XXII
Sterne tanzten vor Maliks Augen und er fühlte sich, als hätte man ihm ordentlich eine über gezogen. Mit einer Bratpfanne.
Der Typ vor ihm hatte die Faust geballt und wappnete sich davor, noch einmal zu zu schlagen. An seinen Fingern klebte Blut.
„Ey, ganz ruhig, okay? Ich tu dir nix, reg dich ab...wer bist du überhaupt?“, murmelte er und hob abwehrend die Arme. Sein Gegenüber beäugte ihn misstrauisch: „Erst will ich wissen, wer du bist! Warum versteckst du dich hier unten mit diesem...diesem Technik - Zeug? Warum hat mein Klon dich als Wirt benutzt...und warum siehst du aus wie ich?“
Malik steckte sich eine Zigarette an, ließ den Rauch als kleine Kringel durch die Luft wabern und warf den noch glühenden Stummel achtlos in die Ecke. Der Typ wurde langsam ungeduldig.
„Yo, Mann. Mach dich mal locker, okay? Ich werd's dir erklären, alles der Reihe nach! Nur so viel - ich bin angehender Wissenschaftler, weiß der Kuckuck und Malik Johnson. Freut mich sehr, Mister...“
Der Kerl vor ihm sah ihn immer noch mit bösem Blick an, dann entgegnete er: „Lee! Arya Lee! Solltest du mich auf den Arm nehmen, wird das hier sehr ungemütlich werden, klar?“
Malik hörte gar nicht mehr zu. Der Name des Fremden hallte in ihm nach wie ein Mantra, er konnte es nicht fassen. „B - Bist du etwa...bist du DER Arya Lee? Etwa der Superheld, der Ridercorp. zerschlagen hat? OMG, du warst überall in den Nachrichten, jeder wollte wissen, wer du bist - und jetzt stehst du vor mir! Ich glaub's nicht, das ist so krass...“
Arya hob eine Braue, konnte den Freudentanz von diesem Malik nicht nachvollziehen. Er beschloss, ihm etwas auf den Zahn zu fühlen.
Und noch ehe der Raucher wusste, was überhaupt geschah, hatte der Rider ihn mit einer flotten Handbewegung an die Wand befördert. Da hing er nun und kam nicht mehr von der Stelle, seine Beine baumelten knapp über dem Boden.
Arya verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte höhnisch: „Ich habe ein paar Fragen an dich, Malik Johnson! Und die wirst du mir beantworten, denn sonst...“, er ließ seine Fingerknöchel bedrohlich knacken, „...denn sonst mache ich kurzen Prozess mit so einem wie dir! Comprende?“
Der Student nickte hastig, er mochte es nicht, wenn man ihn einschüchterte. Vor allem nicht von einem Superhelden, den man wie einen Gott verehrte und dem man immer vertraut hatte... Zorn wuchs in ihm.
„LASS MICH RUNTER, SOFORT!“, keifte er und sah sich nach dem Messer um, was der Parasit bei seiner Austreibung fallen gelassen hatte. Er entdeckte es neben dem veralteten Computer auf dem Boden, scharf und glänzend. Er musste sich nur konzentrieren...
Ein leises Sirren ertönte, als die Waffe langsam von unsichtbarer Hand hoch schwebte und mit der Klinge voran auf den Rücken des Persers zu flog - der fuhr jedoch in letzter Sekunde herum und wich dem Stich aus.
„Beeindruckend!“, meinte Arya und hob das Messer auf, zerbrach es sauber in zwei Hälften. „Das sieht man nicht alle Tage, dass man einem Gleichgesinnten begegnet, Respekt! Aber nun sprich - du hast für Ridercorp. gearbeitet, oder? Was war deine Aufgabe dort, musstest du auch deine Leute töten? Und was verbirgst du hier unten?“
Malik knurrte: „Ich werde dir gar nichts sagen. Und nur damit du's weißt - es sind nicht meine Leute, ich wurde so geboren! Meine Eltern, besonders meine Mum, hielten mich für Abschaum und sie ist irgendwann zurück nach Chicago gegangen...ich hatte nur noch meinen Dad! Er hatte Angst, dass meine Kräfte sich weiter entwickeln würden, wenn ich nicht aufpasste, deshalb bin ich in seiner Obhut aufgewachsen. Ich hatte keine Freunde, in die Schule bin ich auch nicht gegangen...niemand hat mit mir geredet! Ich war eine Gefahr für alle, die sich mir näherten, das hat mich sehr traurig gemacht. Und als ich älter wurde, da...ich bin zu meiner Mum geflogen, um alles wieder gut zu machen, sie hat mich raus geschmissen! Für vier Monate habe ich auf der Straße gelebt, ganz allein, ohne jeglichen Kontakt - vier verdammte Monate! Und schließlich wurde ich von Ridercorp. rekrutiert, das ist alles!“
Er legte den Kopf schief. „Zufrieden? Und jetzt lass mich runter, sofort!“
Ganz im Gegenteil. Dieser Kerl war ja eine harte Nuss, schwer zu knacken und auch noch selbst mit Superkräften gesegnet. Wie wohl Alija darauf reagieren würde?
