XVI
„Das kann doch net wahr sein!“
Alija, eben noch friedlich auf seiner Matratze schlummernd, fuhr alarmiert hoch. Maliks Schrei war durch das ganze Gebäude, bis hinunter in den Keller geschallt und hatte ihn soeben ungewollt geweckt. Der Klon gähnte und streckte sich, um die Müdigkeit aus seinen Knochen zu vertreiben und stieg aus dem Bett. Seine nackten Füße tapsten über den dunklen Linoleumboden des Flurs, am Wohnzimmer vorbei in die Küche.
Malik lehnte am Herd und rührte in einem halbvollen Becher Kakao, seine Miene war jedoch alles andere als entspannt. Als er seinen Freund herein kommen sah, stellte er das dampfende Getränk hin und machte sich an der Kochplatte zu schaffen. Leider äußerst ungeschickt, denn bei den Pancakes vergaß er, die Taste für das Mehl zu drücken und das Sirup fehlte am Ende auch noch. Obwohl das Ergebnis nicht gerade lecker aussah, schlang es Alija wie der Blitz hinunter und rülpste danach kräftig - ihm schien wohl alles zu schmecken.
Ob er jemals aus ihm schlau werden würde?
Nachdem der Klon mit dem Essen fertig war, räumte Malik den Teller weg und rückte sich einen Stuhl zurecht. Sein Blick war derselbe.
„Oh Mann, hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass irgendetwas Wichtiges plötzlich verschwunden ist?“ Er fuhr sich durch die Haare, Alija schüttelte den Kopf. Natürlich wusste er, wovon Malik sprach, doch er wollte so tun, als wüsste er von nichts. Vielleicht konnte er dann sogar herausfinden, was sein Kommilitone unten im Keller versteckt hatte...
Der Raucher stand auf und lief hin und her, er war vollkommen durcheinander. Zu Recht. Oder auch nicht.
Schließlich blieb er stehen und zündete sich eine Kippe an - also hatte er gelogen, was das Aufhören anging. Alijas Augen verengten sich langsam zu Schlitzen.
Was mochte er wohl noch vor ihm verschweigen?
Malik stieß genüsslich den Rauch aus, hustete aber im nächsten Moment, doch er machte keine Anstalten, die Zigarette in den Müll zu werfen. Erst, als er den - sehr misstrauischen - Blick seines Freundes sah, wurde er bleich und drückte den Glimmstängel in der Spüle aus.
„Is ja gut, Alter! Nur bitte...starr mich nicht so an, als wäre ich ein Serienkiller oder so...“ Er versuchte, Alijas Miene auszuweichen, doch es fiel ihm schwer - kurz darauf gab er sich geschlagen. Nur, um das zu sagen, was der Klon so gar nicht gehofft hatte zu hören.
Malik setzte sich wieder hin und trank einen Schluck Kakao, der noch immer heiß war und ihm fast die Zunge verbrannte. Er spülte seinen Mund kurz mit kaltem Wasser aus und faltete die Hände.
„Weißt du, ich arbeite da an einer Sache...natürlich geheim, versteht sich...f - für die Uni...“
Er schwitzte richtig, so falsch waren seine Worte - doch Alija wollte erstmal abwarten. Einfach nichts anmerken lassen und das Spiel mitmachen!
Malik zog verlegen die Schultern hoch, merkte, dass er hier an jemanden geraten war, den man nicht belügen konnte. Na gut, womöglich sah jeder Blinde es sofort, dass er hier nicht weiterkam - jedenfalls nicht mit der Pinoccio - Masche. Wohl oder übel musste er reinen Wein einschenken...wenigstens, damit es einigermaßen glaubwürdig klang. Für den Rest würde ihm hoffentlich etwas einfallen.
Mit deutlich weniger Zittern in der Stimme fuhr er fort: „I - Ich fang anders an. Weißt du, was ein Turing - Test ist?“ Alija runzelte die Stirn, hakte aber nicht nach. Malik hingegen schüttelte nur den Kopf.
