XXIX
Malik wurde übel, als er wenige Minuten später wieder zu sich kam und in das höhnisch grinsende Gesicht des Klons blickte. Er befand sich glücklicherweise nicht mehr in dem Käfig, sondern war mit strammen Seilen an einen Pfeiler gebunden worden, die ihm in die Haut schnitten. Sein Gesicht schmerzte und er spürte etwas aus seiner Nase triefen - Blut. Dieses Scheusal hatte ihn geschlagen!
Unbändige Wut stieg in Malik hoch, doch seine Fähigkeiten waren immer noch blockiert. Deshalb biss er die Zähne zusammen, um nicht gleich los zu brüllen. Stattdessen schenkte er seinem Gegenüber einen vor Hass triefenden Blick.
„Schon wieder wach?“, grinste der Herrscher, wobei er seine gelben Reißzähne erneut zur Schau stellte. Auf seinem ausgestreckten Arm thronte der Vogel, den Nasty besessen hatte - seine dunklen Federn waren ganz zerzaust und seine stechenden Augen ruhten bedrohlich auf dem Studenten. Es war ihm, als würde das Tier direkt in Maliks Seele blicken...würde das dichte Netz der Lügen, die er Alija berichtet hatte, Stück für Stück zerreißen. Bis nichts mehr da war, was noch glaubwürdig klingen sollte.
„Ist es nicht schön, Macht zu besitzen?“, wisperte der Klon und ließ den Vogel im Raum umher flattern, stolz drehte er einige Runden. „Ist es nicht schön, anderen Schaden zu zu fügen? Ist es nicht schön, die alleinige Kontrolle zu haben? Ist es nicht schön, Malik Johnson? IST ES NICHT SCHÖN?“
Der Student antwortete nicht, versuchte, die kalte Stimme zu ignorieren. Er konnte nicht. Sie nahm seinen Kopf ein, fror dort jede Zelle seines Gehirns und ließ ihn frösteln. Zittern.
Verdammt, er hatte Angst. Verdammt große Angst. Hätte er bloß auf Arya hören sollen...doch nun war es zu spät.
Aryas Doppelgänger sprach munter weiter, während er den Raubvogel interessiert beobachtete. Malik konnte spüren, dass gleich etwas passieren würde, womit er nicht gerechnet hatte. Und er sollte Recht behalten.
„Weißt du, Malik...nicht jeder versteht Macht. Nicht jeder versteht, Macht richtig einzusetzen. Nicht jeder ist imstande, sie zu kontrollieren. Aus großer Macht folgt große Verantwortung, findest du nicht auch? Na also. Aber du - du trittst Macht mit Füßen. Dir wurde Kraft verliehen, die du zum Schaden der Menschen einsetzt, die du trotzdem wahrst, um deine Geliebten nicht zu verletzen. Die du nicht gelernt hast, sinnvoll einzusetzen. Und deshalb gehört sie nun mir, Malik Johnson! Mir ganz allein! Und du kannst nichts dagegen tun, du Angsthase! ICH BIN NUN ALLMÄCHTIG...kleine Kostprobe gefällig?“
Er schnippte mit den Fingern und der Vogel ging in Flammen auf, trudelte zu Boden. Direkt vor Maliks Füße. Es geschah so schnell, dass er den Atem anhalten musste, um sich nicht zu übergeben. Ein Gefühl von Ekel ergriff ihn. Gleichzeitig durchflutete ihn ein schlimmer Gedanke:
Dieser Kerl war wahnsinnig. Und hatte Aryas Feuerkräfte gestohlen. Und welche Fähigkeiten noch???
Aber funktionierte diese Methode nicht nur bei echten Ridern?
Ein Versuch war's wert!
Malik konzentrierte sich und stellte sich eine Schere vor, die langsam aber sicher die Fesseln um seine Handgelenke durchtrennen konnte - es klappte! Einen Lidschlag später stand er auf den Beinen und gab dem Bösewicht einen heftigen Tritt in seine Genitalien. Der, unachtsam über den Machtrausch, den er besaß, stolperte nach hinten und krachte gegen einen Schrank. Dieser fiel scheppernd um und begrub den Klon unter sich, er wurde ohnmächtig. Jackpot! Jetzt aber nichts wie weg hier!