„Du hast mir längst nicht alles gesagt, was ich wissen wollte! Also - wenn du nicht redest, werde ich deinem Freund von deinen Fähigkeiten erzählen und für wen du gearbeitet hast! Sind wir uns einig?“
Malik schüttelte den Kopf, auf seiner Stirn pochte eine Ader. Er war eindeutig gestresst.
„Das...das kannst du nicht machen!“, stotterte er, er schwitzte richtig. „Ridercorp. hat mich nur als Buchhalter eingestellt, so konnten sie nichts von meinem Geheimnis erfahren. Ich bin nur ein einfacher Telekinet, nichts besonderes...doch irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Fähigkeiten verheerendes Chaos anrichten können. Ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis die Organisation dahinter kommen und mich töten würde, wie sie es mit den anderen auch getan hat. Eines Tages bin ich dann abgehauen und hierher nach Köln gezogen - mit dem Ziel, meine Kräfte für immer in den tiefsten Winkel meines Bewusstseins zu sperren. Das ist mir auch gelungen, aber als ich dann Alija getroffen habe, da - ach, ich will einfach nicht mehr darüber reden! Lass mich bitte!“
Er drehte sich weg, soweit es die Wand zu ließ und schmollte. Eine ganze Weile.
Irgendwann holte ich tief Luft und fragte: „Dein Dad ist tot, oder?“
Maliks Augen wurden groß, ungläubig starrte er mich an. „W - Woher weißt du...nimm das zurück!“
Die Ader an seiner Schläfe pulsierte nun so heftig, dass ich sie fast hören konnte und sein Gesicht verfärbte sich puterrot. Die Deckenlampe flackerte und die Liege, auf der mich mein Klon festgebunden hatte, schoss einmal quer durch den Raum - so viel zu Einfacher Telekinet.
Ich warf mich gerade noch zur Seite, bevor die Trage mit voller Wucht gegen die Wand krachte und dort einen Riss von der Größe einer Abrissbirne hinter ließ. So viel Wut auf diese Weise zu entladen - kam mir das nicht bekannt vor?
„HÖR AUF, MALIK!“, brüllte ich, während der Computer als zweites gegen die Wand geschleudert wurde und dort noch mehr Risse bildete. „HÖR AUF, DEINE KRÄFTE EINZUSETZEN, UM ANDEREN ZU SCHADEN. DU HAST SIE NICHT UNTER KONTROLLE, HÖR AUF MICH...ICH WEIß, WIE DAS IST, WENN MENSCHEN STERBEN, DIE DU LIEBST, MEHR ALS ALLES ANDERE! ICH WEIß, WELCHEN SCHMERZ MAN EMPFINDET, ICH WEIß, WIE WÜTEND MAN IST...MEINE ELTERN SIND AUCH TOT! UND WEIßT DU, WARUM?“
Der Student hielt inne, im selben Moment beförderte sich die Liege zurück an seinen Platz und auch der Computer wurde wieder dorthin gebracht, wo er hin gehörte. Das Pochen der Ader an seiner Stirn hatte nach gelassen.
Beschämt senkte er den Kopf, schniefte. Ich seufzte, spreizte die Finger und Malik plumpste unsanft zu Boden, rieb sich die vier Buchstaben.
Er rappelte sich auf wackeligen Beinen hoch, schenkte mir ein kleines Lächeln, was jedoch nicht seine Mundwinkel erreichte.
„Möchtest du was trinken?“, meinte Malik, als wäre überhaupt nichts gewesen und wies in den dunklen Flur, zu einer morschen Holztreppe. „Ich mach uns nen Tee, dann können wir uns in Ruhe unterhalten!“ Nichts lieber als das - wobei ich dringend eine Auszeit von meinem schweißtreibenden Doppelleben brauchte.
Aryas unerwartetes Verschwinden hatte mich auf eine Idee gebracht. Es war an der Zeit, Storm Boy ins Leben zu rufen - und dafür brauchte ich Ruhe. Und Konzentration. Schließlich sollte das Ergebnis perfekt aussehen.