„Nein, nein...ach, es geht ganz ganz anders - also. Ich will versuchen, künstliche Intelligenz zu entwickeln, um darüber meine baldige Doktorarbeit in Informatik zu schreiben, weil...weil ich Wissenschaftler werden will, verstehst du?“
Er beugte sich quer über den Tisch, sodass Alija deutlich die pochende Ader an seinem Hals sehen konnte und lehnte sich ein Stück zurück. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen.
Malik war sprachlos. Gott, welcher Typ ging schon auf ne Uni und wusste eigentlich im Endeffekt gar nichts über den Lauf der Dinge? Welcher Idiot hatte sein Abitur, nur um...er hatte keine Ahnung. Oder war Alija sofort auf die Uni gewechselt? Er wusste es nicht - er wollte es auch nicht.
Just stay calm whatever happens. You can do it...just breath!
Er schloss kurz die Augen und massierte seine Schläfen, nach einer Weile ging es ihm besser.
Er musste klein anfangen. Ganz klein, wie ein Grundschullehrer. Wie sehr er das hasste...
„Also, ein Wissenschaftler ist jemand, der verschiedene...Experimente macht, um Rückschlüsse auf - na ja, den Menschen oder die Natur zu ziehen. Wie wir leben, wie wir uns verhalten, warum das alles hier existiert. Meist führt er auch Experimente an Menschen oder Tieren selbst durch, aber keinesfalls mit bösen Absichten...alles okay bei dir?“
Alija war blass geworden. Sehr blass. Allein die Worte Wissenschaftler und Experimente an Menschen hatten ihn plötzlich in seine Vergangenheit katapultiert, ohne Vorwarnung. Vor seinem inneren Auge erblickte er erneut die schrecklichen Bilder, die er eigentlich in den hintersten Winkel seines Bewusstseins gesperrt hatte - jetzt waren sie wieder an die Oberfläche getreten.
Ohne wirklich kontrollieren zu können, was er tat, gab er Malik eine saftige Ohrfeige und schob ruckartig seinen Stuhl zurück. Innerhalb weniger Sekunden war er aus dem Raum in sein Zimmer gestürzt und knallte die Tür mit voller Wucht zu. Heiße Tränen schossen ihm in die Augen und Alija warf sich schluchzend auf seine Matratze, vergrub sein Gesicht tief unter der Kapuze des Hoodies.
Er wusste, dass Malik es nur gut gemeint hatte, doch selbst das war zu viel gewesen.
Warum war er bloß so sensibel?
Er wollte einfach nicht mehr daran denken, als ihn sein verhasster Freund quer durch die dunklen Gassen Kölns gefolgt war und Alija selbst schreckliche Angst gehabt hatte... Er wollte einfach nicht mehr daran denken, als er hilflos mit angesehen hatte, wie Malik von dem Parasiten in Besitz genommen worden war... Wie er sich überall versteckt hatte, nur um seiner Vergangenheit zu entfliehen...
Er musste unbedingt mit ihm reden. Mit seinem Bruder.
Alija wischte sich die Tränen ab und holte sein Handy aus der Tasche seines Hoodies, wählte mit zitternden Fingern Jays Nummer. Das vertraute Piepen ertönte, einmal, zweimal, dreimal. Beim fünften Mal klang Jays heitere Stimme aus dem Telefon - der Anrufbeantworter.
„Yo, this is Jay Sam speaking...sorry, I'm busy right now - but you can leave a message right here! Or you can't cause maybe you also have some other things to do like me...ah, shit! The...the thing is - just leave it here, okay? Thanks, bye!
Alija überlegte, ob er ihm eine Nachricht hinterlassen sollte oder nicht. Alles, was er wollte, war, Jay so bald wie möglich wieder zu sehen. Also atmete er tief durch und hielt sich das Handy ans Ohr. Er hatte es eben nur auf laut gestellt.
