31 | Ein lauer Sommerabend
ETHAN
Das Piepen, dass sich mein Auto hinter mir verschließt, ertönt und ich jogge zum Eingang des Restaurants. Ich bin viel zu spät dran, weil in meinem letzten Meeting wirklich jeder Einzelne der Meinung war, noch seinen Senf dazugeben zu müssen, obwohl bereits alles gesagt war.
Ich stoße die Tür auf und betrete den klimatisierten Innenbereich. Sofort kommt ein Kellner in einer eleganten Uniform auf mich zu.
„Mr. Tyrell", begrüßt er mich mit einer zurückhaltenden Höflichkeit und macht eine einladende Handbewegung. „Bitte folgen Sie mir. Ihre Begleitung ist auch bereits eingetroffen."
Ich folge ihm und er bringt mich in den großzügigen Außenbereich des Restaurants. Vor uns tun sich die vollen Wälder auf, hinter denen sich die gigantischen Berge der Region erheben. Aus den Lautsprechern wird das Ambiente mit leisen klassischen Tönen untermalt. Wir laufen an einem steinernen Brunnen vorbei, der sich in der Mitte der Fläche befindet und vor sich hin plätschert. Zwischen den einzelnen Tischen sind große Pflanzenkübel aufgestellt, die dezent von farbigen Lampen angestrahlt werden.
Heute war ein heißer Sommertag, doch jetzt in den Abendstunden ist es merklich abgekühlt, so dass es der perfekte Abend für ein paar gemütliche Stunden ist.
Das Restaurant gehört zu den Besten in Wilbur Creek und ich kann nicht einmal mehr zählen, wie häufig ich bereits hier gewesen bin. Leider meistens nicht zu meinem Vergnügen, sondern für irgendwelche Geschäftsessen.
„Ethan", werde ich von einer bekannten Stimme angesprochen und ich entdecke Grady, wie er mit Sutton an einem der Tische sitzt.
„Vielen Dank", sage ich zu dem Kellner, „ich finde den restlichen Weg."
Er nickt höflich. „Sehr wohl. Kann ich bereits etwas an Ihren Tisch bringen?"
„Nur Wasser, danke", erwidere ich und laufe die zwei Schritte zu Sutton und Grady.
Sie stehen beide mit einem Lächeln auf und Sutton zieht mich zur Begrüßung in eine Umarmung.
„Wie geht's dir, Ethan?", fragt sie mich noch immer mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.
„War schon mal besser", erwidere ich ehrlich, da ich vor den beiden nichts verstecken muss.
Grady würde es mir so oder so nicht abkaufen und Sutton kennt mich vermutlich mittlerweile auch gut genug, um es nicht zu tun.
Sie schenkt mir einen aufmunternden Blick und Grady sagt: „Ich würde dich ja fragen, ob du dich zu uns setzen willst, aber ich habe so eine Vermutung, warum du hier bist."
Ich seufze. „Habt ihr sie gesehen?"
„Sie sitzt dort hinten", erwidert Sutton und sieht zur linken Ecke der Terrasse. Der Tisch wird von einer großen Pflanze verdeckt, daher kann ich nicht mehr von ihr erkennen, als ihre Handtasche, die über der Lehne des Stuhls hängt.
„Ich sollte wohl zu ihr gehen. Ich bin sowieso schon viel zu spät."
„Wir können ein Zeichen ausmachen, wenn wir dich retten sollen", sagt Grady trocken.
Ich schneide eine kleine Grimasse. „Sollte es so laut werden, dass die Schreie bis zu euch kommen, könnte das euer Zeichen sein, einzugreifen."
Grady lacht amüsiert in sich hinein. „Alles klar. Verstanden."
„Es wird sicher nicht so weit kommen", sagt Sutton sanft.
„Wir werden sehen", erwidere ich wenig optimistisch. „Lasst euch von mir nicht weiter stören. Ihr seht aus, als wärt ihr auf einem Date."
„Du störst uns nicht", antwortet Sutton schon fast empört. „Eigentlich sind wir nur spontan hier, weil es so ein schöner Abend ist, und wir dachten, dass es nett wäre, noch einmal etwas das Haus zu verlassen."
Ein Engegefühl macht sich in meiner Brust breit und ich schlucke. Das ist es, was ich auch will. Ich will, was sie haben. Nicht jede Sekunde des Tages durchzuplanen, um alles unter einen Hut zu bekommen. Ich will auch einfach spontan mit meiner Freundin ausgehen können, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob ich mir das erlauben kann, weil sonst irgendetwas anderes hinten runterfällt. Als müsste es irgendeinen besonderen Anlass geben, damit ich mir die Zeit dafür nehmen darf.