Da ich nicht so viel Zeit damit vergeuden wollte, mir irgendetwas zusammen zu nähen, nahm ich mein Batman - Kostüm kurzerhand auseinander. Das Cape und die Maske brauchte ich nicht, allein den Brustpanzer konnte ich verwenden. Mit grellem Autolack sprühte ich das zukünftige Emblem meines Alter Egos - einen winzigen Tornado - auf die dunkle Panzerung und steckte es unter meinen dunklen Hoodie, dazu trug ich noch einen dunklen Mundschutz, der mein Gesicht bis auf die Augen verbergen würde. Meine Locken würde man ebenfalls nicht zu sehen kriegen. Und meine Hände verschwanden unter dunklen Fingerhandschuhen.
Als ich mich wenige Minuten später im Spiegel betrachtete, fühlte ich mich wie neu geboren. Ich sah zwar nicht so aus wie in den Filmen, aber wenigstens besser als gar nichts. Breit grinsend stellte ich mir Aryas Gesicht vor, wenn er erfahren würde, dass ich ihm die Schau stahl...das war mein geringstes Problem. Bald würde die Stadt einen neuen Retter haben!
Malik und ich saßen an einem hölzernen Tisch in seiner Küche, vor mir stand ein dampfender Becher mit lecker duftendem Tee. Wenige Minuten zuvor hatte er mir das schicke Penthouse gezeigt, wo er und Alija nun wohnten und beinahe wie Millionäre lebten. Und das, ohne etwas dafür zu tun - na ja, nicht ganz. Er hatte mir erklärt, dass diese protzigen Wolkenkratzer nur dann gebaut oder verkauft werden würden, wenn man Student war. Oder wenn man irgendetwas anderes Sinnvolles in seinem Lebenslauf vorzuweisen hatte.
Woran Malik genau im Keller arbeitete, war für mich immer noch ein Rätsel. Umso mehr faszinierte mich die Tatsache, dass er von Geburt an Fähigkeiten besaß, von denen andere nur träumen konnten. Dieses Phänomen war in der ganzen Geschichte der Besonderen mindestens ein oder zweimal vor gekommen. Aber wieso wollte er sich das nicht eingestehen?
„Dann schieß mal los!“, sagte ich nach einer Weile, deren drückende Stille die ganze Wohnung erfüllt hatte, sodass es mich wahnsinnig machte.
Malik rührte zögerlich in seiner Tasse, der silberne Löffel durchpflügte die dunkle Flüssigkeit geradezu. Vor. Zurück. Vor. Zurück.
Er holte ein vergilbtes Foto aus seiner Jackentasche und reichte es mir wortlos, darauf war ein Mann mittleren Alters zu sehen. Er lächelte sympathisch in die Kamera und hielt einen kleinen Jungen auf dem Arm, er musste etwa zehn sein.
„Dein Vater?“, fragte ich vorsichtig, um seine Kraft nicht noch einmal zu provozieren und beugte mich im Stuhl vor, er nickte. Tränen standen ihm in den Augen, er wischte sie hastig mit dem Ärmel seiner Jacke fort. Dann begann er zu erzählen:
„Es war ein ganz normaler Tag und ich spielte mit meiner neuen Drohne, die ich zum Geburtstag bekommen hatte. Damals war ich zwölf, als es passierte...mein Dad war auf Geschäftsreise für irgendeine Art von Organisation. Erst viel später habe ich erfahren, dass es Ridercorp. selbst gewesen ist, sie haben ihn gezwungen, für sie zu arbeiten. Und es war auch keine Geschäftsreise, sondern etwas viel Schlimmeres: Mein Vater gehörte zu den Truppen, die damals in Peru einmarschiert sind und die sagenumwobene Verlorene Stadt zerstört haben - mitsamt ihrer Bewohner. Er hatte keine Ahnung, in was er sich da rein bugsiert hatte und wie er da wieder unauffällig raus kommen sollte, er hatte panische Angst. Zum Glück waren jedoch seine Leidensgenossen zufällig von der Armee und führten ihn letztendlich zu einem Soldaten - Reservat, wo er den Hauptmann Jones kennen lernte. Der war total nett und bot meinem Dad einen Unterschlupf in seinem Lager an, den er auch sofort annahm.