Gerade wollte er zur Tür hinaus rennen, da packte ihn etwas am hinteren Kragen seiner Jeansjacke und riss ihn zurück. Kaltes Metall wurde ihm in den Rücken gedrückt und eine blecherne Stimme zischte:
„Wohin so eilig, mein Schöpfer?“
Nein. Nein. Nein, Nein, Nein.
Der Cyborg legte den Kopf schief und musterte Malik von oben bis unten.
Er scannte ihn.
Malik verstand nicht. Seine Gedanken kreisten wie wild, mit dem Ziel, nie mehr anzuhalten. Er musste hier weg! Und zwar sofort!
Er stieß die gepanzerte Tür auf und hechtete den dunklen Korridor entlang, dessen Wände immer näher rückten und dem Studenten wurde schummrig vor Augen. Hastig rannte er weiter, gleich hatte er es geschafft...doch er kam nicht weit.
Kurz vor der rettenden Freiheit versperrte ihm Alija den Weg. Seine Augen funkelten und das verdreckte Gesicht war von einer animalischen Gier gezeichnet worden - der Drang, zu töten. Sein Freund Alija Grant war nicht mehr derselbe.
Malik schluckte, ein dicker Kloß hatte sich in seiner Kehle gebildet. Heiße Tränen schossen ihm abermals in die Augen, seine Sicht verschwamm.
Er kam langsam auf seinen Freund zu, stand nun wenige Zentimeter vor ihm. Er stand so, dass Malik ihn hätte berühren können. Ihn hätte umarmen können und sagen, dass alles gut werden würde. Er tat es nicht. Er war zu ängstlich.
Er hatte doch nur gewollt, dass Alija glücklich werden konnte. Zusammen mit ihm. Eine gemeinsame Zukunft, wo sie beide jeden Morgen miteinander aufwachen würden, arbeiten würden. Doch er hatte zu tief gegraben. Er hatte zu groß gedacht. Selbst seine KI hatte sich gegen ihn verschworen.
Er hatte ein Monster erschaffen. Ein Monster, was er nicht mehr länger kontrollieren konnte. Und jetzt zahlte er hier den bitteren Preis. Im Tausch gegen seinen besten Freund.
Im Tausch gegen seine Menschlichkeit. Oder das, was zumindest so ähnlich war.
Er konnte die Tränen nicht mehr länger zurück halten. Sie flossen in Strömen von seinen Wangen und benetzten seine Kleidung, tropften auf den kalten Boden. Er ließ es geschehen.
Er hatte alles verloren. Seine Mutter, sein Zuhause, seine Träume...und Alija. Jetzt war er es, der ein beschissenes Etwas war.
„Ach, Alija!“, stieß Malik zwischen den abgehackten Schluchzern hervor, sein komplettes Gesicht brannte. „Ich...ich weiß gar nicht mehr, was ich tun soll. Ich wünschte, du wärst noch so wie früher, aber...aber ich habe Fehler gemacht. Ich...mein ganzes Leben lang habe ich Fehler gemacht und nie draus gelernt...mein ganzes Leben lang habe ich blinden Anführern vertraut. Ich habe für die Leute gearbeitet, die dich geschaffen haben, ich habe es bereut. Bereut, dass ich...dass ich so verdorben gewesen bin, Ridercorp. zu helfen. Bereut, dass ich denjenigen geholfen habe, die selbst verdorben gewesen sind. Und ich habe es nicht bemerkt. Ich war der Blinde. Und für diesen Fehler werde ich nun bezahlen, Alija! Und du wirst mir nie verzeihen wollen, wahrscheinlich nie wieder mit mir reden wollen - nur ich bitte dich: Gib mir ein Zeichen, dass du verstehst, was ich sage! Wenn da drin noch etwas menschliches ist, gib mir ein Zeichen...BITTE, ALIJA! Bitte...“
Er brach zusammen. Sank bitterlich weinend zu Boden, Heulkrämpfe schüttelten seinen Körper. Er wusste einfach nicht mehr weiter.
Plötzlich kam Bewegung in Alijas Körper und seine Finger berührten vorsichtig Maliks Wange, wischten die Tränen weg. Die Kreatur, die ihn übernommen hatte, schloss er für wenige Augenblicke tief in sein Bewusstsein, nur widerstrebend gehorchte sie. Der wilde Ausdruck in seinen Augen verschwand und er lächelte.