Aber ich habe keine Ahnung, wann mein Leben zum letzten Mal so ausgesehen hat. Es ist lange her und aktuell ist auch kein Ende in Sicht, dass sich daran irgendetwas ändert.
„Wenn ihr morgen Zeit habt, kommt doch zum Mittagessen vorbei. Ich bin mir sicher, Noah freut sich, euch zu sehen", sage ich zu ihnen.
Sutton und Grady passen häufiger auf Noah auf, wenn ich mal wieder keine Zeit habe. Dementsprechend vernarrt ist er auch in beide.
„Kochst du?", fragt Grady grinsend. „Dann kommen wir."
„Wir kommen gerne", sagt Sutton mit ihrem Strahlen, bei dem man immer das Gefühl hat, sie könne damit einen ganzen Raum erleuchten.
Grady erntet für seine Frage ein nicht ganz ernstgemeintes Augenrollen von mir, bevor ich wenig begeistert sage: „Ich sollte wirklich los. Sonst startet dieses Gespräch schon schlecht, bevor es überhaupt begonnen hat."
Nicht, dass es eine relevante Wahrscheinlichkeit gibt, dass dieses Gespräch irgendetwas anderes als mies werden wird.
Ich verabschiede mich noch schnell von den beiden und gehe dann an den Tisch, an dem mich bereits Annalynn erwartet. Als sie mich entdeckt, lächelt sie und springt auf.
„Hey Ethan", begrüßt sie mich fröhlich und wie immer umarmt sie mich, wenn wir uns sehen.
Es ist nichts Besonderes, aber heute kostet es mich eine Menge Überwindung, es zu erwidern. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sie mir anmerken muss, dass ich mich versteife. Allerdings will ich nicht bereits auf Angriff in den Abend starten. Ich bin zwar unglaublich wütend und enttäuscht von ihr, aber ich habe insbesondere in meiner Position in der Firma gelernt, Dinge zunächst mit einem nüchternen Blick zu betrachten und nicht mit dem Kopf durch die Wand voran. In der Regel kostet das nur mehr Kraft, die ich nicht habe und noch dazu bringt es einen nur in den seltensten Fällen weiter. Meistens macht das Gegenüber einfach dicht.
Ich setze mich auf den Stuhl gegenüber von Lynn und der Kellner kommt, um uns das Wasser zu bringen, das ich vorhin geordert habe. Zusätzlich stellt er noch etwas Baguette und Frischkäse auf den Tisch. Nachdem er uns beiden etwas in die kristallenen Gläser auf der weißen Stofftischdecke eingeschenkt hat, zieht er sich wieder diskret zurück, bis wir einen Blick in die Karte geworfen haben.
„Wir haben das so lange nicht mehr gemacht", sagt Lynn zu mir und lächelt mich an. Ihre blonden Haare hat sie nach oben gebunden und sie trägt ein enganliegendes Kleid, das nur von zwei dünnen Spaghettiträgern auf ihren Schultern gehalten wird.
„Das ist wahr", antworte ich. „Hast du dich schon entschieden?"
„Ich werde die Austerndegustation nehmen und zum Hauptgang den Lachs Wellington. Und du?"
Innerlich stöhne ich auf, weil ich eigentlich nicht vorhatte, für mehrere Gänge mit ihr hier zu sitzen.
Außerdem habe ich auch das Gefühl, wenn wir erst einmal mit dem Grund, warum ich sie um dieses Treffen gebeten habe, beginnen, nicht mehr viel Hunger übrigbleiben wird. Vielleicht war es unklug, einen öffentlichen Ort zu wählen. Aber insgeheim hatte ich die Hoffnung, dass das Ganze dann zivilisierter abläuft, als bei einem von uns zuhause. Hauptsächlich wollte ich wohl mich davor schützen, dass ich nicht schon ausraste, wenn ich sie nur sehe.
„Ich denke, ich werde heute bei einer Vorspeise bleiben. Anna hat Abendessen vorbereitet."
„Sag ihr doch einfach, sie soll es für sich mitnehmen", antwortet Lynn und zuckt mit ihren Schultern.
„Sie isst mit Noah zusammen. Ich bezweifle, dass sie vorhat, ein zweites Abendessen zu essen."
Lynn sieht zwar nicht erfreut aus, sagt aber: „Gut, dann heute nur Vorspeise."
Nachdem wir bestellt haben, lehne ich mich in dem gepolsterten Stuhl zurück und mustere Annalynn.
Sie ist mir so vertraut und gleichzeitig kommt sie mir auf einmal fremd vor. Wie viel weiß ich nicht von ihr? Was hat sie mir vielleicht noch verschwiegen?