„H - Hallo Jay, hier ist Alija...ich...ich will dich gerne noch mal besuchen, aber ich habe keine Ahnung. Weißt du, ich vermisse dich echt, wirklich - und ohne dich fühl ich mich so leer. Klar, Malik ist auch noch da, aber mit dir ist es was ganz anderes. Ich wünschte, wir sehen uns bald wieder! Pass...pass auf dich auf, okay?“
Er legte auf und sank zurück auf die Matratze. Doch er ahnte ja nicht, was sein Bruder gerade machte...
„Hey Leute und willkommen bei der Benny - Show, hier auf JAM FM! Heute habe ich einen ganz besonderen Gast, der coole, der eine, der einzigartige...Trommelwirbel bitte...JAY SAMUELZ!“ Der Moderator schrie sich fast die Seele aus dem Leib, doch ich tat ganz entspannt. Nachdem um circa 14 Uhr die Tür hinter Arya ins Schloss gefallen war, zog ich mich rasch um und saß wenige Minuten später hier im Studio. Ich trug meine dunkle College - Jacke und die FAZ - Kette um den Hals, meine Locken waren so wie immer. Ich mochte dieses Outfit mehr als alles andere, sowohl auf der Bühne als auch im Alltag...wenn man von meinem geheimen Doppelleben absah.
Inzwischen hatte sich Benny zum Glück wieder beruhigt und begann mit dem Interview: „Also Jay - kürzlich hast du ja mit Julien Bam nen richtig freshen Track produziert und auf den Videodays raus gehauen! Sag mal, gab es irgendeine Inspiration für den Song oder hatte da nur Ju seine Finger im Spiel, was meinst du?“
Schon bei der ersten Frage geriet ich leicht ins Schwitzen, versuchte mir dennoch, nichts anmerken zu lassen. Mein einziger Vorteil war, dass Benny und unsere Community absolut keine Ahnung hatten, wie es wirklich um uns drei stand. Oder um uns vier, wenn man Joon mit zählte...
Es sei denn, unsere neuen, noch im Schatten wandelnden Feinde würden sich diese Sachen zunutze machen, um uns irgendwie zu vernichten. Ich musste vorsichtig sein - und vor allem wachsam.
Wer wusste schon, ob das vor mir wirklich der DJ von meinem Lieblings - Radio war...
So normal wie möglich antwortete ich.
„Ich denke, als Inspiration haben uns immer noch die Fans gedient. Weißt du, tagaus tagein den ganzen Support einer riesigen Gemeinschaft zu genießen, die deinen Content feiern - das ist echt das Größte! Und andererseits...an dieser Stelle würde ich gerne meine Jungs von FAZ grüßen, Shoutout an euch...“, ich reckte meinen erhobenen Daumen in die Höhe und wackelte mit der Kette, „...andererseits tut es gut, mal wieder nach gefühlt tausend Jahren zurück auf der Bühne zu stehen. Wer weiß, ob das irgendwann noch geht, wenn du älter und älter wirst...aber egal. Es ist einfach krass, ich freu mich jedes Mal!“
Benny hörte aufmerksam zu, nickte. Dann stellte er die zweite Frage:
„Wie war es für dich, als du - wir alle - erfahren mussten, dass Julien Bam gestorben ist? Wie...wie hast du dich gefühlt, so einen jungen Menschen verloren zu haben, mit dem du kurz zuvor noch Musik gemacht hast?“
Meine Stimme klang belegt, doch ich reagierte ebenfalls so normal, wie es nur ging. Die Wahrheit wusste niemand. Nur Arya und ich.
„Zuerst war ich natürlich geschockt, klar...aber das Leben muss weiter gehen. Julien war eine Person, die - wie soll ich sagen - dafür gelebt hat, mit den Dingen zu spielen. Er hat sich seine kleine Welt aufgebaut, alles nur mithilfe seiner grenzenlosen Fantasie...er hat stets an die Grenzen außerhalb der Realität geglaubt. Verstehst du, solange ich ihn kenne, hat er nie irgendetwas in Frage gestellt, was er nicht wusste, er hat sich stets von dem leiten lassen, was er besaß. Seine Freunde, seine Familie - alle haben ihn unterstützt, für das, was er jeden Tag erschaffen hat. Für seine kleine Welt dort draußen. Und ich finde, absolut jeder sollte seine Träume voll und ganz ausleben können, egal wo man herkommt oder wie banal diese Wünsche auch sein mögen! Glaubt an euch, Leute und wenn ihr Julien genauso gern gehabt habt wie ich - schaut dennoch nach vorne!“
Ich wischte mir über die Augen, nach einer Weile ging es wieder.