Für fast vier Wochen, schon lange nachdem Ridercorp. erwartet hatte, dass die Truppe mit „Beute“ zurück kehrte, befand sich mein Vater immer noch bei Jones und seinen Gefolgsleuten. Er lebte ziemlich gut dort, obwohl ihm die sanitäre Situation und das Essen nicht gefiel - na ja. Jedenfalls schien es bald so, dass die Firma keinen Verdacht von dieser Aktion schöpfen und ihn vergessen würde...er hatte sich geirrt.“
Malik seufzte tief und zündete sich noch eine Kippe an, er hustete. Ich geriet ins Grübeln.
Also war Ridercorp. es schlussendlich gewesen, die die Verlorene Stadt zunichte gemacht hatte? Aber im Kodex hatte doch etwas völlig anderes gestanden...vielleicht würde ich die Lösung noch heraus finden.
Der Student trank einen Schluck von seinem Tee und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Er sah müde aus.
„Eines Tages erhielt mein Vater einen wütenden Anruf vom Geschäftsführer der Organisation - Mr. Nasty, ein ekelhafter Typ - wo zur Hölle er denn bleibe und ob er wenigstens Frischfleisch mitbringen würde. Natürlich musste Dad lügen, versprach aber, in die Rocky Mountains zurück zu kehren und ihm Bericht zu erstatten.
Der Schwindel hielt an, sodass er mit gutem Gewissen nach Hause zu mir kommen und Zeit mit seinem Sohn verbringen konnte. Alles war gut - bis diese eine Nacht kam.“
Er fuhr sich durch die Braids, bevor er mit der Zigarette im Mund fort fuhr - ich konnte jedoch hören, dass er diesen Teil sehr schwer verdaut hatte. Und noch immer verdauen würde, musste.
„Man hat ihn erschossen!“, murmelte Malik kaum hörbar und seine Stimme brach, er kämpfte dennoch. „Vor meinen Augen, sie haben einen Hitman auf ihn angesetzt, als Nasty die Wahrheit erfahren hat...er hat nicht lange gefackelt! Und dieses Schwein hat auch noch voll laut gelacht, während er Dad mindestens zwanzig Schüsse verpasst hat - ZWANZIG! Am Stück, ohne Pause! Ich war wie gelähmt, wusste, dass ich nichts tun konnte, selbst meine Fähigkeiten würden mich ebenfalls zur Zielscheibe machen. Ich kann mich noch genau an jedes Detail erinnern, ich kann kaum mehr schlafen...das viele Blut, der maskierte Typ mit der Knarre und meine Schreie...es war einfach grausam!“
Er verlor den Kampf, Weinkrämpfe schüttelten seinen zusammen gesackten Körper. Der Anblick schmerzte mich und ich ging um den Tisch herum, nahm ihn liebevoll in den Arm. Irgendwie sah es lustig aus, wie ich meinen - ausnahmsweise mal - netten Doppelgänger tröstete, doch so hart wollte ich nicht sein. Immerhin teilten wir fast dasselbe Schicksal.
Irgendwann löste er sich aus meiner Umklammerung und trocknete seine Tränen an seiner Jacke, zog geräuschvoll die Nase hoch.
Ich strich ihm noch etwas über den Rücken, bevor ich mich auch wieder hin setzte. Nachdenklich versenkte ich meinen Löffel in der Tasse und trank, die noch heiße Flüssigkeit verbrannte mir fast die Zunge.
Betretenes Schweigen erfüllte die kleine Küche, ich konnte Maliks Trauer echt verstehen. Die einzigen Menschen gewaltsam zu verlieren, die man liebte, war unfair. Vor allem, wenn man nichts dafür konnte.
Die eisige Stille wurde schließlich von meinem tiefen Atemzug durchbrochen. Ich trug dieses schreckliche Geheimnis jetzt schon viel zu lange mit mir herum und konnte es immer noch nicht glauben, dass ich das wirklich getan hatte. Jedes Mal hatte ich mir eingetrichtert, dass ich vielleicht gar nicht schuld war. Jedes Mal hatte mir mein Gewissen etwas ganz anderes verklickert: Du hast eindeutig den Verstand verloren!
Jedes Mal war ich schweißgebadet aus dem Schlaf hoch gefahren, nur um das verstörende Bild ihrer Leichen zu sehen...all das hätte einfach nicht passieren dürfen.
Ich packte den Griff der Tasse fester, senkte die Stimme zu einem Wispern: „Hey, ähm...das mit deinem Vater tut mir leid! Möchtest du wissen, wie meine Eltern gestorben sind?“
Der Student schaute auf, scheinbar hatte er es in seinem Wutausbruch nicht richtig vernommen.
Noch einmal holte ich tief Luft. Und ohne auf eine mögliche Antwort abzuwarten, erzählte ich es ihm.
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