Ich habe verstanden.
Malik schaute hoch, direkt in das Gesicht seines Freundes. Alija stand ganz ruhig da und lächelte - im selben Moment ertönte seine Stimme in Maliks Kopf.
Malik. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, du musst sofort flüchten. Mein Partner, er hat mich entführt. Er wird den Sturm entfesseln. Er wird eine Armee los schicken und alles zerstören, was dir wichtig ist. Und nun ist es beinahe soweit, Malik. Lauf! Lauf und versteck dich...es ist nur zu deinem Besten! Bevor es zu spät ist...
Ein heftiger Ruck ging durch Alijas Körper und er verzog schmerzerfüllt das Gesicht, begann zu zittern. Erst langsam, dann immer heftiger - während sich eine schwarze, klebrige Masse von seinen Fingern bis zu seiner Brust ausbreitete.
Malik war erstarrt. Obwohl es widerlich war, was da gerade passierte, konnte er den Blick nicht abwenden. Das schleimige Zeug wuchs immer tiefer in Alijas Körper hinein und verband sich mit ihm wie eine zweite Haut. Irgendwo hatte er das doch schon mal gesehen...
Er hatte keine Zeit, darüber intensiv nachzudenken, denn die Stimme seines Freundes ertönte abermals in seinem Bewusstsein - diesmal jedoch verzerrter und gruseliger.
Nicht mehr länger menschlich.
„Erdling!“, zischte das groteske Wesen und fuhr einige Tentakel aus, mit denen es wild in der Luft herum tastete. Malik zählte mindestens ein dutzend Stück davon.
„Dank deinem kleinen, hilflosen Freund hier werden wir dem Meister das bieten, was er für seine Pläne noch benötigt: Leben! Der große Meister ist stark, stärker als je zuvor und darauf aus, die vor ihm büßen zu lassen. Für alle Missetaten, die diese Welt unter der Herrschaft von blinden Diktatoren ertragen musste, bringt er nun endlich die Erlösung. Er ist Gott! Und du wirst ihm huldigen!“
Malik schmunzelte, um nicht noch mehr in Starre zu verfallen und hob abwehrend die Arme:
„Wow wow! Mach mal halblang, du...Predator oder was du auch bist! Ich werde deinem Meister niemals irgendeinen Dienst erweisen, damit das klar ist! Lieber sterbe ich als mich mit eurer Spezies zu verbünden - aber wie ich sehe, habt ihr ja bereits Unschuldige als eure Marionetten!“
Der Parasit grummelte etwas Unverständliches, dann brüllte er.
„NIMM DAS SOFORT ZURÜCK, ERDLING! ICH WERDE DICH ALS ERSTES TÖTEN, DAMIT DER MEISTER ETWAS HAT, WORAUF ER SPUCKEN KANN - EURE ART HAT ES NICHT VERDIENT, ZU LEBEN!“
Er rollte sich zu einer Kugel zusammen und schoss, die Tentakel angriffsbereit, auf den Studenten zu. Der wich im selben Moment aus und stürmte zum Tor, das sich sogleich zischend öffnete. Hastig preschte Malik hindurch und konnte gerade noch den tödlichen Greifarmen entkommen, die sich ebenfalls durch das Tor schlängeln wollten und darin leider stecken blieben. Was folgte, war ein langgezogenes Kreischen, dann wurde es still.
Malik rannte und rannte, bis er das Ende des Waldes erreicht hatte und sich erschöpft auf den staubigen Boden plumpsen ließ. Seine Lungen brannten und seine Beine fühlten sich wie gelähmt an, er brauchte unbedingt etwas Schlaf nach der ganzen Aufregung.
Der blasse Mond schien zwischen den düsteren Wolken am Himmel hervor und warf sein Licht auf den Studenten, der geknickt und müde auf dem Flugplatz lag. Wahrscheinlich würde er hier sterben und niemand konnte ihm mehr helfen. Er war ein Niemand. Ein Niemand ohne Freunde, Familie und einem Zuhause.
Ein Outlaw. Ein Underdog.
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