Der Moderator schwieg, als ob er seine persönliche Schweigeminute abhalten würde und wandte sich zum Mikro.
„Danke für diese lockeren Worte, auch wenn sie dir bestimmt nicht leicht gefallen sind...und jetzt exklusiv für euch spiele ich nun den Song, den unseren allseits beliebten Youtuber wortwörtlich unsterblich machen wird - hier ist Infinity!“
Benny drückte ein paar Knöpfe und sofort dudelten die ersten Takte des Liedes durch den Raum, als würde Julien direkt neben mir sitzen. Unwillkürlich musste ich blinzeln, denn für einen kurzen Augenblick schien es, dass ich nicht alleine hier im Studio hockte. Nein - ich bildete mir das nicht ein, Julien befand sich wirklich neben mir.
Wie konnte das sein?
Sein Körper schimmerte an den Rändern und sein blasses Gesicht war nicht mehr länger von der blutigen Platzwunde an der Stirn entstellt. Auch sonst wirkte er...glücklich. Ich lugte hinüber zu Benny, der jedoch die Augen geschlossen und sich der Melodie des Songs vollends hingegeben zu haben schien. Er konnte Julien nicht sehen - wie auch? Nur - warum konnte ich es dann? Oh Mann, noch mehr Geheimnisse...
„Jay!“, fing der Geist plötzlich zu reden an, sein Tonfall war heiser und nicht mehr mit dem zu vergleichen, der er vorher einmal gewesen war. „Ich bin entsandt worden, von weit her, um dir und Arya etwas äußerst Wichtiges mitzuteilen. Es steht mehr in der Prophezeiung, als ihr euch vorstellen könnt, der Sturm ist nicht nur irgendetwas. Es ist nicht nur irgendein Sturm, Jay - euer schlimmster Feind wird zurück kehren. Und mit ihm wird alles Leben, wird die ganze Erde ausgelöscht werden, wenn ihr nicht handelt...willst du das?“
Ich schielte immer noch zu Benny herüber, der immer noch nicht aus seiner Trance erwacht zu sein schien, solange der Song lief. Seine Lider flatterten ein wenig und ein kleines Lächeln huschte über seine Mundwinkel. Doch er merkte nicht, was um ihn herum passierte.
Es war besser so.
Ich schüttelte hastig den Kopf - einerseits war ich zu verblüfft, dass ich gerade einen Geist sehen konnte und andererseits wie gelähmt, weil der Song gleich zu Ende sein würde.
„Aber warum...warum kann nur ich dich sehen? Und wieso...weißt du etwas über Mama Jus Verschwinden? Wer ist unser größter Feind, sag es mir bitte!“, flehte ich und packte Julien an den Schultern, meine Hand glitt nicht durch ihn hindurch wie es eigentlich sein sollte.
Mein toter Kumpel seufzte und zog die Stirn kraus, als wolle er versuchen, etwas Schmerzhaftes aus seinem vergangenen Leben zu verdrängen.
„Oh Jay. Es existiert mehr in der Welt, als du dir vorstellen kannst. Euer größter Feind war eigentlich schon längst für tot erklärt, aber er ist wieder geboren worden - in der Gestalt eines Parasiten. Niemand weiß, woher er seine Kräfte bezieht, doch er wird vor nichts zurück schrecken, um seinen Erzrivalen endgültig ans Messer zu liefern - und mit ihm alle, die er liebt. Er wird eine gewaltige Armee um sich scharen, eine Armee, die noch größer und furchteinflößender ist als in deinen schlimmsten Alpträumen...und diese Armee wird er schon sehr bald auf die Menschheit loslassen! Das ist der Sturm, den es zu bezwingen gilt, Jay Samuelz...ich weiß, dass du allein zu etwas bestimmt bist, wovon die wenigsten eine Ahnung haben. Denn solange du nicht lernst, mit deiner Angst im Herzen klar zu kommen, wird der Sturm verheerend sein und alles vernichten, was dir wichtig ist.“
Julien zögerte, begann im nächsten Moment zu verblassen. Seine ruhige Stimme sandte mir einen eisigen Hauch über den Nacken.
