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Heaven ist das reine Gift. Der Satz hing mir noch den restlichen Tag nach. Dani hatte mir gründlich den Kopf gewaschen. Die Standpauke hatte ich verdient und ich nahm sie ihr nicht Übel. Aus jedem Wort sprach ihre Sorge um mich. Denn Heaven war gefährlich.
Für mein Leben in New Brighton, meine Familie, meinen inneren Frieden und ganz besonders mein Herz.
Ich gab Heaven freiwillig meine mächtigsten Karten in die Hand und überließ ihr, wann sie sie spielen wollte. So viel Dummheit auf einem Haufen.
Diesmal setzte ich einen Schlussstrich unter das Kapitel heiße Mitschülerin und räumte die Bilder, die ich am Samstag von ihr gemalt hatte -ihre Augen verträumt, Glitter an den halbgeöffneten Lippen- in den staubigsten Winkel unter mein Bett. Auf Nimmerwiedersehen.
Ich hatte sowieso genug damit zu tun, meine süße Dani zu trösten, die mich, wie vermutet, noch am selben Abend angerufen hatte.
Wir schmiedeten einen Schlachtplan zusammen, „Die Mission Bobby", mit dem Ziel ihm die Wahrheit schonend beizubringen und die gefährlichen Auswirkungen von zu viel Alkohol besonders in den Vordergrund zu stellen. Danach blieb nur das Beste zu hoffen.
Montagmorgen begann ein neues Leben für mich. Nicht nur dass mir Dani schrieb, dass sich Bobby von ihr getrennt hatte. Aydin postete ein Bild in unseren Gruppenchat, von dem süßen Burschen aus dem Nachbarort, den er über Grindr kennengelernt hatte.
Und ich nahm eine kalte Dusche, um mich von Heavens Gift reinzuwaschen. Mit besonders viel Sorgfalt flocht ich mir die Haare zu zwei Zöpfen. Neuer Anfang, neue Frisur.
In Jeans, weiten Kapuzenpulli und dicker Jacke, den Rucksack über der Schulter, schwang ich mich aufs Rad und strebte der Schule und dem Treffen mit meinen Freunden entgegen. Wir, die Katastrophentruppe, brauchten uns heute ganz besonders.
Auf der Treppe am Parkplatz wartete noch niemand. Ein Hauch Frost lag auf der Wiese, der langsam im schwachen Licht der Morgensonne dahinschmolz. Noch schenkte uns der Oktober goldene Herbsttage, doch der November schickte bereits die morgendliche Nasskälte voraus.
Um nicht zu frieren hüpfte ich die Treppenstufen auf und ab, während ich wartete.
Bald schon würden wir uns im Schulhaus treffen müssen. Im ersten Stock bei den Bänken vor den Chemiesälen. Wie den Winter zuvor.
Eine bekannte Stimme drang an mein Ohr. Unverkennbar stach sie aus dem Stimmengewirr meiner Mitschüler heraus und übertönte das Rauschen der Bäume, in die schwacher Wind hineinfegte und bunte Blätter zur Erde regnen ließ. Die Stimme triefte vor Selbstbewusstsein und schickte mir einen Schauer den Rücken hinab. Meine Reaktion konnte ich als innere Aufruhr, Widerstand oder Ärger abtun. Doch ich wusste es so viel besser. Kalte Duschen und neue Haarfrisuren brachte ebenso wenig wie gute Vorsätze.
Dennoch drehte ich mich nicht um. Wenigstens konnte ich es mir zur Regel machen, Heaven nicht anzusehen. Sie nie wieder anzusehen, bis ich mich von dieser Liebe als geheilt bezeichnen konnte. Oder bis ich aufs College ging. Je nachdem welcher Fall früher eintrat.
Energisch hüpfte ich auf den Treppen. Fünf nach oben, fünf nach unten.
Heaven lachte.
Ein sanftes Geräusch, wie das leise Klimpern auf Klaviertasten. Nur schöner. Mein Herz vergaß einen Schlag.
Ich begann Stufen zu überspringen. Das war schwieriger und erforderte deshalb mehr Konzentration.
Als ich alle fünf Stufen auf einmal nach unten sprang, sauste Aydin auf dem Parkplatz. Bevor er sein Rad absperrte, grinste er breit, den Blick an mir vorbei auf das Schulgebäude gerichtet.
„Morgen Poppy. Heaven schaut grad her."
Er hob die Hand und winkte.
Wie von der Tarantel gestochen fuhr ich um. Niemand blickte in unsere Richtung. Heaven hatte das Schulhaus längst betreten. Zumindest konnte ich sie nirgendwo entdecken.
So viel dazu. Wütend verschränkte ich die Arme und funkelte Aydin an.
„Du bist ein Arsch manchmal."
Aydin lachte.
„Wollte nur mal testen. Dani hat mir geschrieben was der Plan ist und du versagst gleich von Anfang an. Ich mein. Ich verstehs. Ich würde auch lieber weiter mit Heaven rumknutschen. Wenn sie n'Kerl wäre versteht sich."
Er kam zu mir und klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Energisch trat ich einen Schritt zurück. Um ihm zu zeigen, dass ich seine Witze mehr als bescheuert fand. Natürlich hätte ich lieber mit Heaven rumgeknutscht. Aber das hatte mit meinem Vorhaben mich zu entlieben überhaupt nichts zu tun.
Meine Reaktion auf seine Worte schockierte mich. Bevor ich es realisiert oder auch nur eine Sekunde nachgedacht hatte, hielt ich bereits nach Heaven Ausschau. Ein Fehler, der einen dunklen Schatten über meine morgendliche Motivation dieses Problem im Handumdrehen zu lösen warf.
Wenn meine Instinkte vor meinem Verstand reagierten, wie sollte ich dann Heaven erfolgreich ignorieren?
„Sei doch nicht so. Poppylein. Ich helf dir doch so gut ich kann. Wir müssen einfach ausgehen. Viel ausgehen. Aber dahin wo Heaven nicht ist. Verstehst du."
Natürlich wollte Aydin Party machen. Sein Lösungsweg für alle Probleme.
„An was hast du gedacht?", seufzte ich.
Begeistert klatschte mein Freund in die Hände. Mir schwante Übles. Allerdings glaubte ich daran, dass sein Plan besser funktionieren würde als Danis. Ablenkung in der Form eines süßen Mädchens, klang einfacher als absolute Disziplin. Ich war schließlich 18 und keine 80 und konnte mich damit auf schwerkontrollierbare Emotionen rausreden.
Und Dani brauchte sicher auch Ablenkung.
Als meine Freundin ankam, mit hängenden Schultern und roten, verquollenen Augen, erzählte mir Aydin gerade von der Party eines Freundes des Grindr Schwarms, auf die wir diesen Samstag gehen konnten. Nur ein wenig außerhalb von Brighton.
Das Ganze klang nach einer miserablen Idee und ich versicherte Aydin, dass mich keine zehn Pferde in den Schuppen kriegen würden, den er mir beschrieb. Dann wandte ich mich der wichtigsten Aufgabe des Schultages zu.
Dani trösten. Ich begrüßte sie mit einer engen Umarmung und ließ mich erstmal vollheulen. Auch wenn ich meiner Freundin nicht zustimmen konnte, als sie behauptete, sie habe den besten Mann der Welt für immer verloren, gab ich keine Widerworte.
Auf Bobby schimpfen war erst später an der Reihe.
Info
Hier Mal die zwei Lieder, die eine große Inspirationsquelle für die Geschichte sind:
„Sunset" von The Midnight
„Nothing New" von The Strike
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