Unsere Eltern sind schon immer eng befreundet und ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben wirklich erinnern, indem sie kein Teil davon war. Wir sind praktisch miteinander aufgewachsen.
Umso mehr tut es weh, was geschehen ist.
„Ich habe mich gefragt", starte ich, „ob du mir vielleicht etwas erzählen willst."
Irritiert hebt sie ihre linke Augenbraue. „Was meinst du?"
Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht fällt dir ja etwas ein. Jetzt wäre zumindest die Chance dazu."
Lynns Augen zucken unsicher und sie führt das Wasserglas zu ihrem mit knallrotem Lippenstift überzogenem Mund, womit sie ganz sicher Zeit schinden will.
Ich sehe sie weiterhin bloß abwartend an.
„Hast du von Jeremy gehört?", fragt sie mich, ihre Stimme unsicher.
„Jeremy?"
„Jeremy Clayton. Wir sind in den letzten Wochen ein paar Mal ausgegangen. Aber ich denke nicht, dass daraus etwas wird."
Ich kneife leicht die Augen zusammen, weil bei dem Namen irgendetwas bei mir klingelt, ich es aber gerade nicht so recht zusammenbekommen will.
Annalynn seufzt. „Ich wusste, dass du es nicht gut findest. Deshalb habe ich nichts gesagt, weil ich erst einmal sehen wollten, ob es etwas Ernstes werden könnte. Was es nicht tut."
„Okay", erwidere ich gedehnt, da ich ihr weder folgen kann, noch weiß, warum es mich interessieren sollte, ob sie und dieser Jeremy daten.
„Bist du sauer?", fragt sie und greift schon wieder nach ihrem Wasserglas.
„Warum sollte ich–" Ich unterbreche mich selbst. „Clayton? Der Anwalt?"
„Du weißt, dass es nur ein Job für ihn war, oder? Nur weil er Weston vertreten hat, heißt das nicht, dass er gut findet, was er getan hat."
Ich schnaube auf und verziehe das Gesicht, wenn ich an den Kerl zurückdenke. Nicht nur hat er Sutton versucht, als berechnende Goldgräberin dazustellen, die Sextapes aufnimmt, um wohlhabende Männer zur Heirat zu erpressen, sondern auch, dass sie psychisch labil sei und sie sich deshalb im Bad eingeschlossen hatte. Weston der Held, der er ist, hat die Tür also nur aufgebrochen, weil er Angst hatte, dass sie sich etwas antut und nicht, weil er ein gestörtes Arschloch ist, das überhaupt erst der Grund war, dass sie sich einschließen musste, weil sie Angst vor ihm hatte.
„Nicht sonderlich erfolgreich", antworte ich scharf.
„Nun, wir wissen alle, dass er nicht wirklich gegen Sutton angetreten ist, sondern gegen Grady. Jeremys Kanzlei hat nicht die gleichen Mittel wie Anwälte, die sich Grady lei–"
„Ist das dein Ernst?", unterbreche ich sie verärgert.
Mit großen Augen sieht sie mich an. „Nein, ich meinte ja nur ... es war ein bisschen David gegen Goliath. Das ist alles."
„Sagt Jeremy das? Er hat also nur deshalb verloren und nicht, weil sein Klient ein perverser Psychopath ist und er sich als Anwalt auch absolut widerwärtig verhalten hat, was die Geschworenen zum Glück erkannt haben?", frage ich sie, wobei ich den Namen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorpressen muss.
„Das meinte ich nicht, Ethan. Tut mir leid. Natürlich hat Weston verdient, dass er diese Strafe im Gefängnis absitzen muss. Das kam falsch rüber. Wie gesagt, dass mit Jeremy ist sowieso vorbei. Ich habe ihn schon über eine Woche nicht mehr gesehen."
„Weißt du was, Lynn? Ist mir egal. Deshalb bin ich nicht hier und du kannst daten, wen du willst."
„Oh, okay. Ja, also tue ich trotzdem nicht", erwidert sie zögerlich.
Wir werden unterbrochen, da der Kellner unsere Vorspeisen bringt und sie vor uns stellt. Ich greife nach der weißen Stoffserviette und breite sie aus. Ganz wunderbar, wir sind noch nicht einmal beim eigentlichen Thema angekommen und hatten bereits unsere erste Diskussion.
„Das ist deine letzte Chance, dass du es mir selbst erzählst", sage ich erneut zu Annalynn.
„Ich verstehe nicht, was du meinst, Ethan."
„Grace? Fällt dir dazu vielleicht irgendetwas ein?"