„Ich bedaure, dass ich dir deine restlichen Fragen nicht beantworten kann, aber ich bin mir sicher, dass die Lösung für deine Probleme ganz klar auf der Hand liegen wird. Leb wohl, Jay - und werde der tapfere Kämpfer, den man in dir sehen will!“
Kaum war er fort und mit ihm das Lied aus, schlug Benny die Augen auf. Kurz glaubte ich, einen bösartigen Ausdruck über sein Gesicht huschen zu sehen, doch im selben Augenblick verflog es. Das Interview konnte weiter gehen.
Das einst stolze Villenviertel Kölns entpuppte sich als ein Labyrinth aus verschlungenen Gassen und Kreuzungen. Ich verlief mich mindestens viermal und hatte nach wenigen Minuten schon die Hoffnung aufgegeben, da entdeckte ich die Wohnung. Versteckt zwischen zwei Häuserreihen mit bereits bröckelnder Klinkerfassade war ein schmaler Durchgang geschaffen worden, der zu einer hölzernen Tür führte. Reinzukommen war kein Problem, denn als ich meine Hand auf das morsche Holz legte, brannte meine bloße Berührung ein Loch hinein. Ziemlich praktisch...
Drinnen sah es aus, als hätte ein Orkan gewütet - das halbe Wohnzimmer glich einem Schlachtfeld. Der gläserne Tisch, worauf die Seherin immer ihre Tränke und Salben zum Kauf anbot, war in der Mitte zerbrochen und die Ware auf dem staubigen Teppichboden verteilt. Ein modriger Geruch hing in der abgestandenen Luft und die feinen Staubpartikel hatten sich auf den Schränken, dem Fernsehapparat und in der kleinen Küche niedergelassen. Ich bemühte mich, kein Geräusch zu verursachen und stieg vorsichtig über zersplitterte Vasen und achtlos herum liegende, zerfledderte Bücher zu Mama Jus „Arbeitszimmer“. Hier war ebenfalls alles verwüstet und auch der faulige Geruch wurde nur noch schlimmer. Und es war stockfinster.
Ich drehte meine geöffnete Handfläche nach oben und rief mein Element, sofort wurde eine kleine Flamme sichtbar. Die vertraute Kristallkugel lag auf einem roten Samtkissen, woraus die Füllung quoll und das funkelnde Glas war von der vielen Nutzung schon ganz matt.
Ich konnte ja mal nachsehen, ob Jay wirklich noch bei JAM FM saß und sein Interview gab...
Doch gerade, als ich den Spruch für die Aktivierung der Kugel flüstern wollte, wurde ich ohne Vorwarnung zu Boden gerissen und knallte gegen einen Schirmständer. Reflexartig schoss ich eine gewaltige Feuersäule auf meinen unsichtbaren Angreifer ab und ein gellender Schrei ertönte - ich hatte etwas getroffen. Oder jemanden.
Vor mir in der Dunkelheit schwebte eine formlose, schleimige Gestalt, ihre langen Greifarme zuckten wild hin und her. Sie versuchte, mich zu packen und schlang ihre Tentakel um mein Bein, doch ich war schneller. Blitzschnell griff ich nach dem Schirmständer und rammte ihn der Kreatur in die Brust...oder vielmehr dort, wo ich irgendetwas körperliches vermutete. Das machte sie nur noch wütender, denn jetzt riss der Parasit sein Maul auf und entblößte zwei Reihen nadelspitzer Zähne, von denen bereits Geifer tropfte. Sein ohrenbetäubendes Brüllen ließ die gesamte Wohnung erzittern und ich hörte noch mehr kostbare Sachen zu Bruch gehen - das würde der Seherin gar nicht gefallen, sollte sie wieder auftauchen.
