XII
Unter dem Vorwand „Ich muss noch packen“, war Ju kurzerhand nach Köln abgedüst und ließ mich in der Wohnung allein zurück. Kopfschüttelnd saß ich nun da, das war schließlich keine Ferienreise. Übers Internet hatte ich erfahren, dass der geheime Hauptsitz unserer Widersacher irgendwo in den Rocky Mountains lag. Bis die uns also fanden, würden wir wahrscheinlich längst über alle Berge sein. Andererseits...hatten sich jetzt erst Jays Kräfte aktiviert, ohne dass ich davon etwas gewusst hatte? Wenn es so war, war ich echt ziemlich dumm gewesen, aber er konnte mir ja alles noch haarklein erzählen - falls wir ihn retten konnten, ohne uns alle zur Zielscheibe zu machen... „Da bin ich wieder!", rief Ju und streckte den Kopf ins Wohnzimmer, er hatte sich lediglich nur umgezogen. „Von mir aus kann's losgehen!" Ich legte noch schnell mein Stirnband aus Mr. Robot Exe an, dann trat ich mit ihm nach draußen, wo uns ein Hubschrauber erwartete. „Hab ihn mir von meinem Dad geliehen, der steht auf so was!", zwinkerte Ju mir zu. „Bei der normalen Flugroute wäre es anstrengender, du weißt ja...ist übrigens voll getankt!" Grinsend kletterte ich ins Cockpit: „Gute Wahl, Homie! Schnall dich gut an, ich hab nämlich KEINE AHNUNG, wie man dieses Ding steuert...Hauptsache, wir sind erfolgreich!"
Meine Flucht war gescheitert. Dies wurde mir erst dann klar, als ich wieder zu mir kam und mich im selben Raum befand. Der eklige Kerl war zwar verschwunden, dennoch hing der Gestank immer noch in der Luft und die Deckenlampe funktionierte wieder. Obwohl diesmal niemand im Zimmer zu sein schien, spürte ich stechende Blicke im Rücken und eine Gänsehaut überzog meinen Nacken. „Hallo?", rief ich ins Halbdunkel hinein und drehte, soweit es die Fesseln zuließen, mich nach allen Seiten um. Wie zur Antwort ertönte ein Rascheln und eine Gestalt trat vor mich, in ihrer Hand die blitzende Klinge eines Messers. „Schön, dass wir uns endlich auch mal begegnen, Rider!", wisperte sie und fixierte mich mit ihrem kalten Blick, der unter der Kapuze ihres Hoodies hervor lugte. „Dachtest du, es wäre so einfach, uns zu entkommen?" Irgendetwas in ihrem Tonfall kam mir seltsam vertraut vor... Ich erwiderte mit zittriger Stimme: „W - Wer bist du, w - willst du mich auch umbringen?" Die Gestalt drehte den todbringenden Gegenstand gelangweilt in ihrer Hand, wahrscheinlich schätzte sie schon den perfekten Moment ab. „Oh nein, ich werde dich nicht töten, mein Boss will es vorerst so...ich werde dich nur etwas foltern, sehr langsam und sehr qualvoll..." Wie war das mit „noch keinen einzigen Film mit Superhelden gesehen"? Der Typ weiß, wovon er redet..., schaltete sich mein Gewissen wieder ein, allmählich wurde es mir zu bunt. „...doch zuerst müssen wir uns näher kennen lernen, findest du nicht?" Und mit diesen Worten schlug er die Kapuze zurück, mir stockte der Atem. Das konnte nicht sein...
Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich auf die exakte Kopie meiner Selbst, bis auf die blasse Visage und die etwas gräulichen Haare war alles identisch. „Überrascht?", meinte der Klon und ritzte mich in den Arm, ich zuckte zusammen. „Wenn ich erstmal mit dir fertig bin, knöpfe ich mir deine Kollegen vor und dann gibt es absolut nichts, was uns noch aufhalten kann..." Ich versuchte, meine Kräfte auf den Plan zu rufen, es klappte nicht - jedoch reichte es, um das Seil zu versengen. Währenddessen redete er unbeirrt weiter: „Weißt du, warum kommst du nicht auf meine Seite? Wir sind...so gesehen, Brüder, also warum nicht zu zweit Chaos verbreiten? Seit meine mickrigen Freunde gestorben sind, habe ich niemanden mehr, ich brauche auch niemanden! Ach ja und das Beste habe ich dir noch gar nicht erzählt: Nachdem das hier beendet ist, wird dein Kollege auch das Zeitliche segnen müssen..." Schlagartig erinnerte ich mich an die erste Vorhersage, eine unbändige Wut wallte in mir auf...und ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich mich befreit und meinem Doppelgänger einen gehörigen Schlag in den Magen verpasst. Überrumpelt ließ er das Messer fallen und ich drückte es ihm an die Kehle, bereit zum Zustoßen. „WAS PASSIERT MIT IHM, SAG ES MIR!", schrie ich und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an. „WAS VERBIRGT ER NOCH VOR MIR?" Er hob abwehrend die Arme: „Chill mal, es ist nichts Ernstes...oder vielleicht doch, ich bin nicht allwissend!" Ich packte ihn nur noch fester, am liebsten wollte ich diesen Fiesling tot sehen. „WAS MEINST DU DAMIT, DU MUSST ES MIR SAGEN, VIELLEICHT KANN ICH IHM HELFEN...", rief ich, die schrecklichsten Vorstellungen keimten in mir auf. Der Klon zuckte die Achseln und befreite sich aus meinem Griff: „Da gibt's nichts zu erklären, er weiß es selber...jedes Kind weiß, dass ein Rider irgendwann den Tod als endgültigen Preis wählen wird!"
Es dauerte nicht lange, da hatten wir die Lichter Berlin hinter uns gelassen. Ich steuerte den Hubi etwas wacklig, aber sonst lernte ich schnell. Bald wichen die Wolkenkratzer endlosen Meeren und in der Ferne konnte ich die Statue of Liberty von New York ausmachen. Leider waren wir noch längst nicht am Ziel... Ju schaute gedankenverloren aus dem Fenster und wandte sich dann mir zu: „Ist es nicht komisch? Monatelang sind sie uns nicht mehr auf die Schliche gekommen und jetzt liegt plötzlich das Schicksal von Millionen Menschen in unseren Händen...fast wie eine Marvel - Produktion, nur live und in Farbe!“ Ich seufzte. „Das ist kein Film, sondern Realität!“, sagte ich. „Vergiss nicht, wer dich damals ausgewählt hat, an meiner Seite zu kämpfen! So unglaubwürdig alles auch noch immer für dich klingt, es ist so, wir können nichts ändern! Wichtig ist, dass wir Jay retten können und ich ihm beim Ausbau seiner Fähigkeiten helfen kann, in Ordnung?“ Der Asiate sank in den weichen Sitz: „Weil du's bist!“ Nach ungefähr zwei weiteren Stunden Flug waren wir mitten in den Rocky Mountains gelandet, die aufgehende Sonne war hier noch schöner. Ich reichte Ju eine der Pistolen aus Trouble Agents und versorgte meine vorsichtshalber mal mit Munition, seine lud ich ebenfalls nach. Sicher war sicher... Wir ließen die Maschine stehen und marschierten durch die wenig später aufkommende Hitze, Ju quengelte die ganze Zeit wie ein Kleinkind. Ich ignorierte ihn einfach, bis wir schließlich doch eine Pause machten und anschließend immer tiefer ins Gebirge eindrangen. Die eben noch üppige Vegetation machte mickrigen Farnen und Gräsern Platz und es wurde merklich kühler, Ju atmete erleichtert auf. Wieviel Zeit blieb uns noch, um Jay zu finden, waren wir überhaupt auf dem richtigen Weg? Irgendetwas sagte mir, ihm längst nicht alles über mich berichtet zu haben... Meine Geduld wurde belohnt, als wir einen Felsvorsprung erreichten, der von einem unscheinbaren Wasserfall umgeben war. „Bist du sicher, dass wir richtig sind?“, fragte Ju und legte den Kopf schief, ich streckte die Hand aus: „Das werden wir gleich sehen!“ Die Wassermassen frierten urplötzlich ein und drifteten auseinander, ein Spalt wurde sichtbar. Bingo! Auf seinen verwirrten Blick hin schmunzelte ich nur und half ihm die Sprossen der Leiter hoch, die am Geröll angebracht war, unbemerkt schlichen wir uns in das Versteck hinein. Seit unserem letzten ungewollten Besuch hatte sich einiges verändert, die Sicherheitsvorkehrungen waren jedoch nicht weiter ausgebaut worden. Im Gegenteil, kein einziger Wachposten war zu sehen, was mehr oder weniger stark auf einen Hinterhalt zurück zu führen war... Egal, jetzt stand etwas anderes auf dem Spiel - ihn zu finden und das ganze Dilemma beiseite zu schaffen!
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