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Das Haus lebte. Dessen war Alija sich sicher.
Er lag auf der schmuddeligen Matratze seines Bettes im zweiten Stock und versuchte, einzuschlafen. Vergeblich.
Er wälzte sich hin und her, das ständige Tropfen von Wasser drang an seine Ohren. Irgendwo in diesem einstigen, riesigen Bürogebäude musste ein Rohr undicht sein und das schon seit einer Woche, gar mehr. Jedenfalls hatte sich der Klempner noch nicht darum bemüht und dass es Malik selbst machte, konnte sich Alija kaum vorstellen.
Sein Kumpel verhielt sich eh ziemlich seltsam, was sich seit dem Frühstück nicht gebessert hatte. Den ganzen Morgen und Nachmittag verschanzte sich der sonst so unerschrockene Student in seinem Schlafzimmer und kam nicht mehr heraus, selbst zum Abend hin nicht mehr. Oft hatte Alija durchs Schlüsselloch geschaut, doch er hatte nicht richtig erkennen können, was Malik tat. „Mathe - Klausur, nix weiter. Keene Sorgen, okay?“, hatte er nur auf seine Frage gemeint und zur Verstärkung das Buch unter seinem Arm gezeigt. „Muss noch lernen, nix gegen dich!“ Dann hatte er ihm die Tür vor der Nase zu geknallt, doch bei seinen Worten glaubte der Klon, ein leichtes Zittern in seiner Stimme zu hören.
Der Tag zog sich in die Länge, die Stunden wollten einfach nicht vergehen. Die Zeit floss träge dahin, verwandelte sich in einen zähen Brei aus Minuten, Sekunden. Die einfach nicht vergehen wollten.
Alija war lustlos durch die Wohnung getigert, hatte versucht, bei Vincent anzurufen. Doch der war anscheinend schwer beschäftigt, da die Verbindung kurzerhand abgebrochen war und die sonore, weibliche Roboter - Stimme verkündet hatte: „ Der Gesprächspartner ist momentan nicht erreichbar, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht...“ Woraufhin Alija schweren Herzens aufgelegt und sich zurück in sein Schlafzimmer geschleppt hatte. Warum siezte ihn ein Telefon, wenn es doch auch nur eine Maschine war? Und - was war er dann?
Es war nicht das erste Mal, dass er seine Existenz in Frage zu stellen begann. In der Vergangenheit war er mit schrecklichen Dingen konfrontiert worden, die er einfach nur vergessen wollte. Er wollte sich anpassen, ein richtiger Mensch werden. Nur wie ging das, wenn man ein Leben in Gefangenschaft verbracht hatte und sich alles wiederholte?
Tagsüber konnte Alija sich frei bewegen, da war alles gut. Er konnte durch ganz Köln streifen, mal mit Malik im Schlepptau oder einfach alleine. Er konnte alles machen, was er wollte, ganz ungebunden.
Doch nachts änderte sich alles. Es war bis jetzt immer dasselbe gewesen, Punkt 20 Uhr aktivierte sich der automatische Mechanismus der Rolladen an Alijas Fenster und nahm ihm die Sicht auf die nächtliche Stadt. Und bis zum nächsten Morgen waren sie nicht mehr zu öffnen.
Zuerst hatte er gedacht, es wäre ein kleiner Fehler von den Bauarbeiten gewesen, doch nach und nach wurde es ihm klar: Malik hatte diese Funktion programmiert, damit Alija nicht mehr fliehen konnte! Nur warum? Warum sollte Malik so etwas tun? Oder er war gezwungen worden...
Gerade gab es so oder so nichts Spannendes draußen zu sehen, der blasse Vollmond leuchtete nur einen Spaltbreit in das stockfinstere Zimmer. Im ganzen Gebäude war es totenstill, bis auf das Tropfen des kaputten Wasserrohres. Es war bereits Mitternacht, das ferne Läuten der Turmuhr bestätigte dies.
Alija konnte immer noch nicht schlafen, zum Kuckuck! Sein Gedächtnis ratterte unaufhörlich vor sich hin, an Schlaf war nicht zu denken. Das Bett knarzte protestierend, während er sich langsam aufrichtete und die kleine Lampe auf dem Nachttisch an knipste. Wenigstens etwas.
Seine silbrigen Locken fielen ihm wirr ins müde, blutunterlaufene Gesicht und er schob sich die Kapuze herunter. Er hatte noch nie etwas anderes getragen als diesen schwarzen Hoodie, stets die Kapuze tief im Gesicht. Selbst als Malik ihm angeboten hatte, ihm ein paar seiner eigenen Klamotten zu leihen, hatte er dankend verweigert. Nicht, dass er dieses Teil nicht wusch oder so - es definierte irgendwie seinen Geschmack. Er fühlte sich...komplett. Sein Außenseiter - Image war perfekt.
Was Jay wohl gerade tut?, schoss es ihm durch den Kopf, in letzter Zeit hatte er nicht einen Gedanken an seinen Bruder verschwendet. Irgendwie tat es ihm leid, da der Amerikaner doch bestimmt hören konnte, was seine Gedanken überhaupt waren...
Jay Samuelz, sein bester Freund war Arya Lee. Zusammen retteten sie die Welt und nahmen gleichzeitig noch für ihren Film Geek - Channel auf. Ziemlich krass...und er selbst wollte unbedingt dabei sein.
Alija seufzte und schnappte sich sein Handy, öffnete das Holo - Netzwerk. Tatsächlich - Jay und Arya hatten ein neues Video hoch geladen!
„Ey yo, was geht ab Leute...“, begrüßte der Perser die Aufnahme und gab sofort an seinen Bro weiter, der verschmitzt in die Kamera lächelte: „Willkommen zu einer weiteren Folge von...FILM GEEK! Wie ihr wahrscheinlich schon am Titel des Videos erraten konntet, geht es mal wieder um Fehler in Serien...“
Jay plapperte munter drauflos, unterstrich seine Worte mit flotten Gesten, die äußerst ulkig aussahen. Ob er das damals in der Schule genauso gelernt hatte?
Eins war sicher: Jay war der beste Bruder, den man sich vorstellen konnte. Und nichts konnte einen Keil dazwischen treiben, weder Malik noch sonst wer. Über diese Eingebung fielen ihm dann endlich die Augen zu.
Vince befand sich gerade in seinem Studio, als sich der bekannte, stechende Schmerz in seinen Gedanken breit machte. Nur diesmal stärker, wie als ob jemand...das konnte nicht sein. Irgendetwas war passiert - und das bedeutete nichts Gutes. Ob Alija schon Jay und Arya kontaktiert hatte? Wenn nicht, musste er es eben übernehmen. Er stand kurzentschlossen auf und kniff die Augen zusammen, sprach die lateinischen Worte für die Teleportation. Einen Lidschlag später war niemand mehr im Zimmer - und Joon fragte sich, ob er das alles Bisherige vielleicht nur geträumt hatte. Immer war er derjenige, der zum Narren gehalten wurde. Doch dem würde er ein für alle Mal ein Ende bereiten. Er war schließlich ein Rider - oder etwa nicht?
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