Ich musste dem Wesen Einhalt gebieten, bevor es noch mehr zerstören konnte.
Zeit für mein nächstes Ass.
Der Parasit schnaubte mittlerweile vor Wut und seine langen Greifarme streckten sich bedrohlich nach mir aus. Ich wartete, bis sie nah genug waren und formte die nächste Flamme in meiner Hand zu einem lodernden Schwert - wie bei Doctor Strange. Dann ließ ich die Waffe in ruckartigen Bewegungen herum schnellen und hackte zwei der Tentakel vom Rumpf ab, was der Kreatur noch mehr Schmerzensschreie entlockte. Ihre übrigen Fühler zogen sich zurück und sie schien aufzugeben, ich grinste höhnisch.
Ich baute mich vor dem körperlosen Etwas auf und zischte:
„Welchem Herrn dienst du?“
Der Parasit leckte seine Wunden provisorisch ab, sah mich verwirrt aus - keine Ahnung, wo die bei ihm lagen - irgendwelchen Pupillen an und lachte schallend. Nein, es war kein Lachen, eher war das ein bizarres Hühnergackern - von einem Tier, was eindeutig die Konsistenz eines Wurms hatte.
Ich verstand jedoch keinen Spaß und krallte meine Finger in seine schleimige Substanz, welche dunkle Flecken auf meiner blassen Haut hinterließ. Ekelhaft.
„Hör zu, du...Ding!“, knurrte ich und mit meiner anderen freien Hand spielte ich mit meiner Elementenmagie, der grelle Widerschein des Feuers spiegelte sich in meinen Augen.
Was denn, noch nie etwas von Machtrausch gehört? In solchen Situationen war man überhaupt nicht sicher. Glaubt mir, ich spreche aus Erfahrung - und das nicht gerade immer nur positiv.
„Ich hab dir eine Frage gestellt und die möchte ich beantwortet haben, kapiert? Also: Welchem - Herrn - dienst - du?“
Zur Verstärkung meiner Worte, dass ich es auch wirklich ernst meinte, hielt ich ihm den aus purem Feuer bestehenden Dolch dorthin, wo seine Kehle sitzen müsste. „Ich warte...oder willst du in noch kleinere Einzelteile zerlegt werden?“
Das zeigte Wirkung. Der Parasit schmollte eine Weile und fauchte:
„Seid ihr Rider denn etwa schon so alt, dass ihr so geschwollen mit uns reden müsst? Ach und um deine Frage zu beantworten - mein sogenannter HERR ist keiner von der harmlosen Sorte, nur damit du's weißt...mit Typen wie dir macht er kurzen Prozess!“
Ich legte den Kopf schief und funkelte die Kreatur prüfend an, solche Wesen konnten lügen wie gedruckt. „Was meinst du mit kurzem Prozess, hm? Sag, WER ist dein Herr - und gibt es dort draußen noch mehr von dir?“ Ich presste ihm das Schwert härter an die Kehle, dunkles Sekret rann über seinen Körper. Jeder Fluchtversuch war zwecklos.
Der Parasit zuckte und wand sich in meinem Griff, doch schließlich erschlaffte er. Seine übrigen Tentakel hoben sich abwehrend in die Luft.
„Ich...ich weiß nur, was mir mein Herr sagt. Er - er ist kein Mann vieler Worte und hat schon viele, die ihm schaden wollten, gnadenlos beseitigt...m - man könnte meinen, er ist ein Gott! Ein Gott, der sein Tun und Handeln einzig den Superhelden zuschreiben und sie dafür töten will...sieh dich also vor, Erster!“
Ich wurde kreidebleich. Irgendwo hatte ich diese Worte schon einmal gehört, irgendwo in einem Traum...
Nein, nein, nein!
„Sag mir, dass du lügst!“, keifte ich, während ich den Parasiten unsanft gegen die Wand drückte. „Sag es, bitte...“ Ich flehte beinahe. Ich konnte nicht fassen, was man mir soeben offenbart hatte. Ich wusste, wer den Sturm verursachen und Jay und mich auf dem Gewissen haben würde.