Sämtliche Farbe weicht aus ihrem Gesicht und ihre Gabel fällt klirrend auf ihren Teller. „Sie hat es dir gesagt", wispert sie, wobei ihre Stimme belegt klingt.
„Du hättest es mir sagen müssen."
„Ich wusste nicht wie", erwidert sie und ein unterdrückter Schluchzer kommt aus ihrer Kehle. „Ich schwöre dir, Ethan, dass ich das nicht wollte. Ich wollte nicht, dass das geschieht."
„Tatsächlich? Weil, wenn ich mich richtig erinnere, hast du nichts getan, um es zu verhindern."
„Ich habe sie versucht zu finden. Aber sie war weg. Ich wollte es bei ihr richtigstellen."
„Dann hast du scheinbar nicht hart genug gesucht. Wenn ich sie finden konnte, hättest du das auch gekonnt. Oder du hättest mir einfach die Wahrheit sagen können."
„Wie meinst du das, du hast sie gefunden?", fragt sie verwirrt.
„Dass ich sie gesucht habe und gefunden. Aber du wusstest ganz genau, warum ich nicht hinfahren konnte."
„Ja", haucht sie. „Aber ich wusste nicht, dass du ihren Aufenthaltsort kennst."
Das ist wahr. Außer Grady wusste es niemand. Ich habe mich so geschämt und mies gefühlt, für das, was ich dachte, was passiert ist, dass ich nicht auch noch zugeben wollte, dass ich ihr nachspioniert habe, obwohl sie ziemlich klargemacht hatte, dass sie nicht gefunden werden will.
Mehr als einmal wollte ich zu ihr fahren und sie noch einmal versuchen, zur Rede zu stellen, aber schlussendlich habe ich es mich nicht getraut. In meinen Augen war sie weg, weil ich sie zum Sex gedrängt habe. Ihr dann auch noch nachzustellen, klang wie die schlimmste Idee überhaupt.
„Das tut auch nichts zur Sache", erwidere ich kühl. „Mal abgesehen davon, was du zu ihr gesagt hast, du hast es vor mir verschwiegen, obwohl du genau gesehen hast, was es mit mir gemacht hat."
„Ich hatte Angst dich zu verlieren", flüstert sie.
„Also hast du mich lieber leiden lassen?"
Verzweifelt sieht sie mich an. „Ich bin da nicht mehr rausgekommen. Es war wie als wäre ich in einem Strudel aus schlechten Entscheidungen gefangen und es wurde alles immer nur schlimmer."
„Warum hast du es getan? Warum hast du mir mit Absicht die eine Sache zerstört, die mir alles bedeutet hat?"
Eine Träne läuft über ihre Wange. „Ich war betrunken und egoistisch. Es tut mir so leid. Es sollte nie so weit gehen. Es sollte ein dummer Spaß sein. Ich habe Grace dafür gehasst, wie viel Aufmerksamkeit sie von dir bekommen hat und wie du mich dafür links liegen gelassen hast. Ich wollte sie einfach ein bisschen ärgern."
„Ärgern?", frage ich ungläubig. „Das, was du getan hast, ging etwas über ärgern hinaus, denkst du nicht?"
„Ich weiß. Ich war rücksichtslos und habe nur an mich gedacht. Aber ich habe mir danach geschworen, mich zu ändern. Ich wollte nicht mehr so sein."
„Tatsächlich?", erwidere ich kalt. „Weil du dich ändern wolltest, hast du also vor ein paar Wochen versucht, Grace ein schlechtes Gewissen zu machen, damit sie mir nichts davon erzählt?"
Annalynn lässt ihr Gesicht in ihre Hände fallen und sitzt für einige Sekunden bloß so da. Als sie mich wieder ansieht, sind ihre Augen wässrig und ihr Blick flehentlich. „Gott, es tut mir so leid. Ich habe Panik bekommen und ich dachte, es tut heute nichts mehr zur Sache. Es ist elf Jahre her, was hätte es schon gebracht, alles wieder aufzureißen?"
Ungläubig schüttle ich den Kopf. „Dir ist nicht in den Sinn gekommen, wie ich mich dabei fühle, Grace zu sehen und zu denken, dass ich sie als Sechzehnjährige bedrängt habe?"
Kraftlos lässt sie ihre Arme zur Seite sinken und lehnt sich im Stuhl zurück. „Mir war nicht klar, dass es dich noch immer so belastet. Ich dachte, es würde dir mehr wehtun, wenn diese ganze Sache von früher wieder aufgerissen wird und ich ... ich wollte unsere Freundschaft nicht verlieren. Ich meine, Grace ist bloß deine Freundin für einen Sommer gewesen, aber wir sind schon unser ganzes Leben befreundet."
