dir hoffentlich nicht erklären, dass das keine gute Idee ist. Mal ganz abgesehen davon, was das für ein Bild auf dich werfen könnte, bist du dir sicher, dass sie dich nicht ausnutzt, um innerhalb der Firma etwas zu erreichen?"
Vehement schüttle ich den Kopf. „So ist das nicht. Sie würde das nicht tun. Und es ist auch nicht so, wie ihr denkt. Wir kannten uns bereits von früher. Erinnert ihr euch noch an Grace Arnold? Sie ist die Tochter von eurem alten Gärtner Joseph Arnold."
Nachdenklich zieht mein Vater seine Stirn in Falten. „Warst du nicht als Teenager schon mit ihr zusammen?"
„Ja ... bevor sie weggezogen ist."
Meine Eltern wissen nicht, was genau passiert ist. Sie denken, dass Grace damals zu ihren Großeltern gezogen ist und damit die Beziehung vorbei war. Was im Prinzip auch keine Lüge ist, aber eben auch nur ein Teil der Wahrheit. Dass wir uns nicht einmal verabschieden konnten, wissen sie nicht.
„Ach ich erinnere mich", sagt meine Mutter und ihre Augen leuchten. „Du warst so schrecklich verliebt in sie. Ich hatte dich vorher noch nie so gesehen und wenn ich es mir recht überlege danach auch nie wieder. Es war furchtbar zu sehen, wie du unter ihrem Weggang gelitten hast. Wie schön, dass sie wieder da ist und ihr sogar wieder zueinandergefunden habt."
„Das ist es, Mom. Sie war immer besonders für mich. Aber das ist auch der Grund, dass ich denke, dass es besser wäre, wenn jemand außerhalb der Familie im Vorstand übernimmt."
Besorgt sieht mich meine Mutter an. „Ich verstehe deinen Punkt, aber sei dir bewusst, dass es trotzdem Gerede geben wird. Für viele wird es keinen großen Unterschied machen. Egal, ob du direkt zuständig bist oder nicht. Du bist trotzdem auf eine gewisse Weise ihr Boss."
„Ich weiß. Aber ich bin zumindest nicht der, der über Beförderungen, Gehaltserhöhungen oder Aufgaben von ihr entscheidet."
Mein Vater nickt. „Das wäre in der Tat sehr unpassend. Und ja es sollte auch sonst niemand aus der Familie tun. Aber wäre es nicht leichter, wenn sie sich einen neuen Job sucht? Mit deinem Namen hat sie den doch im Handumdrehen. Deine Mutter und ich können auch unterstützen."
„Das würde sie nicht annehmen. Wenn ich es aufbringe, wird sie sich gezwungen fühlen, sich etwas Neues zu suchen. Es ist ihr erster Job, sie ist noch nicht lange da. Ich habe die Befürchtung, dass sie sich unter Wert verkauft, nur um mir keine Probleme zu bereiten."
Nachdenklich klopft mein Vater mit dem Zeigefinger gegen sein Kinn. „Vielleicht könnten wir Nigel einsetzen."
„Nigel ist ein Arschloch", erwidere ich ohne Umschweife.
„Was ist dann dein Vorschlag?"
„Isabella."
„Isabella sitzt auf dem Anderson-Projekt. Ich kann sie da nicht abziehen und beides wird zu viel für sie."
„Cora?"
Dieses Mal schüttelt meine Mutter den Kopf. „Das passt nicht in ihren sonstigen Bereich. Dafür ist es zu komplex und wichtig, als dass sie sich darin erst einarbeiten könnte."
Resigniert stöhne ich auf. „Ich will ihr und auch den anderen kein Arschloch-Chef vorsetzen."
„Nigel macht gute Arbeit", gibt mein Vater zu bedenken. „Er hat viel für die Firma geleistet."
„Das mag sein. Aber vom Personal sollte man ihn trotzdem, so weit es nur geht, fernhalten."
Mein Vater zuckt mit den Schultern. „Es ist Nigel oder jemand aus der Familie."
„Shit!"
„Ich würde ja für Nigel plädieren", sagt er mit einem vielsagenden Blick.
„Du kannst immer noch eingreifen. Schlussendlich bist du Nigels Chef und er muss machen, was du sagst", wirft meine Mutter ein.
Seufzend lehne ich mich zurück und massiere mir die Schläfen. Irgendwie machen sich plötzlich ziemlich fiese Kopfschmerzen bemerkbar. Natürlich kann ich eingreifen, aber wenn ich mich zu viel einmische, wird das seltsam wirken und auch den Sinn verfehlen, dass ich mich überhaupt zurückgezogen habe.
„Okay", gebe ich nach. „Aber ich mache noch die Einstellung für die Nachfolge von Claudia. Ich will da niemanden sitzen haben, der von Nigel ausgesucht wird. Damit ist zumindest ein gewisser Puffer für die Mitarbeitenden gegeben."
„Das klingt doch nach einem Plan", sagt meine Mutter und lächelt mich an. „Dann kommen wir doch mal zu dem nächsten wichtigen Thema."
Fragend sehe ich sie an.
„Wann kommst du mit Grace zum Essen vorbei?"
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