Ich wusste, wer der Feind war.
Meine Unachtsamkeit schien dem Parasiten zu nützen, denn er riss mit einem seiner Fangarme meinen Arm hoch und rammte mir das flammende Schwert mit voller Wucht zwischen die Rippen. Ich geriet ins Taumeln und berührte mein Hemd, dessen Stoff sich jetzt rot verfärbte, blickte hasserfüllt die formlose Kreatur an.
„Was...was hast du getan?“, keuchte ich mit letzter Kraft, bevor alles um mich herum schwarz wurde. Das gackernde Lachen des Parasiten war das Letzte, was ich noch hörte - dann schwanden mir endgültig die Sinne.
Unser Gespräch verlief soweit gut und ich lehnte mich entspannt in meinem Stuhl zurück - da hörte ich es. Benny konnte es natürlich nicht vernehmen, weil sein Gehör eher den normalen Geräuschpegel aushalten konnte. Doch Arya hatte mir neulich erzählt, dass Rider ein verbessertes Empfinden hatten, was akustische Wahrnehmung anging...komplizierte Wortwahl, ich weiß. Besser bekannt als der Spinnensinn oder die Ohren eines Vampirs. Jedenfalls bedeutete das nichts Gutes.
Draußen ertönte ein ohrenbetäubender Knall und verzweifelte Schreie, gemischt mit einem unmenschlichen Fauchen, drangen an mein Ohr. Ich wurde gebraucht - mir doch egal, was mein Bro dachte.
Natürlich konnte ich nicht einfach so die Fliege machen. Deshalb sagte ich nur: „Ähm, Benny...wo ist hier die Toilette?“
Wenige Minuten später war ich aus dem Gebäude hinaus gestürmt und stand nun auf dem Vorplatz, wo einige Autos der umliegenden Büros parkten. Ich war schon oft hier vorbei gekommen und hatte jedes Mal die protzigen, aufgemotzten Karren der Firmenchefs beneidet - die jetzt allesamt zu Staub zermalmt wurden.
Die Szenerie erinnerte mich etwas an Sharknado - nur, dass es keine Haie waren, die vom Himmel fielen und die Autos unter knirschendem Metall in ihre Einzelteile zerlegten. Und vom Himmel fallen war auch nicht die richtige Bezeichnung für das Chaos, was vor mir lag.
Hastig schaute ich mich um, konnte Arya jedoch nirgends entdecken.
So viel zum Thema: Ich regle das...
Wohl oder übel musste ich eingreifen!
Gerade wollte ich mich in Bewegung setzen, als ein langer, gezackter Greifarm aus dem Trümmerhaufen hervor schnellte und mich quer durch die Luft schleuderte. Shit...
In dem Moment, wo ich eigentlich gegen eine vergilbte Plakatwand krachen sollte, fing ich mich wieder und flog steil nach unten. Der Tentakel hatte sich wieder zurück gezogen, doch ich wusste, dass er nur auf den passenden Überraschungsmoment wartete, um erneut anzugreifen. Gleichzeitig hatte sich unter meinen Füßen eine riesige Menschenmenge versammelt, die neugierig und mit gezückten Handykameras zu mir hoch gafften.
Was glaubten die, hier zu sehen? Das hier war gefährlich, ich wusste nicht, was das für ein Ding war und...
Immer diese Fans!
„VERSCHWINDEN SIE!“, rief ich, doch die Schaulustigen rückten noch enger zusammen. Auch ein paar Kinder konnte ich entdecken. „HIER IST ES NICHT SICHER, SIE MÜSSEN...“
Ohne Vorwarnung schoss der stachlige Greifarm zum zweiten Mal aus dem Nichts empor und verfehlte mich um Haaresbreite, ein Raunen ging durch die Menge. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und segelte in die zerstörten, rauchenden Wracks der Autos hinein, schob hier und da was beiseite. Wenn ich wirklich wissen wollte, was mich attackierte, musste ich erst heraus finden, woher es seine Macht bezog.
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