Ich balle meine Hand um die Stoffserviette und drücke sie so fest, dass meine Knochen weiß hervorstehen. Das ist der Punkt, an dem ich mich so sehr zusammenreißen muss, nicht anzufangen zu schreien, dass Sutton und Grady wirklich gleich hier am Tisch stehen. Mal abgesehen von der Show für alle anderen Gäste, die ganz sicher bis morgenfrüh in ganz Wilbur Creek die Runde machen würde.
„Du hast es wirklich immer noch nicht verstanden, oder?"
„Hast du wieder Kontakt zu ihr? Grace meine ich", übergeht Lynn meine Frage.
Ich verziehe meinen Mund zu einer geraden Linie. „Die Zeiten, in denen wir über solche Dinge sprechen, sind vorbei."
„Bitte tu das nicht, Ethan", schluchzt sie.
„Was?", fahre ich sie an.
„Unsere Freundschaft beenden. Ich habe Mist gebaut, aber wir haben so viel Vergangenheit. Gib uns nicht einfach auf."
„Ganz ehrlich, Annalynn, selbst wenn ich wollen würde, ich könnte gerade nicht mehr mit dir befreundet sein. Du hast ziemlich klar bewiesen, dass deine Prioritäten immer nur bei dir selbst liegen."
„Das ist nicht wahr, Ethan. Und das weißt du!"
Ich schließe kurz die Augen, weil egal, was sie getan hat, es tut weh, sie zu verlieren.
Lynn war nicht immer einfach und Grady hatte auch recht, als er gesagt hat, dass sie etwas Hinterhältiges haben kann, aber das ist nur eine Seite der Geschichte.
Über die Jahre habe ich unzählige Erinnerungen an diese Freundschaft. Sie stand fest an meiner Seite, als das mit Aubrey passiert ist, hat mich mit Noah unterstützt, wo sie nur konnte und hat mich zu mehr langweiligen Geschäftsveranstaltungen begleitet, als ich zählen kann, bloß, um es für mich ein bisschen angenehmer zu machen, obwohl sie die genauso hasst wie ich.
Aber in dieser einen Sache hat sie mich hintergangen und das auf eine Art, die ich ihr nicht verzeihen kann. Oder zumindest nicht an diesem Punkt.
„Lass mich das mit Grace hinbiegen", fleht sie. „Ich spreche noch einmal mit ihr. Ich werde das wiedergutmachen. Lass es mich wiedergutmachen. Bitte, Ethan!"
Würde es nicht um Grace gehen, würde ich jetzt vermutlich beginnen, einzuknicken. Aber es geht um Grace und es geht darum, was sie nicht nur mir angetan hat, sondern besonders auch ihr.
„Kannst du elf Jahre zurückdrehen? Ich denke eher nicht. Von daher kann man das nicht wirklich wiedergutmachen. Und ich will nicht, dass du mit Grace sprichst. Du hast mehr als genug getan, was das angeht."
Mit diesen Worten stehe ich auf. Es bringt nichts weiter nachzubohren und zu versuchen das Warum zu verstehen. Es ist alles gesagt und so sehr ich mir vielleicht insgeheim gewünscht habe, dass sie doch eine bessere Erklärung hat, als die die sie schon Grace gegeben hat, hat sie die nicht.
„Ich werde jetzt gehen. Ich denke, es wäre besser, wenn wir erst einmal Abstand voneinander halten."
Sie nickt resigniert. „Ich tue, was du dir wünschst."
„Das ist es, was ich mir wünsche."
„Okay, dann wirst du in nächster Zeit nichts von mir hören. Aber das bedeutet nicht, dass es mir nicht unendlich leidtut."
Ich gehe nicht mehr darauf ein. Was sollte ich auch schon sagen? Es ist einfach zu sagen, dass einem etwas leidtut, aber es ist etwas ganz anderes, auch danach zu handeln. Und das hat sie nicht getan. Zumindest hat sie lieber wieder versucht, sich selbst zu retten. Statt zu helfen, dass Grace und ich eine zweite Chance bekommen, hat sie es erneut versucht, zu boykottieren, als sie Grace zum Schweigen bringen wollte.
Erschöpft sage ich: „Mach's gut, Lynn."
Sie schluchzt auf und presst ihre Hand vor den Mund. Mit erstickter Stimme antwortet sie: „Ethan."
Doch ich schüttle nur den Kopf und werfe ihr einen letzten Blick zu, bevor ich mit großen Schritten zum Ausgang laufe, ohne mich auch nur einmal umzudrehen.
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